Begriff und Anwendungsbereich der Vergabeverordnung
Die Vergabeverordnung (kurz VgV) stellt eine zentrale Verordnung im deutschen Vergaberecht dar. Sie regelt die Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge oberhalb der EU-Schwellenwerte und konkretisiert insbesondere die Vorschriften des Teils 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Ziel der Vergabeverordnung ist die Sicherstellung eines wettbewerblichen, transparenten, nichtdiskriminierenden sowie effizienten Vergabeverfahrens für Liefer-, Dienstleistungs- und Bauaufträge der öffentlichen Hand.
Rechtsgrundlagen und europarechtlicher Kontext
Entstehung und Entwicklung
Die Vergabeverordnung hat ihre gesetzliche Grundlage im § 113 GWB. Sie wurde erstmals im Rahmen der umfassenden Reform des Vergaberechts 2016 neu gefasst und gliedert sich seither in mehrere Abschnitte, die die unterschiedlichen Auftragsarten strukturieren. Die geltende Fassung ist seit dem 18. April 2016 in Kraft und wurde zuletzt durch verschiedene Novellen an aktuelle rechtliche und vergabepolitische Anforderungen angepasst.
Bedeutung im europäischen Vergaberecht
Die Vergabeverordnung dient der Umsetzung verschiedener europäischer Richtlinien in nationales Recht, insbesondere der Richtlinie 2014/24/EU über die öffentliche Auftragsvergabe. Sie schafft somit die verbindlichen Rahmenbedingungen, nach denen öffentliche Auftraggeber in Deutschland Aufträge oberhalb der EU-Schwellenwerte vergeben müssen.
Anwendungsbereich der Vergabeverordnung
Öffentliche Auftraggeber und Sektorenauftraggeber
Die Vergabeverordnung gilt für alle öffentlichen Auftraggeber, einschließlich Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts sowie verbundene Unternehmen der öffentlichen Hand. Für Sektorenauftraggeber, die in besonderen Sektoren (z.B. Wasser, Energie, Verkehr, Post) tätig sind, enthält die SektVO (Sektorenverordnung) eigenständige Regelungen, welche auf die VgV verweisen oder diese ergänzen können.
Auftragsarten
- Liefer- und Dienstleistungsaufträge: Die VgV findet für die Vergabe dieser Leistungen Anwendung, wenn der geschätzte Auftragswert den EU-Schwellenwert überschreitet.
- Bauaufträge: Für Bauaufträge oberhalb der Schwellenwerte gilt ergänzend die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB/A, Abschnitt 2) in Verbindung mit der VgV.
Struktur und wesentliche Inhalte der Vergabeverordnung
Hauptabschnitte
Die VgV gliedert sich in mehrere Abschnitte, darunter allgemeine Bestimmungen, Vorschriften zu einzelnen Verfahrensarten sowie besondere Regelungen zu bestimmten Leistungen (z.B. soziale und andere besondere Dienstleistungen).
Grundsätze und Verfahrensarten
Transparenz und Gleichbehandlung
Die Vergabeverordnung verpflichtet den öffentlichen Auftraggeber zu einem transparenten Verfahren, das die Gleichbehandlung aller Bieter sicherstellt. Diskriminierungen sind gemäß § 97 GWB sowie den entsprechenden Vorgaben der VgV unzulässig.
Verfahrensarten
Die VgV schreibt verschiedene Vergabeverfahren vor, darunter das offene Verfahren, das nicht offene Verfahren mit Teilnahmewettbewerb, das Verhandlungsverfahren und den wettbewerblichen Dialog. Die Wahl des Vergabeverfahrens richtet sich nach dem konkreten Auftragsgegenstand sowie den gesetzlichen Vorgaben.
Bekanntmachung und Mitteilungspflichten
Aufträge sind grundsätzlich europaweit im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union bekanntzumachen. Die Vergabeverordnung regelt detailliert den Inhalt, die Form und den Ablauf der Bekanntmachung.
Eignung und Zuschlagskriterien
Eignungsprüfung
Die Überprüfung der Eignung der Bieter erfolgt auf Grundlage objektiver, nicht diskriminierender und im Voraus bekannter Kriterien. Dazu gehören insbesondere die wirtschaftliche, finanzielle, technische und berufliche Leistungsfähigkeit.
Zuschlagskriterien
Die Auswahl des wirtschaftlichsten Angebots erfolgt anhand nachvollziehbarer Zuschlagskriterien, die der öffentlichen Auftraggeber eindeutig und transparent im Vorfeld des Verfahrens festlegen muss. Neben dem Preis können auch qualitative, umweltbezogene oder soziale Kriterien herangezogen werden.
