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Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union


Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)

Begriff und Bedeutung

Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ist neben dem Vertrag über die Europäische Union (EUV) ein zentrales Primärrechtsinstrument der Europäischen Union (EU). Er regelt die Funktionsweise, Kompetenzen und Verfahren der EU und bildet in Verbindung mit dem EUV und der EU-Grundrechtecharta das rechtliche Fundament der Europäischen Union. Der AEUV wurde im Rahmen des Vertrags von Lissabon am 1. Dezember 2009 reformiert und ergänzt das Vertragswerk der Europäischen Union maßgeblich.

Historische Entwicklung

Römische Verträge und Rechtsentwicklung

Der Ursprung des AEUV liegt im Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG-Vertrag) von 1957, bekannt als Römische Verträge. Nach mehreren Änderungen infolge der Entwicklung der europäischen Integration, insbesondere durch die Einheitliche Europäische Akte (1986), den Vertrag von Maastricht (1992), den Vertrag von Amsterdam (1997) und den Vertrag von Nizza (2001), wurde mit dem Vertrag von Lissabon (2007) der reformulierte AEUV geschaffen.

Reform durch den Vertrag von Lissabon

Im Rahmen des Vertrags von Lissabon wurde der vormalige EGV (EG-Vertrag) in „Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union“ (AEUV) umbenannt und systematisch an den EUV angepasst. Der AEUV regelt seitdem vor allem das Binnenmarktrecht, die Unionskompetenzen, die Grundfreiheiten, Politikbereiche sowie institutionelle und prozedurale Bestimmungen.

Aufbau und Struktur des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Der AEUV gliedert sich in sieben Teile, die sich in Titel und Kapitel mit insgesamt 358 Artikeln unterteilen. Die Struktur ist wie folgt:

  1. Grundsätze (Art. 1-17 AEUV)
  2. Nichtdiskriminierung und Unionsbürgerschaft (Art. 18-25 AEUV)
  3. Politikbereiche und interne Maßnahmen (Art. 26-197 AEUV)
  4. Assoziierung der überseeischen Länder und Hoheitsgebiete (Art. 198-204 AEUV)
  5. Externe Maßnahmen (Art. 205-222 AEUV)
  6. Institutionelle und finanzielle Bestimmungen (Art. 223-334 AEUV)
  7. Allgemeine und Schlussbestimmungen (Art. 335-358 AEUV)

Ziele und Zwecke des AEUV

Der AEUV kodifiziert die Ziele der EU, insbesondere die Errichtung und das Funktionieren eines Binnenmarkts, die Förderung eines dauerhaften und nachhaltigen Wirtschaftswachstums, sozialen Zusammenhalts, Umweltschutzes und technologische Entwicklung. Die Erreichung dieser Ziele erfolgt durch koordinierte Politikbereiche und durch eine klare Aufgabenverteilung zwischen der Union und den Mitgliedstaaten.

Rechtliche Bedeutung und Funktionen

Verhältnis zum Vertrag über die Europäische Union

Der AEUV steht in einem engen Verhältnis zum Vertrag über die Europäische Union (EUV). Während der EUV die Grundprinzipien, Ziele, Werte und Institutionen der Union regelt, legt der AEUV detaillierte Regelungen hinsichtlich der Kompetenzen und deren Ausübung, Entscheidungsverfahren und die konkreten Politikfelder der Union fest.

Primärrechtliche Stellung

Als Bestandteil des Primärrechts steht der AEUV an der Spitze der Normenhierarchie des Unionsrechts. Rechtsakte der EU, wie Verordnungen, Richtlinien und Beschlüsse, werden auf Grundlage der im AEUV geregelten Kompetenztitel erlassen. Der AEUV hat damit Vorrang vor dem Sekundärrecht und entfaltet unmittelbare Wirkung in den Mitgliedstaaten.

Kompetenzordnung und Rechtssetzung

Der AEUV bestimmt die wesentlichen Säulen der EU-Kompetenzordnung: die ausschließlichen, geteilten und unterstützenden Zuständigkeiten der EU. Jeder Politikbereich weist auf eine bestimmte Kompetenzart hin, die zur Bestimmung der Rechtssetzungsbefugnisse erforderlich ist. Damit hebt der AEUV die Prinzipien der begrenzten Einzelermächtigung, der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit hervor.

