Unverfallbarkeit: Begriff und rechtliche Grundlagen
Die Unverfallbarkeit ist ein zentrales Rechtsprinzip im Bereich der betrieblichen Altersversorgung und hat eine breite Bedeutung im Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht. Im weiteren Sinne bezeichnet Unverfallbarkeit den Schutz von Anwartschaften oder Rechten, sodass diese auch dann erhalten bleiben, wenn ein bestimmter Status, beispielsweise das Arbeitsverhältnis, vor Beendigung des Erfüllungsfalles endet. Im deutschen Recht ist der Begriff insbesondere mit den Regelungen zur betrieblichen Altersversorgung nach dem Betriebsrentengesetz (BetrAVG) verknüpft.
Bedeutung der Unverfallbarkeit
Definition und Systematik
Unverfallbarkeit beschreibt im Kontext der betrieblichen Altersversorgung den Zustand, in dem ein Arbeitnehmer einen Rechtsanspruch auf die ihm zugesagte Versorgungsleistung behält, selbst wenn das Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versorgungsfalls (z. B. Ruhestand, Erwerbsunfähigkeit) endet. Anders ausgedrückt: Wird die Versorgungsanwartschaft „unverfallbar“, darf der Arbeitgeber diese nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr widerrufen oder entziehen, sofern bestimmte rechtliche Voraussetzungen erfüllt wurden.
Gesetzliche Grundlage
Die gesetzlichen Regelungen zur Unverfallbarkeit finden sich hauptsächlich im Betriebsrentengesetz (BetrAVG), insbesondere in den §§ 1b bis 4 BetrAVG. Diese Vorschriften konkretisieren, unter welchen Bedingungen unverfallbare Anwartschaften auf Betriebsrente entstehen und wie sie bei Arbeitgeberwechsel oder bei vorzeitigem Ausscheiden des Mitarbeiters behandelt werden. Ergänzende gesetzliche Grundlagen bestehen unter anderem im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) und Sozialgesetzbuch VI (SGB VI) im Zusammenhang mit der Altersvorsorge.
Voraussetzungen für die Unverfallbarkeit
Regelunterschiede nach Art der Zusage
Unmittelbare und unmittelbare Versorgungszusagen
Unverfallbarkeit unterscheidet sich danach, ob die Anwartschaft aus einer unmittelbaren Versorgungszusage des Arbeitgebers, einer Unterstützungskasse, einer Pensionskasse, einer Direktversicherung oder einem Pensionsfonds stammt. Die gesetzlichen Voraussetzungen gelten dabei für alle Durchführungswege einheitlich, Unterschiede bestehen jedoch im Detail, insbesondere im Hinblick auf die Wertentwicklung und Übertragbarkeit.
Wichtige Voraussetzungen im Überblick
Dauer der Betriebszugehörigkeit
Gemäß § 1b Absatz 1 BetrAVG entsteht Unverfallbarkeit in der Regel, wenn das Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versorgungsfalls endet und
- das Arbeitsverhältnis mindestens drei Jahre bestanden hat (für Zusagen, die ab dem 1. Januar 2018 erteilt wurden; zuvor fünf Jahre),
- und das 21. Lebensjahr vollendet wurde.
Für Zusagen, die vor diesem Stichtag gemacht wurden, gelten abweichende Fristen und Altersgrenzen.
Arbeitnehmer- und Arbeitgeberfinanzierung
Bei rein arbeitgeberfinanzierten Versorgungszusagen sind die vorgenannten Kriterien maßgeblich. Bei arbeitnehmerfinanzierten Anwartschaften (z. B. über Entgeltumwandlung) gilt die Unverfallbarkeit jedoch ab sofort, also mit dem Zeitpunkt der Umwandlung und Einzahlung (§ 1b Absatz 5 BetrAVG).
Sonderfälle und Ausnahmen
Bei bestimmten Gruppen von Arbeitnehmern oder in Ausnahmefällen können tarifliche oder einzelvertragliche Vereinbarungen von den gesetzlichen Mindeststandards abweichen, aber in der Regel nicht zuungunsten des Arbeitnehmers.
