Begriff und rechtliche Grundlagen der Verhinderungspflege
Die Verhinderungspflege ist ein Begriff aus dem deutschen Sozialrecht und bezeichnet eine Leistung der Pflegeversicherung nach § 39 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI). Sie dient der Unterstützung von pflegebedürftigen Personen, deren reguläre Pflegeperson beispielsweise aufgrund von Urlaub, Krankheit oder aus anderen Gründen vorübergehend an der Pflege gehindert ist. Die Pflegeversicherung übernimmt in diesem Zeitraum die Kosten für eine Ersatzpflege, um eine kontinuierliche Versorgung der pflegebedürftigen Person sicherzustellen.
Voraussetzungen für den Anspruch auf Verhinderungspflege
Pflegebedürftigkeit und Pflegegrad
Voraussetzung für den Bezug von Verhinderungspflege ist eine anerkannte Pflegebedürftigkeit im Sinne des SGB XI, mindestens mit Pflegegrad 2. Die Einstufung erfolgt durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) oder durch ein unabhängiges Gutachten. Zusätzlich muss die reguläre Pflegeperson die pflegebedürftige Person bereits mindestens sechs Monate in der häuslichen Umgebung gepflegt haben (§ 39 Satz 1 SGB XI).
Verhinderungsgründe der Pflegeperson
Die Verhinderung kann unter anderem aus folgenden Gründen erfolgen:
- Erholungsurlaub
- Krankheit
- andere persönliche Gründe (z. B. familiäre oder terminliche Verpflichtungen)
Antragsstellung und Nachweispflichten
Der Antrag auf Verhinderungspflege ist bei der zuständigen Pflegekasse zu stellen. Dem Antrag sind geeignete Nachweise zur Verhinderung der Pflegeperson beizufügen. Die Pflegekasse kann weitere Nachweise anfordern, um die Anspruchsberechtigung zu prüfen.
Leistungsumfang der Verhinderungspflege
Maximaler Leistungsbetrag und Zeitdauer
Die Leistung der Verhinderungspflege kann für maximal sechs Wochen (42 Kalendertage) pro Kalenderjahr beansprucht werden. Der finanzielle Höchstbetrag liegt bei bis zu 1.612 Euro je Kalenderjahr (§ 39 Satz 3 SGB XI). Die Erstattung erfolgt ausschließlich bis zu diesem Höchstwert, unabhängig von den konkreten Kosten der Ersatzpflege.
Erhöhung durch Übertragung von Kurzzeitpflegeanspruch
Es ist möglich, den nicht ausgeschöpften Betrag der Kurzzeitpflege zur Verhinderungspflege hinzuzurechnen. Dadurch kann sich der erstattungsfähige Höchstbetrag um bis zu 806 Euro auf insgesamt 2.418 Euro pro Kalenderjahr erhöhen (§ 39 Satz 4 SGB XI). Die für die Kurzzeitpflege beanspruchten Mittel werden dabei anteilig angerechnet.
Leistungsarten und Einsatzmöglichkeiten
Die Verhinderungspflege kann flexibel gestaltet werden, indem sie sowohl stundenweise als auch tageweise in Anspruch genommen wird. Eine stundenweise Inanspruchnahme wird vorrangig bei kürzeren Ausfallzeiten der Pflegeperson genutzt. Entsprechende Zeiträume werden auf die jährlichen Höchstgrenzen angerechnet.
Ersatzpflegepersonen und deren Vergütung
Zulässige Ersatzpflegepersonen
Als Ersatzpflegepersonen kommen sowohl professionelle Pflegekräfte als auch Privatpersonen (z. B. Verwandte, Freunde oder Nachbarn) in Frage. Wird die Pflege durch nahe Angehörige gemäß § 19 SGB XI übernommen (beispielsweise Eltern, Kinder oder Geschwister), sind die erstattungsfähigen Beträge auf das Niveau der nachgewiesenen Auslagen (z. B. Verdienstausfall, Fahrtkosten, Aufwandsentschädigungen) und maximal bis zu 1.612 Euro begrenzt. Bei nicht verwandten Personen oder professionellen Dienstleistern ist der volle Höchstbetrag ausschöpfbar.
Vergütungsregelungen und Nachweise
Für die Erstattung der Verhinderungspflege sind dem Antrag Nachweise über die Aufwendungen für die Ersatzpflegeperson beizufügen. Grundsätzlich gilt das Kostenerstattungsprinzip. Bei nahen Angehörigen ist zusätzlich ein Nachweis über tatsächlich entstandene Kosten erforderlich; freiwillige oder pauschale Zahlungen werden nur eingerechnet, wenn sie nachweislich und in angemessener Höhe erfolgt sind.
