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Vereinsvormundschaft


Vereinsvormundschaft

Die Vereinsvormundschaft ist ein spezialisiertes Rechtsinstitut des deutschen Vormundschaftsrechts, das insbesondere im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geregelt ist. Sie kommt zur Anwendung, wenn für eine minderjährige oder betreuungsbedürftige Person kein geeigneter Einzelvormund zur Verfügung steht und stattdessen ein hierzu befugter Verein die Aufgaben eines Vormunds übernimmt. Dieses Rechtskonstrukt dient der professionellen und institutionell abgesicherten Wahrnehmung von Vormundschaftsaufgaben und trägt dem erhöhten Schutzbedarf vulnerabler Personen, insbesondere Minderjähriger, Rechnung.


Gesetzliche Grundlage der Vereinsvormundschaft

Die Vereinsvormundschaft ist maßgeblich in den §§ 1791a ff. BGB sowie im Gesetz über die Wahrnehmung von Aufgaben der Vormundschaft und Pflegschaft durch Vereine (Vormundschaftsvereinsgesetz, kurz VormVereinsG) geregelt. Sie wurde im Zuge der Reform des Vormundschaftsrechts und der Einführung des Betreuungsrechts weiterentwickelt, um qualitative Standards in der Vormundschaft sicherzustellen und Verwaisungen im Vormundschaftssystem vorzubeugen.

Begriff und Funktionen

Eine Vereinsvormundschaft liegt vor, wenn die Aufgaben eines Vormunds nicht durch eine natürliche Person, sondern durch einen anerkannten und hierzu befugten Verein übernommen werden. Der Verein handelt durch seine bestellten Vertreter. Die Kernaufgaben des Vereins umfassen insbesondere:

  • Die persönliche Sorge für die betreute Person (Personensorge)
  • Die rechtliche Vertretung in Vermögensangelegenheiten (Vermögenssorge)
  • Die Wahrnehmung weiterer Aufgaben gemäß Vormundschaftsgerichts

Voraussetzungen der Bestellung

Anerkennung und staatliche Aufsicht

Voraussetzung für eine Vereinsvormundschaft ist die staatliche Anerkennung des jeweiligen Vereins. Ein Verein wird anerkannt, wenn er:

  • seine Eignung und Zuverlässigkeit für die Führung von Vormundschaften nachweist,
  • über fachlich qualifiziertes Personal mit entsprechenden Kenntnissen in Sozialarbeit, Pädagogik oder verwandten Disziplinen verfügt,
  • eine ordnungsgemäße Geschäftsführung sicherstellt und
  • der Aufsicht der zuständigen Landesbehörde unterliegt.

Gemäß § 54 SGB VIII besitzen anerkannte Vormundschaftsvereine regelmäßig auch eine Zulassung als Träger der freien Jugendhilfe.

Bestellung durch das Familiengericht

Das Familiengericht bestellt einen Vereinsvormund, wenn kein Einzelvormund zur Verfügung steht oder ein Vereinsvormund aus Gründen des Kindeswohls vorzuziehen ist (§ 1791a BGB). Die Entscheidung erfolgt im Familiensachenverfahren unter Beachtung der Interessen des Mündels und des Elternrechts.


Rechte und Pflichten des Vereinsvormunds

Aufgabenbereiche

Der Vereinsvormund hat sämtliche Rechte und Pflichten wie ein Einzelvormund. Dazu zählen:

  • Personensorge: Entscheidungen über die Pflege und Erziehung, Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge
  • Vermögenssorge: Verwaltung des Vermögens der betreuten Person, Beantragung und Verwendung öffentlicher Leistungen, Mietverhältnisse
  • Vertretungsbefugnisse: Wahrnehmung aller gerichtlichen und außergerichtlichen Angelegenheiten im Namen des Mündels

Persönliche Betreuung und Berichtspflichten

Die Betreuung durch den Vereinsvormund muss persönlich und individuell erfolgen. Der Verein hat dafür zu sorgen, dass jeder Mündel durch namentlich bestimmte Vereinsmitarbeiter betreut wird. Es besteht eine regelmäßige Berichtspflicht gegenüber dem Familiengericht, um die ordnungsgemäße Wahrnehmung der Aufgaben zu dokumentieren. Zudem sind Anhörungen des Mündels, insbesondere bei erheblichen Entscheidungen, obligatorisch.


