Legal Lexikon

Verfassungsfeind


Begriff und rechtliche Einordnung des Verfassungsfeinds

Der Begriff Verfassungsfeind beschreibt im deutschen Verfassungsrecht eine natürliche oder juristische Person, die die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland oder die grundlegenden Prinzipien der Verfassung ablehnt, bekämpft oder zu beseitigen sucht. Rechtlich relevant ist dieser Begriff insbesondere im Zusammenhang mit Maßnahmen zum Schutz der Verfassung, etwa im Bereich des öffentlichen Dienstes sowie im Zusammenhang mit Parteienverbotsverfahren.

Definition und Abgrenzung

Der Verfassungsfeind ist keine gesetzlich exakt definierte Rechtsfigur, sondern ein Sammelbegriff, der sich aus unterschiedlichen Gesetzen und Rechtsprechung ableitet. Der Begriff wird insbesondere im Zusammenhang mit folgenden Aspekten verwendet:

  • Freiheitliche demokratische Grundordnung: Dieser Begriff beschreibt die grundlegenden Prinzipien der Verfassung, wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Schutz der Menschenwürde, Achtung der Grundrechte, Gewaltenteilung und das Mehrparteienprinzip (vgl. Art. 20 GG).
  • Ablehnung und Bekämpfung: Verfassungsfeindlich handelt oder gilt, wer aktiv oder passiv Ziele verfolgt, die auf eine Beseitigung oder erhebliche Beeinträchtigung dieser Grundordnung abzielen.

Eine direkte gesetzliche Definition des Begriffs findet sich nicht, jedoch wird er in verschiedensten Gesetzen und Rechtsprechungen umschrieben und präzisiert.

Rechtlicher Rahmen – Bedeutung für das Verfassungsrecht

Historische Entwicklung

Der Begriff des Verfassungsfeinds entwickelte sich vor allem in der Nachkriegszeit als Reaktion auf die Instabilität der Weimarer Republik und den Machtantritt des Nationalsozialismus. Die bundesdeutsche Verfassung sieht daher den Schutz der demokratischen Grundordnung vor und wendet sich explizit gegen verfassungsfeindliche Bestrebungen (sog. „wehrhafte Demokratie“).

Relevanz im öffentlichen Dienst

Verfassungsrechtliche Anforderungen (Art. 33 GG)

Nach Artikel 33 Abs. 5 Grundgesetz („hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums“) ist die Treue zur Verfassung für Beamte zwingend. Beamte sowie Beschäftigte des öffentlichen Dienstes müssen sich durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen. Verfassungsfeindliches Verhalten kann die Einstellung in den öffentlichen Dienst ebenso ausschließen wie die Entlassung bereits beschäftigter Personen nach sich ziehen.

Disziplinarrechtliche Konsequenzen

Als Verfassungsfeind kann einem Beamten ein schweres Dienstvergehen vorgeworfen werden, das mit Disziplinarmaßnahmen bis hin zur Entfernung aus dem Dienst geahndet werden kann. Die jeweiligen Landesbeamtengesetze und die Bundesdisziplinarordnung sehen in verfassungsfeindlichem Verhalten einen wichtigen Grund für ein Disziplinarverfahren.

Parteienverbot und Organisationsverbot

Parteienverbot (Art. 21 GG)

Nach Artikel 21 Abs. 2 Grundgesetz sind Parteien verfassungswidrig, „die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen.“ Die Feststellung der Verfassungswidrigkeit erfolgt ausschließlich durch das Bundesverfassungsgericht. Die Partei und deren Mitglieder werden dann als verfassungsfeindlich eingestuft.

Vereinsverbot (§§ 3-5 VereinsG)

Nach dem Vereinsgesetz können Vereinigungen verboten werden, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgen. Ein solcher Verein wird dann als „verfassungsfeindlicher Verein“ eingeordnet und seine Tätigkeit untersagt. Auch das Tragen und Verbreiten von Symbolen solcher Vereinigungen wird sanktioniert.

