Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV): Begriff und Einordnung
Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ist ein Grundvertrag der Europäischen Union. Er legt fest, wie die Union inhaltlich arbeitet, welche Zuständigkeiten sie hat, welche Verfahren gelten und wie Entscheidungen rechtlich wirksam werden. Zusammen mit dem Vertrag über die Europäische Union bildet der AEUV den Kern des sogenannten Primärrechts und bestimmt die rechtliche Architektur des europäischen Integrationsprojekts.
Was der AEUV regelt
Der AEUV ordnet die Politikfelder der EU, beschreibt die Rolle und Befugnisse der Organe, definiert Instrumente der Rechtsetzung und enthält Grundsätze für das Zusammenwirken von Union und Mitgliedstaaten. Er ist rechtlich bindend und steht in der Normenhierarchie der EU über dem abgeleiteten Recht (zum Beispiel Verordnungen und Richtlinien), das aus ihm hervorgeht.
Stellung im Primärrecht und Verhältnis zum EUV
Der AEUV ergänzt den Vertrag über die Europäische Union. Während der EUV die Grundsätze, Ziele und institutionellen Leitlinien skizziert, konkretisiert der AEUV das operative Handeln: Zuständigkeiten, Verfahren, Politikbereiche und Rechtsakte. Beide Verträge sind rechtlich gleichrangig und werden zusammen ausgelegt.
Entstehung und Entwicklung
Der AEUV geht historisch auf die Gründungsverträge der europäischen Integration zurück. In seiner heutigen Form wurde er durch Reformen zusammengeführt, neu geordnet und sprachlich angepasst. Ziel dieser Entwicklung war es, die Funktionsweise der Union zu vereinheitlichen, Kompetenzen klarer zuzuweisen und die demokratische Legitimation der Rechtsetzung zu stärken.
Aufbau und zentrale Inhalte
Binnenmarkt und Grundfreiheiten
Der AEUV sichert die Rechtsgrundlagen für den Binnenmarkt. Dazu gehören die Freiheiten des Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs. Er enthält Regeln zur Beseitigung von Hindernissen, zur gegenseitigen Anerkennung sowie zur Harmonisierung, wenn dies erforderlich ist, um den Binnenmarkt funktionsfähig zu halten.
Wettbewerb und staatliche Beihilfen
Der AEUV enthält ein kohärentes System zur Sicherung unverfälschten Wettbewerbs. Er regelt das Verhalten von Unternehmen (etwa Kartelle und Missbrauch marktbeherrschender Stellungen) sowie die Kontrolle staatlicher Beihilfen. Außerdem sind Fusionskontrolle, Liberalisierungsvorschriften in Netzsektoren und Ausnahmen aus Gründen des Allgemeininteresses verankert.
Politikbereiche der Union
- Landwirtschaft und Fischerei: Rahmen für gemeinsame Märkte, Qualität, Nachhaltigkeit und Versorgungssicherheit.
- Verkehr: Regeln für Straßen-, Schienen-, Luft- und Seeverkehr, einschließlich Marktöffnung und Sicherheit.
- Umwelt und Klima: Ziele, Grundsätze und Instrumente für Umwelt- und Klimaschutz sowie nachhaltige Entwicklung.
- Verbraucherschutz und Gesundheit: Mindestschutzniveaus, Informationsrechte und Sicherheit von Produkten und Dienstleistungen.
- Energie: Versorgungssicherheit, Marktintegration, Effizienz und Ausbau erneuerbarer Energien.
- Sozialpolitik und Beschäftigung: Mindeststandards, Arbeitsbedingungen, Gleichbehandlung und Sozialer Dialog im Zuständigkeitsrahmen der EU.
- Wirtschafts- und Währungsunion: Regeln zur Koordinierung der Wirtschaftspolitiken sowie Bestimmungen zur gemeinsamen Währung in den daran teilnehmenden Staaten.
- Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts: Zusammenarbeit in Asyl-, Visa-, Grenz-, Polizei- und Zivilsachen sowie in der justiziellen Zusammenarbeit.
- Forschung, Bildung, Kultur und Sport: Förder- und Unterstützungsmaßnahmen, die nationale Regelungen ergänzen.