Binnenmarkt und Grundfreiheiten

Ein zentrales Element des AEUV sind die Regelungen über den europäischen Binnenmarkt und die vier Grundfreiheiten (Warenverkehrsfreiheit, Personenfreizügigkeit, Dienstleistungsfreiheit, Kapitalverkehrsfreiheit). Sie werden insbesondere in den Artikeln 26 ff. AEUV kodifiziert. Diese Normen garantieren Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern zentrale Rechte, die auf direkt anwendbarem EU-Recht basieren.

Politikbereiche und Unionsmaßnahmen

Der AEUV regelt eine Vielzahl von Politikfeldern, darunter Wettbewerb, Landwirtschaft, Umwelt, Verkehr, Verbraucherschutz, Sozialpolitik, Energie, Binnenmarkt, Wirtschafts- und Währungspolitik, Forschungsförderung und Raumfahrt. Für jedes Politikfeld beschreibt der Vertrag Ziele, Mittel und die jeweilige Kompetenzverteilung.

Institutionelle Bestimmungen

In Teil sechs des AEUV sind die Organe und Institutionen der EU, ihre Zusammensetzung, Kompetenzen und Entscheidungsverfahren geregelt. Zu den Hauptorganen zählen das Europäische Parlament, der Europäische Rat, der Rat der Europäischen Union, die Europäische Kommission, der Gerichtshof der Europäischen Union, die Europäische Zentralbank und der Rechnungshof.

Gesetzgebungsverfahren

Der AEUV definiert im Einzelnen das ordentliche Gesetzgebungsverfahren (Art. 289 AEUV) als Regelfall der Unionsrechtssetzung, bestehend aus der Mitwirkung von Parlament und Rat. Daneben existieren besondere Gesetzgebungsverfahren für spezielle Politikbereiche.

Finanzen und Haushalt

Der AEUV enthält Grundsätze und Verfahren des EU-Haushaltsrechts, insbesondere in den Artikeln 310 ff. AEUV. Er legt die Einnahmen und Ausgaben der Union sowie die Haushaltskontrolle fest.

Rechte und Schutzmechanismen für Unionsbürgerinnen und Unionsbürger

Der AEUV enthält weitreichende Bestimmungen zum Diskriminierungsverbot und über die Unionsbürgerschaft. Er gewährt individuelle Rechte, die gerichtlich, insbesondere vor dem Gerichtshof der Europäischen Union, durchgesetzt werden können.

Gerichtshof der Europäischen Union und Anwendungsvorrang

Die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union sichert die einheitliche Auslegung und Anwendung des AEUV im Unionsgebiet. Der AEUV genießt in seinem Anwendungsbereich Anwendungsvorrang gegenüber nationalem Recht. Dies gilt insbesondere in Fällen von Kollision zwischen innerstaatlichem Recht und unmittelbar anwendbarem Unionsrecht.

Bedeutung für die Mitgliedstaaten

Die Mitgliedstaaten sind zur loyalen Zusammenarbeit mit der Union verpflichtet (Art. 4 Abs. 3 EUV i. V. m. AEUV). Sie müssen unionsrechtswidrige Maßnahmen unterlassen, den AEUV sachgerecht umsetzen und für eine effektive Durchsetzung Sorge tragen. Aus dem AEUV erwachsen für die Mitgliedstaaten umfassende Verpflichtungen und Mitverantwortung für die Entwicklung des Unionsrechts.

Änderungen und Revision des AEUV

Der AEUV kann gemäß den Verfahren des Art. 48 EUV geändert werden. Änderungen bedürfen in der Regel der Zustimmung aller Mitgliedstaaten sowie der Ratifizierung nach jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften. Die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit des Vertrags trägt zur Weiterentwicklung der europäischen Integration bei.

