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Verbandstarifvertrag


Begriff und Wesen des Verbandstarifvertrags

Ein Verbandstarifvertrag ist ein Tarifvertrag, der zwischen einem Arbeitgeberverband und einer Gewerkschaft auf kollektiver Ebene geschlossen wird. Er regelt die Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien und enthält kollektiv verbindliche Regelungen über Arbeitsbedingungen und Löhne für eine Vielzahl von Arbeitgebern und Arbeitnehmern in einem bestimmten Wirtschaftszweig. Der Verbandstarifvertrag unterscheidet sich somit maßgeblich vom Firmentarifvertrag, der lediglich für einzelne Unternehmen abgeschlossen wird.

Rechtsgrundlagen des Verbandstarifvertrags

Gesetzliche Verankerung

Die rechtliche Grundlage für Verbandstarifverträge bildet insbesondere das Tarifvertragsgesetz (TVG). Das TVG definiert die Zulässigkeit und Wirksamkeit von Tarifverträgen, einschließlich der Bestimmungen über deren Abschluss, Inhalt und Geltungsbereich. Nach § 2 Abs. 1 TVG sind Tarifvertragsparteien Gewerkschaften, einzelne Arbeitgeber sowie Vereinigungen von Arbeitgebern (Arbeitgeberverbände).

Parteien des Verbandstarifvertrags

Tarifvertragsparteien auf Arbeitgeberseite sind regelmäßig Arbeitgeberverbände, die entweder branchenbezogen oder regional tätig sein können. Auf Seiten der Arbeitnehmer tritt eine Gewerkschaft als Verhandlungspartei auf. Der Verbandstarifvertrag entfaltet Bindungswirkung für die Mitglieder des jeweiligen Arbeitgeberverbandes und deren Arbeitnehmer, soweit beide tarifgebunden sind.

Inhalt des Verbandstarifvertrags

Regelungsmaterie

Ein Verbandstarifvertrag enthält insbesondere Regelungen zu folgenden Sachverhalten:

  • Arbeitsentgelt (Löhne und Gehälter)
  • Arbeitszeitgestaltung und Pausenregelungen
  • Urlaubsansprüche und Zusatzurlaube
  • Kündigungsfristen und Beendigung von Arbeitsverhältnissen
  • Eingruppierung und Tätigkeitsmerkmale
  • Schlichtungsverfahren und betriebliche Mitbestimmung

Die Regelungen können sowohl zwingende Mindeststandards als auch ergänzende Normen für das Arbeitsverhältnis festlegen.

Differenzierung nach Tarifarten

Ein Verbandstarifvertrag kann als Manteltarifvertrag abgeschlossen werden, wobei die grundsätzlichen Arbeitsbedingungen geregelt werden. Ergänzend kann ein Lohntarifvertrag oder Entgelttarifvertrag abgeschlossen werden, der spezifischere Regelungen zur Vergütung trifft. Auch sogenannte Spezialtarifverträge, etwa für bestimmte Berufsgruppen innerhalb einer Branche, sind möglich.

Geltungsbereich des Verbandstarifvertrags

Persönlicher, sachlicher und räumlicher Geltungsbereich

Der Geltungsbereich eines Verbandstarifvertrags umfasst insbesondere:

  • Personeller Geltungsbereich: Er bezieht sich auf alle Arbeitnehmer, die in Arbeitsverhältnissen bei einem tarifgebundenen Unternehmensmitglied des Arbeitgeberverbands stehen. Voraussetzung ist regelmäßig auch die Mitgliedschaft in einer tarifschließenden Gewerkschaft.
  • Sachlicher Geltungsbereich: Dieser umfasst den betreffenden Wirtschaftszweig bzw. das konkrete Gewerbe, für das der Verbandstarifvertrag gilt.
  • Räumlicher Geltungsbereich: Verbandstarifverträge gelten in der Regel für das Bundesgebiet oder einen bestimmten Landesteil bzw. eine Region.