- Gemeinsame Handelspolitik: Rahmen für die Gestaltung externer Wirtschaftsbeziehungen und Handelsabkommen.
Externes Handeln und internationale Abkommen
Der AEUV legt fest, wie die EU internationale Abkommen schließt, welche Zuständigkeiten extern bestehen und wie interne und externe Politikfelder abgestimmt werden. Abkommen werden nach dafür vorgesehenen Verfahren ausgehandelt, genehmigt und sind Bestandteil der Unionsrechtsordnung.
Institutionelle Ordnung und Verfahren
Organe der EU
Der AEUV bestimmt Aufgaben, Zusammensetzung und Arbeitsweise der zentralen Organe: Parlament, Rat, Kommission, Europäischer Rat, Gerichtshof, Rechnungshof und Europäische Zentralbank. Er legt fest, wie diese Organe zusammenwirken, Entscheidungen vorbereiten, treffen, kontrollieren und rechtlich umsetzen.
Rechtsetzungsverfahren
Das zentrale Verfahren ist das ordentliche Gesetzgebungsverfahren, in dem Parlament und Rat gemeinsam beschließen. In besonderen Fällen sind besondere Gesetzgebungsverfahren vorgesehen, die abweichende Mitwirkungsrechte vorsehen. Zudem existieren delegierte Rechtsakte zur Ergänzung nicht wesentlicher Vorschriften und Durchführungsrechtsakte zur einheitlichen Anwendung.
Arten von Rechtsakten
- Verordnung: allgemein geltend und in allen ihren Teilen verbindlich; unmittelbar anwendbar.
- Richtlinie: verbindlich hinsichtlich des zu erreichenden Ziels; Umsetzung in nationales Recht erforderlich.
- Beschluss: verbindlich für die jeweils benannten Adressaten.
- Empfehlungen und Stellungnahmen: nicht verbindlich, aber rechtspolitisch orientierend.
Haushalts- und Finanzregelungen
Der AEUV enthält Grundsätze für den Haushaltsplan der EU, Einnahmen und Ausgaben, die Aufstellung, Kontrolle und Entlastung sowie die Rolle der Organe im Haushaltsverfahren. Er definiert die rechtliche Grundlage für Eigenmittel und Finanzierungsinstrumente der Union.
Grundsätze und Kompetenzordnung
Kompetenzkategorien und Abgrenzung
Der AEUV unterscheidet zwischen ausschließlichen, geteilten und unterstützenden Zuständigkeiten. Er ordnet zu, in welchen Bereichen die EU allein, gemeinsam mit den Mitgliedstaaten oder ergänzend tätig wird. Die Kompetenzordnung soll klare Zuständigkeitsgrenzen sichern und Doppelregelungen vermeiden.
Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit
Subsidiarität bedeutet, dass die Union nur tätig wird, wenn Ziele auf nationaler Ebene nicht ausreichend erreicht werden können und Unionsmaßnahmen einen Mehrwert bieten. Verhältnismäßigkeit verlangt, dass Inhalt und Form des Handelns nicht über das zur Zielerreichung Erforderliche hinausgehen. Der AEUV verankert Mechanismen zur Prüfung und Kontrolle dieser Grundsätze.
Rechtswirkungen des Unionsrechts
Aus dem AEUV folgt, dass Unionsrecht in den Mitgliedstaaten wirksam und verbindlich ist. Allgemein anerkannt sind der Vorrang des Unionsrechts gegenüber entgegenstehendem nationalem Recht sowie direkte Wirkungen bestimmter Normen, wenn diese hinreichend klar und unbedingt sind. Die Anwendung erfolgt durch nationale Behörden und Gerichte in enger Verzahnung mit der Unionsrechtsordnung.
Rechtsdurchsetzung und Rechtsschutz
Vertragsverletzungsverfahren
Der AEUV sieht Verfahren vor, um die Einhaltung des Unionsrechts durch die Mitgliedstaaten zu sichern. Nach einem gestuften Verfahren kann eine gerichtliche Klärung herbeigeführt werden. Ziel ist die wirksame Durchsetzung und einheitliche Anwendung.