Strafrechtliche Aspekte

Strafbarkeit von verfassungsfeindlichen Aktivitäten

Strafrechtlich kann verfassungsfeindliches Handeln verschiedene Straftatbestände erfüllen, etwa:

  • Bildung einer verfassungsfeindlichen Vereinigung (§ 129a StGB)
  • Verwendung von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen (§ 86a StGB)
  • Staatsgefährdende Straftaten (§§ 81 ff. StGB)

Hierbei handelt es sich meist um Straftaten gegen den Bestand oder die Sicherheit des Staates, die auf die Bekämpfung, Beseitigung oder erhebliche Beeinträchtigung der Verfassung abzielen.

Schutz der Verfassung und Überwachung von Verfassungsfeinden

Auftrag des Verfassungsschutzes

Die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder haben gemäß Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) die Aufgabe, Bestrebungen und Tätigkeiten von Personen und Gruppierungen zu beobachten, „die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind“. Personen, die hierbei erfasst werden, gelten als Verfassungsfeinde.

Beobachtungskriterien und Katalog extremistischer Bestrebungen

Die Beobachtung richtet sich u.a. gegen:

  • Rechtsextremismus
  • Linksextremismus
  • Islamismus und sonstigen religiösen Extremismus
  • Ausländerextremismus

Die bloße Kritik am Staat oder an der Verfassung ist jedoch nicht gleichzusetzen mit verfassungsfeindlichen Bestrebungen. Es bedarf konkreter Anhaltspunkte für Aktionen oder Organisationsstrukturen, die auf eine Beseitigung oder schwerwiegende Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtet sind.

Rechtsprechung und Anwendungsbeispiele

Leitentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

Die Rechtsprechung hat den Begriff der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ sowie das Umfeld von Verfassungsfeindschaft ausführlich konkretisiert. Das Bundesverfassungsgericht definiert darunter Prinzipien wie:

  • Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten
  • Volkssouveränität
  • Gewaltenteilung
  • Verantwortlichkeit der Regierung
  • Gesetzmäßigkeit der Verwaltung
  • Unabhängigkeit der Gerichte
  • Mehrparteienprinzip
  • Chancengleichheit für alle politischen Parteien

Verfassungsfeindlich ist nach der Rechtsprechung, wer diese Prinzipien offenkundig ablehnt oder bekämpft.

Praxisbeispiele

  • Parteienverbote: Das Verbot der SRP (1952) und der KPD (1956) durch das Bundesverfassungsgericht gelten als klassische Fälle, in denen Organisatoren und Anhänger als verfassungsfeindlich eingestuft wurden.
  • Beamtenrecht: Fälle, in denen Beamte Mitglied extremistischer Gruppierungen mit verfassungsfeindlichen Zielen sind, führten wiederholt zu Entlassungen und Disziplinarmaßnahmen.
  • Vereinsrecht: Mehrfache Vereinsverbote wegen extremistischer, verfassungsfeindlicher Zielsetzung, insbesondere im rechtsextremen oder islamistischen Spektrum.

Kritik und Diskussion um den Begriff Verfassungsfeind

Der Terminus „Verfassungsfeind“ steht regelmäßig im Fokus verfassungsrechtlicher und gesellschaftlicher Debatten. Kritisch diskutiert werden insbesondere:

  • Die genaue Abgrenzung zulässiger Systemkritik von verfassungsfeindlichen Aktivitäten
  • Die Gefahr von Missbrauch der Verfassungsschutzbefugnisse zu Lasten politischer Meinungsfreiheit
  • Der Balanceakt zwischen wehrhafter Demokratie und Grundrechten wie Meinungs- und Vereinigungsfreiheit

Gleichzeitig ist allgemeiner Konsens, dass eine Demokratie in der Lage sein muss, sich gegen Bestrebungen zur eigenen Beseitigung wirksam zu schützen.

Zusammenfassung

Als Verfassungsfeind gilt jede natürliche oder juristische Person, die darauf ausgerichtet ist, die zentralen Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen. Die rechtliche Einordnung erfolgt im Rahmen des Beamtenrechts, des Parteien- und Vereinsrechts, sowie des Strafrechts und durch die Tätigkeit des Verfassungsschutzes. Der Begriff spielt eine zentrale Rolle für die Funktionsfähigkeit der wehrhaften Demokratie und ist Gegenstand kontinuierlicher rechtlicher und politischer Diskussion.