Verhältnis zur anderen Pflegeleistungen
Verhältnis zum Pflegegeld
Während der Verhinderungspflege wird das Pflegegeld für bis zu sechs Wochen im Kalenderjahr zur Hälfte weitergezahlt (§ 39 Satz 6 SGB XI). Die Fortzahlung der Geldleistung wird anteilig von der Pflegekasse vorgenommen.
Abgrenzung zur Kurzzeitpflege
Die Verhinderungspflege ist von der Kurzzeitpflege abzugrenzen, bei der pflegebedürftige Personen zeitweise vollstationär versorgt werden, in der Regel in einer Einrichtung. Im Unterschied dazu findet die Verhinderungspflege überwiegend im häuslichen Umfeld statt; eine vorübergehende Unterbringung in einer Einrichtung ist jedoch nicht grundsätzlich ausgeschlossen, sofern dadurch die Ersatzpflege sichergestellt wird.
Steuerliche Aspekte der Verhinderungspflege
Aufwandsentschädigungen und Vergütungen für pflegende Angehörige im Rahmen der Verhinderungspflege können unter bestimmten Voraussetzungen steuerfrei sein (§ 3 Nr. 36 Einkommensteuergesetz, EStG). Ebenso können pflegebedingte Kosten als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG geltend gemacht werden, sofern die individuellen Voraussetzungen hierfür vorliegen. Bei professionellen Pflegekräften gilt die übliche steuerliche Behandlung von Einkünften aus Erwerbstätigkeit.
Ausschlüsse und Besonderheiten
Entfall bei Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung
Ist die reguläre Pflegeperson nicht mindestens sechs Monate in der häuslichen Pflege tätig gewesen, besteht kein Anspruch auf Verhinderungspflege. Zudem ist die Leistung ausgeschlossen, wenn stattdessen andere vorrangige Sozialleistungen zur Pflege gewährt werden.
Keine Übertragung auf Folgejahr
Der Anspruch auf Verhinderungspflege verfällt mit Ablauf des Kalenderjahres, eine Übertragung nicht genutzter Ansprüche ist nicht möglich.
Bindung an das Pflegebedürftigkeitsverfahren
Die Anspruchsberechtigung setzt ein bestehendes Gutachten und die Anerkennung der Pflegebedürftigkeit voraus. Sofern dies nicht vorliegt, kann keine Verhinderungspflege beansprucht werden.
Gesetzliche Regelung
Die Verhinderungspflege ist in § 39 SGB XI geregelt. Zusätzliche Bestimmungen finden sich in den Allgemeinen Verwaltungsvorschriften der Pflegekassen sowie den Richtlinien des Medizinischen Dienstes und der Pflegekassen.
Hinweis: Die in diesem Artikel genannten Regelungen können durch Gesetzesänderungen oder Richtlinienanpassungen Veränderungen unterliegen. Es empfiehlt sich, bei der Pflegekasse oder zuständigen Stellen die aktuellen Anforderungen und Konditionen zu erfragen.
Häufig gestellte Fragen
Wer hat einen Anspruch auf Verhinderungspflege nach § 39 SGB XI?
Anspruch auf Verhinderungspflege haben pflegebedürftige Personen, die mindestens den Pflegegrad 2 besitzen und die häusliche Pflege durch eine nicht erwerbsmäßig tätige Pflegeperson (in der Regel Angehörige, Freunde oder Nachbarn) erfolgt. Voraussetzung ist, dass die Pflegeperson aufgrund von Urlaub, Krankheit oder aus anderen, vergleichbaren Gründen an der Pflege gehindert ist. Zudem muss die Pflegeperson die zu pflegende Person bereits mindestens sechs Monate in der häuslichen Umgebung gepflegt haben. Die Verhinderungspflege kann maximal für sechs Wochen (42 Kalendertage) pro Kalenderjahr beansprucht werden. Die rechtlichen Regelungen hierzu finden sich detailliert in § 39 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI).
Wie hoch ist der Leistungsanspruch auf Verhinderungspflege und welche Kosten werden übernommen?
Die Pflegekasse erstattet die im Rahmen der Verhinderungspflege entstandenen Kosten bis zu einem Höchstbetrag von 1.612 Euro pro Kalenderjahr. Unter bestimmten Voraussetzungen kann zusätzlich bis zu 50 % des Kurzzeitpflegebudgets (bis zu 806 Euro) auf die Verhinderungspflege übertragen werden, sodass sich der Maximalbetrag auf 2.418 Euro pro Jahr erhöhen kann. Zu den erstattungsfähigen Kosten zählen insbesondere Aufwendungen für Ersatzpflegekräfte, einschließlich Sozialabgaben, sowie Sachkosten (z. B. Fahrtkosten der Ersatzpflegeperson). Werden nahe Angehörige (<2. Grades) oder Haushaltsangehörige als Ersatzpflegeperson tätig, sind die Leistungen auf den nachgewiesenen Aufwand (wie Verdienstausfall, Fahrkosten) beschränkt und dürfen 1.612 Euro pro Jahr nicht überschreiten; weitere Aufwendungen werden nicht erstattet, sofern die Ersatzpflege nicht professionell geleistet wird.