Literatur und rechtliche Weiterführungen

  • Consolidated version of the Treaty on the Functioning of the European Union [Amtsblatt der Europäischen Union]
  • Pechstein/Nowak: EUV/AEUV, Kommentar
  • Streinz: EUV/AEUV, Vertrag über die Europäische Union und Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union
  • Grabitz/Hilf/Nettesheim: Das Recht der Europäischen Union
  • Europäische Kommission: Konsolidierte Fassungen der Verträge

Siehe auch

  • Vertrag über die Europäische Union (EUV)
  • Europäischer Binnenmarkt
  • Europäischer Gerichtshof
  • Grundfreiheiten der EU

Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union stellt ein zentrales und dynamisch fortentwickeltes Element der europäischen Integration dar. Er definiert die Grundlagen, Prozesse und inhaltlichen Schwerpunkte der Europäischen Union und steht im Mittelpunkt der europäischen Rechtsordnung.

Häufig gestellte Fragen

Wer ist rechtsverbindlich an den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) gebunden?

Alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind rechtsverbindlich an den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) gebunden, nachdem sie ihn gemäß ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Anforderungen ratifiziert haben. Mit dem Beitritt zur Union verpflichten sie sich, die im AEUV verankerten Vorschriften einzuhalten. Ferner sind die Organe der EU, etwa Kommission, Rat und Parlament, unmittelbar an den AEUV gebunden und müssen ihre Kompetenzen innerhalb der im Vertrag vorgesehenen Zuständigkeitsbereiche ausüben. Auch Einzelpersonen und Unternehmen können sich, sofern eine unmittelbare Wirkung einzelner Vorschriften vorliegt, vor nationalen Gerichten auf bestimmte Bestimmungen des AEUV berufen. Zusätzlich entfalten jene Vorschriften des AEUV, die unmittelbar anwendbar sind, Vorrang gegenüber kolidierendem nationalem Recht.

Kann der AEUV durch Rechtsakte der Union oder der Mitgliedstaaten verändert werden?

Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union kann nicht durch einfache Rechtsakte der Organe der Union oder durch nationale Gesetzgebung abgeändert werden. Vertragsänderungen bedürfen stets eines besonderen Verfahrens gemäß Artikel 48 des Vertrags über die Europäische Union (EUV), dem sogenannten ordentlichen Änderungsverfahren. Dieses sieht vor, dass Änderungen einstimmig von allen Mitgliedstaaten nach innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Vorgaben ratifiziert werden müssen. Daher besitzt der AEUV eine höhere Normstufe als gewöhnliche Sekundärrechtsakte wie Richtlinien oder Verordnungen, die sich stets innerhalb der unter dem AEUV eingeräumten Kompetenzen bewegen müssen.

Welche Rolle spielt der Europäische Gerichtshof bei der Auslegung des AEUV?

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) ist das höchste rechtsprechende Organ in Angelegenheiten des Unionsrechts und damit auch für die verbindliche Auslegung des AEUV zuständig. Insbesondere im Vorabentscheidungsverfahren gemäß Artikel 267 AEUV können nationale Gerichte Fragen zur Auslegung des AEUV dem EuGH vorlegen, um sicherzustellen, dass das Unionsrecht in allen Mitgliedstaaten einheitlich angewendet wird. Der EuGH entscheidet zudem im Rahmen der Vertragsverletzungsverfahren über Klagen gegen Mitgliedstaaten, wenn diese gegen den AEUV verstoßen haben sollen, sowie bei Nichtigkeitsklagen und Untätigkeitsklagen gegen Unionsorgane. Die Auslegung des AEUV durch den EuGH ist für die nationalen Gerichte und Behörden verbindlich.

Können Einzelpersonen oder Unternehmen sich direkt auf den AEUV berufen?

Ja, unter bestimmten Voraussetzungen können sich Einzelpersonen oder Unternehmen unmittelbar auf die Bestimmungen des AEUV berufen. Voraussetzung hierfür ist, dass die betreffende Norm hinreichend klar, genau und unbedingt formuliert ist, sodass sie unmittelbare Wirkung (direkte Anwendbarkeit) entfalten kann. Insbesondere viele Grundfreiheiten des Binnenmarktes, wie zum Beispiel die Warenverkehrsfreiheit, Dienstleistungsfreiheit und Niederlassungsfreiheit, können von Privaten vor nationalen Gerichten geltend gemacht werden. Allerdings besteht nicht für jede Vorschrift des AEUV die unmittelbare Anwendbarkeit; dies ist stets im Einzelfall zu prüfen.

