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Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetz


Begriff und Zielsetzung des Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetzes

Das Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetz (VDuG) ist ein deutsches Gesetz, das die Richtlinie (EU) 2020/1828 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2020 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher in nationales Recht umsetzt. Das Ziel des Gesetzes ist es, kollektiven Rechtsschutz im Verbraucherrecht zu stärken und Verfahren zu vereinfachen, in denen zahlreiche Verbraucherinnen und Verbraucher von rechtswidrigen Handlungen oder Unterlassungen von Unternehmen betroffen sind.

Hintergrund und Entstehung

Europäische Rechtsgrundlage

Die Richtlinie (EU) 2020/1828 sieht vor, dass qualifizierte Einrichtungen sogenannte Verbandsklagen im Interesse der kollektiven Verbraucherrechte vor nationalen Gerichten und Behörden erheben können. Diese Maßnahmen sollen eine wirksame und einheitliche Rechtsdurchsetzung im Binnenmarkt der Europäischen Union gewährleisten.

Umsetzung in Deutschland

Mit dem Inkrafttreten des Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetzes am 13. Oktober 2023 setzte Deutschland die EU-Richtlinie in nationales Recht um. Das Gesetz regelt die Durchführung gruppenbezogener Klagen durch qualifizierte Einrichtungen und ergänzt damit bestehende Kollektivrechtsschutzinstrumente, insbesondere die Musterfeststellungsklage.

Inhalt und Systematik des Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetzes

Anwendungsbereich

Das VDuG regelt die Rahmenbedingungen für die Durchführung sogenannter Verbandsklageverfahren in Fällen, in denen kollektive Verbraucherinteressen betroffen sind. Der Anwendungsbereich erstreckt sich insbesondere auf Streitigkeiten im Zusammenhang mit Verbraucherverträgen, Datenschutz, Finanzdienstleistungen, E-Commerce, Energieversorgung, Verkehr und weiteren Bereichen des Wirtschaftslebens.

Qualifizierte Einrichtungen

Voraussetzungen für Klagebefugnis

Klagebefugt nach dem VDuG sind sogenannte qualifizierte Einrichtungen (§ 3 VDuG). Hierzu zählen insbesondere Verbraucherverbände, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen müssen, etwa eine ausreichende personelle, sachliche und finanzielle Ausstattung sowie Transparenz hinsichtlich ihrer Finanzierung und Tätigkeitsausrichtung. Eine Zulassung solcher Einrichtungen erfolgt durch das Bundesamt für Justiz und – bei grenzüberschreitenden Klagen – durch die Europäische Kommission.

Verfahrensarten nach dem VDuG

Abhilfeklage

Im Zentrum steht die sogenannte Abhilfeklage. Sie ermöglicht kollektiven Rechtsschutz, indem betroffene Verbraucherinnen und Verbraucher konkrete Ansprüche – beispielsweise auf Schadensersatz, Vertragserfüllung, Rückabwicklung oder Unterlassung – im Wege eines Verbandsklageverfahrens geltend machen können. Die Abhilfeklage ist gegenüber der Musterfeststellungsklage weitergehend, da sie auf eine unmittelbare Zuerkennung individueller Ansprüche zielt.

Deklaratorische Verbandsklage

Daneben kennt das VDuG weiterhin die Möglichkeit, eine feststellende Verbandsklage zu erheben, bei der lediglich die Rechtswidrigkeit einer Maßnahme festgestellt wird. Sie ist insbesondere dann relevant, wenn eine Vielzahl gleichgelagerter Individualansprüche betroffen ist.

Verfahrensrechtliche Besondereiten

Klageregister

Kernbestandteil des Verbandsklagenverfahrens ist das Klageregister (§§ 8 ff. VDuG). Hier können sich betroffene Verbraucherinnen und Verbraucher anmelden, um von einem Abhilfeurteil unmittelbar zu profitieren. Die Anmeldung ist Voraussetzung für die spätere Anspruchsdurchsetzung im Rahmen des Kollektivverfahrens.

