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Vertrauensarbeitszeit


Begriff und rechtliche Einordnung der Vertrauensarbeitszeit

Die Vertrauensarbeitszeit ist ein arbeitsrechtliches Modell, bei dem der Umfang und die Einteilung der Arbeitszeit weitgehend in die Eigenverantwortung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gelegt werden. Der Begriff bezeichnet eine flexible Arbeitszeitgestaltung, bei der auf eine betriebliche Erfassung und Kontrolle der geleisteten Stunden weitgehend verzichtet wird, während weiterhin auf die Erledigung der geschuldeten Arbeitsaufgaben vertraut wird.

In der arbeitsrechtlichen Praxis ist die Vertrauensarbeitszeit von gesetzlich und tariflich geregelten Arbeitszeitmodellen zu unterscheiden. Insbesondere gewinnt dieses Modell durch die Diskussion um Remote Work, mobile Arbeit und flexible Beschäftigungsformen zunehmend an Bedeutung.

Gesetzliche Grundlagen

Arbeitszeitgesetz (ArbZG) und Vertrauensarbeitszeit

Trotz des Verzichts auf eine systematische Zeiterfassung bei der Vertrauensarbeitszeit bleibt das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) maßgeblich. Die gesetzlichen Vorgaben, insbesondere zur Höchstarbeitszeit (§ 3 ArbZG), zu Ruhepausen (§ 4 ArbZG) und zum Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit (§§ 9, 10 ArbZG) sind zwingende Vorgaben, die auch im Rahmen der Vertrauensarbeitszeit einzuhalten sind.

Nach der Rechtsprechung kann die Pflicht zur Zeiterfassung trotz Vertrauensarbeitszeit nicht vollständig aufgegeben werden, da der Arbeitgeber verantwortlich für die Einhaltung der gesetzlichen Arbeitszeitvorschriften bleibt. Mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 14. Mai 2019 (C-55/18) und der darauf folgenden Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 13. September 2022 (1 ABR 22/21) wurde klargestellt, dass Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet sind, ein System zur Erfassung der Arbeitszeit einzuführen – unabhängig vom gewählten Arbeitszeitmodell.

Arbeitsschutzrechtliche Implikationen

Das Modell der Vertrauensarbeitszeit darf nicht dazu führen, dass Beschäftigte Arbeitsschutzregelungen unterlaufen. Die Einhaltung von Höchstarbeitszeiten und Ruhezeiten ist auch auf Basis von Vertrauensarbeitszeit beim Arbeitgeber zu überwachen. Diese Verpflichtung kann nicht auf die Beschäftigten übertragen werden, auch wenn die Arbeitszeiteinteilung ihnen obliegt.

Mitbestimmungsrechte und betriebliche Praxis

Im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) hat der Betriebsrat bei der Einführung und Ausgestaltung von Vertrauensarbeitszeit ein zwingendes Mitbestimmungsrecht (§ 87 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 BetrVG). Dies betrifft insbesondere Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit, Einführung von Zeiterfassungssystemen sowie Maßnahmen, die den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sicherstellen sollen.

Praktische Ausgestaltung und Pflichten

Arbeitsvertragliche Regelungen

Die Einführung von Vertrauensarbeitszeit erfolgt in der Regel durch eine arbeitsvertragliche Vereinbarung oder eine Betriebsvereinbarung. Wichtige Inhalte einer solchen Vereinbarung sind:

  • Klare Regelungen zur Erbringung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung
  • Bestimmungen zu Erreichbarkeit und ggf. Kernarbeitszeiten
  • Hinweise auf die Geltung der arbeitszeitrechtlichen Vorschriften
  • Modalitäten zur Dokumentation von Arbeitszeiten und Überstunden

Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung

Auch im Rahmen der Vertrauensarbeitszeit kann auf eine Erfassung der Arbeitszeit nicht gänzlich verzichtet werden. Allerdings kann die Zeiterfassung auf das zwingend Notwendige begrenzt werden. Insbesondere für Überstunden und Sonn- oder Feiertagsarbeit sowie für die Ermittlung von Arbeitszeiten, die im Rahmen von Gleitzeit oder Homeoffice anfallen, ist eine Dokumentation unerlässlich.

Der Arbeitgeber ist verpflichtet, dafür zu sorgen, dass ein den Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes entsprechendes Zeiterfassungssystem vorhanden ist und genutzt wird.

