Legal Lexikon

Wiki»Legal Lexikon»Versicherungsrecht»Versicherung auf erste Gefahr

Versicherung auf erste Gefahr


Versicherung auf erste Gefahr

Die Versicherung auf erste Gefahr ist eine besondere Form der Versicherungssumme im deutschen Versicherungsrecht, die überwiegend in der Sach- und Haftpflichtversicherung Anwendung findet. Im Unterschied zur klassischen Versicherung zum festen Wert wird hierbei eine vereinbarte Entschädigungsgrenze garantiert, ohne dass für einen darüber hinausgehenden Schaden eine Unterversicherung geprüft oder angerechnet wird. Diese Regelung hat weitreichende Konsequenzen für das Verhältnis zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer, sowohl im Hinblick auf die Risiken der Unter- oder Überversicherung als auch in Bezug auf die Schadenregulierung.

Definition und Grundlagen

Begriffserklärung

Unter Versicherung auf erste Gefahr versteht man die vertragliche Vereinbarung, dass der Versicherer einen Schaden bis zu einer festgelegten Summe ersetzt, und zwar in voller Höhe bis zu diesem Betrag – unabhängig vom Gesamtwert der versicherten Sache. Wird die Versicherungssumme „auf erste Gefahr“ ausgeschrieben, verzichtet der Versicherer ausdrücklich auf die Prüfung einer möglichen Unterversicherung im Schadensfall.

Abgrenzung zu anderen Versicherungsformen

Während bei der festen Versicherungssumme, etwa in der klassischen Gebäudeversicherung, eine Entschädigung nach dem Verhältnis von Versicherungssumme zu Versicherungswert berechnet wird und es bei einer Unterversicherung zu Leistungskürzungen kommen kann, garantiert die Versicherung auf erste Gefahr vollständigen Ersatz bis zur vereinbarten Summe. Eine Überversicherung ist ausgeschlossen, da der Versicherungsschutz strikt auf die festgelegte erste Gefahr-Summe begrenzt bleibt.

Rechtliche Grundlagen und Anwendungsbereiche

Gesetzliche Rahmenbedingungen

Die Versicherung auf erste Gefahr ist in Deutschland nicht ausdrücklich im Versicherungsvertragsgesetz (VVG) geregelt. Ihre Zulässigkeit und Funktionsweise ergeben sich jedoch aus den allgemeinen Grundsätzen des Versicherungsvertragsrechts (§§ 74 ff. VVG) sowie aus den jeweiligen Versicherungsbedingungen. Für einzelne Versicherungsarten, wie beispielsweise die Bauleistungsversicherung, existieren ergänzende Vorschriften im Rahmen der Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB).

Typische Einsatzgebiete

Die Vereinbarung einer Versicherung auf erste Gefahr ist insbesondere gebräuchlich in folgenden Versicherungsarten:

  • Einbruchdiebstahlversicherung: Häufig für bestimmte Positionen wie Bargeld oder Wertsachen, deren Wert schwierig zu bestimmen ist.
  • Glas- und Leitungswasserversicherungen: Oft für Fensterglas, Schaufenster oder Leitungswasserinstallationen, bei denen der Durchschnittswert schwer zu beziffern ist.
  • Bauleistungsversicherung: Für unvorhersehbare Einzelgefahren auf Baustellen.
  • Haftpflichtversicherung: Mitunter, um für außergewöhnliche Risiken eine maximale Entschädigungsgrenze festzulegen.

Die Gestaltung der individuellen Versicherungsverträge orientiert sich an den jeweiligen Bedürfnissen und Risikoprofilen der Versicherten.

Folgen der Vereinbarung „auf erste Gefahr“

Entschädigungsleistung

Im Schadensfall erhalten Versicherungsnehmer Ersatz bis zur vereinbarten ersten Gefahr-Summe, selbst wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass der Versicherungswert der versicherten Sache den vereinbarten Betrag übersteigt (beispielsweise durch Preissteigerungen, Wertzuwachs oder unvollständige Ermittlungen des Sachwerts). Eine Unterversicherung wird in diesem Rahmen ausdrücklich nicht geprüft.