Bindungswirkung und Durchsetzbarkeit

Entscheidungen, die im Wege einer Verbandsklage ergehen, sind für alle im Klageregister angemeldeten Verbraucher verbindlich. Dadurch wird eine einheitliche Rechtsprechung herbeigeführt und der gerichtliche Individualrechtsweg in zahlreichen Parallelverfahren entlastet.

Vergleichsmöglichkeiten

Das Verfahren sieht die Möglichkeit vor, Vergleiche zwischen den Parteien unter gerichtlicher Kontrolle abzuschließen (§ 15 VDuG). Ein erzielter Vergleich wirkt ebenfalls unmittelbar für alle registrierten Verbraucher, sofern keine fristgerechte Ablehnung erklärt wird.

Abgrenzung zu anderen Kollektivrechtsschutzinstrumenten

Das VDuG ergänzt, erweitert und unterscheidet sich von bislang bestehenden Mechanismen kollektiven Rechtsschutzes in Deutschland:

  • Unterlassungsklagegesetz (UKlaG): Dient vor allem der Untersagung rechtswidriger Geschäftspraktiken, nicht jedoch der Durchsetzung individueller Ansprüche.
  • Musterfeststellungsklage: Konzentriert sich auf die Feststellung bestimmter Anspruchsvoraussetzungen, ohne unmittelbare Leistungszusprache zugunsten der Verbraucher.
  • Verbandsklagen nach VDuG: Ermöglichen sowohl die Feststellung als auch die unmittelbare Durchsetzung von Ansprüchen.

Auswirkungen und Bedeutung für den Verbraucherschutz

Mit dem Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetz steht in Deutschland ein effektives und modernes Instrument für kollektiven Rechtsdurchsetzung zur Verfügung. Durch die Gemeinschaftlichkeit der Anspruchsdurchsetzung werden insbesondere Verbraucher gestärkt, denen die individuelle Rechtsverfolgung aufgrund finanzieller, organisatorischer oder psychologischer Hemmnisse bislang nicht möglich war. Gleichzeitig bewirkt es einen Anreiz für verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln und eine Stärkung von Rechtsklarheit und -sicherheit im Marktgeschehen.

Literatur und weiterführende Vorschriften

  • Gesetzestext: BGBl. I 2023, Nr. 260, S. 2838
  • Richtlinie (EU) 2020/1828 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher
  • Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), Zivilprozessordnung (ZPO)
  • Musterfeststellungsklagengesetz (MKlaG)
  • Unterlassungsklagengesetz (UKlaG)

Weblinks


Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen für die Zulässigkeit einer Verbandsklage nach dem Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetz erfüllt sein?

Für die Zulässigkeit einer Verbandsklage nach dem Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetz (VRUG) müssen mehrere rechtliche Voraussetzungen vorliegen. Zunächst muss die klagebefugte Stelle, regelmäßig eine sogenannte qualifizierte Einrichtung, zugelassen und in der Liste der berechtigten Stellen geführt sein. Sie muss im öffentlichen Interesse tätig werden und darf keinen Erwerbszweck verfolgen. Die Klage muss gegen einen Unternehmer oder eine Institution erhoben werden, der bzw. die im Rahmen einer geschäftlichen Tätigkeit Schuldverhältnisse begründet hat, durch deren Handlungen Verbraucherinnen und Verbraucher in ihren Rechten verletzt sein könnten. Ferner müssen sich die beanstandeten Geschäftspraktiken auf einen Sachverhalt beziehen, der eine Vielzahl von Verbraucherinteressen betrifft. Die betroffenen Verbraucher müssen sich im Rahmen des vorgesehenen Verfahrens anmelden können (sog. Opt-in-Verfahren), bevor die Anspruchsdurchsetzung erfolgt. Das Gericht prüft zudem, ob die Verbandsklage nicht missbräuchlich erhoben wurde und die Klage hinreichende Erfolgsaussichten bietet. Die Anforderungen an die Substantiierung und Darlegungslast sind für die klagende Einrichtung erhöht. Es gelten besondere Verfahrensvorschriften, wie die Möglichkeit der Aussetzung des Verfahrens im Falle von Individualklagen sowie die Regeln zu Musterentscheidungen.