Häufig gestellte Fragen

Wer entscheidet, ob eine Person oder Organisation als verfassungsfeindlich gilt?

Die Feststellung, ob eine Person, Gruppierung oder Organisation als verfassungsfeindlich eingestuft wird, obliegt in Deutschland im Wesentlichen den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) sowie die jeweiligen Landesämter für Verfassungsschutz (LfV) beobachten und analysieren Bestrebungen, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten. Maßgeblich ist hierbei das Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG), das die Aufgaben, Befugnisse und Grenzen der Verfassungsschutzbehörden regelt. Die Behörden stufen Akteure als verfassungsfeindlich ein, wenn konkrete tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass diese aktiv gegen die grundlegenden Prinzipien der Verfassung (insbesondere die im Grundgesetz verankerten Grundrechte sowie das Demokratie-, Rechtsstaats-, und Sozialstaatsprinzip) agieren. Die Bewertung obliegt einer umfassenden juristischen Prüfung, wobei auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts maßgeblich ist. Eine abschließende rechtliche Feststellung, etwa ein förmliches Verbot einer Organisation, kann jedoch nur durch Gerichte beziehungsweise das Bundesverfassungsgericht erfolgen.

Welche rechtlichen Konsequenzen drohen verfassungsfeindlichen Gruppierungen?

Gruppierungen, die vom Verfassungsschutz als verfassungsfeindlich eingestuft werden, können in Deutschland mit zahlreichen rechtlichen Konsequenzen rechnen. Zunächst ist die Überwachung durch den Verfassungsschutz zulässig, darunter das Sammeln und Auswerten von Informationen, gelegentlich auch unter Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel wie Observation oder Quellenabschöpfung. Liegen hinreichende Beweise vor, kann das Bundesinnenministerium (bzw. in den Ländern das jeweilige Innenministerium) gemäß Vereinsgesetz ein Vereinsverbot aussprechen, wenn die Organisation nachweislich gegen die verfassungsmäßige Ordnung, den Gedanken der Völkerverständigung oder das Strafgesetz verstößt. Zudem ist eine Aberkennung der Gemeinnützigkeit durch die Finanzverwaltung möglich, was erhebliche steuerrechtliche Folgen hat. Bei besonders gravierenden Fällen trifft das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung, z.B. bei einem Parteiverbot nach Art. 21 Abs. 2 GG. Einzelpersonen oder Mitglieder können je nach individueller Tatbeteiligung straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtlich belangt werden (z.B. wegen Volksverhetzung, Bildung einer kriminellen Vereinigung oder Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole).

Gibt es einen rechtlichen Unterschied zwischen „verfassungsfeindlich“ und „extremistisch“?

Im deutschen Recht werden die Begriffe „verfassungsfeindlich“ und „extremistisch“ nicht identisch verwendet, auch wenn sie häufig überschneiden. Rechtlich ist „extremistisch“ enger gefasst: Extremistische Bestrebungen zielen darauf ab, die freiheitliche demokratische Grundordnung aktiv zu beseitigen oder zu beeinträchtigen. Das Bundesverfassungsschutzgesetz (§ 4 BVerfSchG) definiert Extremismus ausdrücklich als eine besondere Form der Verfassungsfeindlichkeit. Jede extremistische Handlung ist also verfassungsfeindlich, aber nicht jede verfassungsfeindliche Handlung ist zwangsläufig extremistisch. Die Differenzierung ist insbesondere im Hinblick auf das Vereins- oder Parteiengesetz und die daraus folgenden Maßnahmen relevant.

Kann allein die Kritik an der Verfassung als verfassungsfeindlich eingestuft werden?

