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Verschaffungsvermächtnis


Begriff und Rechtsnatur des Verschaffungsvermächtnisses

Das Verschaffungsvermächtnis ist eine besondere Form des Vermächtnisses im deutschen Erbrecht. Es handelt sich dabei um eine letztwillige Verfügung, durch die einem Vermächtnisnehmer ein Anspruch darauf eingeräumt wird, dass der Beschwerte – in der Regel der Erbe – dem Begünstigten einen bestimmten Gegenstand verschafft, der zum Zeitpunkt des Erbfalls nicht im Nachlass vorhanden ist. Das Verschaffungsvermächtnis ist im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), insbesondere in § 2170 BGB, geregelt und unterscheidet sich in wesentlichen Punkten vom Stückvermächtnis und Gattungvermächtnis.

Abgrenzung zu anderen Vermächtnisarten

Stückvermächtnis

Beim Stückvermächtnis ordnet der Erblasser an, dass der Vermächtnisnehmer einen bestimmten, individualisierten Gegenstand aus dem Nachlass erhalten soll. Der Gegenstand befindet sich dabei zum Zeitpunkt des Erbfalls im Nachlass.

Gattungsvermächtnis

Das Gattungsvermächtnis bezieht sich auf eine nach allgemeinen Merkmalen bestimmte Sache, ohne Individualisierung auf einen konkreten Gegenstand. Auch hier muss sich der zu vermachende Gegenstand im Nachlass befinden.

Verschaffungsvermächtnis

Im Unterschied dazu ist das Verschaffungsvermächtnis dadurch charakterisiert, dass sich der Gegenstand gerade nicht in der Erbschaft befindet und erst vom Beschwerten besorgt und dem Vermächtnisnehmer verschafft werden muss. Die Verschaffung kann durch Eigentumsübertragung oder durch andere geeignete Rechtsgeschäfte erfolgen.

Gesetzliche Regelung und Auslegung

Gesetzliche Grundlage

Die gesetzliche Grundlage bildet § 2170 BGB:

„Hat der Erblasser angeordnet, dass von dem Beschwerten dem Bedachten ein Gegenstand verschafft werden soll, der nicht zur Erbschaft gehört, so ist im Zweifel anzunehmen, dass ein Verschaffungsvermächtnis vorliegt.“

Diese Vorschrift dient der Auslegung unklarer letztwilliger Verfügungen, um etwaige Zweifel zugunsten eines Verschaffungsvermächtnisses zu lösen.

Entstehung und Anforderungen

Für die wirksame Anordnung eines Verschaffungsvermächtnisses ist erforderlich:

  • Eine letztwillige Verfügung, die einen bestimmten Gegenstand betrifft,
  • Der Gegenstand ist zum Zeitpunkt des Erbfalls nicht Bestandteil des Nachlasses,
  • Der Beschwerte wird verpflichtet, diesen Gegenstand dem Bedachten zu verschaffen.

Die Auslegung der Verfügung richtet sich nach dem mutmaßlichen Willen des Erblassers und den äußeren Umständen des jeweiligen Einzelfalls.

Rechtsfolgen des Verschaffungsvermächtnisses

Anspruchsinhalt und -durchsetzung

Das Verschaffungsvermächtnis begründet einen schuldrechtlichen Anspruch des Vermächtnisnehmers gegenüber dem Beschwerten (meist dem Erben gemäß § 2147 BGB). Der Bedachte kann die Verschaffung, also die Eigentumsübertragung des betreffenden Gegenstands, verlangen. Dem Vermächtnisnehmer steht dabei kein Herausgabeanspruch auf einen bestimmten Nachlassgegenstand zu, sondern er kann verlangen, dass ihm der versprochene Gegenstand auf Kosten des Nachlasses verschafft wird.

Pflicht zur Eigentumsverschaffung

Der Beschwerte muss das Eigentum an dem bestimmten Gegenstand erwerben und dem Vermächtnisnehmer verschaffen. Die Pflicht erstreckt sich auch auf Nebenrechte und Zubehörteile, sofern diese für die übertragene Sache üblich sind.

Unmöglichkeit der Verschaffung

Ist es dem Beschwerten nicht möglich, den Gegenstand zu verschaffen – etwa weil der Gegenstand untergegangen oder nicht verfügbar ist – sieht das Gesetz eine Ersatzpflicht vor. In der Regel ergibt sich ein Ersatzanspruch in Geld gemäß §§ 275, 280, 283 BGB; dabei werden die Umstände des Einzelfalls, der hypothetische Wille des Erblassers und der Wert des geschuldeten Gegenstands berücksichtigt.

