Vertragserbe – Definition, rechtliche Grundlagen und Abgrenzungen
Begriff und rechtliche Einordnung
Der Vertragserbe ist ein Begriff aus dem Erbrecht und bezeichnet eine Person, die im Rahmen eines Erbvertrags als Erbe eingesetzt wird. Der Erbvertrag ist eine besondere Form letztwilliger Verfügung, bei der ein künftiger Erblasser mit einer oder mehreren Personen bindende Vereinbarungen über die Erbfolge trifft. Der Vertragserbe erlangt aufgrund dieses bindenden Vertrages die Stellung eines künftigen Erben, im Unterschied zum testamentarisch berufenen Erben, dessen Erbeinsetzung grundsätzlich einseitig und jederzeit widerruflich ist.
Erbvertrag als gesetzliche Grundlage
Funktion und Voraussetzungen des Erbvertrags
Der Erbvertrag ist gemäß §§ 1941, 2274 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) geregelt. Er unterscheidet sich vom Testament vor allem dadurch, dass er eine vertragliche Bindung zwischen mehreren Parteien hervorruft. Wesentliche Voraussetzungen eines wirksamen Erbvertrags sind:
- Vertragsparteien: Mindestens der künftige Erblasser und ein Vertragspartner. Vertragserben können natürliche Personen, aber auch juristische Personen oder Personengesellschaften sein.
- Form: Der Erbvertrag bedarf der notariellen Beurkundung gemäß § 2276 BGB.
- Testierfähigkeit: Der Erblasser muss voll geschäftsfähig sein, vereinzelt wird zudem die umfassende Testierfähigkeit verlangt (§ 2275 Abs. 1, 2 BGB).
- Bindungswirkung: Durch die vertragliche Abrede entsteht eine Bindungswirkung, die den Vertragserben rechtlich absichert.
Rechtsstellung des Vertragserben
Abgrenzung zu anderen Erben
Ein Vertragserbe ist durch den Vertrag festgelegt und kann nur unter engen, gesetzlich bestimmten Voraussetzungen aus der Position gebracht werden. Demgegenüber steht der im Testament eingesetzte Erbe, dessen Berufung jederzeit einseitig durch ein neues Testament oder durch Widerruf geändert werden kann. Auch gegenüber dem gesetzlichen Erben besteht ein primär durchsetzbarer Anspruch auf das Erbe.
Rechte und Pflichten
Mit dem Tod des Erblassers erlangt der Vertragserbe unmittelbar die Erbenstellung. Diese ist durch folgende Punkte gekennzeichnet:
- Anwartschaftsrecht: Der Vertragserbe erwirbt bereits mit Abschluss des Erbvertrags ein gesichertes Anwartschaftsrecht, das grundsätzlich auch gegen spätere Änderungen durch den Erblasser geschützt ist.
- Klagebefugnis: Dem Vertragserben steht ein Anspruch auf Herausgabe des Nachlasses nach § 2287 BGB zu, falls über das im Erbvertrag Vereinbarte hinausgehende Zuwendungen an andere Personen erfolgen.
- Verzichtsmöglichkeiten: Ein Vertragserbe kann auf seine Anwartschaft verzichten (§ 1942 BGB).
- Vertragsschutz: Änderungen oder Widerrufe des Erbvertrags sind grundsätzlich nur mit Zustimmung des Vertragserben oder im Wege einer notariell beurkundeten Anfechtung zulässig.
Widerruf und Bindungswirkung
Möglichkeiten und Grenzen der Abänderung
Der Erbvertrag entfaltet eine ausdrückliche Bindungswirkung zugunsten des Vertragserben. Diese Bindung liegt darin, dass jede Änderung oder Aufhebung des Erbvertrags (mithin die Erbenstellung) nur durch:
- einen (neuen) einvernehmlichen Vertrag (§ 2290 BGB) oder
- eine im Vertrag ausdrücklich vorbehaltene Widerrufsmöglichkeit (§§ 2291, 2293 BGB),
erfolgen kann. Im Gegensatz zum Testament ist der Erbvertrag für den Erblasser bindend.
Schutz des Vertragserben
Der Vertragserbe ist gegen einseitige Verfügungen des Erblassers geschützt, wenn diese mit dem Erbvertrag unvereinbar sind. Zuwendungen an Dritte können durch den Vertragserben angefochten werden, sofern sie den Inhalt des Erbvertrags beeinträchtigen.