Rechtsfolgen der Unverfallbarkeit
Schutz der Anwartschaft
Mit Eintritt der Unverfallbarkeit wird die Versorgungsanwartschaft zu einem geschützten Recht. Der ausgeschiedene Arbeitnehmer behält seinen Anspruch auf die spätere Versorgungsleistung. Der Anspruch bleibt bei Kündigung, Auflösung oder Aufhebung des Arbeitsverhältnisses erhalten.
Übertragbarkeit und Portabilität
Nach § 4 BetrAVG besteht eine gesetzlich geregelte Portabilität: Unverfallbare Anwartschaften können unter bestimmten Bedingungen auf einen neuen Arbeitgeber und dessen Versorgungseinrichtung übertragen werden. Dies dient insbesondere der Förderung der Mobilität von Arbeitnehmern und dem Erhalt erworbener Versorgungsansprüche bei Arbeitgeberwechsel.
Begrenzung der Anwartschaft
Die Höhe der unverfallbaren Anwartschaft richtet sich nach der Verhältnisregelung des § 2 BetrAVG. Maßgeblich ist das Verhältnis der tatsächlichen Betriebszugehörigkeit zur Zeit, die bis zum Versorgungsfall erforderlich gewesen wäre. Es wird zwischen Anwartschaften aus Arbeitgeberbeiträgen und Entgeltumwandlung unterschieden.
Unverfallbarkeit im internationalen Kontext
Europarechtlicher Hintergrund
Die Unverfallbarkeitsregelungen in Deutschland stehen auch im Einklang mit europäischen Rahmenbedingungen, insbesondere mit der Richtlinie 2014/50/EU, die Mindeststandards zum Schutz von Betriebsrentenanwartschaften bei grenzüberschreitender Mobilität vorsieht.
Innerstaatliche Umsetzung
Diese rechtlichen Vorgaben wurden in das BetrAVG integriert und bestimmen damit das Schutzniveau der Anwartschaften bei grenzüberschreitenden Sachverhalten innerhalb der Europäischen Union.
Unverfallbarkeit in anderen Rechtsbereichen
Erbrechtliche und zivilrechtliche Aspekte
Auch im Zivilrecht gibt es Ausprägungen der Unverfallbarkeit, insbesondere im Bereich des Nießbrauchs, von Rechten aus Sicherheiten, im Erbrecht bei Pflichtteilsrechten sowie bei bestimmten Dauerschuldverhältnissen. Hier kommt dem Begriff jedoch oft ein anderer inhaltlicher Schwerpunkt zu und bezieht sich weniger auf die Anwartschaftssicherung, sondern auf den Rechtsbestand unabhängig von bestimmten Voraussetzungen.
Abgrenzung zur Unwiderruflichkeit
Während Unverfallbarkeit insbesondere auf die Absicherung von Anwartschaften im Versorgungsrecht abzielt, bezieht sich Unwiderruflichkeit in anderen rechtlichen Zusammenhängen auf den dauerhaften Bestand einer zugesagten Leistung oder eines Rechts, unabhängig von einem bestimmten Ereignis.
Praxisrelevanz und Bedeutung
Schutzfunktion für Arbeitnehmer
Unverfallbarkeitsregelungen stellen sicher, dass Beschäftigte auch nach einem Arbeitsplatzwechsel, einer Kündigung oder betriebsbedingtem Ausscheiden den von ihnen oder vom Arbeitgeber finanzierten Anteil an betrieblicher Altersversorgung erhalten. Dies fördert die Akzeptanz und Wirksamkeit der betrieblichen Altersvorsorge als wichtige Säule der Alterssicherung.
Arbeitgeberinteressen
Für Arbeitgeber besteht eine gesetzliche Pflicht, die Ansprüche erloschener Arbeitnehmer zu dokumentieren und abzusichern. Die Kalkulation und Absicherung dieser Verpflichtungen ist Bestandteil des Personalwesens und der betrieblichen Rückstellungsbildung.
