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Verbleibensanordnung


Begriff und rechtlicher Rahmen der Verbleibensanordnung

Eine Verbleibensanordnung ist eine im deutschen Familienrecht normierte gerichtliche Maßnahme, mit der das Familiengericht auf Antrag eines Elternteils (oder des Kindes selbst) bestimmen kann, dass ein Kind für die Dauer eines laufenden Sorgerechtsverfahrens – insbesondere während eines Umgangs- oder Sorgerechtsstreits – im Haushalt eines Elternteils oder einer sonstigen Person oder Einrichtung verbleiben soll. Sie ist im Kontext des sogenannten “Kindschaftsrechts” und des Schutzes des Kindeswohls von besonderer Bedeutung.

Diese Anordnung dient der Abwendung von Nachteilen für das Kind während des laufenden Verfahrens und bietet einen vorläufigen, sofort wirksamen Regelungsmechanismus, der typischerweise eine einstweilige Anordnung darstellt. Die rechtlichen Grundlagen finden sich insbesondere in § 1632 Absatz 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) und § 49 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG).


Gesetzliche Grundlagen der Verbleibensanordnung

Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

Nach § 1632 Abs. 3 BGB hat das Familiengericht die Befugnis, eine vorläufige Anordnung über das Verbleiben des Kindes zu treffen, wenn konkrete Anhaltspunkte bestehen, dass das Kindeswohl bei einem Elternteil oder einer anderen betreuenden Person gefährdet ist. Die Vorschrift stellt sicher, dass das Kind bis zu einer endgültigen Entscheidung über das Sorgerecht oder den Aufenthalt des Kindes vor schädlichen Veränderungen bewahrt wird.

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG)

Das FamFG regelt das formelle Verfahren für die Beantragung und spätere Überprüfung der Verbleibensanordnung. § 49 FamFG konkretisiert die Voraussetzungen, das Verfahren und die Reichweite des gerichtlichen Eingriffs.


Voraussetzungen für die Anordnung

Gefährdung des Kindeswohls

Zentrale Voraussetzung ist die glaubhaft gemachte Gefahr für das Wohl des Kindes (§ 49 Abs. 1 FamFG). Das Gericht prüft, ob durch einen Verbleib bei der aktuellen Bezugsperson eine Verschlechterung der Umstände für das Kind verhindert werden kann. Eine Gefährdung kann zum Beispiel durch Gewalt, Vernachlässigung, psychische Belastung oder instabile Lebensumstände entstehen.

Eilbedürftigkeit und Vorläufigkeit

In der Praxis wird eine Verbleibensanordnung meist im Wege der einstweiligen Anordnung getroffen, da rasches Handeln im Interesse des Kindes geboten ist. Sie ist befristet und gilt grundsätzlich, bis eine abschließende familiengerichtliche Entscheidung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht oder das Sorgerecht ergeht.


Verfahrensrechtliche Aspekte

Antragstellung

Ein Antrag auf Verbleibensanordnung kann von einem Elternteil, dem Jugendamt als “Verfahrensbeteiligten kraft Gesetzes” oder gegebenenfalls auch vom Kind selbst gestellt werden. Die Antragsberechtigung erstreckt sich auf alle Sorgeberechtigten sowie ggf. auf Dritte, bei denen sich das Kind gewöhnlich aufhält.

Beteiligung von Behörden und Dritten

Das Jugendamt wird gemäß § 162 FamFG im Verfahren regelmäßig beteiligt, um das Interesse des Kindes angemessen zu berücksichtigen und gegebenenfalls zur Sachverhaltsaufklärung beizutragen.

Dauer und Aufhebung

Die Anordnung gilt bis zur Entscheidung in der Hauptsache, kann aber jederzeit geändert oder aufgehoben werden, wenn sich die Sachlage oder die Bedürfnisse des Kindes verändern. Das Gericht ist verpflichtet, regelmäßig zu überprüfen, ob die Voraussetzungen weiterhin gegeben sind.