Haftung und Umfang

Der Beschwerte schuldet grundsätzlich nur das, was mit zumutbarem Aufwand und üblichen Verkehrssitten erreichbar ist. Ein Verschaffungsvermächtnis verpflichtet nicht zu unzumutbaren Aufwendungen, sofern in der letztwilligen Verfügung keine besondere Weisung enthalten ist.

Steuerrechtliche Aspekte

Das Verschaffungsvermächtnis gilt im erbschaftsteuerlichen Sinne ebenfalls als Erwerb von Todes wegen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Die steuerliche Bemessungsgrundlage richtet sich nach dem Wert des zu verschaffenden Gegenstands zum Zeitpunkt des Erbfalls.

Besonderheiten und Abwandlungen

Verschaffungsvermächtnis auf Gattungssachen

Das Verschaffungsvermächtnis kann sich auch auf Gattungssachen beziehen. Hierbei verpflichtet sich der Beschwerte, eine Sache einer bestimmten Gattung (z. B. 100 Aktien eines bestimmten Emittenten) zu beschaffen und zu verschaffen.

Alternatives Verschaffungsvermächtnis

Der Erblasser kann dem Beschwerten auch die Möglichkeit einräumen, an Stelle des zu verschaffenden Gegenstands eine Geldzahlung oder eine andere Leistung zu erbringen. Dieses Wahlrecht ist ebenfalls umzusetzen, soweit dies in der Verfügung des Erblassers hinreichend bestimmt ist.

Bedeutung in der Praxis

Das Verschaffungsvermächtnis ist besonders bei der Bedachung mit Sachen oder Rechten von Bedeutung, die typischerweise nicht im Nachlass vorhanden sind, aber von großer Bedeutung für den Bedachten oder den Zweck des Nachlasses sein sollen. Die praktische Relevanz reicht von Immobilien, Wertpapieren, Fahrnissen bis zu Rechten und Ansprüchen.

Literatur und weiterführende Hinweise

  • Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), insbesondere §§ 1939, 2147, 2170 BGB
  • Kommentar Literatur: Münchener Kommentar zum BGB, Palandt BGB, Staudinger BGB
  • Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz (ErbStG)

Hinweis: Dieser Eintrag bietet eine umfassende Darstellung der Thematik Verschaffungsvermächtnis und richtet sich an Personen mit Interesse an erbrechtlichen Grundbegriffen und deren Ausgestaltung im deutschen Recht.

Häufig gestellte Fragen

Wer ist beim Verschaffungsvermächtnis zur Verschaffung des Gegenstands verpflichtet?

Beim Verschaffungsvermächtnis ist in erster Linie der Erbe – also der mit dem gesamten Nachlass oder einem Anteil daran Bedachte – verpflichtet, dem Vermächtnisnehmer den im Testament bestimmten Gegenstand zu verschaffen und zu übereignen, § 2170 BGB. Der Erbe haftet grundsätzlich mit seinem gesamten geerbten Vermögen für die Erfüllung dieses Anspruchs. Die Pflicht kann aber auch einem anderen Vermächtnisnehmer (bei einem Untervermächtnis) oder einem Testamentsvollstrecker auferlegt werden, wenn dies der Erblasser klar geregelt hat. Der wesentliche Unterschied zum sogenannten Herausgabevermächtnis besteht darin, dass der Beschwerte (i.d.R. der Erbe) beim Verschaffungsvermächtnis aktiv werden und den genannten Gegenstand erst beschaffen muss, wenn sich dieser nicht ohnehin im Nachlass befindet.

Was passiert, wenn die Beschaffung des im Verschaffungsvermächtnis bestimmten Gegenstands unmöglich ist?

Wenn die Beschaffung des vermachten Gegenstands unmöglich ist – etwa weil er untergeht, vernichtet wird oder aus rechtlichen Gründen nicht mehr erworben werden kann – kommt es maßgeblich darauf an, ob die Unmöglichkeit bereits zum Zeitpunkt des Erbfalls bestand oder erst später eingetreten ist. War der Gegenstand schon bei Erbfall dauerhaft nicht mehr beschaffbar und lag kein Ersatzzweck nach § 2170 Abs. 2 BGB vor, so ist das Verschaffungsvermächtnis grundsätzlich unwirksam. Tritt die Unmöglichkeit jedoch erst nach dem Erbfall ein, kann ein Anspruch auf Schadensersatz nach § 280 BGB gegen den Beschwerten bestehen, wenn dieser die spätere Unmöglichkeit zu vertreten hat.

