Begriff und Wesen des Verwaltungsgerichtshofs
Der Verwaltungsgerichtshof (abgekürzt VGH) ist ein oberes Gericht der Verwaltungsgerichtsbarkeit mit entscheidender Bedeutung für die Kontrolle der öffentlichen Verwaltung durch unabhängige Justizorgane. In Deutschland und Österreich sowie in weiteren Ländern mit kontinentaleuropäischen Rechtstraditionen bezeichnet der Ausdruck „Verwaltungsgerichtshof“ entweder die höchste oder eine obere Instanz der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Der VGH bildet eine wesentliche Säule in der Gewaltenteilung und gewährleistet Rechtsschutz im Konflikt zwischen Bürgerinnen und staatlichen Behörden.
Verwaltungsgerichtshof im deutschen Rechtssystem
Stellung innerhalb der deutschen Gerichtsbarkeit
In Deutschland existiert der Verwaltungsgerichtshof als obere Instanz in mehreren Bundesländern, namentlich in Baden-Württemberg, Bayern und Hessen, die den Begriff anstelle des Begriffs „Oberverwaltungsgericht“ verwenden. In allen anderen Ländern trägt das Gericht auf dieser Ebene die Bezeichnung Oberverwaltungsgericht (OVG). Über den Verwaltungsgerichtshöfen bzw. Oberverwaltungsgerichten steht das Bundesverwaltungsgericht, das als höchste Instanz der Verwaltungsgerichtsbarkeit fungiert.
Gliederung der Verwaltungsgerichtsbarkeit
Die Verwaltungsgerichtsbarkeit ist in Deutschland dreistufig aufgebaut:
- Verwaltungsgerichte (erste Instanz)
- Oberverwaltungsgerichte / Verwaltungsgerichtshöfe (zweite Instanz)
- Bundesverwaltungsgericht (dritte Instanz)
Aufgaben und Zuständigkeiten
Der Verwaltungsgerichtshof ist insbesondere für Berufungen und Beschwerden gegen Urteile und Beschlüsse der Verwaltungsgerichte zuständig. Neben der Prüfung tatsächlicher und rechtlicher Aspekte der erstinstanzlichen Entscheidungen entscheidet der VGH auch in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, bei Normenkontrollverfahren und weiteren besonderen Rechtsstreitigkeiten, die das Verwaltungsrecht betreffen.
Typische Verfahren
- Berufungen in Hauptsachen nach Urteil eines Verwaltungsgerichts
- Beschwerden gegen verwaltungsgerichtliche Eilentscheidungen
- Normenkontrollverfahren gemäß § 47 VwGO (Verwaltungsgerichtsordnung) über die Gültigkeit von Rechtsvorschriften, insbesondere kommunale Satzungen und Landesrechtsverordnungen
- Organisation und Aufsicht über die Verwaltungsgerichte des Landes
Aufbau und Besetzung
Die Verwaltungsgerichtshöfe sind collegial besetzte Spruchkörper. Vorsitzende Richterinnen, beisitzende Richterinnen und in vielen Verfahren auch ehrenamtliche Richterinnen wirken an Urteilen mit. Die interne Organisation weist Senate oder Kammern aus, die auf bestimmte Sachgebiete spezialisiert sind, etwa Baurecht, Ausländerrecht, Disziplinarrecht oder Kommunalrecht.
Verwaltungsgerichtshof im österreichischen Rechtssystem
Behördenstruktur und historische Entwicklung
In Österreich ist der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) das Höchstgericht in Verwaltungsangelegenheiten. Bis zur Verwaltungsgerichtsbarkeitsreform 2014 war der VwGH als einzige verwaltungsgerichtliche Instanz tätig. Seit 2014 nehmen den erstinstanzlichen Rechtsschutz die neu eingerichteten Verwaltungsgerichte der Länder und des Bundes wahr. Der österreichische VwGH entscheidet ausschließlich über Revisionen gegen deren Entscheidungen und ist somit ein reines Rechtsmittelgericht.
Aufgabenbereiche und Kompetenzen
Der Verwaltungsgerichtshof schützt den Einzelnen vor rechtswidrigem Verwaltungshandeln und gewährleistet die Kontrolle der öffentlichen Verwaltung. Hauptaufgaben des österreichischen VwGH sind die Entscheidung über Revisionen gegen Erkenntnisse und Beschlüsse der Verwaltungsgerichte sowie die Behandlung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung.
Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof
Der österreichische VwGH prüft, ob das angefochtene Erkenntnis auf einer Verletzung von Gesetzesrecht beruht, und kann die Entscheidung aufheben, abändern oder das bescheidmäßige Verwaltungshandeln anweisen. Der Zugang zum VwGH setzt im Regelfall – mit bestimmten Ausnahmen – das Vorliegen einer „grundlegenden Rechtsfrage“ voraus (vgl. Art 133 B-VG).
Verhältnis zu anderen Gerichten
Der Verwaltungsgerichtshof steht neben dem Verfassungsgerichtshof (VfGH), welcher über Rechtsverletzungen verfassungsrechtlicher Art entscheidet. Durch diese Aufgabenteilung wird sowohl die Einhaltung des einfachen als auch des Verfassungsrechts effektiv kontrolliert.