Rechtsfolgen und Wirkung

Rechtskraft und praktische Folgen

Mit Erlass einer Verbleibensanordnung erhält die betreuende Person eine klare Rechtsposition. Die Verbringung des Kindes aus dem zugesprochenen Haushalt ist dann dem anderen Elternteil oder Dritten untersagt. Verstöße können als Kindesentziehung nach § 235 StGB strafrechtlich relevant sein.

Zwangsvollstreckung

Die Verbleibensanordnung kann gegebenenfalls vollstreckt werden. Das Familiengericht kann zur Durchsetzung „unmittelbaren Zwang” anordnen und das Jugendamt oder die Polizei mit der Rückführung beauftragen, soweit dies zur Wahrung des Kindeswohls erforderlich ist.


Abgrenzung zu ähnlichen Maßnahmen

Unterschied zur einstweiligen Anordnung im Sorgerecht

Während einstweilige Anordnungen im Sorgerecht umfassend die elterliche Sorge regeln können, betrifft die Verbleibensanordnung ausschließlich die Frage, wo das Kind während des Verfahrens seinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Die Sorgerechtsverhältnisse werden davon nicht berührt.

Verhältnis zum Herausgabeanspruch

Der Herausgabeanspruch nach § 1632 Abs. 1 BGB regelt die dauerhafte Rückgabe eines Kindes an die Sorgeberechtigten. Die Verbleibensanordnung hingegen stellt eine vorläufige Maßnahme dar, um Nachteile während eines anhängigen Verfahrens abzuwenden.


Bedeutung und Kritik

Schutzfunktion

Die Verbleibensanordnung besitzt eine präventive Funktion zum unmittelbaren Schutz des Kindes, insbesondere bei eskalierenden Konflikten. Sie ermöglicht eine schnelle gerichtliche Intervention.

Kritik und Diskussion

In der Diskussion steht, dass – obwohl die Maßnahme dem Schutz des Kindes dient – ein erheblicher Eingriff in das Elternrecht vorliegt, was eine sorgfältige und einzelfallbezogene Interessenabwägung durch das Gericht unabdingbar macht. Kritisiert wird mitunter die Anwendungspraxis, insbesondere Schwächen bei der Überprüfung und Nachkontrolle der Anordnung.


Literatur und weiterführende Hinweise

  • Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), insbesondere § 1632 Abs. 3
  • Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG), insbesondere § 49
  • Staudinger/Coester: BGB Kommentar, § 1632
  • Palandt/Brudermüller: BGB Kommentar, § 1632
  • MüKoBGB/Weber, § 1632 BGB

Fazit

Die Verbleibensanordnung ist ein wesentliches Instrument des deutschen Familienrechts, das eine flexible und schnelle vorläufige Regelung zum Schutz des Kindes ermöglicht. Sie sichert dem Kind während familiärer Konflikte Stabilität und fördert die Wahrung des Kindeswohls, bis in der Hauptsache über Sorgerecht oder Aufenthaltsbestimmung entschieden ist. Die Maßnahme verlangt eine sorgfältige Prüfung und Abwägung aller beteiligten Interessen durch das Gericht, um einerseits das Kindeswohl und andererseits die Elternrechte zu gewährleisten.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen für den Erlass einer Verbleibensanordnung vorliegen?

Für den Erlass einer Verbleibensanordnung im familiengerichtlichen Verfahren, insbesondere nach § 1632 Abs. 4 BGB, müssen enge rechtliche Voraussetzungen vorliegen. Zunächst setzt die Anordnung ein laufendes Verfahren voraus, das die Herausgabe des Kindes betrifft, beispielsweise nach einer Trennung der Eltern. Das Familiengericht kann die Verbleibensanordnung jedoch nur treffen, wenn anderenfalls das Kindeswohl durch einen Wechsel in den Haushalt des berechtigten Elternteils gravierend gefährdet würde. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn der plötzliche Wechsel der Betreuungsperson zu einer nicht unerheblichen seelischen oder körperlichen Belastung und damit zu konkreten Nachteilen für das Kind führen würde. Die bloße Tatsache, dass das Kind sich beim umgangsberechtigten Elternteil aktuell aufhält und sich dort eingelebt hat, reicht für die Anordnung in der Regel nicht aus. Vielmehr bedarf es einer sorgfältigen Abwägung aller Umstände des Einzelfalls durch das Familiengericht, wobei insbesondere die Bindungen des Kindes, seine bisherige Entwicklung und seine individuelle Situation maßgeblich sind. Das Gericht hat ferner die Möglichkeit, entsprechende Sachverständigengutachten einzuholen. Die Verbleibensanordnung ist stets eine vorläufige Maßnahme und tritt neben eventuell laufende Sorgerechts- oder Umgangsverfahren.