Haftung und Aufsicht

Verantwortung des Vereins

Der Vereinsvormund haftet für Pflichtverletzungen seiner Vertreter gegenüber dem Mündel nach den allgemeinen Grundsätzen des Schadensersatzrechts. Die Haftung kann nicht durch interne Verfahrensregelungen ausgeschlossen werden. Eine Versicherungsverpflichtung soll Risiken für Mündel und Verein minimieren.

Kontrolle durch das Familiengericht

Das Familiengericht steht in der fortlaufenden Kontrolle der Vereinsvormundschaft. Es überwacht insbesondere die Angemessenheit des Handelns, die Wahrung des Kindeswohls und prüft nach pflichtgemäßem Ermessen, ob der Verein weiterhin zur Führung der Vormundschaft geeignet ist.


Abgrenzung zu anderen Vormundschaftsformen

Einzelvormund und Amtsvormundschaft

  • Einzelvormundschaft wird vorrangig bestellt, wenn eine geeignete natürliche Person – oft eine dem Kind nahestehende Person – zur Verfügung steht.
  • Amtsvormundschaft erfolgt durch das zuständige Jugendamt, wenn weder ein Einzel- noch ein Vereinsvormund vorhanden oder geeignet ist.

Die Vereinsvormundschaft steht damit zwischen diesen beiden Typen und ermöglicht die institutionalisierte Wahrnehmung der Aufgaben dort, wo das Kindeswohl und organisatorische Erwägungen eine solche Bestellung nahelegen.


Bedeutung in der Praxis

Die praktische Relevanz der Vereinsvormundschaft hat insbesondere mit dem Anstieg betreuungsbedürftiger Minderjähriger und unbegleiteter ausländischer Minderjähriger an Bedeutung gewonnen. Durch die Bündelung von Ressourcen und Fachwissen in Vereinen kann eine kontinuierliche, professionelle und dem Kindeswohl verpflichtete Betreuung sichergestellt werden. Gleichzeitig fördert das System institutionelle Unabhängigkeit und minimiert Interessenkonflikte.


Gesetzliche Neuerungen und aktuelle Entwicklungen

Mit Inkrafttreten des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes (KJSG) und der Reform des Vormundschaftsrechts 2023 wurden die organisatorischen und fachlichen Anforderungen an Vereinsvormunde weiter präzisiert. Ziel ist es, die Qualität der Betreuung Minderjähriger nachhaltig zu verbessern und deren Rechte zu stärken. Die Anerkennungspflichten, Fortbildungsanforderungen und Berichtspflichten wurden nach oben angepasst, um den gestiegenen sozialen und rechtlichen Anforderungen Rechnung zu tragen.


Literatur und weiterführende Links

  • Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), §§ 1791a-1791e, §§ 1908i ff.
  • Vormundschaftsvereinsgesetz (VormVereinsG)
  • Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII), § 54
  • Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG)
  • Fachliteratur zur Vormundschaft und institutionellen Betreuung

Fazit

Die Vereinsvormundschaft stellt einen wesentlichen Bestandteil des deutschen Vormundschaftsrechts dar und gewährleistet, dass Minderjährige im Bedarfsfall umfassend, beständig und professionell betreut werden. Gesetzliche Rahmenbedingungen und gerichtliche Kontrolle sichern einen hohen Schutzstandard für die betreuten Personen und stärken das System der Vormundschaft durch qualifizierte, institutionelle Betreuung.

Häufig gestellte Fragen

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit eine Vereinsvormundschaft bestellt werden kann?