Umgang mit Mehrarbeit und Überstunden

Da bei der Vertrauensarbeitszeit der Fokus auf Arbeitsergebnissen liegt, ist die Erfassung von Überstunden häufig eine besondere Herausforderung. Werden Überstunden geleistet, sind diese gesondert zu erfassen und zu vergüten oder durch Freizeit auszugleichen, sofern dies arbeits- oder tarifvertraglich geregelt ist.

Rechtsprechung zur Vertrauensarbeitszeit

Gerichtliche Entscheidungen bestätigen, dass die Einhaltung der gesetzlichen Arbeitszeitvorschriften auch bei Vertrauensarbeitszeit gewährleistet sein muss. Insbesondere die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts und der europäischen Gerichtsbarkeit betonen, dass Arbeitgeber zur Arbeitszeiterfassung verpflichtet sind.

So entschied der Europäische Gerichtshof, dass Arbeitgeber verpflichtet sind, ein objektives, verlässliches und zugängliches System zur Arbeitszeiterfassung einzuführen, um die Einhaltung der Arbeitszeitvorschriften zu gewährleisten. Diese Rechtsprechung ist für sämtliche Arbeitszeitmodelle verbindlich, unabhängig davon, wie viel Eigenverantwortung den Beschäftigten übertragen wird.

Abgrenzung zu anderen Arbeitszeitmodellen

Die Vertrauensarbeitszeit unterscheidet sich von festen Arbeitszeitmodellen und Gleitzeitregelungen darin, dass bei letzterer regelmäßig Zeitkonten geführt werden und der Arbeitgeber über die tatsächlich geleisteten Stunden informiert ist. Bei der Vertrauensarbeitszeit steht das Ergebnis, also die Erfüllung der vereinbarten Aufgaben, im Vordergrund und nicht die bloße Anwesenheit während bestimmter Stunden.

Trotzdem ist dieses Modell deutlich von der sogenannten „Output-orientierten Arbeit“ abzugrenzen, bei der allein auf das Arbeitsergebnis Bezug genommen wird. Vertrauensarbeitszeit bleibt weiterhin vom Arbeitszeitbegriff des Arbeitszeitgesetzes umfasst.

Zusammenfassung

Vertrauensarbeitszeit ist ein modernes Arbeitszeitmodell, das Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern einen hohen Grad an Flexibilität und Eigenverantwortung gewährt. Trotz des Wegfalls der umfassenden Kontrolle der Arbeitszeiten bleibt die Einhaltung der gesetzlichen Arbeitszeitregelungen zwingend erforderlich. Arbeitgeber sind verpflichtet, die gesetzlichen Vorgaben zu überwachen und entsprechende Zeiterfassungssysteme einzuführen. Die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmervertretungen sind ebenfalls zu beachten. In der Praxis empfiehlt sich eine klare vertragliche oder betriebliche Grundlage, um Rechtssicherheit für Arbeitgeber und Beschäftigte zu gewährleisten und etwaigen Konflikten vorzubeugen.

Häufig gestellte Fragen

1. Muss die Arbeitszeit bei Vertrauensarbeitszeit dokumentiert werden?

Auch bei Einführung von Vertrauensarbeitszeit sind Arbeitgeber rechtlich verpflichtet, die Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten zu dokumentieren. Nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil vom 13.09.2022 – 1 ABR 22/21) muss der Arbeitgeber ein System zur Arbeitszeiterfassung bereitstellen, das Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit jedes Mitarbeiters erfasst. Die jüngsten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes (EuGH, Urteil vom 14.05.2019 – C-55/18) stärken diese Verpflichtung. Die alleinige Vereinbarung von Vertrauensarbeitszeit entbindet den Arbeitgeber daher nicht von der gesetzlichen Pflicht zur Arbeitszeiterfassung. Die Verantwortung kann teilweise auf die Beschäftigten übertragen werden, die Kontrolle und die Einrichtung des Systems verbleiben jedoch beim Arbeitgeber.

2. Was passiert bei Überschreitung der zulässigen Höchstarbeitszeiten im Rahmen von Vertrauensarbeitszeit?

Das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) bleibt auch bei Vertrauensarbeitszeit uneingeschränkt gültig. Das bedeutet, Arbeitnehmer dürfen in der Regel nicht mehr als acht Stunden täglich arbeiten (§ 3 ArbZG), Ausnahmen (bis zu zehn Stunden) sind nur zulässig, wenn innerhalb von sechs Monaten oder 24 Wochen der Durchschnitt von acht Stunden werktäglich nicht überschritten wird. Überschreitungen führen zu einem Verstoß gegen das Arbeitszeitgesetz und können zu Bußgeldern für den Arbeitgeber führen. Zudem ist der Arbeitgeber verpflichtet, für Einhaltung von Pausen- und Ruhezeiten zu sorgen (§§ 4, 5 ArbZG). Führt Vertrauensarbeitszeit dazu, dass solche Grenzen regelmäßig überschritten werden, muss der Arbeitgeber steuernd eingreifen.

