Begriff und Definition des Vergeltungsschlags
Der Begriff Vergeltungsschlag bezeichnet im weitesten Sinne eine Handlung, mit der auf eine vorangegangene Verletzung, Angriffshandlung oder einen Rechtsbruch mit eigenen Maßnahmen geantwortet wird, die oftmals als Gegenmaßnahme gerechtfertigt werden sollen. In rechtlichen Kontexten, insbesondere im Völkerrecht und im nationalen Recht, hat der Begriff jedoch eine engere, spezifische Bedeutung, die durch nationale und internationale Vorschriften eingehegt wird.
Ein Vergeltungsschlag wird häufig mit dem Ziel umgesetzt, einen zuvor erlittenen Schaden oder Angriff zu vergelten, ein weiteres Fehlverhalten zu verhindern oder abzuschrecken. Rechtlich ist die Zulässigkeit, Notwendigkeit und Angemessenheit eines Vergeltungsschlags in vielfältiger Weise eingeschränkt und unterliegt strengen Voraussetzungen.
Vergeltungsschlag im Völkerrecht
Grundlagen und historische Entwicklung
Im Völkerrecht wird der Vergeltungsschlag traditionell als Repressalie oder Retorsion bezeichnet. Hierbei handelt es sich um Maßnahmen, die ein Staat als Antwort auf völkerrechtswidriges Verhalten eines anderen Staates ergreift. Bereits im 19. Jahrhundert wurden solche Handlungen in der internationalen Praxis beobachtet und sind seitdem Gegenstand völkerrechtlicher Überlegungen.
Die Bedeutung des Vergeltungsschlags hat sich im Zuge der Entwicklung völkerrechtlicher Kodifikationen, insbesondere nach Inkrafttreten der Charta der Vereinten Nationen 1945, maßgeblich gewandelt. Die uneingeschränkten Rechte auf Vergeltung wurden zugunsten einer internationalen Friedensordnung erheblich beschränkt.
Retorsionen und Repressalien
Im Völkerrecht werden unter Vergeltungsschlägen zwei Formen unterschieden:
- Retorsion: Hierbei handelt es sich um unfreundliche, aber rechtmäßige Maßnahmen eines Staates, wie beispielsweise das Abbrechen diplomatischer Beziehungen oder wirtschaftlicher Sanktionen.
- Repressalie: Diese bezeichnet eine an sich völkerrechtswidrige Maßnahme, die jedoch als Gegenreaktion auf einen vorausgehenden Völkerrechtsbruch eines anderen Staates unter bestimmten Voraussetzungen für zulässig gehalten wird.
Voraussetzungen für die Zulässigkeit von Repressalien
Nicht jede Vergeltungshandlung ist völkerrechtlich erlaubt. Insbesondere für Repressalien gelten folgende Bedingungen:
- Vorheriger Völkerrechtsverstoß des betroffenen Staates
- Erfolglose Aufforderung zur Beendigung und Wiedergutmachung des ursprünglichen Völkerrechtsverstoßes
- Verhältnismäßigkeit der Repressalie, sie darf nicht außer Verhältnis zur vorangegangenen Rechtsverletzung stehen
- Nichtanwendung im bewaffneten Konflikt: Das humanitäre Völkerrecht (Haager Landkriegsordnung, Genfer Abkommen) schränkt im Kriegsfall die Zulässigkeit von Repressalien strikt ein.
Vergeltungsschlag und Selbstverteidigung
Der Unterschied zwischen einem Vergeltungsschlag und der Selbstverteidigung ist im Völkerrecht von zentraler Bedeutung. Während die Selbstverteidigung (Art. 51 UN-Charta) einen unmittelbaren Angriff abwehrt, handelt es sich beim Vergeltungsschlag um eine Antwort auf einen bereits abgeschlossenen Angriff. Ein reiner Vergeltungsschlag ist nach Artikel 2 Nr. 4 und Artikel 51 der UN-Charta grundsätzlich unzulässig.
Verbot des bewaffneten Vergeltungsschlags
Mit Einführung der UN-Charta wurde das rechtmäßige Führen von Kriegen, insbesondere als Vergeltung, weitgehend untersagt. Ein bewaffneter Vergeltungsschlag – also der Einsatz von militärischer Gewalt als Antwort auf vorangegangene militärische Rechtsverletzungen – ist grundsätzlich verboten. Ausnahmen bestehen lediglich im Rahmen von Selbstverteidigung oder auf Grundlage eines Sicherheitsratsmandats.
Vergeltungsschlag im nationalen Recht
Strafrecht
Im nationalen Strafrecht findet der Begriff Vergeltungsschlag keine eigenständige Regelung, dennoch taucht die Problematik im Zusammenhang mit Rechtfertigungsgründen für Notwehr und Nothilfe auf. Das Strafgesetzbuch kennt keine eigenständige Befugnis zur „Vergeltung“ eines erlittenen Unrechts; vielmehr ist das Ziel des staatlichen Gewaltmonopols, Selbstjustiz zu verhindern.