Versicherungssumme und Prämiengestaltung

Die Versicherungssumme „auf erste Gefahr“ ist ausschließlich als maximale Entschädigungsgrenze zu verstehen und nicht als Angabe des tatsächlichen Versicherungswertes. Aufgrund der vereinfachten Risikoprüfung und der erhöhten Leistungsgarantie spiegelt sich diese Absicherungsform gewöhnlich in einer höheren Versicherungsprämie wider.

Vorteile

  • Kein Risiko der Unterversicherung: Die Entschädigung erfolgt stets bis zur vereinbarten Grenze unabhängig vom tatsächlichen Wert.
  • Einfachere Schadenabwicklung: Es entfällt die oftmals aufwendige Ermittlung des Versicherungswertes im Schadensfall.
  • Planbare Leistungshöhe: Versicherungsnehmer kennen die maximale Entschädigung im Voraus.

Nachteile

  • Begrenzte Deckung: Liegt der tatsächliche Schaden über der Versicherungssumme auf erste Gefahr, muss der Versicherungsnehmer die Differenz aus eigener Tasche tragen.
  • Kein vollständiger Vermögensschutz: Der Versicherungsschutz erfasst nicht in jedem Fall den gesamten Schaden.

Vertragliche Ausgestaltung und Pflichten

Vereinbarung im Versicherungsvertrag

Die Versicherung auf erste Gefahr muss explizit im Versicherungsvertrag vereinbart werden, zumeist in einer eigenen Klausel oder als abweichende Regelung zur Versicherungssumme. Oft erfolgt auch eine Kombination von Versicherung auf erste Gefahr für bestimmte Risiken und klassischer Wertermittlung für den übrigen Versicherungsschutz.

Vorvertragliche Anzeigepflichten

Wie bei allen Versicherungsverträgen sind Versicherungsnehmer verpflichtet, bei Vertragsschluss alle für den Versicherer risikorelevanten Umstände anzugeben, auch falls für den Bereich „auf erste Gefahr“ nur eine Obergrenze vereinbart wird.

Mitwirkungspflichten im Schadensfall

Im Schadensfall bestehen weiterhin die allgemeinen Mitwirkungspflichten, etwa zur Schadensminderung, zur Informationserteilung oder zur Vorlage von Belegen. Nur die Wertermittlung entfällt für den ersten Gefahr-Betrag, sofern der Schaden die Versicherungssumme nicht übersteigt.

Sonderfall: „Erste Gefahr“ in der Bauleistungsversicherung

In der Bauleistungsversicherung hat die Versicherung auf erste Gefahr besondere Bedeutung. Da Bauwerte und Risiken im Projektverlauf häufig schwer dynamisch kalkulierbar sind, wird für bestimmte Gefahren – beispielsweise Diebstahl einzelner Materialien oder Schäden durch Vandalismus – eine Deckung „auf erste Gefahr“ vereinbart, um flexible und rasche Entschädigung zu ermöglichen, ohne aufwändige Nachkalkulationen durchführen zu müssen.

Versicherung auf erste Gefahr in der Rechtsprechung

Gerichtliche Entscheidungen zur Versicherung auf erste Gefahr befassen sich regelmäßig mit den Auslegungsfragen einzelner Versicherungsbedingungen und mit der Abgrenzung zur Über- beziehungsweise Unterversicherung. Die herrschende Meinung bestätigt die Zulässigkeit dieser Klausel und betont den Schutz des Versicherungsnehmers vor unverhältnismäßigem Aufwand bei der Schadensabwicklung.

Fazit

Die Versicherung auf erste Gefahr stellt eine praxisnahe, transparente Sonderform der Sach- und Haftpflichtversicherung dar. Sie bietet klare Vorteile hinsichtlich des administrativen Aufwands und der Planungssicherheit, verlangt jedoch von Versicherungsnehmern eine sorgfältige Bemessung der gewünschten Entschädigungsgrenze, um umfassenden Versicherungsschutz sicherzustellen. Sie findet besonders dort Anwendung, wo der Versicherungswert schwierig oder nicht eindeutig bestimmbar ist und bietet effizienten Schutz vor Risiken einer klassischen Unterversicherung.