In welchen Fällen und für welche Dauer kann die Verhinderungspflege beansprucht werden?
Verhinderungspflege kann beansprucht werden, wenn die Hauptpflegeperson vorübergehend – beispielsweise aufgrund von Urlaub, Krankheit, beruflichen oder familiären Verpflichtungen – an der Pflege gehindert ist. Der Zeitraum der Inanspruchnahme ist auf maximal sechs Wochen (42 Tage) pro Kalenderjahr begrenzt, unabhängig davon, ob die Verhinderungspflege am Stück oder in mehreren Zeitabschnitten in Anspruch genommen wird. Werden mehrere Ersatzpflegepersonen hintereinander tätig, wird die Gesamtdauer zusammengerechnet. Beginnt die Verhinderungspflege im alten Jahr und endet im neuen, so ist die Abrechnung jahresbezogen aufzuteilen.
Welche Formalitäten sind bei der Beantragung der Verhinderungspflege zu beachten?
Für die Beantragung von Verhinderungspflege ist grundsätzlich ein formloser Antrag bei der zuständigen Pflegekasse einzureichen. Der Antrag kann formlos erfolgen, muss aber Angaben zur Dauer, zum Anlass der Verhinderung und zur Ersatzpflegeperson enthalten. In der Regel fordert die Pflegekasse entsprechende Nachweise, etwa Belege über entstandene Kosten (z. B. Quittungen, Rechnungen) oder ggfs. eine formlose Bestätigung der Verhinderung durch die Hauptpflegeperson. Nach Prüfung gewährt die Pflegekasse die Leistungen rückwirkend, sofern eine Anspruchsgrundlage besteht und der Antrag dem Grunde nach vorliegt. Es gilt keine Ausschlussfrist innerhalb des laufenden Kalenderjahres, allerdings verjährt der Anspruch gemäß § 45 SGB I nach vier Jahren.
Wer kann als Ersatzpflegeperson im Rahmen der Verhinderungspflege eingesetzt werden?
Als Ersatzpflegeperson können sowohl nahe Angehörige bis zum zweiten Grad (Ehegatten, Lebenspartner, Eltern, Kinder, Schwiegereltern, Schwiegerkinder, Geschwister, Enkelkinder), als auch entfernte Angehörige oder nicht verwandte Personen eingesetzt werden. Ebenfalls möglich ist die Beauftragung eines ambulanten Pflegedienstes. Bei nahen Angehörigen oder Personen, die mit dem Pflegebedürftigen in einer häuslichen Gemeinschaft leben, wird nur der tatsächliche entstandene Aufwand (nachgewiesene Kosten) übernommen, nicht aber ein frei verhandelbares Pflegeentgelt. Anders verhält es sich bei nicht verwandten oder weiter entfernten Pflegepersonen; hier kann auch eine Vergütung für erbrachte Leistungen im Rahmen der Höchstbeträge gezahlt werden.
Welche Auswirkungen hat die Inanspruchnahme von Verhinderungspflege auf das Pflegegeld?
Während der Inanspruchnahme der Verhinderungspflege wird das Pflegegeld weitergezahlt, und zwar für bis zu sechs Wochen pro Kalenderjahr zur Hälfte des üblichen Betrags, sofern die Verhinderungspflege durch eine andere Person als einen professionellen ambulanten Dienst durchgeführt wird. Wird die Ersatzpflege durch einen ambulanten Pflegedienst mit Sachleistungsabrechnung erbracht, kann das Pflegegeld in dieser Zeit ganz ruhen. Bei tageweiser Inanspruchnahme (unter acht Stunden täglich) wird das Pflegegeld grundsätzlich in voller Höhe weitergewährt.
Welche Kombinationsmöglichkeiten bestehen zwischen Verhinderungspflege und Kurzzeitpflege?
Leistungsansprüche aus der Verhinderungspflege und der Kurzzeitpflege können miteinander kombiniert werden. Bis zu 50 % des nicht ausgeschöpften Budgets für Kurzzeitpflege (bis zu 806 Euro jährlich) können zur Aufstockung der Verhinderungspflege genutzt werden. Das heißt, wird die Kurzzeitpflege im Kalenderjahr nicht vollständig beansprucht, kann der ungenutzte Betrag anteilig auf den Höchstbetrag der Verhinderungspflege übertragen werden. Umgekehrt ist es nicht möglich, Mittel der Verhinderungspflege für die Kurzzeitpflege zu verwenden. Die gesetzlichen Grundlagen hierfür finden sich in § 39 Abs. 1 Satz 3 SGB XI sowie § 42 SGB XI.