3. Wer haftet für Verstöße gegen arbeitszeitrechtliche Vorgaben bei Vertrauensarbeitszeit?

Die Haftung für Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz trägt grundsätzlich der Arbeitgeber, auch wenn er den Beschäftigten im Rahmen der Vertrauensarbeitszeit weitgehende Freiheiten bei der Arbeitszeitgestaltung einräumt. Dies ergibt sich aus § 611a BGB sowie dem ArbZG, wonach der Arbeitgeber für die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben verantwortlich bleibt. Das bedeutet, dass bußgeldbewehrte Verstöße gegen Arbeitszeitregelungen (z.B. Überschreitung der täglichen Höchstarbeitszeit, fehlende Pausen) dem Arbeitgeber zugerechnet werden – selbst wenn diese durch individuelles Fehlverhalten des Mitarbeitenden entstehen.

4. Welche arbeitsrechtlichen Ansprüche können bei Mehrarbeit während der Vertrauensarbeitszeit entstehen?

Bei Mehrarbeit, also Überschreiten der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit, entstehen grundsätzlich Ansprüche auf Vergütung oder Freizeitausgleich (§ 612 BGB; § 3 ArbZG). Auch in Vertrauensarbeitszeit-Modellen kann der Arbeitnehmer unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf Vergütung von Überstunden oder einen Ausgleich in Freizeit haben. Entscheidend ist, dass die Mehrarbeit entweder ausdrücklich oder konkludent (also durch Duldung) vom Arbeitgeber angeordnet oder gebilligt wird. Es empfiehlt sich eine klare arbeitsvertragliche Regelung, die den Umgang mit Mehrarbeit und deren Ausgleich im Rahmen der Vertrauensarbeitszeit festlegt.

5. Ist eine Betriebsvereinbarung zur Einführung von Vertrauensarbeitszeit erforderlich?

Die Einführung von Vertrauensarbeitszeit ist mitbestimmungspflichtig gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Der Betriebsrat hat bei Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit und deren Verteilung auf die Wochentage ebenso mitzubestimmen wie bei der vorübergehenden Verlängerung oder Verkürzung der Arbeitszeit. In der Praxis erfolgt die Einführung meist über eine Betriebsvereinbarung, die die Rahmenbedingungen (u.a. Zeiterfassung, Umgang mit Mehrarbeit, Erreichbarkeitszeiten) klar regelt und so die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben gewährleistet.

6. Wie wirkt sich Vertrauensarbeitszeit auf das Direktionsrecht des Arbeitgebers aus?

Auch bei Vertrauensarbeitszeit bleibt das Direktionsrecht des Arbeitgebers nach § 106 GewO bestehen, wenngleich der Fokus nicht auf der exakten Erfüllung festgelegter Arbeitszeiten, sondern auf dem Arbeitsergebnis liegt. Der Arbeitgeber kann weiterhin Vorgaben zu zwingenden Anwesenheitszeiten, Erreichbarkeit für Meetings oder Kundenkontakte machen. Die organisatorische Flexibilität der Mitarbeitenden darf jedoch nicht dazu führen, dass der Arbeitgeber seiner Kontroll- und Fürsorgepflicht bezüglich der Arbeitszeit nicht mehr nachkommt. Einschränkungen des Direktionsrechts bestehen insoweit, als der Zweck der Vertrauensarbeitszeit – Selbstbestimmung im Rahmen der betrieblichen Belange – gewahrt bleiben soll.

7. Können Angestellte mit Vertrauensarbeitszeit Überstunden verweigern?

Im Grundsatz sind Arbeitnehmer auch im Rahmen der Vertrauensarbeitszeit nicht verpflichtet, unbegrenzt Überstunden zu leisten. Die Verpflichtung, Überstunden zu leisten, ergibt sich nur aus ausdrücklicher arbeits- oder tarifvertraglicher Regelung oder aus betrieblicher Übung. Ohne solche Regelungen kann der Arbeitgeber Mehrarbeit nur in Notfällen und im Rahmen des arbeitsrechtlich Zulässigen anordnen (§ 14 ArbZG). Im Zweifel empfiehlt sich eine transparente arbeitsvertragliche Abstimmung zur Handhabung und Vergütung von Überstunden bei Vertrauensarbeitszeit.