Vertragsbedingungen und Nachprüfungsverfahren
Vertragsbedingungen
Die Vergabeverordnung erlaubt es Auftraggebern, bestimmte Ausführungsbedingungen zu verlangen, wie beispielsweise soziale oder ökologische Anforderungen. Diese müssen jedoch im Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand stehen und transparent kommuniziert werden.
Nachprüfungsverfahren
Unterlegene Bieter können den Ablauf der Vergabe und die Einhaltung der Vorschriften der VgV in einem Nachprüfungsverfahren durch die Vergabekammern und anschließend die Oberlandesgerichte überprüfen lassen.
Besonderheiten und aktuelle Entwicklungen
Innovation und Digitalisierung
Die VgV trägt der fortschreitenden Digitalisierung Rechnung, indem die elektronische Kommunikation im Vergabeverfahren verpflichtend ist. Die elektronische Angebotsabgabe und Kommunikation ist seit April 2018 bindend vorgeschrieben.
Nachhaltigkeit im Vergabeverfahren
Nachhaltigkeitsaspekte gewinnen im Rahmen der VgV zunehmend an Bedeutung. Auftraggeber werden ermutigt, ökologische sowie soziale Kriterien stärker in die Auftragsvergabe einzubinden, sofern diese mit dem Auftragsgegenstand im Zusammenhang stehen.
Anpassungen und Ausnahmen
Die Vergabeverordnung sieht für bestimmte Auftragsarten und in Ausnahmefällen Erleichterungen oder besondere Verfahren vor, etwa bei Dringlichkeit oder bei besonderen nationalen Sicherheitsbelangen.
Verhältnis zu weiteren vergaberechtlichen Vorschriften
Die Vergabeverordnung steht in enger Wechselwirkung mit weiteren Rechtsvorschriften des deutschen und europäischen Vergaberechts. Ergänzende Vorschriften regeln beispielsweise die Vergabe öffentlicher Bauaufträge (VOB/A), die Vergabe von Sektorenaufträgen (SektVO) sowie von Konzessionen (Konzessionsvergabeverordnung – KonzVgV).
Bedeutung in Praxis und Rechtsprechung
Die Vergabeverordnung ist maßgebliche Rechtsgrundlage für die Durchführung von Vergabeverfahren durch öffentliche Auftraggeber. Sie wird kontinuierlich in der Rechtsprechung ausgelegt und weiterentwickelt. Die Einhaltung der VgV ist wesentliche Voraussetzung für die Rechtssicherheit und Nachvollziehbarkeit von Vergabeentscheidungen.
Literaturquellen und weiterführende Informationen
Die Vergabeverordnung und ihre praktische Anwendung sind Gegenstand umfangreicher Fachliteratur sowie Veröffentlichung durch die öffentliche Verwaltung. Die Textfassungen der VgV, einschlägige Rechtsprechung sowie Informationen zur Schwellenwertentwicklung sind im Bundesanzeiger, auf den Internetseiten des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) sowie beim Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union abrufbar.
Hinweis: Die Vergabeverordnung ist eine dynamische Rechtsmaterie, die durch Änderungen des europäischen und nationalen Rechtsrahmens kontinuierlich fortentwickelt wird. Für die Anwendung im Einzelfall empfiehlt sich stets die Berücksichtigung der aktuellen Gesetzes- und Verordnungslage.
Häufig gestellte Fragen
Welche Rolle spielt die Vergabeverordnung (VgV) im deutschen Vergaberecht?
Die Vergabeverordnung (VgV) bildet das zentrale Regelwerk für die Vergabe öffentlicher Aufträge im sogenannten Oberschwellenbereich, also bei Überschreiten bestimmter EU-Schwellenwerte. Sie setzt in Deutschland insbesondere die europäischen Richtlinien zur öffentlichen Auftragsvergabe (insb. Richtlinie 2014/24/EU) um und regelt einheitlich das Verfahren für die Vergabe von Liefer-, Dienstleistungs- und Bauaufträgen öffentlicher Auftraggeber nach dem vierten Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Die VgV legt dabei detailliert die Anforderungen an das Vergabeverfahren fest – von der Bekanntmachung bis zur Zuschlagserteilung -, konkretisiert die Grundsätze von Transparenz, Gleichbehandlung und Wettbewerbsförderung und bestimmt auch spezielle Erfordernisse wie etwa die Dokumentation, die Eignungsprüfung, den Umgang mit Bietergemeinschaften sowie die Möglichkeiten der Nachprüfung durch die Vergabekammern und Oberlandesgerichte. Zudem regelt sie Ausnahmen, beispielsweise für sogenannte Inhouse-Vergaben. Insgesamt schafft die VgV verbindliche rechtliche Rahmenbedingungen für Auftraggeber und Bieter, um faire sowie nachvollziehbare Vergabeverfahren zu gewährleisten.