Wie wirkt sich die Verbleibensanordnung auf bestehende Sorgerechtsentscheidungen aus?

Die Verbleibensanordnung stellt einen vorläufigen staatlichen Eingriff in das elterliche Sorgerecht dar und modifiziert dessen Ausübung temporär, berührt aber die Rechtsinhaberschaft an der elterlichen Sorge nicht direkt. Das bedeutet, dass auch im Falle der Anordnung die inhaltliche Zuweisung der elterlichen Sorge – also ob ein Elternteil das alleinige oder das gemeinsame Sorgerecht besitzt – grundsätzlich unberührt bleibt. Allerdings schränkt das Gericht durch die Verbleibensanordnung im Regelfall das Aufenthaltsbestimmungsrecht so ein, dass das Kind bis zu einer abschließenden Entscheidung – also beispielweise bis zum Abschluss eines Sorgerechtsverfahrens – bei der bisherigen Bezugsperson oder in der bisherigen Umgebung verbleibt. Der Elternteil, dem das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen oder vorübergehend nicht zur Ausübung überlassen wird, ist gleichwohl weiterhin sorgeberechtigt, verliert aber faktisch die Möglichkeit, das Kind aus dem gegenwärtigen Umfeld zu entfernen.

Welche Rechtsmittel stehen gegen eine Verbleibensanordnung zur Verfügung?

Gegen eine vom Familiengericht erlassene Verbleibensanordnung kann gemäß §§ 58 ff. FamFG (Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit) das Rechtsmittel der Beschwerde eingelegt werden. Die Beschwerdefrist beträgt grundsätzlich einen Monat nach Zustellung des Beschlusses (§ 63 FamFG). Die Beschwerde ist bei dem Familiengericht einzureichen, das die Verbleibensanordnung erlassen hat, wird aber an das zuständige Oberlandesgericht weitergeleitet. Die Einlegung der Beschwerde hat aufschiebende Wirkung nur dann, wenn das Gericht dies ausdrücklich anordnet oder anordnen muss (§ 64 Abs. 3 FamFG). In dringenden Fällen kann zusätzlich ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz (suspendierende Wirkung oder einstweilige Abänderung der Maßnahme) gestellt werden. Der Rechtsbehelf muss schlüssig begründet werden, indem insbesondere dargelegt wird, dass das Kindeswohl bei Aufhebung der Verbleibensanordnung nicht konkret gefährdet ist beziehungsweise dass mildere Maßnahmen ausreichend wären.

Unter welchen Umständen kann eine Verbleibensanordnung nachträglich abgeändert oder aufgehoben werden?

Eine Verbleibensanordnung ist grundsätzlich eine vorläufige Maßnahme, die jederzeit vom Gericht abgeändert oder aufgehoben werden kann, wenn sich die maßgeblichen Umstände geändert haben (§ 1696 BGB). Maßgeblich ist stets das Wohl des Kindes, das einer erneuten Prüfung unterzogen werden muss. Eine Abänderung kommt beispielsweise in Betracht, wenn sich die Belastungssituation für das Kind verringert oder dem die ursprüngliche Anordnung zugrunde liegende Sachverhalt nicht mehr aktuell ist (zum Beispiel: Verbesserung der Bindung zum anderen Elternteil, veränderte Betreuungsmöglichkeit, Gutachten mit neuen Erkenntnissen). Eine Aufhebung erfolgt auch dann, wenn eine endgültige Hauptsacheentscheidung im Sorgerechts- oder Umgangsverfahren getroffen wurde, die die vorläufige Regelung ersetzt. Beim Antrag auf Abänderung hat das Familiengericht erneut alle betroffenen Interessen unter besonderer Berücksichtigung der Kindeswohlkriterien zu prüfen und – sofern erforderlich – das Jugendamt und einen Verfahrensbeistand anzuhören.

