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Versicherungsfall


Begriff und rechtliche Bedeutung des Versicherungsfalls

Der Versicherungsfall ist ein zentrales Konzept im Versicherungsrecht und bezeichnet das Ereignis, bei dessen Eintritt der Versicherer gemäß des zugrundeliegenden Versicherungsvertrages zur Leistung verpflichtet ist. Die genaue Definition variiert je nach Versicherungsart sowie den Regelungen im individuellen Vertrag, spielt aber in sämtlichen Versicherungssparten eine tragende Rolle für die Leistungsabwicklung.

Gesetzliche Grundlagen des Versicherungsfalls

Der Begriff „Versicherungsfall“ findet sich in zahlreichen Gesetzen, allen voran im Versicherungsvertragsgesetz (VVG). Während das VVG im Allgemeinen keine explizite Definition gibt, wird der Versicherungsfall jeweils spezifisch im Kontext des jeweiligen Versicherungsvertrages geregelt, etwa in § 1 VVG (Leistungspflicht des Versicherers) oder in spezialgesetzlichen Vorschriften für einzelne Versicherungszweige (z. B. Haftpflichtversicherung, Lebensversicherung).

Charakteristische Merkmale

Ein Versicherungsfall ist stets dasjenige Ereignis, das vom Versicherungsschutz umfasst ist und einen Leistungsanspruch des Versicherungsnehmers oder einer begünstigten Person gegen das Versicherungsunternehmen auslöst. Ausschlaggebend ist dabei regelmäßig:

  • das Eintreten eines Schadens, Unfalls, Einbruchs, Todesfalls oder anderer in den Bedingungen definierter Ereignisse,
  • der zeitliche Bezugspunkt zum Abschluss des Versicherungsvertrages und Beginn des Versicherungsschutzes,
  • das Vorliegen aller im jeweiligen Vertrag und ggf. gesetzlichen Regelungen festgelegten Voraussetzungen.

Versicherungsfall in den verschiedenen Versicherungssparten

Der Versicherungsfall wird abhängig von der Versicherungsart unterschiedlich konkretisiert. Die nachfolgende Darstellung beleuchtet die maßgeblichen Unterschiede und Besonderheiten.

Schadensversicherungen

In Schadensversicherungen (z. B. Kfz-, Haftpflicht-, Hausratversicherung) ist der Versicherungsfall typischerweise durch den Eintritt eines Schadens aufgrund eines versicherten Risikos gekennzeichnet. Das Gesetz unterscheidet hier nach Schadens- und Summenversicherungen.

Beispiel: Kfz-Versicherung

Im Bereich der Kfz-Versicherung liegt der Versicherungsfall vor, wenn das versicherte Fahrzeug durch einen Unfall, Diebstahl oder eine sonstige im Vertrag benannte Gefahr betroffen ist und dadurch ein wirtschaftlicher Schaden für den Versicherungsnehmer entsteht.

Besonderheiten bei Haftpflichtversicherungen

Der Versicherungsfall in der Haftpflichtversicherung ist regelmäßig das Ereignis, das zu einer Haftpflichtverpflichtung des Versicherungsnehmers gegenüber Dritten führt. Zentral ist das Verstoßprinzip: Versichert ist der Verstoß gegen eine Pflicht, wobei meist der Zeitpunkt des Pflichtverstoßes für die Leistungszusage entscheidend ist.

Personenversicherungen

Bei Personenversicherungen (z. B. Lebensversicherung, Unfallversicherung, Berufsunfähigkeitsversicherung) manifestiert sich der Versicherungsfall anders.

Lebensversicherung

Hier ist der Versicherungsfall abhängig vom Vertrag entweder der Tod der versicherten Person oder das Erreichen eines bestimmten Alters (Erlebensfall).

Unfallversicherung

Im Rahmen der Unfallversicherung liegt der Versicherungsfall vor, wenn die versicherte Person durch ein plötzliches, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis (Unfall) gesundheitlich beeinträchtigt wird.

