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Versammlungsgesetz


Begriff und Rechtsgrundlagen des Versammlungsgesetzes

Das Versammlungsgesetz stellt einen zentralen Bestandteil des deutschen Ordnungsrechts dar und regelt die Durchführung und den Schutz von Versammlungen sowie Aufzügen. Es sichert das im Grundgesetz gewährleistete Grundrecht auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) und setzt gleichzeitig Rahmenbedingungen, um öffentliche Sicherheit und Ordnung bei gemeinschaftlichen Meinungsbekundungen zu gewährleisten. Die detaillierten Vorschriften des Versammlungsgesetzes betreffen insbesondere die Anmeldepflicht, die Durchführung, das Verbot sowie die Auflösung und den Schutz von Versammlungen.

Entwicklung und föderale Struktur des Versammlungsgesetzes

Geschichte und Motivation

Das ursprüngliche Versammlungsgesetz trat am 24. Juli 1953 auf Bundesebene in Kraft. Es wurde geschaffen, um das durch Art. 8 des Grundgesetzes gewährte Versammlungsrecht konkret auszugestalten. Seit der Föderalismusreform 2006 haben die Bundesländer die Möglichkeit, eigene Versammlungsgesetze zu erlassen und das bisherige Bundesgesetz abzulösen. Mittlerweile existieren in mehreren Ländern eigene, inhaltlich teils spezifisch ausgestaltete Versammlungsgesetze, während das Bundesgesetz in Ländern ohne eigenes Gesetz weiterhin gilt.

Aktuelle Rechtslage in den Bundesländern

  • In Bayern, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Bremen und Hamburg existieren eigene Versammlungsgesetze.
  • In den übrigen Ländern gilt weiterhin das Bundesversammlungsgesetz als Landesrecht.

Anwendungsbereich des Versammlungsgesetzes

Definition der Versammlung

Das Versammlungsgesetz definiert eine Versammlung als eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an öffentlicher Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung. Wesentlicher Zweck ist die gemeinsame Willensbildung oder -bekundung. Abzugrenzen sind Versammlungen von bloßen Ansammlungen, bei denen der Meinungsbildungsaspekt fehlt.

Versammlungsarten

Es wird zwischen verschiedenen Versammlungsformen unterschieden:

  • Öffentliche Versammlungen (für jedermann zugänglich)
  • Nicht-öffentliche Versammlungen (z.B. Mitgliederversammlungen)
  • Spontanversammlungen (aus aktuellem Anlass ohne vorhergehende Organisation)
  • Eilversammlungen (Versammlungen mit sehr kurzem Planungsvorlauf, weshalb reguläre Anmeldefristen nicht eingehalten werden können)

Rechtliche Voraussetzungen und Verfahren

Anmelde- und Mitteilungspflichten

Für öffentliche Versammlungen und Aufzüge unter freiem Himmel besteht grundsätzlich eine Anmeldepflicht nach § 14 Versammlungsgesetz. Die Anmeldung muss spätestens 48 Stunden vor Bekanntgabe der Versammlung bei der zuständigen Behörde (in der Regel die Polizei oder Ordnungsbehörde) erfolgen und folgende Angaben enthalten:

  • Name und Kontaktdaten des Veranstalters
  • Thema und Zweck der Versammlung
  • Zeit, Ort und geplante Route (bei Aufzügen)

Für Versammlungen in geschlossenen Räumen besteht grundsätzlich keine Anmeldungspflicht.

Leitungs- und Ordnungsfunktionen

Jede Versammlung bedarf einer verantwortlichen Person, die als Leiter oder Leiterin fungiert. Die Aufgabe umfasst die Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Ablaufs sowie die Zusammenarbeit mit den Behörden.

Eingriffsmöglichkeiten der Behörden

Auflagen

Nach § 15 Versammlungsgesetz können Behörden zur Verhinderung von direkten Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung Auflagen erteilen. Diese reichen von der Beschränkung bestimmter Inhalte über Routen- und Zeitvorgaben bis zu Einschränkungen der Teilnehmerzahl.

