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Unvollkommene Rechte (Ansprüche)

Unvollkommene Rechte (Ansprüche): Bedeutung, Einordnung und Rechtsfolgen

Unvollkommene Rechte, häufig auch als unvollkommene Ansprüche oder Naturalobligationen bezeichnet, sind Forderungen, die rechtlich existieren, deren zwangsweise Durchsetzung durch Gerichte oder Behörden jedoch ausgeschlossen ist. Sie stehen damit zwischen voll durchsetzbaren Ansprüchen und bloßen moralischen Pflichten. Obwohl sie nicht eingeklagt werden können, entfalten sie rechtliche Wirkungen: Eine freiwillige Erfüllung gilt in der Regel als wirksam und kann regelmäßig nicht rückgängig gemacht werden.

Kernaussage

Ein unvollkommener Anspruch ist ein rechtlich anerkannter Anspruch ohne staatliche Durchsetzungsmöglichkeit. Er ist mehr als eine reine Gewissenspflicht, weil das Recht die freiwillige Erfüllung schützt und ihr Wirkungen beimisst.

Abgrenzung zu anderen Anspruchsarten

Vollkommene (durchsetzbare) Ansprüche

Vollkommene Ansprüche können mit staatlichen Mitteln durchgesetzt werden. Bei unvollkommenen Ansprüchen fehlt diese Durchsetzungsmöglichkeit, obwohl die Forderung als solche rechtlich anerkannt bleibt.

Nichtige oder unerlaubte Ansprüche

Nichtige oder gegen grundlegende Wertungen verstoßende Forderungen sind rechtlich nicht existent. Eine Leistung hierauf ist häufig rückforderbar. Unvollkommene Ansprüche sind demgegenüber grundsätzlich wirksam entstanden, es fehlt lediglich die Durchsetzbarkeit.

Bloße moralische Pflichten

Reine Gewissenspflichten haben keine Rechtswirkung. Unvollkommene Ansprüche sind mehr als das: Das Recht ordnet ihnen typische Folgen zu, etwa die Wirksamkeit einer freiwilligen Erfüllung.

Entstehungsgründe unvollkommener Rechte

Zeitablauf und Verjährung

Der häufigste Grund ist der Ablauf von Fristen. Nach Ablauf bestimmter Zeiträume kann ein Schuldner die Leistung verweigern. Der Anspruch bleibt rechtlich vorhanden, verliert jedoch seine Durchsetzbarkeit. Leistet der Schuldner dennoch, gilt dies regelmäßig als Erfüllung.

Einreden und prozessuale Schranken

Bestimmte rechtliche Einreden oder Verfahrensregeln können die staatliche Durchsetzung verhindern, selbst wenn der Anspruch dem Grunde nach besteht. Das führt zu einem rechtlich anerkannten, aber nicht klagbaren Anspruch.

Gesetzliche oder wertungsgeleitete Beschränkungen

Gesetzgeberische Wertungen können einzelne Anspruchsarten bewusst von der Durchsetzung ausschließen, etwa aus Gründen des Schutzes bestimmter Personengruppen oder zur Vermeidung sozial unerwünschter Anreize. Der Anspruch bleibt dann als unvollkommener Anspruch bestehen.

Rechtsfolgen unvollkommener Rechte

Keine staatliche Durchsetzung

Gerichte und Vollstreckungsorgane setzen einen unvollkommenen Anspruch nicht zwangsweise durch. Der Schuldner kann sich auf das Durchsetzungshindernis berufen.

Wirksamkeit der freiwilligen Erfüllung

Zahlt der Schuldner freiwillig, ist die Leistung in der Regel wirksam. Sie kann regelmäßig nicht zurückgefordert werden, weil die zugrunde liegende Verpflichtung rechtlich anerkannt ist, auch wenn sie nicht erzwungen werden kann.

Aufrechnung und Zurückbehaltung

In vielen Rechtsordnungen ist eine Aufrechnung mit unvollkommenen Ansprüchen möglich, wenn die Voraussetzungen schon bestanden, bevor die Durchsetzbarkeit entfiel. Ob und in welchem Umfang dies gilt, richtet sich nach den jeweiligen nationalen Regeln.

Sicherheiten und Nebenrechte

Akzessorische Sicherheiten (z. B. Bürgschaften, Pfandrechte), die der Durchsetzung dienen, folgen in der Regel dem Schicksal des Hauptanspruchs. Bei unvollkommenen Ansprüchen sind Sicherheiten häufig ebenfalls nicht durchsetzbar oder entfallen; Details sind jedoch vom Einzelfall und der Rechtsordnung abhängig.

Neubegründung und Bestätigung

Ein unvollkommener Anspruch kann durch eine nachträgliche Bestätigung oder ein neues, selbständiges Leistungsversprechen in einen durchsetzbaren Anspruch übergehen, sofern die rechtlichen Voraussetzungen dafür erfüllt sind. Auch ein klar erkennbares Anerkenntnis kann je nach Rechtsordnung die Rechtslage verändern.

