Begriff und Bedeutung der Vergabekammer
Die Vergabekammer ist eine unabhängige, staatliche Einrichtung zur Überprüfung von Vergabeverfahren im öffentlichen Auftragswesen. Sie dient dem effektiven Rechtsschutz von Unternehmen gegenüber Vergabestellen, die im Rahmen der Vergabe öffentlicher Aufträge nationales und europäisches Vergaberecht anzuwenden haben. Die Einrichtung und Arbeitsweise von Vergabekammern ist hauptsächlich im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), insbesondere in den §§ 155 ff. GWB, geregelt. Sie sind förmliche Rechtsschutzinstanzen und spielen eine zentrale Rolle bei der Wahrung fairer Wettbewerbsbedingungen und der Rechtskontrolle des Vergabeverfahrens.
Rechtsgrundlagen der Vergabekammer
Gesetzliche Verankerung
Die Vergabekammern sind in Deutschland gemäß § 155 GWB eingerichtet. Die Ausführung obliegt den Ländern und dem Bund. Es existieren sowohl Bundesvergabekammern als auch Landesvergabekammern. Die Bundesvergabekammern sind beim Bundeskartellamt angesiedelt (§ 159 GWB), während die Landesvergabekammern regelmäßig bei den jeweiligen Regierungspräsidien oder Landeskartellbehörden angesiedelt sind.
Aufgabenzuweisung
Die Vergabekammern sind für die Überprüfung öffentlicher Vergabeverfahren zuständig, sofern der Auftragswert des betroffenen Auftrags die Schwellenwerte der EU-Vergaberichtlinien übersteigt (Oberschwellenbereich). Ihre Aufgabe ist die Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Entscheidungen öffentlicher Auftraggeber im Rahmen der Vergabe von Liefer-, Dienstleistungs- und Bauaufträgen sowie von Konzessionen.
Zuständigkeit und Verfahren
Sachliche und örtliche Zuständigkeit
Die sachliche Zuständigkeit der Vergabekammern umfasst die Nachprüfung von Vergabeverfahren ab Überschreiten der jeweils geltenden EU-Schwellenwerte. Im Unterschwellenbereich sind sie grundsätzlich nicht zuständig, es sei denn, Landesrecht sieht abweichende Regelungen vor. Die örtliche Zuständigkeit richtet sich meistens nach dem Sitz des Auftraggebers.
Antrag auf Nachprüfung
Unternehmen, die sich in ihren Rechten durch Entscheidungen des öffentlichen Auftraggebers in einem Vergabeverfahren verletzt fühlen, können nach § 160 Abs. 1 GWB einen Nachprüfungsantrag bei der zuständigen Vergabekammer stellen. Der Antrag ist schriftlich und begründet einzureichen.
Formerfordernisse und Fristen
Der Antrag ist vor Vertragsschluss einzureichen. Bestimmte Rüge- und Antragsfristen sind bindend (§ 160 Abs. 3 GWB). Bieter müssen erkannte Verstöße gegen Vergabebestimmungen innerhalb einer Frist gegenüber dem Auftraggeber rügen, bevor sie einen Nachprüfungsantrag stellen. Danach gilt eine Frist von 15 Tagen ab Eingang der Mitteilung der Nichtabhilfe der Rüge, innerhalb derer der Nachprüfungsantrag gestellt werden kann.
Ablauf des Nachprüfungsverfahrens
Die Vergabekammer prüft, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Nachprüfung vorliegen. Das Verfahren ist überwiegend schriftlich; auf Antrag kann eine mündliche Verhandlung stattfinden (§ 166 GWB). Die Kammer entscheidet in einem förmlichen, am Grundsatz der Amtsermittlung orientierten Verfahren. Die Beteiligten sind zur Mitwirkung verpflichtet und müssen erforderliche Unterlagen und Auskünfte vorlegen.
Beteiligte im Verfahren
Im Nachprüfungsverfahren sind regelmäßig folgende Parteien beteiligt:
- Antragsteller (meist Bieterunternehmen)
- Auftraggeber (Vergabestelle)
- Beigeladene (übrige Bieter, insbesondere der ausgewählte Zuschlagsempfänger)
Durch Beiladung erhalten weitere betroffene Unternehmen die Möglichkeit zur Verfahrensbeteiligung und Stellungnahme.
Entscheidung und Rechtsfolgen
Die Vergabekammer entscheidet bei begründeten Verstößen gegen das Vergaberecht über die Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in einen rechtmäßigen Zustand, gegebenenfalls bis zu dessen vollständiger Aufhebung (§ 168 GWB). Die Entscheidung ist schriftlich zu begründen und den Beteiligten bekannt zu geben.
Bindungswirkung und Rechtsschutz
Die Entscheidung der Vergabekammer ist verbindlich, jedoch mit sofortiger Beschwerde beim Oberlandesgericht (Vergabesenat) anfechtbar (§ 171 GWB). Die Beschwerdefrist beträgt zwei Wochen nach Zustellung der Entscheidung. Bis zur Entscheidung ist der Zuschlag auszusetzen, um die Effektivität des Rechtsschutzes zu gewährleisten.