Verbot und Auflösung

Eine Versammlung darf – nach strengen verfassungsrechtlichen Maßstäben – nur verboten oder aufgelöst werden, wenn eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung besteht und mildere Mittel nicht ausreichen. Die Entscheidung muss verhältnismäßig und unter Beachtung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit erfolgen. Rechtsgrundlagen sind § 15 Versammlungsgesetz und entsprechende Ländervorschriften.

Maßnahmen bei Verstößen

Im Falle von Verstößen gegen Anmeldepflichten, Auflagen oder gesetzlichen Vorgaben können zuständige Behörden Teilnehmern Platzverweise erteilen oder einzelne Personen gezielt ausschließen. Verstöße werden als Ordnungswidrigkeiten oder – in schweren Fällen – als Straftaten gemäß § 21 Versammlungsgesetz (z.B. bei gewalttätigem Verlauf oder Verstoß gegen uniformiertes Auftreten) geahndet.

Schutzbereich und Schranken des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit

Verfassungsrechtlicher Rahmen

Das Grundgesetz schützt in Art. 8 Abs. 1 grundsätzlich alle Versammlungen friedlicher Art. Beschränkungen sind nach Art. 8 Abs. 2 nur für Veranstaltungen unter freiem Himmel auf gesetzlicher Grundlage zulässig. Das Versammlungsgesetz konkretisiert diese Bedingungen und schafft die erforderlichen gesetzlichen Grundlagen für Eingriffe.

Bedeutung für die Demokratie

Die Versammlungsfreiheit gilt als zentrale Säule des demokratischen Rechtsstaats, insbesondere zur öffentlichen Meinungsbildung und zur Teilhabe an politischen Prozessen. Einschränkungen dürfen nur zum Schutz anderer Rechtsgüter (z. B. Leben, Gesundheit, Eigentum Dritter, Schutz vor gewalttätigen Ausschreitungen) und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen.

Polizeilicher und präventiver Schutz von Versammlungen

Die Behörden sind verpflichtet, den ungestörten Ablauf angemeldeter Versammlungen – soweit möglich – zu gewährleisten. Hierzu zählt der Schutz der Teilnehmer vor Störungen durch Dritte (z. B. „Störaktionen“, Gegendemonstrationen) ebenso wie die Durchsetzung etwaiger Auflagen zum Schutz der öffentlichen Ordnung. Polizistinnen und Polizisten dürfen Versammlungen nur betreten, wenn dies zur Gefahrenabwehr oder zur Wahrung des gesetzlichen Rahmens erforderlich ist.

Sanktionen und Rechtsfolgen bei Verstößen

Ordnungswidrigkeiten und Straftaten

Das Versammlungsgesetz normiert verschiedene Tatbestände von Ordnungswidrigkeiten und Straftaten. Besonders relevant sind:

  • Durchführung nicht angemeldeter Versammlungen (§ 26)
  • Verhindern oder Stören angemeldeter Versammlungen (§ 21)
  • Bewaffnete oder uniformierte Teilnahme an Versammlungen (§ 17a)

Verstöße werden mit Geldbußen oder Freiheitsstrafen geahndet.

Rechtsschutz

Gegen behördliche Maßnahmen besteht der Verwaltungsrechtsweg. Betroffene können Widerspruch gegen Versammlungsverbote, Auflagen oder Auflösungsbescheide einlegen und diese gerichtlich überprüfen lassen.

Versammlungsgesetze in anderen Staaten

Auch in anderen europäischen Ländern existieren spezifische Gesetze zum Versammlungsrecht, die jedoch in ihrer Ausgestaltung deutliche Unterschiede gegenüber dem deutschen Modell aufweisen. Die deutschen Regelungen sind im internationalen Vergleich besonders stark durch grundrechtlichen Schutz und das Prinzip der Verhältnismäßigkeit geprägt.


Das Versammlungsgesetz bildet den rechtlichen Rahmen für die Ausübung und den Schutz der Versammlungsfreiheit in Deutschland. Es gewährleistet einerseits die Möglichkeit zur gemeinschaftlichen öffentlichen Meinungsäußerung, setzt andererseits jedoch auch Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Die komplexe Ausgestaltung sowie die föderale Struktur machen eine sorgfältige Beachtung der jeweiligen landesrechtlichen Besonderheiten erforderlich.