Rechtsgrundlagen und Verfahrensrecht
Deutschland – Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)
Im deutschen Recht ist die Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) das zentrale Gesetz, das Aufbau, Zuständigkeit und Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof regelt. Sie definiert die gerichtlichen Instanzen, gibt die Möglichkeit der Anfechtung erstinstanzlicher Urteile durch Berufung, und regelt weitere Rechtsmittel und Verfahrensfragen.
Relevante Gesetzesauszüge
- § 45 VwGO: Berufung zum Verwaltungsgerichtshof
- § 47 VwGO: Normenkontrollverfahren beim VGH
- § 49 VwGO: Zustellung von Urteilen
- § 130 VwGO: Besetzung der Senate
Österreich – Verwaltungsgerichtshofgesetz (VwGG)
Für das Verfahren in Österreich ist das Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG) maßgeblich. Es regelt unter anderem den Zugang zum VwGH, die Revision und die Verfahrensgestaltung.
Bedeutung und Funktion im Rechtsschutz
Der Verwaltungsgerichtshof gewährleistet einen umfassenden gerichtlichen Rechtsschutz gegen Akte und Unterlassungen der öffentlichen Verwaltung. Seine Tätigkeit stellt sicher, dass Behördenentscheidungen mit Gesetzen und Rechtsprechung übereinstimmen. Damit erfüllt er eine zentrale Kontrolle im Rechtssystem und schützt die Rechte der Bürger*innen sowie die objektive Gesetzmäßigkeit des Verwaltungshandelns.
Auswirkungen in der Rechtsentwicklung
Die Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs beeinflussen sowohl die Verwaltungspraxis als auch die untergeordneten Gerichte und prägen die Auslegung des Verwaltungsrechts maßgeblich. Sie bieten Orientierung für Behörden und wirken als Korrektiv fehlerhaften oder rechtswidrigen Verwaltungshandelns.
Besonderheiten und Abgrenzungen
Unterschied zum Verfassungsgerichtshof
Im Unterschied zum Verwaltungsgerichtshof, der Rechtsschutz in allgemeinen Verwaltungssachen bietet, ist der Verfassungsgerichtshof auf die Kontrolle der Einhaltung der Verfassung spezialisiert. Während der VGH Gesetzes- und Verordnungsrecht prüft, entscheidet der Verfassungsgerichtshof über Grundrechtsschutz, Gesetzeswidrigkeit und Kompetenzen der Staatsorgane.
Internationale und supranationale Vorgaben
In seiner Tätigkeit beachtet der Verwaltungsgerichtshof Grundrechte aus nationalen Verfassungen sowie aus internationalen Abkommen (z. B. Europäische Menschenrechtskonvention, EU-Grundrechtecharta). Insbesondere gewährleistet er effektiven Rechtsschutz im Sinne von Art. 19 Absatz 4 Grundgesetz (Deutschland) bzw. Art. 130 Bundes-Verfassungsgesetz (Österreich).
Literatur und weiterführende Informationen
Für vertiefende Informationen und aktuelle Rechtsprechung bieten die offiziellen Webseiten der Verwaltungsgerichtshöfe und der Datenbanken der Rechtsprechung umfangreiche Ressourcen. Gesetzestexte und Kommentare geben einen detaillierten Einblick in Aufbau, Verfahren und Bedeutung des Verwaltungsgerichtshofs.
Siehe auch:
- Verwaltungsgerichtsbarkeit
- Bundesverwaltungsgericht (Deutschland)
- (%C3%96sterreich“>Verfassungsgerichtshof (Österreich))
Häufig gestellte Fragen
Wie läuft das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ab?
Das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof (VwGH) beginnt in der Regel mit der Einbringung einer außerordentlichen Revision oder eines Antrags auf Entscheidung über eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung. Nach Einlangen des Schriftsatzes prüft der VwGH zunächst, ob die Zulässigkeitsvoraussetzungen gegeben sind, wozu insbesondere die Verletzung von Bundesrecht oder von Landesrecht, das Bundesverfassungsgesetz gemäß grundsätzlich dem VwGH zugeordnet hat, zählt. Das Verfahren ist grundsätzlich schriftlich, kann jedoch in besonderen Fällen auch mündlich durchgeführt werden. Die Parteien können Schriftsätze einreichen und zu den vorgebrachten Argumenten Stellung nehmen. Der Verwaltungsgerichtshof prüft nur Rechtsfragen; eine Tatsachenfeststellung oder Beweisaufnahme erfolgt grundsätzlich nicht. Die Entscheidung ergeht – nach Sichtung der Vorakten und etwaiger Stellungnahmen – in Form eines Erkenntnisses (Urteil) oder eines Beschlusses und wird unter genauer Darstellung der rechtlichen Würdigung veröffentlicht. Gegen die Entscheidungen des VwGH ist kein weiteres ordentliches Rechtsmittel zulässig; in besonderen Ausnahmefällen kommt eine Verfassungsbeschwerde in Betracht.