Kosten des Verfahrens
Nach § 182 GWB müssen die Gebühren und Auslagen des Verfahrens von den Beteiligten getragen werden. Die Höhe der Gebühren richtet sich nach dem Streitwert und dem Umfang der Sache. Grundsätzlich trägt der Antragsteller das Kostenrisiko, insbesondere bei unbegründetem Nachprüfungsantrag.
Bedeutung der Vergabekammern im Rechtsschutzsystem
Die Vergabekammern stellen den primären Rechtsschutz im Bereich des Vergaberechts sicher, indem sie eine unabhängige, schnelle und effektive Überprüfung von Entscheidungen im Rahmen öffentlicher Auftragsvergaben gewährleisten. Sie tragen wesentlich dazu bei, Regelverstöße zu sanktionieren und Chancengleichheit sowie Transparenz am Markt öffentlicher Aufträge zu sichern. Darüber hinaus wirken sie als Präventivinstanz, indem sie die Einhaltung der vergaberechtlichen Vorschriften insgesamt fördern.
Europäische Bezüge und Reformen
Im Kontext der EU-Richtlinien zum Vergaberecht, insbesondere nach den Richtlinien 2014/23/EU, 2014/24/EU und 2014/25/EU, erfüllen die Vergabekammern die Vorgaben der effektiven Rechtskontrolle im öffentlichen Auftragswesen auf nationaler Ebene. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nimmt maßgeblichen Einfluss auf Auslegung und Anwendung der Verfahren vor den Vergabekammern.
Literatur und weiterführende Informationen
Literaturverzeichnisse und weiterführende Quellen sind maßgeblich für die vertiefende Auseinandersetzung mit dem Begriff und der Praxis der Vergabekammern. Einschlägige Werke und Kommentare zum GWB und Vergaberecht sowie die Rechtsprechung zum Nachprüfungsverfahren bieten hierzu weitergehende Orientierung.
Zusammenfassend ist die Vergabekammer ein institutionell und verfahrensrechtlich bedeutsames Organ des Rechtsschutzes im Vergabewesen, das transparenten Wettbewerb und die Durchsetzung des Vergaberechts gewährleistet. Sie bildet das zentrale Bindeglied zwischen Unternehmen und der öffentlichen Hand bei der Überprüfung und Durchsetzung der Regeln zur Vergabe öffentlicher Aufträge in Deutschland.
Häufig gestellte Fragen
Welche Aufgaben hat die Vergabekammer im Vergabeverfahren?
Die Vergabekammer ist eine spezialisierte Instanz des Rechtsschutzes im öffentlichen Vergaberecht. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, Nachprüfungsverfahren durchzuführen, sofern ein Unternehmen die Verletzung von Vergabevorschriften im Zusammenhang mit einem öffentlichen Auftrag vermutet und vorträgt. Die Kammern prüfen demnach, ob das Vergabeverfahren rechtmäßig durchgeführt wurde. Die Vergabekammer ist dabei an Recht und Gesetz gebunden und überprüft das Verhalten sowohl des Auftraggebers als auch der Bieter auf Einhaltung der einschlägigen Regeln des GWB, der Vergabeverordnung (VgV) sowie gegebenenfalls spezifischer sektoraler Vorschriften wie SektVO, VSVgV oder KonzVgV. Die Entscheidungen der Vergabekammer können die Anordnung einer Aufhebung der Zuschlagsentscheidung, die Wiederholung einzelner Verfahrensschritte oder auch die Verpflichtung des Auftraggebers, bestimmte Handlungen vorzunehmen oder zu unterlassen, umfassen. Darüber hinaus sorgt die Kammer für eine effektive Durchsetzung der vergaberechtlichen Vorschriften und gewährleistet somit Chancengleichheit sowie Transparenz im Wettbewerb.
Wer kann ein Nachprüfungsverfahren bei der Vergabekammer einleiten?
Ein Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer kann grundsätzlich jedes Unternehmen einleiten, das ein Interesse am Auftrag hat und eine Verletzung seiner Rechte durch Nichtbeachtung der Vergabevorschriften geltend macht (§ 160 Abs. 2 GWB). Dabei ist es gleichgültig, ob es sich um inländische oder ausländische Bewerber bzw. Bieter handelt. Zudem sind auch Zusammenschlüsse von Unternehmen (z.B. Bietergemeinschaften) zur Antragstellung berechtigt. Voraussetzung ist, dass das Unternehmen darlegt, dass ihm durch die behauptete Rechtsverletzung ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht. Es gilt zudem das Subsidiaritätsprinzip: Eine Nachprüfung ist erst zulässig, wenn das Unternehmen zuvor etwaige Verstöße gegenüber dem Auftraggeber rechtzeitig gerügt und dieser darauf nicht abgeholfen hat (§ 160 Abs. 3 GWB).