Häufig gestellte Fragen

Wer muss eine Versammlung nach dem Versammlungsgesetz anmelden?

Eine Versammlung unter freiem Himmel muss grundsätzlich von demjenigen angemeldet werden, der sie veranstaltet (Veranstalter). Nach § 14 des Versammlungsgesetzes (VersG) ist dies spätestens 48 Stunden vor Bekanntgabe der Versammlung bei der zuständigen Behörde, meist das Ordnungsamt oder die Polizei, vorzunehmen. Die Anmeldung muss schriftlich oder zur Niederschrift erfolgen und bestimmte Angaben enthalten, nämlich: Zweck, Ort, Zeit, beabsichtigter Ablauf der Versammlung und Name der verantwortlichen Person (Leiter/in). Ist der Veranstalter eine Gruppe oder ein Verein, ist dennoch eine natürliche Person als verantwortlicher Leiter zu benennen. Kommt der Veranstalter der Anmeldepflicht nicht nach, kann die Behörde die Versammlung beschränken, verbieten oder sogar auflösen. Die Pflicht zur Anmeldung dient insbesondere dazu, dass die Behörde Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung rechtzeitig erkennen und gegebenenfalls Maßnahmen zum Schutz von Teilnehmern und Dritten ergreifen kann.

Unter welchen Voraussetzungen kann eine Versammlung nach dem Versammlungsgesetz verboten werden?

Ein Verbot einer Versammlung ist gemäß § 15 Versammlungsgesetz nur unter strengen Voraussetzungen möglich. Die zuständige Behörde darf eine Versammlung nur dann verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung unmittelbar gefährdet erscheint. Die Rechtsprechung fordert hierbei eine konkrete, gegenwärtige Gefahr; vage oder abstrakte Gefahren reichen nicht aus. Öffentliche Sicherheit umfasst den Schutz von Leib, Leben und Eigentum, der Funktionsfähigkeit des Staates sowie der Rechtsordnung insgesamt. Ein Versammlungsverbot ist das äußerste Mittel („ultima ratio“) und darf erst erlassen werden, wenn mildere Mittel, insbesondere entsprechende Auflagen, nicht ausreichen. Das Versammlungsgrundrecht aus Art. 8 GG ist besonders geschützt, sodass jedes Verbot einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung unterliegt. Die Behörde trägt die Darlegungs- und Beweislast für die Gefahrenprognose.

Welche Pflichten und Rechte hat die Versammlungsleitung gemäß Versammlungsgesetz?

Die Versammlungsleitung obliegt gemäß § 7 Versammlungsgesetz einer vom Veranstalter benannten oder durch die Teilnehmer bestimmten Person. Die Leitung hat das Hausrecht während der Versammlung und ist verpflichtet, für den ordnungsgemäßen Ablauf der Veranstaltung zu sorgen sowie rechtswidrige Handlungen zu unterbinden. Sie gibt den Ablauf vor, kann Redner bestimmen und Teilnehmer zur Einhaltung von Anweisungen auffordern. Der Versammlungsleiter muss insbesondere darauf achten, dass keine verbotenen Gegenstände mitgeführt werden (§ 2 VersG), keine volksverhetzenden, beleidigenden oder gewalttätigen Äußerungen oder Handlungen erfolgen und die Auflagen der Behörde umgesetzt werden. Die Leitung hat das Recht, die Versammlung zu beenden, falls der Zweck erreicht ist oder erhebliche Störungen auftreten. Kommt die Leitung ihren Pflichten nicht nach, kann die Polizei einschreiten und letztlich auch die Versammlung auflösen.

In welchem Umfang darf die Polizei auf Versammlungen Einfluss nehmen?