Pflichtteilsrechte und Auswirkungen
Pflichtteilsberechtigte und ihre Stellung
Der Abschluss eines Erbvertrages berührt nicht die Pflichtteilsrechte der gesetzlich Berechtigten. Nach § 2303 BGB können enterbte Pflichtteilsberechtigte trotz Bindungswirkung des Erbvertrags ihren Pflichtteil geltend machen.
Ausgleichs- und Schutzansätze
Wurden durch einen Erbvertrag Nachkommen oder Ehegatten von der Erbfolge ausgeschlossen, stehen diesen meist Pflichtteilsansprüche oder gegebenenfalls Pflichtteilsrestansprüche zu. Der Vertragserbe haftet im Rahmen seiner Erbenstellung für diese Ansprüche.
Vertragserbe und andere erbrechtliche Gestaltungen
Unterschied zu gemeinschaftlichen Testamenten
Der Vertragserbe ist streng vom gemeinschaftlichen Testament (insbesondere dem Ehegattentestament, § 2265 BGB) abzugrenzen. Während ein Ehegattentestament für beide Parteien bindend sein kann (z. B. Berliner Testament), kann ein Erbvertrag auch mit Dritten unabhängig vom Familienstatus geschlossen werden.
Verträge zugunsten Dritter auf den Todesfall
Erbvertrag und Vertragserbe sind nicht zu verwechseln mit einem sogenannten Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall (§ 328 BGB analog), bei dem zwar Vermögenswerte nach dem Tod übertragen werden, aber keine Erbenstellung im erbrechtlichen Sinn begründet wird.
Internationale Aspekte
Gesetzeswahl und grenzüberschreitende Regelungen
Der Erbvertrag nach deutschem Recht ist grundsätzlich an das nationale Recht gebunden. Bei grenzüberschreitenden Fällen wird regelmäßig geprüft, welches Recht anwendbar ist (EU-Erbrechtsverordnung – EuErbVO). Bestand ein Erbvertrag mit internationalelementen, etwa wenn Vertragserbe oder Erblasser im Ausland wohnhaft sind, können sich Konflikte hinsichtlich der Anerkennung und Durchsetzung ergeben.
Zusammenfassung
Der Vertragserbe nimmt im deutschen Erbrecht eine herausgehoben geschützte Position ein. Seine Rechte beruhen auf der Bindungswirkung des Erbvertrags, der durch notarielle Beurkundung Rechtskraft entfaltet. Die Einsetzung eines Vertragserben bedingt zahlreiche rechtliche Konsequenzen, insbesondere in Bezug auf Bindungswirkung, Pflichtteilsrechte, Widerrufsmöglichkeiten sowie den Schutz vor abändernden Verfügungen. In der Praxis dient der Vertragserbe der Planung und Sicherung der Nachlassnachfolge mit hoher Verlässlichkeit.
Literaturhinweise:
- Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), insbesondere §§ 1941, 2274 ff.
- Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar
- MüKo-BGB, Band Erbrecht
Siehe auch:
Erbvertrag | Testament | Pflichtteil | Nachlass | Erbeinsetzung
Häufig gestellte Fragen
Welche Formvorschriften müssen bei einem Vertragserben beachtet werden?
Die Errichtung eines Erbvertrags, in dem ein oder mehrere Vertragserben bestimmt werden, unterliegt im deutschen Erbrecht strengen Formvorschriften. Ein Erbvertrag muss stets notariell beurkundet werden, das bedeutet, die Vertragsparteien – in der Regel der zukünftige Erblasser und der künftige Vertragserbe – müssen gleichzeitig und persönlich bei einem Notar erscheinen und den Vertrag unterzeichnen. Der Notar hat zudem die Pflicht, die Vertragspartner über die rechtlichen Folgen des Vertrags aufzuklären. Ein Erbvertrag, der nicht notariell beurkundet wurde, ist rechtlich unwirksam. Anders als ein privatschriftliches Testament, das auch ohne Notar gültig sein kann, ist bei Erbverträgen diese Form zwingend vorgeschrieben. Die Einhaltung dieser Form soll sicherstellen, dass die weitreichenden Konsequenzen einer bindenden Erbeinsetzung den Parteien bewusst sind.
Kann ein Erbvertrag mit einem Vertragserben nachträglich geändert oder aufgehoben werden?
Ein einmal wirksam geschlossener Erbvertrag kann nicht einseitig durch den Erblasser geändert oder aufgehoben werden, sofern keine anderweitige vertragliche Regelung – etwa ein Widerrufsvorbehalt – vereinbart wurde. Grundsätzlich ist für Änderungen oder die vollständige Aufhebung des Erbvertrags die Zustimmung aller Vertragsparteien erforderlich. Dies dient dem Schutz der Vertragserben und sichert deren Rechtsposition. Ausnahmen bestehen dann, wenn der Vertragserbe ausdrücklich und notariell beglaubigt auf sein Erbrecht verzichtet oder eine Anfechtung wegen Irrtums, Drohung oder Täuschung vorliegt. Darüber hinaus können bestimmte Rücktrittsrechte vertraglich vereinbart werden, die jedoch ebenfalls notarieller Form bedürfen.