Siehe auch:

  • Unterversicherung
  • Überversicherung
  • Sachversicherung
  • Haftpflichtversicherung
  • Bauleistungsversicherung

Quellen:

  • Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB)
  • Versicherungsvertragsgesetz (VVG)
  • Rechtsprechung zum Sachversicherungsrecht

Dieser Beitrag erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und ersetzt nicht die individuelle Prüfung von Versicherungsbedingungen.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Besonderheiten ergeben sich bei der Versicherung auf erste Gefahr im Schadensfall?

Bei der Versicherung auf erste Gefahr handelt es sich um eine besondere Deckungsform, bei der der Versicherer im Schadensfall bis zur im Vertrag festgelegten „Ersten Gefahr“-Summe ohne Prüfung einer etwaigen Unter- oder Überversicherung leistet. Rechtlich betrachtet entfällt in diesen Fällen die Möglichkeit für den Versicherer, eine Kürzung der Entschädigungsleistung im Hinblick auf eine etwaige Unterversicherung nach § 75 VVG (Versicherungsvertragsgesetz) vorzunehmen. Dies ist insbesondere relevant, da im herkömmlichen Schadensfall der Versicherer zunächst das Verhältnis der vereinbarten Versicherungssumme zum tatsächlichen Versicherungswert überprüft. Führt diese Überprüfung zu einer Unterversicherung, kann die Entschädigung anteilig gekürzt werden. Im Rahmen der Versicherung auf erste Gefahr übernimmt der Versicherer hingegen das volle Risiko für die festgelegte Summe und verzichtet ausdrücklich auf die Einrede der Unterversicherung – dies muss vertraglich eindeutig geregelt sein. Auch im Falle einer Überversicherung bleibt sein Leistungsumfang grundsätzlich auf die „Erste Gefahr“-Summe beschränkt, sodass rechtlich keine weitergehende Zahlungsverpflichtung entstehen kann.

Welche Pflichten treffen den Versicherungsnehmer speziell bei einer Versicherung auf erste Gefahr?

Der Versicherungsnehmer ist auch bei einer Versicherung auf erste Gefahr an die allgemeinen vorvertraglichen und vertraglichen Obliegenheiten gebunden, die sich aus dem Versicherungsvertragsgesetz (§§ 19-31 VVG) und den jeweiligen Versicherungsbedingungen ergeben. Dazu gehören vor allem die wahrheitsgemäße und vollständige Anzeige von Gefahrumständen bei Vertragsschluss, die Mitteilung von Gefahrerhöhungen sowie die Einhaltung sämtlicher Sicherheitsvorschriften während der Vertragslaufzeit. Obwohl bei der Versicherung auf erste Gefahr die Prüfung der Unterversicherung entfällt, bleibt die Anzeigepflicht über wesentliche Risikofaktoren bestehen. Kommt der Versicherungsnehmer diesen Pflichten nicht nach, kann der Versicherer leistungsfrei werden oder den Vertrag anfechten bzw. kündigen. Auch die Verpflichtung zur Schadensminderung nach Eintritt des Versicherungsfalles nach § 82 VVG gilt uneingeschränkt.

Wie wirkt sich die Versicherung auf erste Gefahr auf die Beweislastverteilung im Schadensfall aus?

Die Versicherung auf erste Gefahr ändert grundsätzlich nichts an der Beweislastverteilung im Schadensfall: Der Versicherungsnehmer muss wie üblich nachweisen, dass ein Versicherungsfall eingetreten ist und einen daraus entstandenen Schaden darlegen und beziffern. Allerdings entfällt die Notwendigkeit, im Einzelnen den genauen Gesamtwert des versicherten Interesses (zum Beispiel des gesamten Hausrats oder eines gesamten Warenlagers) zu belegen, soweit der Schaden die „Erste Gefahr“-Summe nicht übersteigt. Für darüber hinausgehende Schäden bleibt die übliche Beweislastverteilung bestehen und der Versicherungsnehmer müsste zur Geltendmachung weitergehender Ansprüche, die allerdings im Regelfall ausgeschlossen sind, den vollständigen Versicherungswert sowie die Schadenshöhe nachweisen.

Bestehen Sonderregelungen hinsichtlich der Mitversicherung von Zusatzrisiken oder besonderer Gefahren?

