Verwaltungsgerichtsordnung: Begriff, Zweck und Bedeutung
Die Verwaltungsgerichtsordnung ist das zentrale Verfahrensgesetz für Streitigkeiten vor den Verwaltungsgerichten in Deutschland. Sie legt fest, wie Verfahren geführt werden, welche Anträge möglich sind, wie Gerichte entscheiden und welche Rechte und Pflichten die Beteiligten haben. Ziel ist ein wirksamer, fairer und einheitlicher Rechtsschutz gegenüber Maßnahmen, Unterlassungen und öffentlich-rechtlichen Regelungen staatlicher Stellen.
Geltungsbereich und Abgrenzung
Öffentlich-rechtliche Streitigkeiten
Die Verwaltungsgerichtsordnung erfasst Streitigkeiten aus dem öffentlichen Recht. Dazu zählen vor allem Auseinandersetzungen zwischen Einzelpersonen oder Unternehmen und Behörden, etwa über Bescheide, Genehmigungen, Gebühren, polizeiliche Maßnahmen oder hoheitliche Auflagen. Es geht dabei nicht um privatrechtliche Verträge, sondern um staatliches Handeln in hoheitlicher Form.
Abgrenzung zu anderen Gerichtsbarkeiten
Nicht alle öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten fallen in die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte. Bestimmte Bereiche sind spezialisierten Gerichtsbarkeiten zugewiesen, etwa die Finanzgerichte für Steuersachen oder die Sozialgerichte für Angelegenheiten der sozialen Sicherung. Zivil- und Strafgerichte sind zuständig, wenn es um privatrechtliche Beziehungen oder Strafsachen geht.
Beteiligte und Rechtsstellung
Beteiligte sind insbesondere die klagende Partei, die beklagte Behörde oder der dahinterstehende Rechtsträger sowie weitere, beigeladene Personen oder Einrichtungen, deren Rechte vom Ausgang des Verfahrens berührt werden können. Die Verwaltungsgerichtsordnung regelt, wer beteiligungs- und prozessfähig ist und wie Vertretung, Zustellungen und Fristen zu handhaben sind.
Aufbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit
Erste Instanz: Verwaltungsgerichte
In erster Instanz entscheiden die Verwaltungsgerichte. Sie prüfen Sachverhalt und Rechtslage umfassend und treffen regelmäßig die Tatsachenfeststellungen, die für den weiteren Instanzenzug prägend sind.
Zweite Instanz: Oberverwaltungsgerichte/Verwaltungsgerichtshöfe
Als zweite Instanz entscheiden Oberverwaltungsgerichte (in einigen Ländern Verwaltungsgerichtshöfe). Sie überprüfen Urteile der Verwaltungsgerichte, vor allem auf Rechtsfehler, teilweise auch erneut in tatsächlicher Hinsicht, soweit das Gesetz dies vorsieht.
Dritte Instanz: Bundesverwaltungsgericht
Das Bundesverwaltungsgericht wahrt die Einheit und Fortbildung des Rechts. Es überprüft als Revisionsgericht die Anwendung des Rechts durch die Vorinstanzen.
Zuständigkeit und Gerichtsstand
Die Verwaltungsgerichtsordnung regelt, welches Gericht örtlich und sachlich zuständig ist. Maßgeblich sind unter anderem der Ort des Verwaltungshandelns oder der Sitz der zuständigen Behörde.
Verfahrensgrundsätze
Untersuchungsgrundsatz
Das Gericht ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen. Es ist nicht ausschließlich an das Vorbringen der Beteiligten gebunden und kann Beweise erheben, um eine rechtlich zutreffende Entscheidung zu treffen.
Mündlichkeit, Öffentlichkeit und rechtliches Gehör
Die Entscheidung erfolgt in der Regel nach mündlicher Verhandlung, die öffentlich ist. Alle Beteiligten erhalten Gelegenheit, sich zu äußern und Anträge zu stellen. Ausnahmen von der Öffentlichkeit sind gesetzlich eng begrenzt.
Beschleunigung und Effektivität
Die Verfahren sind auf zügige Klärung angelegt. Dies dient der Verlässlichkeit staatlichen Handelns und dem effektiven Schutz individueller Rechte.
Transparenz und Akteneinsicht
Beteiligte haben ein Recht auf Einsicht in die Gerichts- und Behördenakten, soweit schutzwürdige Interessen Dritter oder öffentliche Belange nicht entgegenstehen. Entscheidungen sind zu begründen.
Digitale Kommunikation
Die Verwaltungsgerichtsordnung ermöglicht die elektronische Kommunikation mit dem Gericht und die Führung elektronischer Akten im Rahmen der hierfür vorgesehenen technischen und rechtlichen Voraussetzungen.