- Notwehr (§ 32 StGB): Notwehr ist ausschließlich zur Gegenwehr gegen einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff erlaubt und deckt keinen nachträglichen Vergeltungsschlag.
- Notstand (§ 34 StGB): Der rechtfertigende Notstand ist ebenfalls nur unter engen Voraussetzungen gegeben und erlaubt keine nachträgliche Strafaktion.
Ein Vergeltungsschlag außerhalb der gesetzlichen Schranken stellt eine rechtswidrige Selbstjustiz dar und ist straf- sowie zivilrechtlich verboten.
Privatrecht
Im Zivilrecht existiert kein Raum für Vergeltungshandlungen. Geschädigte können ihre Rechte ausschließlich über geordnete Verfahren vor Gerichten oder Behörden durchsetzen. Eigenmächtige Vergeltungshandlungen, wie Sachbeschädigungen oder Körperverletzungen als „Rache“, sind unzulässig und führen regelmäßig zu Schadensersatzansprüchen und weiteren rechtlichen Konsequenzen.
Aktuelle rechtliche Problematiken und Streitfragen
Cyber-Vergeltungsschlag
Mit dem Aufkommen cyberphysischer Angriffe wird die völkerrechtliche und nationale Bewertung von „Cyber-Vergeltungsschlägen“ zunehmend diskutiert. Hier stellt sich insbesondere die Frage, ob auf Cyberangriffe mit eigenen Angriffshandlungen geantwortet werden darf und unter welchen Voraussetzungen dies als zulässig gelten könnte. Nach herrschender Auffassung gelten die allgemeinen Grundsätze des Gewaltverbots und die genannten Einschränkungen analog.
Vergeltungsschlag im Strafprozess
Auch im Rahmen des Strafprozesses sind eigenmächtige Vergeltungshandlungen ausgeschlossen. Vielmehr gilt das staatliche Gewaltmonopol. Die eigenmächtige Ahndung von Verletzungen oder Angriffen ist unabhängig von der Beweggrund als unzulässig anzusehen.
Zusammenfassung und praktische Bedeutung
Der Vergeltungsschlag stellt sowohl im Völkerrecht als auch im nationalen Recht keine frei verfügbare oder beliebig einsetzbare Gegenmaßnahme dar. Während das Völkerrecht nur unter sehr restriktiven Voraussetzungen bestimmte Repressalien erlaubt und militärische Vergeltungsschläge grundsätzlich verbietet, kennt das nationale Recht keinen Rechtfertigungsgrund, der eigenmächtige „Vergeltungshandlungen“ legitimieren könnte. Vielmehr ist die Rechtsdurchsetzung staatlichen Stellen vorbehalten, wobei Verstöße regelmäßig straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Literatur und weiterführende Links
- Internationales Komitee vom Roten Kreuz (IKRK): Handbuch zum humanitären Völkerrecht
- Bruno Simma (Hrsg.): Charta der Vereinten Nationen, Kommentar
- Stefan Talmon: Repressalien im Völkerrecht
- Bundeszentrale für politische Bildung: Gewaltverbot und Selbstverteidigung im Völkerrecht
Hinweis: Diese Darstellung dient ausschließlich der allgemeinen Information über die rechtlichen Hintergründe des Begriffs „Vergeltungsschlag“. Sie stellt keine Rechtsberatung dar.
Häufig gestellte Fragen
Was unterscheidet einen Vergeltungsschlag völkerrechtlich von einer Selbstverteidigung?
Im Völkerrecht ist zwischen Selbstverteidigung und Vergeltungsschlag (Repressalie) strikt zu unterscheiden. Die Selbstverteidigung ist nach Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen ausdrücklich als Recht anerkannt, wenn ein Staat Opfer eines bewaffneten Angriffs wird. Hierbei ist entscheidend, dass die Verteidigungshandlung notwendig, verhältnismäßig und unverzüglich erfolgt und darauf abzielt, eine akute Bedrohung abzuwehren. Ein Vergeltungsschlag hingegen dient nicht der Abwehr eines aktuellen Angriffs, sondern reagiert auf eine bereits erfolgte Handlung, um diese zu vergelten, zu bestrafen oder abzuschrecken. Das Völkerrecht verbietet derartige Repressalien, zumindest wenn sie in Form von Gewalt gegen die territoriale Unversehrtheit oder politische Unabhängigkeit eines anderen Staates ausgeführt werden (vgl. Gewaltverbot in Art. 2 Abs. 4 UN-Charta). Demnach ist ein Vergeltungsschlag, anders als die Selbstverteidigung, im Regelfall unzulässig.
Unter welchen Bedingungen kann ein Vergeltungsschlag völkerrechtlich legalisiert werden?