Rechtswirkung und Bindung

Tarifbindung

Nach § 3 TVG sind Arbeitgeber, die Mitglied im vereinbarenden Arbeitgeberverband sind, und Arbeitnehmer, die Mitglied der vertragsschließenden Gewerkschaft sind, tarifgebunden. Die Normen des Verbandstarifvertrags gelten unmittelbar und zwingend für diese Arbeitsverhältnisse. Durch eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung (§ 5 TVG) kann der Verbandstarifvertrag auf Antrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales per Rechtsverordnung auch auf bislang nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Geltungsbereich erstreckt werden.

Nachwirkung (§ 4 Abs. 5 TVG)

Kündigt eine Tarifvertragspartei oder tritt ein Arbeitgeber aus dem Verband aus, bleibt der Verbandstarifvertrag für die bestehenden Arbeitsverhältnisse weiter wirksam, bis eine neue tarifliche Regelung oder eine anderweitige Absprache vorliegt. Dies gewährleistet die Kontinuität der tarifvertraglichen Standards.

Abschluss und Kündigung von Verbandstarifverträgen

Abschluss und Verhandlungen

Die Verhandlung und der Abschluss eines Verbandstarifvertrags erfolgen durch die jeweiligen Tarifkommissionen der vertragsschließenden Parteien. Der Verbandstarifvertrag kommt durch schriftliche Fixierung zustande und ist gemäß § 1 Abs. 2 TVG zu unterzeichnen. Die Laufzeit wird regelmäßig individuell festgelegt.

Kündigung und Nachverhandlungen

Kündbar ist ein Verbandstarifvertrag nach den im Vertrag enthaltenen Kündigungsregelungen oder gemäß den gesetzlichen Vorgaben, wenn solche nicht enthalten sind. Nach Ablauf oder Kündigung des Vertrags kann eine Nachwirkung (§ 4 Abs. 5 TVG) eintreten, bis eine neue tarifliche Vereinbarung wirksam wird.

Bedeutung in der Praxis

Flächentarifvertrag und Branchentarifvertrag

In Deutschland sind Verbandstarifverträge die maßgeblichen Instrumente der kollektiven Arbeitsrechtsgestaltung, insbesondere als Flächentarifverträge, die für ganze Branchen oder Regionen Gültigkeit besitzen. Sie schaffen einheitliche Mindeststandards und sorgen für gleiche Wettbewerbsbedingungen innerhalb eines Wirtschaftszweigs. Zugleich sichern sie den sozialen Frieden durch institutionalisierte Verhandlungen zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretungen.

Öffentlicher Dienst und Sonderfälle

Im Bereich des öffentlichen Dienstes regeln Verbandstarifverträge die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten von Bund, Ländern und Kommunen. Darüber hinaus können Verbandstarifverträge Sonderregelungen für spezifische Branchen wie das Baugewerbe, das Gesundheitswesen oder den Einzelhandel enthalten.

Abgrenzung zu anderen Tarifverträgen

Verbandstarifverträge sind von Firmen- oder Haustarifverträgen zu unterscheiden, die zwischen einer Gewerkschaft und einem einzelnen Unternehmen abgeschlossen werden. Während Verbandstarifverträge vielfach flächendeckende Standards setzen, ermöglichen Firmen- oder Haustarifverträge individuelle Regelungen auf Unternehmensebene.

Literaturhinweise und weiterführende Regelungen

Grundlegende gesetzliche Regelungen finden sich im Tarifvertragsgesetz (TVG) sowie in den jeweiligen Verbandstarifverträgen der einzelnen Branchen und Arbeitgeberverbände. Ergänzend sind die einschlägigen arbeitsgerichtlichen Entscheidungen zu beachten, durch die Einzelaspekte des Tarifrechts ausgelegt und fortentwickelt werden.


Dieser Artikel bietet eine umfassende Darstellung des Begriffs Verbandstarifvertrag und behandelt dessen rechtliche Grundlagen, Inhalte, Wirkungen sowie praktische Bedeutung für das Arbeitsrecht in Deutschland.

Häufig gestellte Fragen

Wann und wie gilt ein Verbandstarifvertrag für ein Arbeitsverhältnis?