Welche Rolle spielt das Jugendamt bei der Anordnung und Durchführung einer Verbleibensanordnung?

Das Jugendamt nimmt im Verfahren um eine Verbleibensanordnung eine zentrale Rolle wahr. Gemäß § 162 FamFG ist es als Verfahrensbeteiligter verpflichtet, das Gericht über die für die Entscheidung wesentlichen Sachverhalte zu informieren und das Gerichtsverfahren unterstützend zu begleiten. Das Jugendamt wird häufig mit einer Stellungnahme zu den tatsächlichen Verhältnissen, zur Bindung des Kindes zu den Elternteilen und zu etwaigen kindeswohlgefährdenden Umständen beauftragt. Außerdem kann das Jugendamt gegenüber dem Gericht eigene Anträge stellen und auf Informationslücken oder etwaige Schutzbedarfe hinweisen. Nach Erlass der Verbleibensanordnung überwacht das Jugendamt deren Einhaltung, steht den Betroffenen beratend zur Seite und initiiert – gegebenenfalls gemeinsam mit dem Verfahrensbeistand – Unterstützungsangebote oder Schutzmaßnahmen, wenn die Situation es erfordert.

Was sind die praktischen Auswirkungen der Verbleibensanordnung für den betroffenen Elternteil?

Für den Elternteil, bei dem das Kind nicht verbleiben soll, bedeutet die Anordnung in der Praxis eine erhebliche Einschränkung, da er das Kind – sofern keine ergänzende Umgangsregelung getroffen wurde – zunächst weder in seinen Haushalt aufnehmen noch darüber verfügen darf, wo sich das Kind aufhält. Dies gilt allerdings nur temporär, da die Verbleibensanordnung keine endgültige Sorgerechtsentscheidung darstellt, sondern lediglich eine vorläufige Maßnahme zum Schutz des Kindeswohls bis zur Klärung der Hauptsache ist. Der betroffene Elternteil kann weiterhin – soweit nicht anders geregelt – Kontakt mit dem Kind aufnehmen, telefonieren oder sich bei Umgangsfragen an das Gericht wenden. Eine Verletzung der Anordnung, etwa die eigenmächtige „Mitnahme” des Kindes gegen den gerichtlichen Beschluss, stellt unter Umständen einen Straftatbestand (§ 235 StGB, Entziehung Minderjähriger) und eine Missachtung gerichtlicher Anordnungen dar, die zivilrechtlich sanktioniert werden kann.

Wann endet die Wirksamkeit einer Verbleibensanordnung automatisch?

Die Wirksamkeit einer Verbleibensanordnung endet automatisch mit dem Inkrafttreten einer abschließenden Hauptsacheentscheidung, also insbesondere mit der rechtskräftigen Regelung im Rahmen eines (Sorge-)Rechts- oder Umgangsverfahrens bezüglich des betreffenden Kindes (§ 1632 Abs. 4 BGB). Ebenso endet die Wirkung, wenn das Kind volljährig wird oder aus anderen Gründen die elterliche Sorge entfällt (zum Beispiel Tod eines Elternteils, Adoption, Entzug der elterlichen Sorge durch späteren gerichtlichen Beschluss). Bereits vorher kann das Gericht die Anordnung aufheben, wenn sich die Voraussetzungen wesentlich geändert haben oder das Kindeswohl eine Anpassung erfordert. Die Verbleibensanordnung ist ausdrücklich auf vorübergehende Sicherung des Kindeswohls angelegt und kann daher nicht „dauerhaft” Bestand haben, sondern muss jeweils überprüft und angepasst werden.