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Verkehrsgefährdung


Begriff und rechtliche Einordnung der Verkehrsgefährdung

Eine Verkehrsgefährdung ist ein zentraler Begriff im deutschen Straßenverkehrsrecht und bezeichnet das Verhalten, bei dem der Straßenverkehr durch einen Verstoß gegen Verkehrsvorschriften oder durch rücksichtslose Fahrweise konkret gefährdet wird. Verkehrsgefährdung stellt dabei regelmäßig nicht nur ein Ordnungswidrigkeitentatbestand, sondern in vielen Fällen auch eine Straftat gemäß § 315c Strafgesetzbuch (StGB) dar.

Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über die rechtlichen Aspekte der Verkehrsgefährdung, deren Voraussetzungen, Abgrenzungen, Rechtsfolgen und typische Fallgruppen.


Definition und Grundtatbestand

Begriffliche Voraussetzungen

Unter Verkehrsgefährdung versteht man das Herbeiführen einer konkreten Gefahr für Leib, Leben oder bedeutende Sachwerte im Straßenverkehr. Eine bloß abstrakte Gefahr, wie sie durch eine Ordnungswidrigkeit nach der Straßenverkehrsordnung (StVO) gegeben sein kann, reicht für die Annahme einer strafbaren Verkehrsgefährdung nicht aus.

Nach § 315c Abs. 1 StGB macht sich strafbar, „wer im Straßenverkehr ein Fahrzeug führt und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert konkret gefährdet“.

Abgrenzung zur Ordnungswidrigkeit

Während kleinere Verstöße gegen Verkehrsvorschriften, die keine konkrete Gefährdung mit sich bringen, als Ordnungswidrigkeiten geahndet werden, erfasst der Straftatbestand der Verkehrsgefährdung nur solche Handlungen, bei denen eine externe, greifbare Gefahr für Personen oder erhebliche Sachwerte entstanden ist.


Gesetzliche Regelung nach § 315c StGB

Tatbestandsmerkmale

Der Straftatbestand der Verkehrsgefährdung nach § 315c StGB setzt folgende Voraussetzungen voraus:

  1. Führen eines Fahrzeugs im Straßenverkehr: Hierzu zählen alle Kraftfahrzeuge und Fahrräder, gem. § 1 Abs. 2 StVG.
  2. Begehung eines typisierten gefährlichen Verkehrsverstoßes oder grob verkehrswidrige und rücksichtslose Fahrweise: Der Gesetzestext benennt eine abschließende Liste gefährlicher Handlungen, u.a. Missachtung der Vorfahrt (§ 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. a StGB), falsches Überholen, zu schnelles Fahren, Missachtung von Verkehrszeichen oder unerlaubtes Wenden auf Autobahnen.
  3. Konkrete Gefährdung von Leib, Leben oder bedeutenden Sachwerten: Eine konkrete Gefährdung liegt vor, wenn ein Unfall nur aufgrund glücklicher Umstände ausgeblieben ist und eine erhebliche Gefahr bestand.
  4. Kausalität und Rechtswidrigkeit: Die Gefahr muss unmittelbar durch das Fehlverhalten verursacht worden sein, ohne dass etwa eine höhere Gewalt oder Mitverschulden Dritter allein ausschlaggebend wäre.

Subjektiver Tatbestand

Die Verkehrsgefährdung kann vorsätzlich oder fahrlässig begangen werden, § 315c Abs. 3 StGB unterscheidet in der Strafandrohung dementsprechend.


Überblick über die häufigsten Verkehrsvergehen mit Gefährdungspotenzial

Typische gefährliche Verkehrsverstöße gemäß § 315c StGB

Zu den im Gesetz aufgeführten typischen Fällen zählen insbesondere:

  • Missachtung der Vorfahrt
  • Fehler beim Überholen (z. B. riskantes Überholen trotz Gegenverkehrs)
  • Nichtanpassen der Geschwindigkeit an die Straßen-, Verkehrs-, Sicht- oder Wetterverhältnisse
  • Verwendung ungeeigneter Fahrzeuge
  • Nichtbeachten von Lichtzeichen oder Haltesignalen der Polizei
  • Falsches Fahren an Bahnübergängen

Die Aufzählung in § 315c StGB ist abschließend, das heißt, andere Verkehrsverstöße sind nur dann von § 315c StGB erfasst, wenn sie in diesen Gesetzesrahmen fallen.


Abgrenzung zu anderen Straftatbeständen im Straßenverkehr

Gefährdung des Straßenverkehrs und Straßenverkehrsgefährdung

Der Begriff Straßenverkehrsgefährdung wird in der Alltagssprache und Rechtsprechung häufig synonym mit Verkehrsgefährdung verwendet, wobei im juristischen Sinne die Norm des § 315c StGB maßgeblich ist.

Unterschied zur fahrlässigen Körperverletzung und Tötung

Kommt es infolge einer Verkehrsgefährdung zu einem Unfall mit Verletzungs- oder Todesfolge, können zusätzlich die Tatbestände der fahrlässigen Körperverletzung (§ 229 StGB) oder fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB) verwirklicht werden.