Welche Rechte hat der Vermächtnisnehmer bei einem Verschaffungsvermächtnis?

Der Vermächtnisnehmer erwirbt mit dem Erbfall einen schuldrechtlichen Anspruch gegen den Belasteten (meist den Erben) auf Verschaffung und Übereignung des konkret bezeichneten Gegenstands oder Rechts. Dieser Anspruch ist einklagbar und kann nötigenfalls auch im Wege der Zwangsvollstreckung durchgesetzt werden. Die Obliegenheit des Beschwerten besteht darin, alle zur Verschaffung erforderlichen Maßnahmen vorzunehmen, dazu gehört ggf. auch der Erwerb des Gegenstands von Dritten. Ist eine Verschaffung nicht in angemessener Zeit möglich, kann der Vermächtnisnehmer auf Wertersatz pochen oder ggf. Schadensersatzansprüche geltend machen.

Welche Form muss das Verschaffungsvermächtnis einhalten?

Das Verschaffungsvermächtnis bedarf keiner speziellen Form, sondern kann – wie jedes Vermächtnis – im Rahmen der formgültigen letztwilligen Verfügung (Testament oder Erbvertrag) angeordnet werden. Es genügt, wenn aus dem Wortlaut des Testaments erkennbar ist, dass nicht lediglich die Herausgabe eines im Nachlass befindlichen Gegenstands, sondern ausdrücklich auch dessen Beschaffung durch den Erben oder einen anderen Vermächtnisbelasteten gewollt ist. Die präzise Bezeichnung des zu verschaffenden Gegenstands ist ratsam, um spätere Streitigkeiten über Auslegung und Reichweite des Anspruchs zu vermeiden.

Ist ein Verschaffungsvermächtnis mit Bedingungen oder Auflagen zulässig?

Ein Verschaffungsvermächtnis kann – wie andere Vermächtnisse auch – an Bedingungen (§ 2065, 2074 ff. BGB) oder Auflagen (§ 2192 BGB) geknüpft werden, sofern die Bedingungen oder Auflagen rechtlich zulässig und hinreichend bestimmt sind. So kann beispielsweise der Erblasser anordnen, dass der Anspruch erst nach Ablauf einer bestimmten Zeit entsteht (Befristung) oder dass die Verschaffung nur unter bestimmten Umständen verlangt werden darf (z.B. Bestehen einer bestimmten Verwandtschaftsbeziehung). Die Bedingung muss dabei klar und für Dritte nachvollziehbar formuliert sein, um Unwirksamkeit wegen Unbestimmtheit zu vermeiden.

Kann der Beschwerte den Anspruch aus dem Verschaffungsvermächtnis abwehren?

Der Beschwerte (zumeist der Erbe) kann die Erfüllung des Verschaffungsvermächtnisses nur verweigern, wenn die Voraussetzungen für eine Leistungsverweigerung nach den §§ 2229 ff. BGB (insbesondere Erbunwürdigkeit, Pflichtteilsbeschränkung, Vorliegen aufschiebender/auflösender Bedingungen) oder im Schuldrecht, z.B. wegen Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit, erfüllt sind. Darüber hinaus kann der Anspruch abgelehnt werden, wenn nachweislich feststeht, dass mit zumutbarem Aufwand keine Möglichkeit zur Beschaffung des vermachten Gegenstands besteht. Ansonsten ist der Beschwerte zur Verschaffung verpflichtet.

Wie verhält sich das Verschaffungsvermächtnis gegenüber Pflichtteilsrechten?

Das Verschaffungsvermächtnis ist grundsätzlich nachrangig gegenüber Pflichtteilsansprüchen. Der Beschwerte darf zur Erfüllung des Verschaffungsvermächtnisses nur auf den Nachlass zugreifen, der nicht zur Befriedigung von berechtigten Pflichtteilsberechtigten benötigt wird (§ 2303 ff. BGB). Führt die Erfüllung des Verschaffungsvermächtnisses dazu, dass Pflichtteilsberechtigte nicht in vollem Umfang befriedigt werden könnten, besteht ein anteiliges Rückabwicklungs- oder Ausgleichsverhältnis; der Pflichtteilsanspruch hat Vorrang vor dem Verschaffungsvermächtnis. Der Vermächtnisanspruch reduziert sich dabei ggf. auf das, was nach Abzug der Pflichtteilsrechte noch übrig bleibt.