Wie gestaltet sich der Ablauf des Verbandsklageverfahrens gemäß dem Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetz?

Das Verfahren beginnt mit der Einreichung der Klage durch eine qualifizierte Einrichtung. Nach Prüfung der Zulässigkeit der Klage, insbesondere der formellen Voraussetzungen und der Klagestellung, wird das Verbandsklageverfahren eröffnet. Die betroffenen Verbraucher müssen innerhalb einer gesetzlich bestimmten Frist ihre Ansprüche zum Klageverfahren anmelden, da das VRUG ein Opt-in-Modell vorsieht. Das Gericht prüft sodann den Sachverhalt, mögliche Verteidigungsvorbringen und nimmt eine kollektive Interessenabwägung vor. Es können Beweisverfahren durchgeführt werden, wobei gegebenenfalls auch Sachverständigengutachten eingeholt werden. Am Ende des Verfahrens erlässt das Gericht ein Urteil, das gegenüber den beteiligten Verbrauchern verbindlich ist. Es besteht die Möglichkeit der Berufung beziehungsweise Revision im Rahmen der allgemeinen zivilprozessualen Vorschriften. Die Umsetzung des Urteils erfolgt im Wege der kollektiven Anspruchsdurchsetzung, gegebenenfalls durch Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen.

Welche Rechtsfolgen hat eine erfolgreiche Verbandsklage nach Maßgabe des Gesetzentwurfs?

Im Falle einer erfolgreichen Verbandsklage wird im Urteil nicht nur festgestellt, dass bestimmte Geschäftspraktiken oder Vertragsklauseln rechtswidrig waren, sondern auch eine kollektive Anspruchsfeststellung ausgesprochen. Die betroffenen Verbraucher erhalten damit eine gesicherte Anspruchsgrundlage gegenüber dem beklagten Unternehmer, die sie weiterverfolgen können. In vielen Fällen sieht das Gesetz vor, dass auch ein Kollektivvergleich geschlossen werden kann, bei dem die Ansprüche der betroffenen Verbraucher gütlich geregelt werden. Dieses Ergebnis wirkt dann für alle angemeldeten Verbraucher unmittelbar und ist für den Unternehmer vollstreckbar. Die Umsetzung kann bedeuten, dass beispielsweise Rückzahlungen, Vertragsänderungen, Schadensersatz oder Unterlassungen erfolgen müssen, wobei detaillierte Vollstreckungs- und Abwicklungsmodalitäten gerichtlich angeordnet werden können. In bestimmten Fällen kann die Klage auch auf Unterlassung künftigen Fehlverhaltens gerichtet sein.

Inwiefern unterscheidet sich die neue Verbandsklage vom bestehenden deutschen Rechtsschutzsystem für Verbraucher?

Das Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetz führt zusätzliche Instrumente zur kollektiven Rechtsdurchsetzung ein, die über die bisher geltenden Musterfeststellungsklagen hinausgehen. Während bisher lediglich die Feststellung der Anspruchsgrundlage für Verbraucher im Musterfeststellungsverfahren möglich war, schafft das VRUG erstmals eine Möglichkeit, dass Verbraucher mit einem einzigen kollektiven Urteil nicht nur ihre Ansprüche feststellen, sondern auch durchsetzen lassen können. Weiterhin wird das Spektrum der erlaubten Klagegegenstände erweitert, sodass auch immaterielle Schadensersatzansprüche und kleinere Ansprüche effektiv geltend gemacht werden können. Zudem fordert das Gesetz ein effektives Opt-in-Verfahren, das die Mitwirkung und Information der Verbraucher verbessert. Darüber hinaus wurden die Voraussetzungen für qualifizierte Einrichtungen angepasst und erhöht, um Abmahnmissbrauch entgegenzuwirken und die Effizienz des Rechtsschutzes zu steigern.