Wie verhält sich der AEUV zu den nationalen Verfassungen?

Der AEUV steht im Rang über dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten, allerdings unterhalb deren nationaler Verfassungen. Diese haben grundsätzlich weiterhin Geltung, jedoch verpflichtet das Prinzip des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts die Mitgliedstaaten, kollidierendes nationales Recht – auch einfachgesetzlicher und teilweise verfassungsrechtlicher Natur – zugunsten des AEUV unangewendet zu lassen. Einige nationale Verfassungsgerichte, wie etwa das Bundesverfassungsgericht in Deutschland, betonen jedoch die „verfassungsrechtliche Identität“ und behalten sich in besonderen Ausnahmefällen vor, unionsrechtliche Bestimmungen am Maßstab der eigenen Verfassung zu überprüfen.

In welchen Bereichen räumt der AEUV der Union Gesetzgebungskompetenzen ein?

Der AEUV regelt detailliert die Kompetenzverteilung zwischen Union und Mitgliedstaaten. Er unterscheidet zwischen ausschließlicher, geteilter und unterstützender Zuständigkeit. In den ausschließlichen Zuständigkeitsbereichen (z.B. Zollunion, Festlegung der Wettbewerbsregeln für den Binnenmarkt) kann ausschließlich die EU Regelungen erlassen. In den geteilten Zuständigkeitsbereichen (z.B. Binnenmarkt, Umwelt, Verbraucherschutz) können sowohl EU als auch Mitgliedstaaten tätig werden, wobei das Handeln der EU die nationale Regelungsbefugnis verdrängt („Sperrwirkung“). Im Bereich der unterstützenden oder koordinierenden Zuständigkeiten (z.B. Kultur, Tourismus, Bildung) kann die EU Grundlagen schaffen, jedoch keine Rechtsangleichung verlangen. Der AEUV legt hierfür in verschiedenen Artikeln die genauen Grenzen und Ausgestaltungen fest.

Welche Bedeutung haben Protokolle und Anhänge des AEUV?

Protokolle und Anhänge sind integrale Bestandteile des AEUV und besitzen dieselbe rechtliche Verbindlichkeit wie der Vertrag selbst. Sie dienen dazu, spezielle Aspekte für einzelne Mitgliedstaaten zu regeln oder Klarstellungen und Ausnahmen zu einzelnen Vertragsbestimmungen zu formulieren. Protokolle können beispielsweise Sonderregelungen zum Übergang einzelner Maßnahmen, abweichende Fristen für bestimmte Mitgliedstaaten oder spezifische Bestimmungen für einzelne Politikbereiche enthalten. Manche Protokolle nehmen Bezug auf nationale Besonderheiten wie den Schutz der Sozialordnung, Ausnahmen im Steuerrecht oder Sprachregelungen. Sie werden im Vertragsänderungsverfahren mitverhandelt und müssen wie der Hauptvertrag ratifiziert werden.

Wie wird die Einhaltung des AEUV sichergestellt?

Die Einhaltung des AEUV wird durch ein umfassendes Kontrollsystem sichergestellt. Zum einen überwacht die Europäische Kommission als „Hüterin der Verträge“ die Einhaltung der Bestimmungen durch die Mitgliedstaaten und kann im Falle von Verstößen ein Vertragsverletzungsverfahren beim EuGH einleiten. Zum anderen können auch Einzelpersonen, Unternehmen und Mitgliedstaaten Klagen vor dem EuGH erheben, etwa im Rahmen von Nichtigkeits- oder Untätigkeitsklagen. Die nationalen Gerichte wiederum sind zur Beachtung und Durchsetzung des AEUV verpflichtet und können – soweit erforderlich – dem EuGH Auslegungsfragen vorlegen. Dadurch ist ein ständiges Zusammenspiel nationaler und europäischer Überwachungsmechanismen gewährleistet, um die einheitliche und wirkungsvolle Anwendung des AEUV sicherzustellen.