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Verfassungsfeindliche Vereinigungen, Fortführung


Verfassungsfeindliche Vereinigungen, Fortführung – Rechtliche Einordnung und Grundlagen

Begriffliche Definition von verfassungsfeindlichen Vereinigungen

Verfassungsfeindliche Vereinigungen im Sinne des deutschen Rechts sind Zusammenschlüsse von Personen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen oder zu beeinträchtigen. Sie wenden sich gegen fundamentale Verfassungsprinzipien, insbesondere gegen Grundrechte, das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip sowie die Unantastbarkeit der Menschenwürde. Die Einstufung und Bekämpfung solcher Zusammenschlüsse ist ein zentrales Anliegen des Staatsschutzrechts.

Rechtliche Grundlagen

Verbot verfassungsfeindlicher Vereinigungen

Die maßgeblichen rechtlichen Grundlagen finden sich in Art. 9 Abs. 2 Grundgesetz (GG), der das Vereinigungsrecht unter einen Gesetzesvorbehalt stellt. Vereinigungen, deren Zwecke oder Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind danach verboten.

Die wichtigste einfachgesetzliche Konkretisierung erfolgt durch das Vereinsgesetz (VereinsG). Die §§ 3, 8 und 9 VereinsG regeln das Verbot, die Auflösung und die Beschlagnahme im Zusammenhang mit verfassungsfeindlichen Vereinigungen. Das Verbot solcher Vereinigungen erfolgt durch eine förmliche Entscheidung der zuständigen Behörde, insbesondere des Bundesministeriums des Innern oder der Landesinnenminister.

Strafrechtliche Relevanz – §§ 84 und 85 StGB

Das deutsche Strafrecht stellt nicht nur die Gründung und den Erhalt solcher Vereinigungen unter Strafe, sondern auch die Fortführung bereits verbotener, verfassungsfeindlicher Vereinigungen. Maßgeblich hierfür sind insbesondere die § 84 StGB (Fortführung einer für verfassungswidrig erklärten Partei) und § 85 StGB (Fortführung einer verbotenen Vereinigung).

§ 84 StGB: Fortführung einer für verfassungswidrig erklärten Partei

§ 84 StGB stellt es unter Strafe, wenn eine Person die organisatorische Fortführung einer politischen Partei betreibt, die durch das Bundesverfassungsgericht nach Art. 21 Abs. 2 GG für verfassungswidrig erklärt wurde. Die Strafandrohung beträgt Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren. Auch die Unterstützung, Werbung und Beschaffung von Mitteln zugunsten einer solchen Partei ist erfasst.

§ 85 StGB: Fortführung einer verbotenen Vereinigung

Auch die Fortführung einer nach dem Vereinsgesetz verbotenen Vereinigung (§ 85 StGB) oder deren Ersatzorganisation ist strafbar. Hier droht eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. Der Straftatbestand erfasst Personen, die die Tätigkeit einer verbotenen Vereinigung organisieren, unterstützen oder sich an deren Nachfolgeorganisation (Ersatzorganisation) beteiligen.

Tatbestandsmerkmale und Rechtsfolgen

Voraussetzungen der Strafbarkeit

Die Strafbarkeit nach §§ 84, 85 StGB setzt objektiv voraus, dass für die betroffenen Organisationen ein rechtskräftiges Verbot besteht. Bei Parteien ist ein Parteiverbot durch Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zwingende Voraussetzung. Bei anderen Vereinigungen genügt das Verbot durch Verwaltungsakt, das bestandskräftig ist oder unanfechtbar geworden ist.

Subjektiv ist zumindest bedingter Vorsatz in Bezug auf die Fortführung, Unterstützung oder Werbung für den Zusammenschluss erforderlich. Ein fahrlässiges Verhalten ist nicht strafbar.

Abgrenzung: Ersatzorganisation

Eine Ersatzorganisation liegt vor, wenn die Organisation mit der verbotenen Vereinigung im Wesentlichen identisch ist oder dieselben Ziele verfolgt und an deren Stelle tritt. Dies wird häufig anhand von Struktur, Ideologie, Zielsetzung und Personalunion festgestellt.

Rechtsfolgen

Das Strafrecht sieht für die Fortführung verfassungsfeindlicher Vereinigungen neben Freiheits- und Geldstrafen insbesondere Maßnahmen wie Vermögenseinziehungen (§ 74 ff. StGB) und das Verbot weiterer Aktivitäten vor. Verwaltungsrechtlich können Demonstrations- und Veranstaltungsverbote sowie Beschlagnahmen verhängt werden. Die Löschung von Eintragungen und die Einziehung von Vermögenswerten sind häufige Begleitmaßnahmen.