Berufsunfähigkeitsversicherung

Der Versicherungsfall tritt ein, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechendem Kräfteverfall voraussichtlich dauerhaft außerstande ist, ihren Beruf auszuüben.

Abgrenzung des Versicherungsfalls

Die Feststellung, ob und wann ein Versicherungsfall eingetreten ist, ist oftmals entscheidend für die Regulierung des Schadens und damit für die Auszahlung von Leistungen.

Kausalitätsanforderungen

Grundvoraussetzung ist, dass der Schaden oder das versicherte Ereignis ursächlich auf ein im Vertrag benanntes Risiko zurückgeht. Komplexe Kausalitätsfragen können sich insbesondere bei mehreren, sich überlagernden Ursachen oder bei Vorschädigungen ergeben.

Obliegenheiten und Mitwirkungspflichten

Vor, bei und nach Eintritt des Versicherungsfalls treffen den Versicherungsnehmer zahlreiche Obliegenheiten. Dazu zählen insbesondere:

  • die unverzügliche Anzeige des Versicherungsfalls,
  • Mitwirkung an der Schadensfeststellung,
  • Maßnahmen zur Schadenminderung.

Die Verletzung dieser Pflichten kann zu einer Einschränkung oder zur Ablehnung der Leistung durch den Versicherer führen.

Ausschlüsse und Leistungsfreiheit des Versicherers

Nicht jeder Schaden oder jedes Ereignis, das scheinbar vom Versicherungsschutz umfasst ist, löst auch tatsächlich den Versicherungsfall aus. Gesetzliche und vertragliche Risikoausschlüsse grenzen die Leistungspflicht des Versicherers oftmals ein.

Typische Ausschlussgründe

Zu den häufigsten Ausschlüssen zählen:

  • Vorsatz des Versicherungsnehmers,
  • grobe Fahrlässigkeit (je nach Vertrag und Sparte unterschiedlich geregelt),
  • Krieg, innere Unruhen oder Kernenergie,
  • bereits vor Abschluss des Versicherungsvertrags eingetretene Ereignisse.

Leistungsfreiheit bei Obliegenheitsverletzungen

Die Verletzung vertraglich oder gesetzlich festgelegter Obliegenheiten durch den Versicherungsnehmer kann den Versicherer ganz oder teilweise leistungsfrei stellen (§ 28 VVG).

Nachweis und Feststellung des Versicherungsfalls

Die Beweislast für den Eintritt des Versicherungsfalls trägt grundsätzlich der Versicherungsnehmer. Er muss belegen, dass das versicherte Risiko verwirklicht wurde und alle Leistungsvoraussetzungen vorliegen.

Prüfungsrechte des Versicherers

Der Versicherer ist berechtigt, eigene Ermittlungen durchzuführen, Sachverständigengutachten einzuholen und Unterlagen anzufordern, um die Umstände des Falles zu klären.

Verjährung und Leistungskürzung

Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag unterliegen gesetzlichen und vertraglichen Fristen. Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt nach § 195 BGB drei Jahre ab dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Versicherungsnehmer von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.

Kürzungstatbestände

Neben vollständiger Leistungsfreiheit bei schweren Obliegenheitsverletzungen sieht das Gesetz auch Kürzungen vor, beispielsweise bei grober Fahrlässigkeit in Schadensversicherungen nach § 81 VVG.

Bedeutung des Versicherungsfalls in der Praxis

Die präzise Definition und korrekte Feststellung des Versicherungsfalls ist in der Praxis die Basis jedes Versicherungsverhältnisses. Sie entscheidet über das „Ob“ und „Wie“ der Versicherungsleistungen, ist Teil jedes Versicherungsvertrages und häufig Ursache von Streitigkeiten, insbesondere bezüglich Umfang, Zeitpunkt und Kausalität des fallauslösenden Ereignisses.


Diese Darstellung bietet einen umfassenden Überblick über den Begriff „Versicherungsfall“ im Kontext des deutschen Versicherungsrechts, einschließlich seiner rechtlichen Bedeutung, der Abgrenzung in den verschiedenen Versicherungszweigen, relevanter Ausschluss- und Kürzungstatbestände sowie zugehörigen Mitwirkungspflichten und Fristen.