Die Bestellung einer Vereinsvormundschaft setzt voraus, dass eine natürliche Person als Vormund entweder nicht zur Verfügung steht oder aus anderen Gründen als ungeeignet erscheint (§ 1791a BGB). Auch wenn ein Vormund abberufen wird oder aus rechtlichen bzw. tatsächlichen Gründen nicht bestellt werden kann, kommt ein anerkannter Verein in Betracht. Als Vereinsvormund können nur solche Vereine bestellt werden, die die Voraussetzungen des § 54 SGB VIII erfüllen und von der zuständigen Behörde als Vormundschaftsverein anerkannt sind. Darüber hinaus muss der Verein in der Lage sein, die Aufgaben der Vormundschaft sachgerecht, insbesondere personell und fachlich qualifiziert, wahrzunehmen. Die Bestellung selbst erfolgt durch das Familiengericht, das zuvor prüft, ob im Einzelfall die Betreuung und Wahrnehmung der Rechte und Pflichten durch einen Vereinsvertreter gesichert erscheint. Maßgeblich ist zudem, dass ansonsten das Kindeswohl oder das Wohl des Mündels nicht gewährleistet wäre.

Welche Rechte und Pflichten haben die vom Verein eingesetzten Vormünder?

Der Vereinsvormund übt seine Aufgabe durch für diese Tätigkeit bestellte Mitarbeiter (Einzelpersonen) aus, sogenannter „Vereinsvertreter“ oder „Einzelvormund im Verein“. Diese handeln im Namen des Vereins, der als juristische Person Vormund ist (§ 1791b BGB). Die Rechte und Pflichten des Vereinsvormunds entsprechen grundsätzlich denen eines Einzelvormunds. Insbesondere hat der Vereinsvormund für das persönliche Wohl des Mündels zu sorgen, die gesetzliche Vertretung zu übernehmen, das Vermögen zu verwalten und alle gerichtlichen und außergerichtlichen Angelegenheiten im Interesse des Mündels zu regeln. Er hat dabei die Personensorge und bei entsprechender Anordnung auch die Vermögenssorge umfassend und eigenverantwortlich auszuführen. Der Vereinsvormund unterliegt denselben Berichtspflichten und der Aufsicht des Familiengerichts wie ein Einzelvormund. Außerdem müssen die eingesetzten Mitarbeiter persönlich geeignet, zuverlässig und zur Führung der Vormundschaft befähigt sein.

In welchen Fällen kann eine Vereinsvormundschaft enden?

Eine Vereinsvormundschaft endet regelmäßig durch Wegfall des Grundes, der zu ihrer Bestellung geführt hat, beispielsweise bei Erreichen der Volljährigkeit des Mündels, durch Adoption oder wenn ein geeigneter Einzelvormund gefunden wird (§ 1882 BGB). Das Familiengericht kann die Vereinsvormundschaft auch dann beenden, wenn der Verein die zur Ausübung der Vormundschaft erforderlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt, etwa bei Wegfall der fachlichen oder personellen Qualifikation oder bei Auflösung beziehungsweise Erlöschen des Vereins. Bei grober Pflichtverletzung oder Ungeeignetheit des Vereins erfolgt die Entlassung durch das Familiengericht (§ 1886 BGB). Auch eine Abgabe der Vormundschaft durch den Verein selbst kann, wenn ein wichtiger Grund vorliegt, beantragt werden. In jedem Fall werden dabei stets die Belange des Mündels und das Kindeswohl vorrangig berücksichtigt.

Wie erfolgt die Kontrolle und Überwachung der Vereinsvormundschaft durch das Familiengericht?

Die Vereinsvormundschaft unterliegt der regelmäßigen Kontrolle und Überwachung durch das zuständige Familiengericht. Hierzu gehört insbesondere die jährliche Berichtspflicht: Der Vereinsvormund hat dem Gericht Berichte über den Mündel und die Führung der Vormundschaft vorzulegen (§ 1840 BGB). Zudem muss der Vereinsvormund jährlich über die Vermögens- und Einnahmenverhältnisse Rechnung legen, sofern er auch für die Vermögenssorge zuständig ist (§ 1841 BGB). Das Familiengericht kann darüber hinaus jederzeit zusätzliche Berichte oder Auskünfte verlangen und hat das Recht, sich über den Stand der Vormundschaft durch Anhörung des Mündels oder anderer beteiligter Personen zu informieren. Die Auswahl, Anleitung und regelmäßige Fortbildung der für den Verein tätigen Einzelpersonen wird ebenfalls durch das Familiengericht kontrolliert, um eine fachgerechte Betreuung sicherzustellen. Bei Pflichtverletzungen oder Ungeeignetheit kann das Familiengericht entsprechende Maßnahmen bis hin zur Entlassung des Vereinsvormunds ergreifen.