Verfassungs- und Menschenrechtskonforme Auslegung

Obwohl Eingriffe in das Vereinigungsrecht und die Freiheit politischer Betätigung in erheblichem Maße Grundrechte einschränken, gelten sie nach ständiger Rechtsprechung als verfassungsmäßig, sofern sie verhältnismäßig sind und zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung erforderlich erscheinen. Das Bundesverfassungsgericht betont regelmäßig, dass ein Verbot und die kriminalisierende Fortführungsstrafbarkeit nur bei schwerwiegenden Angriffen gegen die Grundordnung, Rechtsstaatlichkeit oder Friedensordnung bestehen kann. Jede Maßnahme unterliegt einer strengen gerichtlichen Kontrolle.

Praxisrelevanz, Beispiele und Abgrenzung zu anderen Organisationen

Praxisbeispiele

Historisch bekannt sind insbesondere Verbote einzelner rechtsextremistischer, islamistischer oder linksextremistischer Vereinigungen und deren jeweiligen Nachfolgeorganisationen. Die Strafverfolgung richtet dabei besonderes Augenmerk auf die organisatorische und personelle Kontinuität.

Abgrenzung zu nicht-verbotenen radikalen Gruppen

Nicht jede radikale oder extremistische Gruppierung ist zugleich als verfassungsfeindliche Vereinigung im Sinne der §§ 84, 85 StGB oder des VereinsG anzusehen. Erst das offizielle Verbot führt zur Anwendung der genannten strafrechtlichen Vorschriften. Vorherige Überwachungsmaßnahmen, etwa durch Verfassungsschutz, richten sich ausschließlich nach dem Verfassungsschutzgesetz.

Internationale Bezüge und vergleichbare Regelungen

Viele Staaten der Europäischen Union und weltweit kennen vergleichbare Regelungen zur Bekämpfung verfassungsfeindlicher Vereinigungen. Die deutsche Praxis folgt dabei den Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), nach der Vereinigungsverbote zulässig sind, wenn sie demokratische Prinzipien und grundlegende Rechtsstaatlichkeit schützen.


Fazit:
Die Fortführung verfassungsfeindlicher Vereinigungen ist im deutschen Recht als besonders schwerwiegende Gefahr für die Demokratie und den Rechtsstaat angesehen. Der Gesetzgeber hat umfangreiche und differenzierte Regelungen geschaffen, um bestehenden Vereinigungen konsequent entgegenzutreten und deren Weiterbestand strafrechtlich zu verhindern. Die Anwendung dieser Normen erfolgt unter strengster Wahrung von Grundrechten, um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit im demokratischen Rechtsstaat zu gewährleisten.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Maßnahmen stehen Behörden zur Verfügung, um die Fortführung verfassungsfeindlicher Vereinigungen zu verhindern?

Behörden haben in Deutschland verschiedene Instrumente, um die Fortführung verfassungsfeindlicher Vereinigungen zu unterbinden, wenn diese nach einem Verbot versuchen, ihre Aktivitäten in anderer Form weiterzuführen. Nach Art. 9 Abs. 2 GG und den Vorschriften des Vereinsgesetzes (§§ 3 ff. VereinsG) kann das Bundesministerium des Innern oder die zuständige Landesbehörde ein Verbot aussprechen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Vereinigung sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtet. Nach der Verbotsverfügung wird die Organisation aufgelöst, ihr Vermögen kann eingezogen werden. Um die Fortsetzung zu verhindern, werden Überwachungsmaßnahmen verstärkt, Vermögenswerte beschlagnahmt und Führungsstrukturen zerschlagen. Auch die Bildung von Ersatzorganisationen ist strafbar (§ 8 VereinsG). Behörden setzen zudem auf enge Kooperation zwischen Polizei, Verfassungsschutz und Justiz. Unterstützende Maßnahmen umfassen Kommunikationsüberwachung, Observation und die Auswertung von IT-Systemen. Erfolgt eine Fortführung dennoch, können Ermittlungsverfahren eingeleitet und Vereinsmitglieder strafrechtlich verfolgt werden (§ 129 StGB – Bildung krimineller Vereinigungen i.V.m. § 20 VereinsG).

Welche strafrechtlichen Folgen drohen bei der Fortsetzung einer verfassungsfeindlichen Vereinigung?