Häufig gestellte Fragen

Welche Pflichten hat der Versicherungsnehmer im Versicherungsfall?

Im Eintritt eines Versicherungsfalls ist der Versicherungsnehmer gemäß den gesetzlichen Vorschriften (insbesondere §§ 30 ff. Versicherungsvertragsgesetz, VVG) zu einer Reihe von Obliegenheiten verpflichtet. Zu den zentralen Pflichten zählt zunächst die unverzügliche Anzeige des Versicherungsfalls bei dem Versicherer. Die Anzeige sollte so detailliert wie möglich erfolgen und alle relevanten Umstände enthalten, die für die Beurteilung des Schadens sowie der Leistungspflicht des Versicherers wesentlich sind. Weiterhin hat der Versicherungsnehmer alle zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, um den Schaden gering zu halten (Schadenminderungspflicht). Hierzu kann gehören, wertvolle Güter zu sichern, Schäden provisorisch zu beheben oder die Polizei und sonstige Behörden einzuschalten, falls dies der Vertrag vorsieht oder gesetzlich geboten ist (z.B. bei Diebstahl oder Brand). Der Versicherer kann außerdem verlangen, dass alle Unterlagen und Nachweise vorgelegt werden, die zur Ermittlung des Sachverhalts und der Schadenshöhe erforderlich sind. Eine Verletzung dieser Pflichten kann nach Maßgabe von § 28 VVG zu einer Leistungsfreiheit oder Leistungsreduzierung führen, wenn sie vorsätzlich oder grob fahrlässig erfolgt.

Wie wird der Eintritt eines Versicherungsfalls rechtlich festgestellt?

Die Feststellung eines Versicherungsfalls erfordert aus juristischer Sicht die Prüfung, ob ein versichertes Ereignis im Sinne des Versicherungsvertrages eingetreten ist. Dies setzt voraus, dass die dem Vertrag zugrundeliegenden Risiko- und Leistungsbeschreibungen zutreffen. Maßgeblich ist, dass das Schadenereignis innerhalb der Versicherungsperiode und unter den vereinbarten Bedingungen eingetreten ist. Der Versicherungsnehmer trägt grundsätzlich die Beweislast für das Vorliegen des Versicherungsfalls sowie die Kausalität zwischen dem Schaden und dem versicherten Ereignis. In speziellen Fällen, wie der Haftpflicht- oder Unfallversicherung, können Beweiserleichterungen oder Beweislastumkehr zu Gunsten des Versicherungsnehmers bestehen.

Welche Folgen hat die Verletzung von Obliegenheiten nach Eintritt des Versicherungsfalls?

Verletzt der Versicherungsnehmer nach Eintritt des Versicherungsfalls eine vertraglich vereinbarte oder gesetzlich vorgeschriebene Obliegenheit vorsätzlich oder grob fahrlässig, kann der Versicherer nach § 28 VVG entweder ganz oder teilweise leistungsfrei werden. Die Rechtsfolge richtet sich nach dem Grad des Verschuldens. Bei fahrlässigen Verstößen kann der Versicherer seine Leistung in einem der Schwere der Schuld entsprechenden Verhältnis kürzen. Bei vorsätzlicher Pflichtverletzung entfällt der Anspruch komplett, sofern der Versicherungsnehmer nicht nachweist, dass die Verletzung des Obliegenheitsgebots keinen Einfluss auf die Feststellung des Versicherungsfalls oder den Umfang der Leistung gehabt hat. Es sind zudem alle Umstände zu würdigen, die den Zusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Versicherungsleistung beeinflussen könnten.

Welche Ansprüche können im Versicherungsfall geltend gemacht werden?