Allein die Kritik an der Verfassung oder an einzelnen Bestimmungen des Grundgesetzes gilt rechtlich nicht als verfassungsfeindlich. Die Meinungsfreiheit ist ein zentral durch das Grundgesetz geschütztes Grundrecht (Art. 5 GG), das auch umfassende Kritik an der bestehenden Ordnung ermöglicht. Verfassungsfeindlich ist eine Handlung oder Äußerung erst dann, wenn sie darauf abzielt, die freiheitliche demokratische Grundordnung aktiv zu beseitigen, zu bekämpfen oder zu beeinträchtigen, etwa durch Aufruf zu Gewalt, Hetze, Bildung verfassungswidriger Organisationen oder Unterstützung solcher Bestrebungen. Die Schwelle zur Verfassungsfeindlichkeit wird also erst überschritten, wenn aus bloßer Kritik ein aktiv-destruktives, gegen die Grundprinzipien gerichtetes Verhalten wird.

Wie läuft ein Parteiverbotsverfahren ab und wer ist zuständig?

Das Parteiverbotsverfahren ist in Art. 21 Abs. 2 Grundgesetz sowie im Parteiengesetz (PartG) geregelt. Es handelt sich um ein besonderes, formalisiertes Verfahren, das ausschließlich vor dem Bundesverfassungsgericht stattfindet. Antragsteller sind nur der Bundestag, der Bundesrat oder die Bundesregierung. Das Verfahren beginnt mit einem förmlichen Antrag sowie der Darlegung und Begründung, dass die betreffende Partei nach Zielsetzung oder Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgeht, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen bzw. die tatsächliche Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Bestandes der Bundesrepublik Deutschland bestehen. Das Verfassungsgericht prüft im Rahmen einer mündlichen Verhandlung ausführlich, ob die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Das gerichtliche Verfahren ist von hohen Beweismaßstäben und umfangreichen rechtlichen Anhörungen geprägt, sodass ein Parteiverbot in Deutschland sehr selten ausgesprochen wird.

Welche Schutzmechanismen gibt es gegen eine unrechtmäßige Einstufung als verfassungsfeindlich?

Gegen die Einstufung als verfassungsfeindlich stehen betroffenen Personen und Organisationen unterschiedliche rechtliche Schutzmechanismen zur Verfügung. Bereits die Beobachtung durch den Verfassungsschutz kann vor den Verwaltungsgerichten überprüft werden, insbesondere wenn personenbezogene Daten in Verfassungsschutzberichten veröffentlicht werden. Betroffene können gegen die Veröffentlichung klagen und Löschungs- bzw. Unterlassungsansprüche geltend machen. Wird eine Organisation verboten, kann sie diesen Verwaltungsakt im Rahmen einer Anfechtungsklage überprüfen lassen; abschließende Entscheidungen hierzu trifft letztlich das Bundesverwaltungsgericht. Auch ein Parteiverbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht ist kontradiktorisch ausgestaltet und bietet umfassende Verteidigungsrechte, einschließlich rechtliches Gehör, Antrags- und Einspruchsmöglichkeiten sowie die Veröffentlichung sämtlicher Entscheidungsgrundlagen.

Inwiefern ist die Beobachtung durch den Verfassungsschutz rechtlich limitiert?

Die Arbeit der Verfassungsschutzbehörden unterliegt strikten gesetzlichen Schranken, insbesondere dem Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG), den allgemeinen Datenschutzgesetzen und dem Grundgesetz. Die Beobachtung (Überwachung, Sammlung und Speicherung von Informationen) muss verhältnismäßig sein und sich auf konkrete tatsächliche Anhaltspunkte stützen. Die Überwachung darf nicht willkürlich erfolgen und steht unter der Kontrolle parlamentarischer Gremien, wie etwa dem Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestags. Eingriffe in Grundrechte, etwa durch den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel (z.B. Observation, Einsatz sogenannter Verdeckter Ermittler), sind besonderen gesetzlichen Voraussetzungen und richterlicher Kontrolle unterworfen. Die Veröffentlichung von personenbezogenen Daten in Verfassungsschutzberichten ist nur dann zulässig, wenn ein öffentliches Interesse an der Informationserteilung besteht und die Rechte der Betroffenen gewahrt bleiben. Betroffene können sich gegen Maßnahmen der Verfassungsschutzbehörden auf dem Rechtsweg zur Wehr setzen.