Welche Rechte und Pflichten hat ein Vertragserbe bereits zu Lebzeiten des Erblassers?
Bis zum Tod des Erblassers hat der Vertragserbe grundsätzlich keine Rechte am Vermögen des Erblassers. Er hat insbesondere weder Anspruch auf Auskünfte noch auf die Verwaltung oder Kontrolle des Nachlasses. Der Vertragserbe gewinnt sein Erbrecht erst mit dem Tod des Erblassers. Zu Lebzeiten kann der Erblasser grundsätzlich weiterhin über sein Vermögen verfügen, soweit der Erbvertrag keine anderslautenden bindenden Verfügungen (zum Beispiel Verfügungsbeschränkungen über einzelne Nachlassgegenstände) enthält. Der Vertragserbe ist jedoch geschützt, wenn der Erblasser Schenkungen vornimmt, die dazu dienen, den Vertragserben zu benachteiligen – hier greifen unter Umständen sogenannte Pflichtteilsergänzungsansprüche.
Wie unterscheidet sich der Vertragserbe vom testamentarischen Erben?
Der entscheidende Unterschied zwischen einem Vertragserben und einem testamentarischen Erben liegt in der Bindungswirkung des Erbvertrags. Während ein Testament – auch ein gemeinschaftliches Testament – jederzeit vom Erblasser widerrufen oder geändert werden kann, ist der Erbvertrag mit Vertragserben grundsätzlich bindend, sobald er notariell beurkundet und von allen Parteien unterschrieben wurde. Der Erblasser kann den Vertragserben nicht mehr ohne Weiteres durch ein späteres Testament „enterben“. Dadurch wird die Rechtsposition des Vertragserben erheblich gestärkt, er hat eine gesicherte und durchsetzbare Erwartung auf den Nachlass.
Können Vertragserben auf das ihnen zustehende Erbrecht verzichten?
Ja, ein Vertragserbe kann durch notarielle Erklärung auf sein Erbrecht verzichten. Wenn der Vertragserbe seinen Erbverzicht erklärt, wird der Erbvertrag in diesem Punkt gegenstandslos. Ein solcher Verzicht ist jedoch nur wirksam, wenn er notariell beurkundet und zwischen dem Verzichtenden und dem Erblasser vereinbart wird. Oft ist mit dem Erbverzicht eine Abfindungszahlung verbunden. Der Verzicht kann auch auf den gesetzlichen Pflichtteil begrenzt werden (Pflichtteilsverzicht). Die Nachkommen des Verzichtenden sind in der Regel von dem Verzicht ebenfalls erfasst, sofern nichts anderes vereinbart wurde.
Welche Bedeutung hat der Vertragserbe im Zusammenhang mit Pflichtteilsrechten?
Die Berufung eines Vertragserben ändert nichts an den gesetzlichen Pflichtteilsansprüchen naher Angehöriger, wie beispielsweise Kindern oder Ehepartnern. Kommen diese durch den Erbvertrag nicht zum Zuge, können sie nach dem Erbfall dennoch ihren Pflichtteil verlangen, der in Geld zu leisten ist. Der Vertragserbe muss also unter Umständen Pflichtteilsansprüche befriedigen, wenn der Erblasser einen oder mehrere Pflichtteilsberechtigte durch den Erbvertrag von der Erbfolge ausschließt. Der Pflichtteil beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbteils.
Welche Anfechtungsmöglichkeiten gibt es für einen Erbvertrag mit Vertragserben?
Der Erbvertrag kann, wie andere Willenserklärungen auch, unter bestimmten Voraussetzungen angefochten werden. Die häufigsten Anfechtungsgründe sind Irrtum, Täuschung oder Drohung. Die Anfechtung muss gegenüber dem Nachlassgericht erklärt werden und ist nur innerhalb eines Jahres möglich, nachdem der Anfechtungsgrund bekannt geworden ist. Der Anfechtende muss allerdings darlegen und beweisen, dass ein rechtlich relevanter Anfechtungsgrund vorliegt. Zudem besteht keine Anfechtungsmöglichkeit aus „freien Stücken“, insbesondere nicht, weil der Erblasser seine Meinung geändert hat oder die Bindung durch den Erbvertrag später als belastend empfindet.