Im Versicherungsfall entstehen dem Versicherungsnehmer in der Regel Ansprüche auf die Zahlung von Geldleistungen (z.B. Schadensersatz) oder auf sonstige Leistungen wie Reparaturkostenübernahme oder Kosten für Wiederherstellungsmaßnahmen, sofern dies vertragsgemäß vereinbart wurde. Die konkrete Anspruchsgrundlage ergibt sich aus dem Versicherungsvertrag und den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB). Bei Personenversicherungen wie Lebens-, Unfall- oder Krankenversicherung kann dies die Zahlung einer Versicherungsleistung (z.B. Invaliditätsleistung, Krankenhauskostenersatz) sein. In der Sachversicherung (z.B. Hausrat, Gebäude, Kfz) besteht der Anspruch meistens in der Wiederherstellung des Zustandes, der vor dem Schadenseintritt bestanden hat. Ein weiteres besonderes Merkmal kann der Anspruch auf Vorauszahlung oder Abschlagszahlungen sein, wenn die Schadenshöhe noch nicht abschließend festgestellt werden kann.

Welche Fristen sind im Versicherungsfall zu wahren?

Im Versicherungsrecht existieren zahlreiche Fristen, die im Versicherungsfall zu beachten sind. Die Anzeigepflicht gemäß § 30 VVG verpflichtet den Versicherungsnehmer, den Schaden unverzüglich (ohne schuldhaftes Zögern) nach Kenntnis anzuzeigen. Für bestimmte Versicherungszweige – insbesondere Unfall-, Diebstahl- oder Haftpflichtversicherung – können in den AVB spezifische Meldefristen geregelt sein, deren Nichteinhaltung zu Leistungskürzungen oder -verweigerungen führen kann. Darüber hinaus gilt für die gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs regelmäßig die Verjährungsfrist gemäß § 195 BGB von drei Jahren, die mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem der Anspruch entstanden ist und der Versicherungsnehmer hiervon Kenntnis erlangte oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. Manche Versicherungen enthalten daneben noch besondere Ausschlussfristen für die gerichtliche Geltendmachung.

Welche Rechte stehen dem Versicherer im Versicherungsfall zu?

Nach Eintritt des Versicherungsfalls hat der Versicherer verschiedene Rechte. Zunächst steht ihm das Recht auf Information und Nachweise über den Eintritt und Umfang des Schadens zu. Er darf verlangen, dass der Versicherungsnehmer Auskünfte gibt und Unterlagen sowie Belege zur Verfügung stellt, die zur Prüfung des Leistungsanspruchs erforderlich sind. Darüber hinaus können Versicherer eigene Ermittlungen anstellen, Sachverständige einschalten oder Gutachten einholen. Bei berechtigtem Verdacht auf Obliegenheitsverletzungen oder Betrug können sie Ermittlungsmaßnahmen ausweiten. Ferner kann der Versicherer im Rahmen der Schadenminderungspflicht anordnen, wie der Versicherungsnehmer sich zu verhalten hat, um weitere Schäden zu verhindern. Wird ein Bagatellschaden überschritten, kann der Versicherer zur Zahlung von Abschlagszahlungen verpflichtet sein.

Wie ist der Ablauf eines Versicherungsfalls aus rechtlicher Sicht gestaltet?

Der standardisierte Ablauf gliedert sich in mehrere rechtlich definierte Schritte: Zunächst erfolgt die Schadenanzeige durch den Versicherungsnehmer. Anschließend prüft der Versicherer, ob ein Versicherungsfall im Sinne des Vertrages vorliegt sowie alle Obliegenheiten eingehalten wurden. Zur Ermittlung der Schadenshöhe und Feststellung des Leistungsumfangs kann die Einschaltung von Sachverständigen erfolgen. Sobald alle notwendigen Unterlagen vorliegen und der Sachverhalt geklärt wurde, entscheidet der Versicherer über die Leistungspflicht. Wird die Leistung erbracht, gilt der Versicherungsfall als abgeschlossen. Im Falle von Streitigkeiten kann der Versicherungsnehmer den Rechtsweg beschreiten und ggfs. ein Sachverständigenverfahren oder gerichtliche Klärung einleiten. Jede Phase ist geprägt von spezifischen gegenseitigen Rechten und Pflichten, die im VVG und in den einschlägigen Versicherungsbedingungen geregelt sind.