Typische Beispiele

Verjährte Geldforderungen

Eine ursprünglich voll wirksame Forderung aus Vertrag kann nach Ablauf der maßgeblichen Frist nicht mehr zwangsweise geltend gemacht werden. Sie bleibt als unvollkommener Anspruch bestehen; eine freiwillige Zahlung ist wirksam.

Historische Konstellationen (Spiel und Wette)

In älteren Rechtslagen wurden bestimmte Spiel- und Wettschulden als unvollkommene Ansprüche behandelt. Moderne Regelungen differenzieren, etwa nach Zulässigkeit und Regulierung der jeweiligen Spiele.

Vergleichbare Erscheinungen in anderen Rechtsordnungen

Das Konzept der Naturalobligation ist in vielen kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen bekannt. In Systemen des Common Law existieren vergleichbare Konstellationen, etwa bei zeitlich beschränkter gerichtlicher Geltendmachung und bei erneuter Verpflichtung durch eigenständiges Versprechen.

Praktische Bedeutung

Unvollkommene Ansprüche ordnen das Verhältnis zwischen rechtlicher Anerkennung und Durchsetzbarkeit. Für Gläubiger bedeutet dies, dass ein Anspruch rechtlich fortbesteht, auch wenn die zwangsweise Beitreibung ausscheidet. Für Schuldner bleibt bedeutsam, dass eine freiwillige Leistung rechtliche Wirkung entfaltet. In vertraglichen Beziehungen können Bestätigungen, Anerkenntnisse oder eigenständige Versprechen die Rechtslage neu strukturieren.

Begriff und Terminologie

Gebräuchlich sind die Begriffe „unvollkommene Rechte“, „unvollkommene Ansprüche“, „unvollkommene Obligationen“ und „Naturalobligationen“. Sie beschreiben dasselbe Grundphänomen: eine rechtlich anerkannte Verpflichtung ohne staatliche Durchsetzbarkeit, deren freiwillige Erfüllung geschützt ist.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Was ist ein unvollkommener Anspruch?

Ein unvollkommener Anspruch ist eine rechtlich existente Forderung, die jedoch nicht mit staatlichen Mitteln durchgesetzt werden kann. Die freiwillige Erfüllung ist in der Regel wirksam und wird rechtlich geschützt.

Bleibt eine verjährte Forderung rechtlich bestehen?

Ja. Die Forderung bleibt grundsätzlich bestehen, verliert aber ihre gerichtliche Durchsetzbarkeit. Der Schuldner kann die Leistung verweigern; eine freiwillige Zahlung gilt gewöhnlich als Erfüllung.

Kann eine freiwillig erbrachte Leistung auf einen unvollkommenen Anspruch zurückgefordert werden?

In der Regel nicht. Da der Anspruch rechtlich anerkannt ist, wird die freiwillige Leistung geschützt und ist meist nicht rückholbar.

Darf ein unvollkommener Anspruch abgetreten werden?

In vielen Rechtsordnungen ist die Abtretung möglich. Der Erwerber übernimmt jedoch die fehlende Durchsetzbarkeit und kann den Anspruch regelmäßig ebenfalls nicht zwangsweise realisieren.

Ist eine Aufrechnung mit einem unvollkommenen Anspruch zulässig?

Dies ist vielfach zulässig, wenn die Voraussetzungen der Aufrechnung bereits erfüllt waren, bevor die Durchsetzbarkeit entfallen ist. Die genaue Ausgestaltung variiert je nach Rechtsordnung.

Können Zinsen aus unvollkommenen Ansprüchen verlangt werden?

Zinsen setzen üblicherweise einen durchsetzbaren Anspruch voraus. Bei unvollkommenen Ansprüchen ist ein Zinsverlangen daher grundsätzlich ausgeschlossen; Ausnahmen können sich aus besonderen Vereinbarungen oder gesetzlichen Wertungen ergeben.

Entsteht durch ein neues Zahlungsversprechen eine durchsetzbare Pflicht?

Ein eigenständiges, wirksam abgegebenes Leistungsversprechen oder ein Anerkenntnis kann einen neuen, durchsetzbaren Anspruch begründen. Maßgeblich sind die formellen und materiellen Voraussetzungen der jeweiligen Rechtsordnung.

Welche Rolle spielen Sicherheiten bei unvollkommenen Ansprüchen?

Akzessorische Sicherheiten folgen regelmäßig der Hauptforderung. Ist diese nicht durchsetzbar, sind Sicherheiten häufig ebenfalls nicht effektiv nutzbar. Ob und inwieweit Ausnahmen bestehen, hängt von Art der Sicherheit und der jeweiligen Rechtsordnung ab.