Fazit
Die Unverfallbarkeit ist ein zentrales und vielschichtiges Rechtsprinzip im deutschen Recht der betrieblichen Altersversorgung. Sie schützt Anwartschaften und Rechte von Beschäftigten und sichert deren spätere Versorgung auch im Falle eines vorzeitigen Ausscheidens. Die gesetzlichen und europäischen Rahmenbedingungen regeln die Voraussetzungen, Rechtsfolgen und Durchführungswege klar, bieten jedoch auch Gestaltungsmöglichkeiten durch kollektivrechtliche und individualrechtliche Vereinbarungen. Die Unverfallbarkeit trägt damit sowohl zum sozialen Schutz von Arbeitnehmern als auch zur Rechtssicherheit in der betrieblichen Altersvorsorge bei.
Literaturverzeichnis und Quellen:
- Betriebsrentengesetz (BetrAVG)
- Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
- Sozialgesetzbuch VI (SGB VI)
- Richtlinie 2014/50/EU des Europäischen Parlaments und des Rates
- BAG, Urteil vom 19.06.1990 – 3 AZR 486/88
(Bei Nachnutzung des Artikels bitte aktuelle Gesetzgebung und Rechtsprechung berücksichtigen.)
Häufig gestellte Fragen
Wann gilt die Unverfallbarkeit von Anwartschaften in der betrieblichen Altersversorgung als erreicht?
Die Unverfallbarkeit von Anwartschaften in der betrieblichen Altersversorgung nach deutschem Recht ist erreicht, wenn bestimmte gesetzliche Voraussetzungen erfüllt sind. Maßgeblich ist dabei das Betriebsrentengesetz (BetrAVG). Grundsätzlich wird zwischen dem gesetzlichen Regelfall und vertraglichen Regelungen unterschieden. Nach § 1b BetrAVG sind Anwartschaften auf Leistungen aus einer betrieblichen Altersversorgung in der Regel unverfallbar, wenn das Arbeitsverhältnis nach der Zusage mindestens drei Jahre bestanden hat und der Arbeitnehmer das 21. Lebensjahr vollendet hat (seit dem 1. Januar 2018, zuvor galt das 25. Lebensjahr). Bei älteren Zusagen kann ein abweichender Stichtag gelten. Zudem gibt es Sonderregelungen für Direktzusagen, Unterstützungskassen und Direktversicherungen. Vorzeitig ausgeschiedene Arbeitnehmer behalten damit ihre bis zum Ausscheiden erworbenen Ansprüche, während Anwartschaften, die vor Erfüllung dieser Voraussetzungen erworben wurden, bei Ausscheiden aus dem Betrieb grundsätzlich verfallen.
Welche Gestaltungsmöglichkeiten bestehen für den Arbeitgeber hinsichtlich der Unverfallbarkeit?
Arbeitgeber können, sofern sie keine strengeren gesetzlichen Vorschriften berücksichtigen müssen, die Bedingungen der Unverfallbarkeit zu Gunsten der Arbeitnehmer vertraglich modifizieren. Das bedeutet: Vertragsparteien dürfen im Rahmen der Zusage sowohl frühere als auch einfachere Unverfallbarkeitsbedingungen vorsehen, indem etwa die Fristen verkürzt oder Altersgrenzen herabgesetzt werden. Die Unverfallbarkeitsfrist darf jedoch nicht länger als gesetzlich vorgesehen sein. Die vertragliche Abweichung zuungunsten der Beschäftigten – bspw. durch längere Wartezeiten oder höhere Altersgrenzen – ist dagegen nicht zulässig. Für Versorgungsberechtigte wird hierdurch ein umfassender Mindestschutz gewährleistet, der durch einzelvertragliche Vereinbarung verbessert, aber nicht verschlechtert werden darf.
Welche Leistungen sind bei Eintritt der Unverfallbarkeit zu gewähren?