Nichtigkeits- und Untätigkeitsklage
Rechtsakte der Organe können auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden. Der AEUV eröffnet hierfür Möglichkeiten, um Akte aufzuheben oder Untätigkeit rechtlich zu beanstanden. Dies dient der Kontrolle der Rechtsetzung und Verwaltungstätigkeit der Union.
Vorabentscheidungsverfahren
Nationale Gerichte können Fragen zur Auslegung oder Gültigkeit des Unionsrechts vorlegen. Dadurch wird die einheitliche Anwendung des AEUV und des abgeleiteten Rechts in allen Mitgliedstaaten gewährleistet.
Änderung und Auslegung des AEUV
Vertragsänderungen
Der AEUV kann geändert werden. Hierfür bestehen geregelte Verfahren, die eine gemeinsame Beschlussfassung der Mitgliedstaaten und die erforderlichen staatlichen Mitwirkungs- und Ratifikationsschritte vorsehen.
Mehrsprachigkeit und Auslegung
Der AEUV liegt in allen Amtssprachen der EU in gleichermaßen verbindlichen Fassungen vor. Wortlaut, Systematik, Ziele und Kontexte werden bei der Auslegung berücksichtigt. Einheitlichkeit der Anwendung hat Vorrang.
Bedeutung für Bürgerinnen, Unternehmen und Mitgliedstaaten
Auswirkungen auf nationales Recht
Der AEUV prägt nationale Rechtsordnungen, indem er Rechte und Pflichten begründet und den Rahmen für Gesetzgebung und Verwaltung der Mitgliedstaaten setzt. Nationale Vorschriften werden am Maßstab des Unionsrechts ausgerichtet.
Umsetzung und Anwendung
Abgeleitetes Recht auf Grundlage des AEUV wird in den Mitgliedstaaten angewandt, umgesetzt oder vollzogen. Die Zusammenarbeit von EU-Organen und nationalen Stellen ist integraler Bestandteil des Systems, das auf einheitliche, wirksame und rechtssichere Ergebnisse ausgerichtet ist.
Häufig gestellte Fragen zum AEUV
Ist der AEUV direkt in den Mitgliedstaaten anwendbar?
Bestimmte Vorschriften können unmittelbar wirken, wenn sie klar, präzise und unbedingt formuliert sind. Andere Regelungen bedürfen der Umsetzung durch nationale Maßnahmen oder durch abgeleitetes Unionsrecht.
Wie unterscheidet sich der AEUV vom Vertrag über die Europäische Union?
Der Vertrag über die Europäische Union legt Grundsätze, Werte, Institutionen und übergeordnete Strukturen fest. Der AEUV regelt die praktische Arbeitsweise, Zuständigkeiten, Verfahren und Politikbereiche im Detail. Beide Verträge sind gleichrangig und werden gemeinsam angewendet.
Welche Rolle spielt der AEUV für den Binnenmarkt?
Der AEUV bildet die rechtliche Grundlage des Binnenmarkts, definiert die Grundfreiheiten und ermöglicht Harmonisierung sowie Abbau von Hindernissen. Er sichert zugleich faire Wettbewerbsbedingungen.
Wie werden EU-Rechtsakte auf Grundlage des AEUV erlassen?
Rechtsakte entstehen im ordentlichen oder in besonderen Gesetzgebungsverfahren unter Beteiligung von Parlament, Rat und Kommission. Delegierte und Durchführungsrechtsakte ergänzen und konkretisieren die Gesetzgebung.
Was bedeutet der Vorrang des Unionsrechts im Zusammenhang mit dem AEUV?
Der Vorrang besagt, dass anwendbares Unionsrecht widersprechendem nationalen Recht vorgeht. Dies dient der Einheitlichkeit der Anwendung in allen Mitgliedstaaten.
Kann der AEUV geändert werden?
Ja. Vertragsänderungen erfolgen nach festgelegten Verfahren, die gemeinsame Beschlüsse der Mitgliedstaaten und innerstaatliche Mitwirkungs- und Ratifikationsschritte erfordern.
Welche Rechtsschutzmöglichkeiten ergeben sich aus dem AEUV?
Vorgesehen sind Verfahren zur Kontrolle von Unionsakten, zur Sicherung der Einhaltung des Unionsrechts durch Mitgliedstaaten und zur einheitlichen Auslegung durch Vorlagen nationaler Gerichte.