Ein Verbandstarifvertrag gilt grundsätzlich für ein Arbeitsverhältnis, wenn sowohl der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer tarifgebunden sind. Dies ist der Fall, wenn der Arbeitgeber Mitglied des Arbeitgeberverbandes und der Arbeitnehmer Mitglied der vertragsschließenden Gewerkschaft ist. Die Tarifgebundenheit tritt mit dem Beitritt zur jeweiligen Organisation ein und bleibt bestehen, solange keine Kündigung der Mitgliedschaft erfolgt. Der Tarifvertrag findet unmittelbar und zwingend Anwendung auf das Arbeitsverhältnis (§ 3 Abs. 1 Tarifvertragsgesetz, TVG). Allerdings kann der Verbandstarifvertrag auch für nicht tarifgebundene Parteien gelten, wenn er als allgemeinverbindlich erklärt wurde (§ 5 TVG) oder einzelvertraglich in das Arbeitsverhältnis einbezogen wurde. Die Geltung endet in der Regel mit dem Ablauf des Tarifvertrags oder bei Austritt des Arbeitgebers aus dem Verband, wobei die sog. Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG zu beachten ist. Diese Nachwirkung sorgt dafür, dass die Regelungen des Tarifvertrags fortgelten, bis sie durch eine neue Abmachung ersetzt werden. Das bedeutet, Arbeitnehmer und Arbeitgeber müssen prüfen, ob und welche Bedingungen des Tarifvertrags im konkreten Einzelfall Anwendung finden.

Welche rechtlichen Auswirkungen hat der Verbandstarifvertrag auf abweichende Arbeitsvertragsklauseln?

Durch § 4 Abs. 3 TVG sind die Bestimmungen des Verbandstarifvertrags für tarifgebundene Parteien zwingend und dürfen nicht zum Nachteil des Arbeitnehmers durch arbeitsvertragliche Abreden abgeändert werden (Günstigkeitsprinzip). Arbeitsvertragliche Klauseln, die von den tariflichen Regelungen abweichen und für den Arbeitnehmer ungünstiger sind, sind insoweit unwirksam. Lediglich günstigere arbeitsvertragliche Vereinbarungen, die dem Arbeitnehmer bessere Bedingungen sichern als der Tarifvertrag, bleiben wirksam. Diese zwingende Wirkung bezieht sich ausschließlich auf die normativen Regelungen eines Tarifvertrags, also insbesondere auf Arbeitsbedingungen wie Lohn, Arbeitszeit und Urlaub. Individualrechtliche Regelungen (z.B. Rückzahlungsklauseln, Wettbewerbsverbote) können dagegen, wenn sie nicht tariflich geregelt sind, durch den Arbeitsvertrag ergänzt oder modifiziert werden.

Was bedeutet Nachwirkung eines Verbandstarifvertrags und wie lange besteht sie?

Die Nachwirkung des Verbandstarifvertrags regelt § 4 Abs. 5 TVG und besagt, dass die tariflichen Regelungen auch nach dem Außerkrafttreten des Tarifvertrags auf bestehende Arbeitsverhältnisse weiter Anwendung finden, bis sie durch eine neue Abmachung ersetzt werden. Die Nachwirkung betrifft jedoch nur die normativen Regelungen des Tarifvertrags, nicht aber schuldrechtliche Verpflichtungen zwischen Tarifvertragsparteien. Die Nachwirkung endet, sobald eine neue arbeitsvertragliche oder tarifliche Regelung getroffen wird; dies kann sowohl durch eine individualrechtliche Vereinbarung als auch durch Abschluss eines neuen Tarifvertrags erfolgen. Wichtig ist, dass in der Zeit der Nachwirkung keine Verschlechterungen ohne Zustimmung des Arbeitnehmers vorgenommen werden dürfen.

Kann ein Verbandstarifvertrag rückwirkend Wirkung entfalten?