Wer haftet bei Pflichtverletzungen oder Schadensfällen während der Vereinsvormundschaft?

Für Pflichtverletzungen oder schuldhaft verursachte Schäden während der Vereinsvormundschaft haftet primär der Verein als juristische Person, da er formal als Vormund eingesetzt ist (§ 31 BGB i.V.m. § 1791b BGB). Dies gilt sowohl für Handlungen der offiziellen Vertreter als auch der eingesetzten Einzelmitarbeiter, sofern diese innerhalb der ihnen übertragenen Aufgaben handeln. Der Verein kann den mit der Vormundschaft betrauten Mitarbeiter bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz in Regress nehmen, wobei dies stets die individuelle Prüfung des Verschuldens voraussetzt. Bei leichten Pflichtverletzungen greift in der Regel das Prinzip der Haftungsbeschränkung, insbesondere wenn der Fehler in der ordnungsgemäßen Ausübung der Vormundschaftsaufgaben passiert ist. Das Mündel hat bei Pflichtverletzung durch den Vereinsvormund oder dessen Mitarbeiter einen direkt gegen den Verein gerichteten Schadensersatzanspruch aus der Vormundschaft (§ 1833 BGB). Die Haftung des Vereins ist grundsätzlich nicht ausgeschlossen, sie kann aber vereinsintern durch entsprechende Versicherungen (Vermögensschadenhaftpflichtversicherung) abgedeckt werden.

Ist der Vormundschaftsverein zur Verschwiegenheit verpflichtet?

Ja, die Schweigepflicht ist ein wesentlicher Bestandteil der Vormundschaftstätigkeit. Der Verein und die von ihm eingesetzten Mitarbeiter sind verpflichtet, über alle ihnen im Zusammenhang mit der Vormundschaft und den persönlichen Verhältnissen des Mündels bekannt gewordenen Angelegenheiten Verschwiegenheit zu bewahren (§ 203 StGB, § 1791b BGB). Diese Pflicht bleibt auch nach Beendigung des Vormundschaftsverhältnisses bestehen. Eine Offenlegung ist nur erlaubt, wenn eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung vorliegt oder der Mündel bzw. dessen gesetzlicher Vertreter im Rahmen der Befugnisse die Entbindung von der Schweigepflicht ausdrücklich erteilt hat. Die Wahrung der Schweigepflicht ist insbesondere bei sensiblen persönlichen oder medizinischen Daten von zentraler Bedeutung und dient dem Schutz des Mündels.

Welche Möglichkeiten der Beschwerde oder des Wechsels des Vereinsvormunds bestehen?

Sollte der Mündel, die Pflegefamilie oder eine andere berechtigte Person aus erheblichen Gründen Zweifel an der Eignung oder dem Vorgehen des Vereinsvormunds haben, kann beim Familiengericht eine Beschwerde oder ein Antrag auf Wechsel des Vormunds gestellt werden (§ 1886 BGB). Das Gericht prüft dann, ob ein wichtiger Grund für eine Entlassung des Vereinsvormunds und gegebenenfalls für die Bestellung eines neuen Vormunds besteht. Wichtige Gründe sind etwa grobe Pflichtverletzungen, mangelnde persönliche Eignung oder der Verlust der Anerkennung als Vormundschaftsverein. Der Antrag kann sowohl vom Mündel selbst (ab Vollendung des 14. Lebensjahres), der Jugendhilfe oder einer anderen beteiligten Person gestellt werden. Das Gericht ist verpflichtet, den Sachverhalt umfassend zu prüfen und das Wohl des Mündels in den Vordergrund zu stellen, wobei insbesondere das rechtliche Gehör und die Wünsche des Mündels maßgeblich sind.