Rechtsfolgen und Sanktionen

Strafrechtliche Konsequenzen

  • Freiheitsstrafe: Verkehrsgefährdung wird mit Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bedroht (§ 315c Abs. 1 StGB).
  • Fahrverbot oder Entziehung der Fahrerlaubnis: In der Regel wird bei Verurteilung wegen § 315c StGB die Fahrerlaubnis entzogen, § 69 StGB.
  • Weitere Nebenstrafen: Gericht kann weitere Maßnahmen wie die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung erlassen.

Zivilrechtliche Folgen

Bei einer Verkehrsgefährdung mit Schadensfolge drohen zudem Schadensersatzansprüche Dritter, etwa bei Verletzung von Personen oder Beschädigung fremder Sachen.


Verfahrensrechtliche Besonderheiten

Ermittlungen und Beweiserhebung

Verkehrsgefährdungen werden meist durch die Polizei aufgenommen und in der Regel durch Zeugenaussagen, Unfalldatenaufzeichnungen und ggf. Sachverständigengutachten im Ermittlungsverfahren beurteilt.

Rechtsmittel

Gegen Urteile wegen Verkehrsgefährdung kann Berufung oder Revision eingelegt werden, wobei stets die genaue Sachverhaltsaufklärung sowie das Vorliegen einer konkreten Gefahr überprüft wird.


Präventionsansätze und Bedeutung für den Straßenverkehr

Die konsequente Ahndung von Verkehrsgefährdungen dient dem Schutz der Allgemeinheit und der Erhöhung der Verkehrssicherheit. Intensivierte Kontrollen, Aufklärungsarbeit und technische Überwachungssysteme sind wichtige Maßnahmen zur Vermeidung solcher Vorfälle.


Literatur und weiterführende Informationen

  • BeckOK StGB, § 315c Rn. 1 ff.
  • Fischer, StGB, Kommentar, § 315c
  • Verkehrsrecht: Straßenverkehrsgesetz (StVG), Straßenverkehrsordnung (StVO), Strafgesetzbuch (StGB)
  • Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 315c StGB

Fazit

Die Verkehrsgefährdung ist ein komplexer Straftatbestand im deutschen Verkehrsrecht, der weitreichende rechtliche Konsequenzen für die Betroffenen mit sich bringen kann. Die genaue Unterscheidung und Auslegung der einzelnen Tatbestandsmerkmale ist maßgebend für die strafrechtliche und zivilrechtliche Verantwortlichkeit. Ziel der Regelungen ist die Verhinderung von Gefahrenlagen im Straßenverkehr und der Schutz besonders sensibler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit und bedeutende Sachwerte.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Folgen drohen bei einer Verkehrsgefährdung gemäß § 315c StGB?

Wer eine Verkehrsgefährdung im Sinne des § 315c Strafgesetzbuch (StGB) begeht, muss zunächst mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe rechnen. Dabei handelt es sich um eine Straftat, nicht lediglich um eine Ordnungswidrigkeit, was die Schwere des Vorwurfs unterstreicht. Die Strafe kann sich weiter erhöhen, falls eine besonders schwere Folge eintritt – etwa wenn ein Mensch getötet oder schwer verletzt wird: Dann kommt eine Strafverschärfung nach den allgemeinen Vorschriften des StGB in Betracht, etwa wegen fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB) oder fahrlässiger Körperverletzung (§ 229 StGB). Daneben drohen regelmäßig zusätzliche Konsequenzen im Fahrerlaubnisrecht, wie beispielsweise der Entzug der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB verbunden mit einer Sperrfrist für die Wiedererteilung gemäß § 69a StGB. In der Praxis ordnen Gerichte darüber hinaus oft eine medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) zur erneuten Eignungsprüfung als Kraftfahrer an.

Unter welchen Voraussetzungen liegt eine Gefährdung des Straßenverkehrs im rechtlichen Sinne vor?

Für eine strafbare Verkehrsgefährdung müssen mehrere Voraussetzungen erfüllt sein: Zunächst muss der Täter eine der in § 315c Abs. 1 StGB abschließend genannten gefährlichen Verkehrshandlungen, wie beispielsweise das Fahren unter erheblichem Alkoholeinfluss, das Überholen bei unklarer Verkehrslage oder das Fahren mit nicht angepasster Geschwindigkeit, begehen. Dabei darf die Handlung nicht lediglich abstrakt gefährlich sein – vielmehr muss durch das Handeln konkret eine andere Person oder fremde Sachen von bedeutendem Wert (mindestens ca. 750 Euro) in Gefahr gebracht worden sein. Unabhängig von der Gefährdung reicht eine bloße Gefährdungslage nicht aus, es muss zu einer sogenannten „konkreten Gefahr“ kommen, also einem Zustand, bei dem der Schadenseintritt nur noch vom Zufall abhängt. Zuletzt sind auch Vorsatz und Fahrlässigkeit relevante subjektive Tatbestandsmerkmale, wobei je nach Handlung beide möglich sind.

Wie wird die konkrete Gefahr im Rahmen des § 315c StGB juristisch festgestellt?