Wer ist vom Anwendungsbereich der Vergabeverordnung erfasst?
Die Vergabeverordnung gilt für alle öffentlichen Auftraggeber im Sinne des § 99 GWB, wozu Bund, Länder, Gemeinden, juristische Personen des öffentlichen Rechts sowie insbesondere Sektorenauftraggeber zählen, soweit diese bei der Vergabe öffentlicher Aufträge tätig werden und der Auftragswert die einschlägigen EU-Schwellenwerte erreicht oder überschreitet. Weiterhin erstreckt sich der Anwendungsbereich auf Vergabeverfahren für Liefer-, Dienstleistungs- und Bauaufträge, die unter die Richtlinien 2014/24/EU (klassische Aufträge) und 2014/25/EU (Sektorenvergaben) fallen. Nicht erfasst sind Aufträge unterhalb der Schwellenwerte, sogenannte Unterschwellenaufträge, auf welche die Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) oder die VOB/A Anwendung finden. Ausgenommen sind auch bestimmte Auftragsarten wie verteidigungs- und sicherheitsrelevante Beschaffungen, für die separate Regelungen wie die VSVgV gelten, oder Fälle, die explizit vom Anwendungsbereich nach §§ 107 ff. GWB und §§ 106, 116 VgV ausgenommen sind (z.B. Vergaben an verbundene Unternehmen oder im Rahmen öffentlicher Auftragskooperationen).
Wie wirkt sich die Vergabeverordnung auf das Nachprüfungsverfahren aus?
Die VgV beeinflusst das Nachprüfungsverfahren maßgeblich, indem sie detaillierte Anforderungen an die Vergabedokumentation, Transparenz- und Informationspflichten sowie Fristen stellt, die im Streitfalle Gegenstand der rechtlichen Prüfung durch die Vergabekammern nach § 155 GWB und gegebenenfalls der Oberlandesgerichte sind. Bewerber oder Bieter, die sich durch eine Verletzung der Bestimmungen der VgV in ihren Rechten beeinträchtigt sehen, können ein Nachprüfungsverfahren nach den §§ 160 ff. GWB anstrengen. Im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens wird insbesondere überprüft, ob das Vergabeverfahren entsprechend den formellen und materiellen Vorgaben der VgV ordnungsgemäß durchgeführt wurde – etwa im Hinblick auf die Veröffentlichungspflichten, die Eignungsprüfung, die Auswahl der Zuschlagskriterien oder die Behandlung von Bieterfragen und Nachweisen. Die Einhaltung der Vergabeverordnung ist damit maßgeblicher Maßstab für die Revisionsinstanzen und beeinflusst wesentlich die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des gesamten Vergabeverfahrens.
Welche Dokumentationspflichten schreibt die Vergabeverordnung vor?
Die VgV normiert in § 8 und weiteren Vorschriften umfangreiche Dokumentationspflichten für öffentliche Auftraggeber. Sie sind verpflichtet, sämtliche wesentlichen Vorgänge, Entscheidungen und Überlegungen im Zusammenhang mit dem Vergabeverfahren vollständig, nachvollziehbar und fortlaufend zu dokumentieren. Die Dokumentationspflicht erstreckt sich u.a. auf die Wahl des Verfahrens, die Eignungs- und Zuschlagskriterien, die Prüfung und Wertung der Angebote, Auskünfte an Bieter sowie alle wesentlichen Schritte bis zur Zuschlagsentscheidung. Diese Dokumentation muss so beschaffen sein, dass sie zur Überprüfung durch Nachprüfungsinstanzen herangezogen werden kann und eine nachträgliche Rekonstruktion des Verfahrensgangs ermöglicht. Verstöße gegen diese Pflichten können die Vergabeentscheidung rechtswidrig machen und führen insbesondere im Rahmen von Nachprüfungsverfahren regelmäßig zur Beanstandung.
In welchen Fällen finden Ausnahmeregelungen nach der Vergabeverordnung Anwendung?