Das Völkerrecht erlaubt grundsätzlich keine bewaffneten Vergeltungsschläge. Der UN-Sicherheitsrat kann jedoch im Rahmen von Kapitel VII der UN-Charta militärische Zwangsmaßnahmen als Reaktion auf einen Bruch des Weltfriedens autorisieren. Solche Maßnahmen sind jedoch nicht als Vergeltung im eigentlichen Sinn zu verstehen, sondern dienen dem Schutz des Friedens und der internationalen Sicherheit. Im Sinne der sogenannten Retorsion sind nicht-gewaltsame Maßnahmen wie diplomatische oder wirtschaftliche Sanktionen als Reaktion auf rechtswidriges Verhalten ebenfalls zulässig. Bewaffnete Vergeltungsschläge sind hingegen nur in extrem seltenen Ausnahmefällen erlaubt, etwa wenn der Sicherheitsrat sie ausdrücklich genehmigt oder falls sie unter die Ausnahmen der Selbstverteidigung gemäß Art. 51 UN-Charta fallen, was allerdings von der Völkerrechtswissenschaft mehrheitlich abgelehnt wird.
Gibt es Unterschiede zwischen humanitärem Völkerrecht und allgemeinem Völkerrecht bezüglich Vergeltungsschlägen?
Ja, das humanitäre Völkerrecht (insbesondere das Genfer Abkommen und seine Zusatzprotokolle) stellt besondere Anforderungen an Vergeltungsschläge, sogenannte Repressalien, während bewaffneter Konflikte. Solche Repressalien sind in modernen bewaffneten Konflikten größtenteils verboten, insbesondere gegen Zivilpersonen, Kriegsgefangene, Verwundete und Sanitätspersonal. Selbst in Situationen, in denen Repressalien grundsätzlich theoretisch möglich wären, gelten enge Grenzen: Sie dürfen nur als ultima ratio (letztes Mittel) erfolgen, müssen verhältnismäßig und zielgerichtet gegen den militärischen Gegner gerichtet sein. Das allgemeine Völkerrecht jedoch, vor allem durch die UN-Charta, untersagt praktisch jegliche Form der Gewaltanwendung als Vergeltung zwischen Staaten.
Wie beurteilen internationale Gerichte Vergeltungsschläge?
Internationale Gerichte wie der Internationale Gerichtshof (IGH) haben sich in mehreren Grundsatzurteilen gegen die Zulässigkeit militärischer Vergeltungsschläge ausgesprochen. In dem sogenannten Ölplattformen-Fall (Iran vs. USA, 2003) stellte der IGH klar, dass Maßnahmen, die als Reaktion auf einen Angriff allein der Vergeltung dienen – also keine unmittelbare Notwendigkeit zur Verteidigung erfüllen – nicht als legitime Selbstverteidigung betrachtet werden können. Der IGH betont regelmäßig, dass das Gewaltverbot in der UN-Charta auch für „Vergeltungsangriffe“ uneingeschränkt gilt. Lediglich im Einzelfall können nicht-gewaltsame Gegenmaßnahmen unter bestimmten Voraussetzungen legitim sein.
Sind Vergeltungsschläge im innerstaatlichen Recht zulässig?
Das innerstaatliche Recht orientiert sich meist an den grundlegenden Vorgaben des Völkerrechts, insbesondere, wenn es sich um die Anwendung von Gewalt im internationalen Rahmen handelt, wie etwa beim Einsatz von Streitkräften. Allerdings kann der Begriff des „Vergeltungsschlags“ im inneren Recht, wie etwa im Strafrecht, abweichend genutzt werden, zum Beispiel als strafbare Selbstjustiz oder Racheakt. Im staatlichen Handeln, etwa durch Polizei oder Militär, ist eine rechtliche Grundlage sowie die Beachtung von Grundrechten und Verhältnismäßigkeit unabdingbar, sodass ein Vergeltungsschlag ohne unmittelbare Notwehrsituation als unzulässig gilt.
Welche Konsequenzen drohen bei völkerrechtswidrigen Vergeltungsschlägen?
Staaten, die gegen das Gewaltverbot der UN-Charta verstoßen, indem sie völkerrechtswidrige Vergeltungsschläge ausführen, können von der internationalen Gemeinschaft mit einer Vielzahl von Konsequenzen belegt werden. Dazu zählen politische und wirtschaftliche Sanktionen, diplomatische Isolation, sowie die Möglichkeit, zur Verantwortung vor dem Internationalen Gerichtshof gezogen zu werden. Darüber hinaus besteht für Personen, die für rechtswidrige Vergeltungsschläge verantwortlich sind – etwa Staatsoberhäupter oder Militärbefehlshaber -, die Gefahr, wegen Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor dem Internationalen Strafgerichtshof angeklagt zu werden. Langfristig kann ein solcher Verstoß das internationale Ansehen und die Beziehung zu anderen Staaten erheblich beschädigen.