Ein Verbandstarifvertrag kann grundsätzlich auch rückwirkend in Kraft gesetzt werden, wenn die Tarifvertragsparteien dies ausdrücklich vereinbaren. Die Rückwirkung ist gesetzlich zulässig, sofern keine gesetzlichen Verbote entgegenstehen und die Rückwirkung für die betroffenen Parteien zumutbar ist. Einschränkungen bestehen im Bereich des öffentlichen Rechts, insbesondere im Hinblick auf den Vertrauensschutz und die Klarheit laufender Arbeitsverhältnisse. Bei einer Rückwirkung ist zu berücksichtigen, dass bereits entstandene Ansprüche von Arbeitnehmern nachträglich zugunsten oder zulasten geändert werden können, was insbesondere im Bereich der Lohn- und Gehaltsregelungen zu Beachtungen führt. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts muss die Rückwirkung nach Treu und Glauben für die Betroffenen vorhersehbar und im Rahmen des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes ausgewogen sein.

Welche Möglichkeiten der Allgemeinverbindlicherklärung gibt es und welche Bedeutung hat dies für den Verbandstarifvertrag?

Die Allgemeinverbindlicherklärung eines Verbandstarifvertrags nach § 5 TVG erfolgt durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) auf Antrag einer Tarifvertragspartei. Wird ein Verbandstarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt, gilt er nicht nur für tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sondern auch für alle nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer innerhalb des fachlichen und räumlichen Geltungsbereichs des Tarifvertrags. Die Allgemeinverbindlicherklärung dient dazu, Mindestarbeitsbedingungen branchenweit durchzusetzen und einen einheitlichen Sozialstandard zu gewährleisten. Rechtlich bedeutet dies, dass ab der Veröffentlichung im Bundesanzeiger sämtliche im Geltungsbereich Beschäftigten an die tariflichen Mindeststandards gebunden sind. Eine Ausnahme kann nur erfolgen, wenn die Anwendung des Tarifvertrags für bestimmte Gruppen ausdrücklich ausgeschlossen wurde.

Unter welchen Umständen kann der Verbandstarifvertrag gekündigt oder beendet werden?

Die Beendigung eines Verbandstarifvertrags ist in der Regel durch ausdrückliche Kündigung, Ablauf einer vereinbarten Befristung oder durch Aufhebung im gegenseitigen Einvernehmen möglich. Die Kündigungsfristen sind meist im Tarifvertrag selbst geregelt, andernfalls gelten die gesetzlichen Bestimmungen des § 4 Abs. 3 TVG. Ein Verbandstarifvertrag endet nicht automatisch durch Austritt des Arbeitgebers aus dem Arbeitgeberverband bezüglich bestehender Arbeitsverhältnisse, sondern die tariflichen Regelungen wirken nach wie vor nach (Nachwirkung). Erst mit Abschluss einer neuen tariflichen oder individualrechtlichen Regelung können die nachwirkenden Bestimmungen abgelöst werden. Stirbt eine Partei des Tarifvertrags oder gehen deren Aufgaben auf einen anderen Verband über, bleibt der Tarifvertrag in Kraft, sofern die repräsentierte Branche dies fortführt.

Was ist bei einem Wechsel des Arbeitgeberverbandes im Zusammenhang mit dem Verbandstarifvertrag zu beachten?

Wechselt ein Arbeitgeber den Arbeitgeberverband, kann dies Auswirkungen auf die Tarifgebundenheit und somit auf die Anwendbarkeit des jeweiligen Verbandstarifvertrags haben. Tritt ein Arbeitgeber einem anderen Verband bei, der einen eigenen, möglicherweise abweichenden Tarifvertrag geschlossen hat, entsteht zunächst eine sogenannte Tarifpluralität. In diesem Fall ist im Rahmen des Kollisionsrechts nach dem Grundsatz der Spezialität bzw. des Vorrangs des spezielleren Tarifvertrags zu prüfen, welcher Tarifvertrag anzuwenden ist. Verlässt ein Arbeitgeber den Verband ersatzlos, tritt die Nachwirkung des bisherigen Tarifvertrags ein, bis neue Regelungen vereinbart werden. Besondere Beachtung verlangt die sog. OT-Mitgliedschaft (ohne Tarifbindung), die Arbeitgebern ermöglicht, zwar im Verband zu bleiben, sich aber von der Bindung an die Tarifverträge zu lösen.