Welche Rolle spielen qualifizierte Einrichtungen als Kläger nach dem VRUG, und welche Anforderungen werden an diese gestellt?

Qualifizierte Einrichtungen übernehmen eine zentrale Rolle bei der Einleitung und Durchführung von Verbandsklageverfahren nach dem VRUG. Sie müssen nachweisen, dass sie mindestens zwölf Monate für die Verbraucherinteressen tätig waren, gemeinnützige Zwecke verfolgen, auf demokratischer Basis organisiert sind und Interessenkonflikte ausschließen. Die Listenführung sowie nationale und europäische Anerkennung solcher Organisationen bilden die Grundlage für deren Klagebefugnis. Die qualifizierten Einrichtungen müssen finanzielle und personelle Kapazitäten zur Durchführung komplexer Verfahren nachweisen und dürfen keine wirtschaftlichen Eigeninteressen an dem Ausgang des Verfahrens haben. Sie sind verpflichtet, die betroffenen Verbraucher transparent über das Verfahren, den Stand und die Erfolgsaussichten zu informieren sowie deren Beteiligung im Opt-in-Verfahren sicherzustellen. Verstöße gegen diese Pflichten können zum Ausschluss der Einrichtung oder zur Unzulässigkeit der Klage führen.

Welche Auswirkungen hat das Gesetz auf die Verjährung der Ansprüche betroffener Verbraucher?

Mit Einleitung der Verbandsklage nach dem VRUG wird gemäß § 204 BGB die Verjährung der betroffenen Ansprüche für alle angemeldeten Verbraucher gehemmt. Dies bedeutet, dass Ansprüche, die zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht verjährt sind, während des gesamten Verbandsklageverfahrens nicht verjähren können. Erst mit Abschluss oder Beendigung des Kollektivverfahrens beginnt die Verjährungsfrist erneut zu laufen. Dies ist für die betroffenen Verbraucher von großer Bedeutung, da sie durch die Anmeldung ihrer Ansprüche in das Verbandsklageverfahren rechtssicher vor Verjährung geschützt sind und gegebenenfalls nachträglich aktiv werden können, ohne dass ihre Rechte zwischenzeitlich verloren gehen. Die Regelung stellt einen wichtigen Unterschied zum bisherigen Verjährungsrecht dar, da bislang die individuelle Geltendmachung oder Anmeldung zur Musterfeststellungsklage notwendig war.

Welche Besonderheiten bestehen hinsichtlich der Finanzierung und Kostenverteilung im Verbandsklageverfahren?

Die Finanzierung der Verbandsklage obliegt in erster Linie der klagenden qualifizierten Einrichtung, die daher über hinreichende Eigenmittel verfügen oder externe Unterstützer – wie Verbraucherzentralen oder Stiftungen – einbinden muss. Es gelten die allgemeinen zivilprozessualen Grundsätze hinsichtlich der Kostentragung: Unterliegt die Einrichtung mit ihrer Klage, muss sie die Kosten selbst tragen; obsiegt sie, hat der Beklagte die Kosten zu übernehmen. Für die angemeldeten Verbraucher fallen keine Gerichtsgebühren oder Prozesskosten an, es sei denn, sie treten dem Verfahren als Beigeladene oder Nebenintervenienten aktiv bei. Zudem enthält das VRUG Regelungen für die anteilige Kostenerstattung und zur Verhinderung von Kostenmissbrauch. In manchen Fällen ist durch das Gesetz eine öffentliche Förderung oder Drittmittelfinanzierung möglich, wobei Transparenzpflichten bestehen, um die Unabhängigkeit der Einrichtung zu gewährleisten.