Die konkrete Gefahr unterscheidet sich von einer bloßen sog. abstrakten Gefahr dadurch, dass es im konkreten Fall fast zum Schadenseintritt gekommen wäre. Ausreichend ist laut Rechtsprechung, dass die Handlung des Täters unmittelbar zu einem kritischen Moment geführt hat, in dem der Eintritt eines Schadens an einem Menschen oder einer Fremdsache nur durch Zufall ausgeblieben ist. Typische Beispiele sind das Beinahe-Überfahren eines Fußgängers auf dem Zebrastreifen oder das Beinahezusammenstoßen mit einem anderen Fahrzeug beim Überholen in einer unübersichtlichen Kurve. Juristisch wird dies regelmäßig durch Zeugenaussagen, Spurenlage und ggf. schriftliche Gutachten rekonstruiert. Maßgeblich ist, dass die Gefahr unmittelbar war und über eine nur theoretische Möglichkeit hinausging.

Kann eine Verkehrsgefährdung auch nur durch Fahrlässigkeit verwirklicht werden?

Ja, gemäß § 315c Abs. 3 StGB ist eine Verkehrsgefährdung auch dann strafbar, wenn sie durch Fahrlässigkeit begangen wurde. Hierbei unterscheidet das Gesetz zwischen vorsätzlicher und fahrlässiger Gefährdung einzelner Tatbestandsvarianten (z.B. Fahren unter Alkoholeinfluss – stets strafbar auch bei Fahrlässigkeit). Fahrlässig handelt, wer die erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den Umständen verpflichtet und fähig ist. Verkehrsspezifisch bedeutet dies, dass die Person die möglichen Folgen ihrer Fahrweise nicht richtig einschätzt oder unsachgemäß handelt, ohne sich dessen vielleicht voll bewusst zu sein. Klassisch ist zum Beispiel das Übersehen eines Stoppschilds wegen Unachtsamkeit, gefolgt von einer konkreten Gefährdung eines anderen Verkehrsteilnehmers.

Was ist der Unterschied zwischen Verkehrsgefährdung und Gefährdung des Straßenverkehrs?

Im allgemeinen Sprachgebrauch werden diese Begriffe oft synonym verwendet, im rechtlichen Kontext ist mit „Gefährdung des Straßenverkehrs“ aber ganz spezifisch der Straftatbestand des § 315c StGB gemeint. Verkehrsgefährdung im weiteren Sinne kann jegliche Situation bezeichnen, in der der Straßenverkehr gefährdet wird – das umfasst auch Ordnungswidrigkeiten nach der Straßenverkehrsordnung (StVO) oder anderen speziellen Tatbeständen. Die Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315c StGB ist jedoch eng definiert und umfasst ausschließlich besonders schwerwiegende Verstöße, bei denen durch eine der abschließend aufgelisteten Handlungen eine konkrete Gefahr entstanden ist. Nur diese Handlungen werden strafrechtlich als Verbrechen oder Vergehen geahndet.

Welche Rolle spielt die Fahrerlaubnisentziehung nach einer Verkehrsgefährdung und wie erfolgt das Verfahren?

Nach einer rechtskräftigen Verurteilung wegen Gefährdung des Straßenverkehrs wird die Fahrerlaubnis in der Regel gemäß § 69 StGB zwingend entzogen, sofern sich aus der Tat ergibt, dass der Täter zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Mit Rechtskraft des Urteils wird die Fahrerlaubnis wirksam entzogen und der Führerschein eingezogen. Gleichzeitig wird vom Gericht eine Sperre für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis (Sperrfrist) festgesetzt, die zwischen sechs Monaten und fünf Jahren betragen kann. Nach Ablauf der Sperrfrist kann die Fahrerlaubnis auf Antrag neu erteilt werden, oft jedoch nur nach erfolgreichem Nachweis der Eignung durch eine bestandene MPU.

Welche Verteidigungsmöglichkeiten bestehen in einem Strafverfahren wegen Verkehrsgefährdung?

Im Strafverfahren wegen § 315c StGB ist die Verteidigung oft auf die Feststellung der konkreten Gefahr sowie die Darlegung fehlenden Vorsatzes/Fahrlässigkeit gerichtet. Möglich ist beispielsweise, dass der Nachweis einer konkreten Gefahr nicht erbracht werden kann oder Zweifel daran bestehen, ob tatsächlich eine anderen Personen oder Sachen von erheblichem Wert gefährdet wurden. Auch die Widerlegung einer der im Gesetz genannten gefährlichen Fahrhandlungen kann zum Erfolg führen – etwa indem nachgewiesen wird, dass der Beschuldigte gar nicht (wie behauptet) unter Alkoholeinfluss stand oder die Verkehrslage das Überholen doch zuließ. Nicht selten werden zudem Gutachten über den Unfallhergang oder über die Fahrtüchtigkeit eingeholt. Ein erfahrener Rechtsbeistand ist insbesondere wegen der drohenden schwerwiegenden Folgen (z.B. Entzug der Fahrerlaubnis, Eintrag ins Bundeszentralregister) ratsam.