Klage- und Antragsarten
Anfechtungsklage
Mit der Anfechtungsklage wird die Aufhebung eines belastenden Verwaltungsakts begehrt, etwa eines ablehnenden Bescheids oder einer Auflage.
Verpflichtungsklage
Die Verpflichtungsklage zielt darauf, die Behörde zur Vornahme eines beantragten Verwaltungsakts zu verpflichten, beispielsweise zur Erteilung einer Genehmigung.
Feststellungsklage
Die Feststellungsklage klärt das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses, wenn eine unmittelbare Anfechtung oder Verpflichtung nicht in Betracht kommt.
Leistungsklage
Die Leistungsklage richtet sich auf ein bestimmtes Handeln, Dulden oder Unterlassen der Verwaltung, das nicht in Form eines Verwaltungsakts steht.
Fortsetzungsfeststellung
Hat sich ein ursprünglich angefochtener Verwaltungsakt erledigt, kann die Klärung seiner Rechtmäßigkeit weiterhin von Bedeutung sein. Die Fortsetzungsfeststellung dient der nachträglichen rechtlichen Überprüfung.
Untätigkeitskonstellation
Bleibt eine Entscheidung der Behörde trotz Antrags aus, ermöglicht die Verwaltungsgerichtsordnung gerichtlichen Rechtsschutz, ohne dass die Verzögerung das Verfahren vereitelt.
Normenkontrolle
Untergesetzliche Normen wie Satzungen und Verordnungen können in einem besonderen Verfahren auf ihre Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht geprüft werden. Zuständig sind hierfür die Gerichte der zweiten Instanz.
Organ- und Kommunalstreitigkeiten
Innerhalb von Körperschaften des öffentlichen Rechts können Streitigkeiten über Zuständigkeiten und Rechte im Wege spezieller Verfahren geklärt werden.
Verfahrensablauf in Grundzügen
Einleitung und Vorverfahren
Oft geht dem gerichtlichen Verfahren ein behördliches Überprüfungsverfahren voraus. Dieses Vorverfahren dient der Selbstkontrolle der Verwaltung und kann das Gerichtsverfahren entbehrlich machen oder vorbereiten.
Zulässigkeit und Begründetheit
Das Gericht prüft zunächst, ob die Klage zulässig ist. Dazu gehören Zuständigkeit, Beteiligtenfähigkeit, richtige Klageart, Einhaltung von Fristen und das erforderliche Rechtsschutzinteresse. Im nächsten Schritt wird die Begründetheit geprüft, also die rechtliche Richtigkeit des Verwaltungshandelns.
Beweis und Beweismittel
Zulässig sind insbesondere Urkunden, Zeugen, Sachverständige, Augenschein und Auskünfte. Das Gericht wählt die geeigneten Mittel, um den Sachverhalt aufzuklären.
Mündliche Verhandlung und Entscheidung
Nach Erörterung der Sach- und Rechtslage in der mündlichen Verhandlung entscheidet das Gericht durch Urteil. In prozessualen Zwischenfragen ergeht häufig ein Beschluss.
Urteilsarten
Je nach Klageart hebt das Gericht Verwaltungsakte auf, verpflichtet die Behörde zum Erlass eines Verwaltungsakts, stellt Rechtsverhältnisse fest oder weist die Klage ab. Entscheidungen sind zu begründen und den Beteiligten bekanntzugeben.
Vorläufiger Rechtsschutz
Sicherung und Regelung im Eilverfahren
Wenn eine schnelle gerichtliche Entscheidung erforderlich ist, um schwere Nachteile zu vermeiden oder streitige Verhältnisse vorläufig zu ordnen, steht ein Eilverfahren zur Verfügung. Es ermöglicht vorläufige Sicherung oder Regelung bis zur Entscheidung in der Hauptsache.
Aufschiebende Wirkung
Die Einlegung von Rechtsbehelfen kann die Vollziehung eines Verwaltungsakts hemmen. Wo dies gesetzlich nicht vorgesehen ist, kann das Gericht die aufschiebende Wirkung anordnen oder wiederherstellen, wenn die Interessenabwägung dies erfordert.
Rechtsmittel und weitere Rechtsbehelfe
Berufung
Gegen Urteile der Verwaltungsgerichte kann die Berufung eröffnet sein. Sie ermöglicht eine erneute gerichtliche Prüfung, auch zu Teilen des Sachverhalts.
Revision
Die Revision zum Bundesverwaltungsgericht dient der Klärung grundsätzlicher Rechtsfragen und der Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung. Sie beschränkt sich auf Rechtsfragen.
Beschwerde
Gegen bestimmte Beschlüsse und prozessleitende Maßnahmen ist die Beschwerde vorgesehen. Sie richtet sich an das nächsthöhere Gericht.
Wiederaufnahme
Unter engen Voraussetzungen kann ein bereits abgeschlossenes Verfahren wiederaufgenommen werden, etwa bei erheblichen Verfahrensmängeln oder neu bekanntgewordenen Tatsachen von besonderem Gewicht.