Soweit der Deckungsumfang der Versicherung auf erste Gefahr vertraglich auf bestimmte Risiken oder Schadenursachen begrenzt ist, gilt die erste Gefahr-Summe nur für die explizit genannten Gefahren oder Kostenelemente (z.B. Aufräumungs- oder Dekontaminationskosten in der Sachversicherung). Sollen Zusatzrisiken oder weitere Gefahren (wie Elementarschäden, Vandalismus o.ä.) über die erste Gefahr-Summe mitversichert sein, ist eine ausdrückliche Aufnahme und Benennung im Vertrag erforderlich. Die allgemeinen Rechtgrundsätze zum Umfang des Versicherungsschutzes gemäß §§ 1, 49 VVG und zur Auslegung von Versicherungsbedingungen gemäß §§ 305c, 307 BGB sind dabei zu beachten. Unklare oder mehrdeutige Klauseln gehen dabei stets zu Lasten des Versicherers (Grundsatz der „kundenfeindlichsten Auslegung“).

Wie verhält sich die „Versicherung auf erste Gefahr“ zur Regulierung von Teilschäden?

Die Versicherung auf erste Gefahr kommt insbesondere dann zum Tragen, wenn häufiger mit Teilschäden zu rechnen ist, deren Höhe die festgelegte erste Gefahr-Summe in der Regel nicht überschreitet. In der Regulierungspraxis bedeutet dies, dass einzelne, auch mehrere kleine Schäden bis zum Erreichen dieses Limits ohne Wertprüfung oder Quotelung reguliert werden. Erst wenn der Schaden die Summe auf erste Gefahr überschreitet, greifen die üblichen Bewertungsmechanismen und etwaige Regelungen zur Mehr- oder Unterversicherung finden wieder Anwendung. Für sämtliche Schäden, die die Versicherungssumme auf erste Gefahr nicht überschreiten, hat der Versicherungsnehmer einen direkten Leistungsanspruch, der rechtlich maximal durch die vertraglich festgelegten Ausschlüsse und Obliegenheitsverletzungen beschränkt werden kann.

Gibt es rechtliche Einschränkungen für die Vereinbarung einer Versicherung auf erste Gefahr?

Die Vereinbarung einer Versicherung auf erste Gefahr ist rechtlich grundsätzlich zulässig und üblich, insbesondere für Risiken, deren Wert schwer ermittelbar ist oder bei denen eine vollständige Versicherung wirtschaftlich nicht sinnvoll erscheint. Es bestehen jedoch keine gesetzlichen Vorgaben zur Höhe der Versicherungssumme auf erste Gefahr; diese ist ausschließlich individuell vertraglich zu vereinbaren. Der Versicherer hat jedoch darauf zu achten, dass der Kunde die Tragweite der Leistungsbegrenzung versteht. Nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) und der Beratungspflicht (§ 6 Abs. 1 VVG) kann sich eine besondere Hinweispflicht des Versicherers im Einzelfall ergeben – insbesondere, wenn die Deckungssumme im Vergleich zum typischerweise zu versichernden Risiko ungewöhnlich niedrig oder irreführend bemessen ist.

Wie lange bleibt eine Versicherung auf erste Gefahr rechtlich wirksam?

Die Wirksamkeit der Versicherung auf erste Gefahr ist an die Laufzeit des Versicherungsvertrages gebunden und endet mit dessen ordnungsgemäßer Beendigung – also typischerweise durch Ablauf, Kündigung, Anfechtung oder Rücktritt. Für die Zeit nach Vertragsende bestehen keine weiteren Leistungen oder Nachhaftungen aus der Versicherung auf erste Gefahr, soweit keine abweichenden vertraglichen Regelungen (z.B. Nachhaftung für bestimmte Ereignisse) getroffen wurden. Im Rahmen laufender Verträge bleibt die vertraglich vereinbarte Summenstruktur unberührt und gilt bis zu einer Änderung oder Anpassung durch eine entsprechende Vertragsänderung oder Anpassung der Bedingungen. Änderungen bedürfen grundsätzlich der Schriftform und der beiderseitigen Zustimmung, sofern die Bedingungen des Versicherungsvertrages nicht ausdrücklich ein einseitiges Anpassungsrecht vorsehen.