Die Polizei ist nach dem Versammlungsgesetz und allgemeinen Polizeirecht befugt, auf das Geschehen einer Versammlung einzuwirken, wenn die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährdet ist. Ihre Aufgaben richten sich grundsätzlich nach dem Bestimmtheitsgrundsatz und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Polizei darf das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG jedoch nur einschränken, wenn konkrete Gefahren bestehen. Ihre Maßnahmen reichen von der Beobachtung über die Durchsetzung von Auflagen bis zum Einschreiten bei Straftaten oder Gefahren für Leib und Leben. Die Polizei darf auch sogenannte Beschlagnahmeverbote aussprechen, verbotene Gegenstände sicherstellen und im Ausnahmefall eine Versammlung auflösen (§ 8 und § 13 VersG). Eingriffe wie Personalienfeststellungen, Platzverweise oder Identitätsfeststellungen müssen auf das erforderliche Maß beschränkt werden.

Wie ist der Umgang mit sogenannten Spontanversammlungen geregelt?

Spontanversammlungen sind Versammlungen, die sich ungeplant und ohne vorherige Anmeldung aus aktuellem Anlass bilden. Für sie gelten nach der Rechtsprechung erleichterte Anforderungen hinsichtlich der Anmeldepflicht, da sie der Natur der Sache nach die 48-stündige Frist unmöglich einhalten können. Gleichwohl besteht die Pflicht, die Versammlung der Behörde zu melden, sobald dies zumutbar ist. Die Polizei und Ordnungsbehörden müssen bei Spontanversammlungen das Gebot der größtmöglichen Schonung des Versammlungsrechts beachten. Maßnahmen wie Auflagen oder Verbote sind nach den gleichen strengen Maßstäben wie bei angemeldeten Versammlungen zu prüfen. Eine Auflösung ohne vorherige Gefahrenprognose ist regelmäßig nicht gerechtfertigt. Die spontane Versammlung steht grundsätzlich unter dem gleichen Schutz wie eine ordnungsgemäß angemeldete Versammlung.

Welche rechtlichen Folgen hat die Nichtanmeldung oder rechtswidriges Verhalten während einer Versammlung?

Die Nichtanmeldung einer Versammlung stellt gemäß § 26 Nr. 2 Versammlungsgesetz eine Ordnungswidrigkeit dar, kann aber unter bestimmten Umständen als Straftat gewertet werden, wenn zum Beispiel zu einer verboten Versammlung aufgerufen wird. Dies ist mit einer Geldbuße oder Freiheitsstrafe bedroht. Bei rechtswidrigem Verhalten während der Versammlung, etwa durch Mitführen verbotener Gegenstände, Gewalttaten, Volksverhetzung oder wiederholte Verletzungen behördlicher Auflagen, dürfen die Ordnungsbehörden die Versammlung auflösen und die Verantwortlichen strafrechtlich verfolgen. Die Leitung kann für Verstöße gegen ihre Pflichten zur Verantwortung gezogen werden. Die Behörden haben zudem das Recht, Platzverweise auszusprechen sowie Gegenstände sicherzustellen. Je nach Art, Schwere und Umfang des Verstoßes kommen sowohl strafrechtliche als auch verwaltungsrechtliche Konsequenzen in Betracht.

Können Versammlungen unter bestimmten Voraussetzungen beschränkt werden?

Ja, gemäß § 15 Versammlungsgesetz kann die Versammlungsbehörde eine Versammlung mit Auflagen versehen, wenn dies erforderlich ist, um Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwenden. Typische Auflagen sind zum Beispiel das Verbot von Maskierungen (sogenanntes Vermummungsverbot), die Einschränkung der Route, das Verbot bestimmter Gegenstände oder eine Begrenzung der Teilnehmerzahl. Auch Lautstärkebeschränkungen sind zulässig, um Belästigungen Dritter zu minimieren. Die Auflagen dürfen jedoch nicht das Versammlungsrecht in seinem Wesensgehalt aushöhlen, sondern müssen verhältnismäßig und geeignet sein, die befürchtete Gefahr abzuwenden. Teilnehmer und Leitung sind verpflichtet, die Auflagen einzuhalten; Zuwiderhandlungen können zu einer Versammlungsauflösung und weiteren Sanktionen führen. Die Anfechtung von Auflagen ist im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes möglich.