Welche Fristen gelten für die Anrufung der Vergabekammer?
Das Vergaberecht kennt strenge Fristen für die Anrufung der Vergabekammer. Wesentlich ist hierbei, dass ein Bieter Verstöße gegen Vergabevorschriften innerhalb von zehn Kalendertagen nach Kenntnis vom Verstoß beim Auftraggeber rügen muss (§ 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB). Nach erfolglosem Ablauf dieser Rüge kann dann innerhalb einer weiteren Frist – in der Regel spätestens 15 Kalendertage nach Eingang der Mitteilung des Auftraggebers, einer Rüge nicht abhelfen zu wollen – ein Nachprüfungsantrag gestellt werden (§ 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB). Nach dem Zugang einer Information über die Nichtberücksichtigung eines Angebots nach § 134 GWB läuft die Frist für den zulässigen Nachprüfungsantrag spätestens 15 Kalendertage. Nach Ablauf der jeweiligen Fristen kann ein Nachprüfungsantrag als unzulässig abgewiesen werden, was die vergaberechtliche Durchsetzung erheblich erschwert.
Wie läuft ein Verfahren vor der Vergabekammer ab?
Das Verfahren vor der Vergabekammer ist als schriftliches Verfahren ausgestaltet, Abstandnahmen von einer mündlichen Verhandlung sind die Regel, aber nicht zwingend. Nach Eingang des Nachprüfungsantrages prüft die Kammer zunächst die Zulässigkeit und begründet bei Annahme die Beteiligung der betroffenen Parteien (Antragsteller, Auftraggeber und gegebenenfalls weitere betroffene Bieter). Beide Seiten haben Gelegenheit, Stellungnahmen sowie Beweismittel einzureichen. Die Kammer kann zudem eigene Ermittlungen vornehmen, z.B. durch Einholen von Unterlagen oder Anhörung der Parteien. In Einzelfällen kann auch eine mündliche Verhandlung anberaumt werden. Am Ende des Verfahrens steht eine förmliche schriftliche Entscheidung, die allen Beteiligten zugestellt wird. Hiergegen kann binnen einer Notfrist von zwei Wochen sofortige Beschwerde zum Oberlandesgericht (OLG) eingelegt werden.
Welche Rechtsfolgen hat eine Entscheidung der Vergabekammer?
Die Entscheidung der Vergabekammer ist für die Parteien bindend, wenn sie nicht mit der sofortigen Beschwerde zum OLG angefochten wird. Die Kammer kann – je nach Sachlage – den Auftraggeber dazu verpflichten, bestimmte Handlungen vorzunehmen oder zu unterlassen, beispielsweise Vergabeverfahren zu wiederholen, Angebote erneut zu werten oder einen Zuschlag nicht zu erteilen. Teilweise kann die Kammer auch Schadenersatzansprüche als Feststellungsurteil zusprechen, wenn dem Antragsteller durch das vergabewidrige Verhalten ein Schaden entstanden ist. Während des Verfahrens besteht ein gesetzliches Zuschlagsverbot, das erst mit der rechtskräftigen Entscheidung der Kammer oder des OLG entfällt (§ 169 GWB).
Besteht ein Anwaltszwang vor der Vergabekammer?
Vor der Vergabekammer selbst besteht kein Anwaltszwang. Das bedeutet, dass Unternehmen sowohl den Nachprüfungsantrag selbst als auch die sonstige Beteiligung am Verfahren ohne die Vertretung durch einen Rechtsanwalt durchführen können. Allerdings sind die vergaberechtlichen Verfahren inhaltlich und formal komplex, so dass die Einschaltung eines vergaberechtlich erfahrenen Rechtsanwalts dringend zu empfehlen ist. Im Beschwerdeverfahren vor dem OLG besteht hingegen Anwaltszwang, d.h. die Parteien müssen sich von einem vor dem OLG zugelassenen Anwalt vertreten lassen.
Welche Kosten fallen bei einer Nachprüfung durch die Vergabekammer an?
Das Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer ist kostenpflichtig. Die Verfahrenskosten setzen sich aus den Gebühren der Kammer und den Auslagen zusammen. Der Gebührenrahmen ist im GWB festgelegt und orientiert sich am Streitwert des Nachprüfungsverfahrens. Die Mindestgebühr liegt bei 2.500 Euro, die Höchstgebühr bei 50.000 Euro; in besonders aufwändigen und bedeutenden Fällen können bis zu 100.000 Euro verlangt werden (§ 182 GWB). Hinzu kommen gegebenenfalls die Kosten für die Hinzuziehung von Rechtsanwälten oder Gutachtern. Die Kosten trägt grundsätzlich die unterliegende Partei, jedoch kann die Vergabekammer auch eine Kostenquote festsetzen, wenn der Antrag nur teilweise Erfolg hat oder besondere Umstände dies rechtfertigen.