Kosten, Vertretung und Verfahrenshilfe
Gerichtskosten und Auslagen
Verfahren vor Verwaltungsgerichten sind gebührenpflichtig. Hinzu kommen Auslagen, etwa für Zustellungen, Sachverständige oder Zeugen. Die Höhe richtet sich nach gesetzlich vorgesehenen Maßstäben.
Kostentragung
Grundsätzlich trägt die unterliegende Partei die Kosten des Verfahrens. Bei teilweisem Obsiegen erfolgt eine anteilige Verteilung. Das Gericht setzt die Kosten fest.
Vertretung
Vor den oberen Instanzen besteht in der Regel Vertretungspflicht durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt. In erster Instanz ist eine persönliche Vertretung häufig möglich, soweit keine besonderen Vorschriften entgegenstehen.
Verfahrenskostenhilfe
Zur Sicherung des Zugangs zum Recht kann Verfahrenskostenhilfe gewährt werden, wenn die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen vorliegen und die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Über den Antrag entscheidet das Gericht.
Verhältnis zu materiellem Recht und europarechtlichen Vorgaben
Miteinander von Verfahrens- und materiellem Recht
Die Verwaltungsgerichtsordnung regelt den Ablauf des gerichtlichen Verfahrens. Ob eine Maßnahme rechtmäßig ist, beurteilt sich nach dem jeweils einschlägigen Fachrecht (etwa Bau-, Polizei-, Umwelt-, Dienst- oder Ausländerrecht), das im Verfahren angewendet und ausgelegt wird.
Einflüsse des Unionsrechts
Unionsrechtliche Vorgaben prägen den Rechtsschutz, etwa durch Grundsätze der Effektivität und Äquivalenz. Nationale Verfahrensregeln sind so anzuwenden, dass unionsrechtlich gewährleistete Rechte wirksam durchgesetzt werden können.
Bedeutung in der Praxis
Die Verwaltungsgerichtsordnung gewährleistet verlässlichen Rechtsschutz gegenüber staatlichem Handeln. Sie schafft klare Regeln, wie Konflikte mit Behörden geklärt, Rechte gesichert und Verwaltungspraxis rechtlich überprüft werden. Damit ist sie ein zentraler Baustein der rechtsstaatlichen Kontrolle der Exekutive.
Häufig gestellte Fragen
Was regelt die Verwaltungsgerichtsordnung?
Sie legt fest, wie Verfahren vor den Verwaltungsgerichten ablaufen, welche Klage- und Antragsarten es gibt, welche Rechte und Pflichten die Beteiligten haben und wie Entscheidungen überprüft werden können.
Für welche Streitigkeiten sind Verwaltungsgerichte zuständig?
Für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art, vor allem bei hoheitlichem Handeln von Behörden gegenüber Einzelpersonen oder Unternehmen. Bereiche mit eigener Gerichtsbarkeit, wie Steuern oder soziale Sicherung, sind ausgenommen.
Welche Klagearten gibt es vor den Verwaltungsgerichten?
Wesentliche Klagearten sind Anfechtungsklage, Verpflichtungsklage, Feststellungsklage und Leistungsklage. Hinzu kommen besondere Konstellationen wie Fortsetzungsfeststellung und die gerichtliche Kontrolle untergesetzlicher Normen.
Wie ist der Instanzenzug aufgebaut?
Erste Instanz sind die Verwaltungsgerichte, zweite Instanz die Oberverwaltungsgerichte oder Verwaltungsgerichtshöfe, dritte Instanz das Bundesverwaltungsgericht. Jede Stufe hat eigene Aufgaben und Prüfungsbefugnisse.
Gibt es Fristen im Verwaltungsprozess?
Ja. Für die Einlegung von Rechtsbehelfen, die Erhebung von Klagen und Anträgen sowie für bestimmte Verfahrensschritte gelten gesetzliche Fristen. Ihre Einhaltung ist für die Zulässigkeit entscheidend.
Was ist einstweiliger Rechtsschutz?
Er dient der vorläufigen Sicherung oder Regelung, wenn eine schnelle Entscheidung notwendig ist, um wesentliche Nachteile zu vermeiden oder geordnete Zustände bis zur Hauptsache zu gewährleisten.
Ist eine Vertretung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt erforderlich?
In höheren Instanzen besteht regelmäßig Vertretungspflicht. In erster Instanz ist eine persönliche Vertretung häufig zulässig, sofern keine besonderen Vorschriften entgegenstehen.
Wer trägt die Kosten eines Verwaltungsprozesses?
Grundsätzlich trägt die unterliegende Partei die Kosten. Bei teilweisem Erfolg erfolgt eine anteilige Verteilung. Über Ausmaß und Höhe entscheidet das Gericht nach den gesetzlichen Maßstäben.