Wer ist zur Einbringung einer Revision zum Verwaltungsgerichtshof berechtigt?
Zur Einbringung einer Revision an den Verwaltungsgerichtshof sind grundsätzlich nur diejenigen Parteien berechtigt, die am Verfahren vor dem vorangegangenen Verwaltungsgericht beteiligt waren und durch dessen Erkenntnis in ihren Rechten verletzt zu sein behaupten. Dasselbe gilt für mitbeteiligte Parteien, sofern sie geltend machen, dass sie durch die angefochtene Entscheidung unmittelbar beschwert sind. Die Revision setzt außerdem voraus, dass keine ordentliche Revision durch das Verwaltungsgericht zugelassen wurde, weil keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung zu beantworten war. Die Revision ist binnen sechs Wochen nach Zustellung des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichts schriftlich einzureichen. Eine anwaltliche Vertretung ist erforderlich, mit Ausnahme einfacher Verwaltungsstrafverfahren und bestimmter Sozialrechtsangelegenheiten.
Welche Fristen sind im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof maßgeblich?
Die wichtigsten Fristen im Verfahren vor dem VwGH betreffen die Einbringung der außerordentlichen Revision oder eines Fristsetzungsantrags. Die Revision muss binnen sechs Wochen ab Zustellung des Verwaltungsgerichtserkenntnisses eingebracht werden. Fristversäumungen können grundsätzlich nicht geheilt werden, das bedeutet, bei Nichteinhaltung dieser Frist ist die Revision als verspätet zurückzuweisen. Weitere maßgebliche Fristen bestehen für die Stellung von Anträgen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, die ebenfalls binnen zwei Wochen ab Wegfall des Hindernisses zu stellen sind. Im Zuge des Verfahrens kann der VwGH weiteren Schriftsätzen Fristen setzen, deren Nichteinhaltung Konsequenzen bis hin zur Säumnisentscheidung haben kann.
Welche Kontrollbefugnisse hat der Verwaltungsgerichtshof?
Der Verwaltungsgerichtshof überprüft ausschließlich die rechtliche Richtigkeit von Entscheidungen der Verwaltungsgerichte. Seine Kontrollbefugnis bezieht sich auf die Verletzung von geltendem Bundes- oder Landesrecht und darauf, ob das Verwaltungsgericht seine Entscheidung auf einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung oder einem wesentlichen Verfahrensmangel gestützt hat. Der VwGH ist jedoch keine Tatsacheninstanz: Er überprüft nicht die Tatsachenfeststellung, sondern beschränkt sich auf die Kontrolle der Anwendung des Rechts. Auch etwaige Ermessensentscheidungen des Verwaltungsgerichts werden nur darauf überprüft, ob das zugrunde gelegte Ermessen im Rahmen des Gesetzes rechtsfehlerfrei ausgeübt wurde.
Welche Rolle spielen Parteien und Beteiligte im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof?
Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof sind nicht nur die Revisionswerber (meist die Partei, die gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts vorgeht), sondern auch die übrigen Parteien des Vorverfahrens Beteiligte. Diese haben das Recht, im Verfahren Schriftsätze zu erstatten, Stellung zu nehmen und Anträge zu stellen, soweit ihre Rechte betroffen sind. Besonders wichtig ist die Rolle der belangten Behörde, die regelmäßig zur Revision Stellung nimmt und die Akten beizubringen hat. Die Beteiligung am Verfahren gewährleistet den Grundsatz des Parteiengehörs, der im gesamten verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzverfahren zu beachten ist.
Welche Rechtswirkung haben Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes?
Die Entscheidungen des VwGH wirken grundsätzlich ausschließlich inter partes, das heißt, dass sie nur zwischen den am Verfahren beteiligten Parteien Rechtskraft entfalten. Die Erkenntnisse und Beschlüsse binden sowohl die Parteien als auch die ursprünglich entscheidende Verwaltungsbehörde hinsichtlich des festgelegten Gegenstandes. Die Entscheidungen haben jedoch keine Gesetzeskraft und begründen keine Bindung für andere Fälle. Umfang und Tragweite der Entscheidung ergeben sich aus dem Spruchteil (Tenor) und den Entscheidungsgründen. Soweit der VwGH allgemeine Rechtsfragen klärt, hat seine Judikatur jedoch faktisch Leitbildwirkung für die Verwaltung und die nachgeordneten Gerichte.
Kann die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs angefochten werden?
Gegen Erkenntnisse und Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes ist grundsätzlich kein weiteres ordentliches Rechtsmittel zulässig. Nur in Ausnahmefällen, insbesondere wenn verfassungsrechtlich gewährleistete Rechte wie etwa das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt sein könnten, ist eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof (VfGH) möglich. Die Voraussetzungen für eine derartige Beschwerde sind jedoch restriktiv; sie ist insbesondere dann nicht zulässig, wenn lediglich einfachgesetzliches Recht oder die Anwendung einfachen Prozessrechts gerügt wird. In bestimmten Fällen kann zudem eine Individualbeschwerde an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erfolgen, sofern eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention behauptet wird.