Die Fortsetzung einer als verfassungsfeindlich verbotenen Vereinigung zieht strafrechtliche Konsequenzen gemäß den §§ 20 und 21 Vereinsgesetz nach sich. Nach § 20 Abs. 1 VereinsG macht sich strafbar, wer eine verbotene Vereinigung fortführt, ihre Ersatzorganisation bildet oder unterstützt. Gemäß § 21 VereinsG sind selbst Mitglieder, die weiterhin für die Vereinigung werben oder sie finanziell unterstützen, strafbar. Die Strafandrohung reicht dabei bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe oder Geldstrafe. Werden durch die Fortführung weitere Straftaten wie beispielsweise Volksverhetzung (§ 130 StGB) oder die Bildung krimineller Vereinigungen (§ 129 StGB) begangen, kommen diese als Qualifikationstatbestände hinzu, sodass höhere Strafen möglich sind. Die Strafverfolgung erfasst auch ausländische Organisationen und kann auf den Versuch ausgedehnt werden.

Welche präventiven Maßnahmen können ergriffen werden, um die erneute Gründung einer verbotenen Vereinigung zu verhindern?

Neben repressiven Maßnahmen verfolgt der Staat auch präventive Ansätze. Hierzu zählen die fortlaufende Überwachung von Personen und Strukturen, die im Zusammenhang mit bereits verbotenen Vereinigungen standen, durch die Verfassungsschutzbehörden. Daneben werden Daten- und Informationsaustausch zwischen Behörden optimiert und Aussteigerprogramme bereitgestellt, um potenzielle Gründer abzuhalten. Veranstaltungsverbote, das Verbot von Symbolen sowie die Entfernung von Propagandamaterial aus dem öffentlichen Raum sollen die Sichtbarkeit und den Einfluss der Strukturen minimieren. Ebenso werden Finanzflüsse kontrolliert, um die finanzielle Grundlage neuer Vereinigungen zu unterbinden.

Gibt es besondere Bestimmungen für Ersatzorganisationen verfassungsfeindlicher Vereinigungen?

Ja, das Vereinsgesetz (§ 8 VereinsG) enthält explizite Regelungen gegen die Bildung sog. Ersatzorganisationen. Dies betrifft Fälle, in denen nach einem Verbot im Wesentlichen die gleiche Organisation unter neuem Namen oder veränderter Struktur weitergeführt wird. Die Gründung, Leitung oder Unterstützung solcher Ersatzorganisationen ist strafbar. Die Behörden prüfen dabei in jedem Einzelfall, ob trotz äußerlicher Änderungen die personelle, organisatorische oder sachliche Kontinuität zur verbotenen Vereinigung gegeben ist. So soll verhindert werden, dass ein Verbot durch bloße Umbenennungen oder geringfügige organisatorische Anpassungen ins Leere läuft.

Wie erfolgt die Beweisführung bei der Annahme einer Fortführung oder Ersatzorganisation?

Die Beweisführung erfordert eine detaillierte Auswertung von Belegen, Kommunikationsinhalten, Finanzflüssen sowie der personellen und organisatorischen Kontinuität. Ermittlungsbehörden analysieren beispielsweise, ob zentrale Akteure, Kommunikationswege oder Strukturen weiterhin bestehen, ob Programmatik, Symbole und Zielsetzungen übernommen werden und wie die Organisationsform ausgestaltet ist. Wichtig ist auch die Bewertung der Außendarstellung und des Auftretens etwa in sozialen Medien oder bei Veranstaltungen. Gerichte prüfen die Übereinstimmung mit den Kriterien des Vereinsgesetzes detailliert und fordern hierzu ausführliche Beweise, bevor sie die Strafbarkeit oder ein erneutes Verbot annehmen.

Können die Verbots- und Fortführungsregelungen auch auf ausländische Organisationen angewendet werden?

Ja, auch ausländische Vereinigungen, die in Deutschland tätig werden oder ihre Aktivitäten nach einem Verbot in Deutschland fortsetzen, unterliegen den Regelungen des Vereinsgesetzes (§ 14 Abs. 1 VereinsG). Die Behörden können das Verbot einer ausländischen Vereinigung dann aussprechen, wenn deren Aktivitäten im Inland die verfassungsmäßige Ordnung gefährden. Die Fortführung oder Unterstützung solcher Organisationen ist ebenso strafbar wie bei inländischen Vereinigungen und kann grenzübergreifend verfolgt werden. Die Zusammenarbeit mit internationalen Behörden wird in solchen Fällen intensiviert.