Ausnahmeregelungen finden in der VgV vor allem in spezifischen Konstellationen Anwendung, die im Einzelnen in §§ 14, 15 und weiteren Regelungen vorgesehen sind. So kann von einem offenen oder nicht offenen Verfahren etwa dann abgewichen werden, wenn besondere Dringlichkeit besteht, bestimmte Leistungen nur von einem Unternehmen erbracht werden können (Ausschließlichkeitsrechte) oder Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen betroffen sind, die nicht in den kommerziellen Regelungsbereich fallen. Weitere Ausnahmen betreffen beispielsweise Inhouse-Vergaben, bei denen ein öffentlicher Auftraggeber mit einer kontrollierten Gesellschaft einen Auftrag ohne förmliches Vergabeverfahren vergeben kann, sofern die Voraussetzungen (u.a. Kontrolle und wesentliche Tätigkeit für den Auftraggeber) erfüllt sind. Zudem werden bestimmte Arten von sozialen und anderen besonderen Dienstleistungen nach Abschnitt 4 VgV eigenen Regelungen unterworfen, um den Besonderheiten dieser Sektoren Rechnung zu tragen.
Welche Informations- und Mitteilungspflichten bestehen gegenüber den Bietern?
Die Vergabeverordnung verpflichtet öffentliche Auftraggeber hierzu, alle wesentlichen Informationen, insbesondere zu den Vergabebedingungen, den Eignungskriterien und den Zuschlagskriterien, in der Auftragsbekanntmachung oder den Vergabeunterlagen bereitzustellen. Während und nach Abschluss des Verfahrens sind gemäß § 134 GWB und relevanten VgV-Regelungen die unterlegenen Bieter rechtzeitig und transparent über den geplanten Zuschlag, die Gründe für die Ablehnung ihres Angebots und auf Antrag über die wesentlichen Merkmale des erfolgreichen Angebots zu informieren. Diese Informationspflichten dienen nicht nur der Transparenz und Nachvollziehbarkeit, sondern lösen zudem wichtige Fristen für den Rechtsschutz aus (insbesondere die Stillhaltefrist nach § 134 GWB, die für eine mögliche Nachprüfung relevant ist). Verstöße gegen diese Mitteilungspflichten können zur Unwirksamkeit des erteilten Zuschlags führen.
Wie werden Nachhaltigkeitskriterien und soziale Aspekte nach der VgV berücksichtigt?
Nach § 97 Abs. 3 GWB und den einschlägigen Vorschriften der VgV können Auftraggeber bei der Festlegung der Zuschlagskriterien auch umweltbezogene, soziale und innovative Aspekte berücksichtigen, sofern diese mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen und im Vergabeverfahren diskriminierungsfrei angewendet werden. Die VgV konkretisiert, dass Auftraggeber insbesondere Anforderungen an die Ausführung des Auftrags stellen können, um ökologische, soziale oder nachhaltige Ziele zu fördern (z.B. Energieeffizienz, umweltfreundliche Produktionsverfahren, Tariftreue oder Gleichstellungsaspekte). Diese Kriterien müssen bereits in den Vergabeunterlagen festgelegt werden und dürfen die Wettbewerbsgrundsätze (wie Transparenz und Gleichbehandlung) nicht verletzen. Die Berücksichtigung solcher Kriterien wird zunehmend zur Pflicht, etwa durch die Vorgaben des Bundes-Klimaschutzgesetzes oder der europäischen Green Public Procurement-Initiativen.
Welche Bedeutung kommt den elektronischen Vergabeverfahren in der VgV zu?
Die VgV schreibt in § 11 die verpflichtende Nutzung elektronischer Mittel für die Kommunikation und den Informationsaustausch im Vergabeverfahren vor. Das betrifft das Hochladen und Einreichen von Angeboten, die Kommunikation sowie weitere Verfahrensdokumente. Ziel ist die Erhöhung von Effizienz, Transparenz und Nachprüfbarkeit im Vergabeprozess. Öffentliche Auftraggeber sind verpflichtet, geeignete elektronische Vergabeplattformen vorzuhalten und sicherzustellen, dass die Integrität und Vertraulichkeit der Daten gewährleistet ist. Ausnahmen von der elektronischen Form sind nur in ausdrücklich in der VgV vorgesehenen Fällen (z.B. bei bestimmten sicherheitsrelevanten Aufträgen oder technischen Unmöglichkeiten) zulässig. Verstöße gegen die Pflicht zur elektronischen Durchführung können, sofern ein Bieter hierdurch benachteiligt wird, zur Unwirksamkeit des Verfahrens führen.