Bei Eintritt der Unverfallbarkeit steht dem Arbeitnehmer die sogenannte unverfallbare Anwartschaft zu. Das bedeutet, dass bei vorzeitigem Ausscheiden aus dem Betrieb ein Anspruch auf künftige Alters-, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgung verbleibt. Die Höhe der unverfallbaren Anwartschaft richtet sich nach den bis zum Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis erdienten Leistungen (so genannte ratierliche Berechnung), wobei spätere Einkommens- oder Dienstzeitsteigerungen grundsätzlich unberücksichtigt bleiben. Zudem sind gesetzliche Anpassungsregelungen zu beachten, etwa zu dynamischen Anwartschaften, sowie Prämienanpassungen bei Direktversicherungen. Auch Mitnahmemöglichkeiten, wie der Übertragungswert bei einem Arbeitgeberwechsel (Portabilität), resultieren aus dieser Rechtsposition.
Kann die Unverfallbarkeit durch beitragsorientierte Leistungszusagen oder Entgeltumwandlung anders ausgestaltet werden?
Im Rahmen beitragsorientierter Leistungszusagen oder bei Entgeltumwandlungsmodellen sieht das Gesetz gesonderte Regelungen zur Unverfallbarkeit vor. Bei diesen Zusagen besteht teils bereits ab Beginn der Beitragszahlung eine Unverfallbarkeit der Anwartschaften, sofern es sich um eigene Beiträge des Arbeitnehmers im Rahmen der Entgeltumwandlung gemäß § 1b Abs. 5 BetrAVG handelt. Insbesondere für reine arbeitnehmerfinanzierte Anwartschaften entfällt die Wartefrist auf Unverfallbarkeit vollständig. Bei beitragsorientierter Finanzierung durch den Arbeitgeber gelten hingegen die klassischen Fristen und Bedingungen. Die Unverfallbarkeit betrifft immer den bis zum Ausscheiden erreichten Beitragserfolg.
Welche rechtlichen Folgen hat eine vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Erreichen der Unverfallbarkeit?
Scheitert ein Arbeitsverhältnis vor Erfüllung der Unverfallbarkeitsvoraussetzungen – also vor Ablauf der gesetzlichen Wartefrist oder vor Erreichen der Altersgrenze -, so fallen sämtliche bis dahin zugesagten Anwartschaften grundsätzlich ersatzlos weg, sofern keine günstigere Regelung besteht. Der Verlust betrifft sämtliche Versorgungsaspekte, insbesondere auch gegebenenfalls eingezahlte Arbeitgeberbeiträge im Rahmen arbeitgeberfinanzierter Modelle. Eine Rückerstattung erfolgt in der Regel nicht, und der Arbeitnehmer erwirbt keine betriebliche Versorgungsanwartschaft für die zurückgelegte Zeit.
Welche Wechselwirkungen bestehen zwischen Unverfallbarkeit und Portabilität?
Mit Umsetzung der EU-Mobilitätsrichtlinie ins deutsche Recht wurde die Portabilität, das heißt die Übertragbarkeit unverfallbarer Anwartschaften bei einem Arbeitgeberwechsel, erheblich ausgebaut. Arbeitnehmer, die eine unverfallbare Anwartschaft erworben haben, können – sofern die betriebliche Altersversorgung nach dem 31. Dezember 2004 abgeschlossen wurde – grundsätzlich verlangen, dass entweder der Wert der Anwartschaft auf ein neues Versorgungssystem übertragen wird („Übertragungswert“) oder der Anspruch bei dem früheren Arbeitgeber ruht. Die gesetzlichen Rechtsgrundlagen hierzu sind insbesondere § 4 BetrAVG sowie § 4 Abs. 3 BetrAVG für den Übertragungswert.
Was geschieht mit der unverfallbaren Anwartschaft im Falle des Todes des Arbeitnehmers?
Stirbt ein Arbeitnehmer nach Eintritt der Unverfallbarkeit, besteht grundsätzlich ein Anspruch der Hinterbliebenen auf die vereinbarten Versorgungsleistungen, sofern eine entsprechende Hinterbliebenenversorgung im Rahmen der Versorgungszusage vereinbart wurde. Ist dies nicht der Fall, fällt die unverfallbare Anwartschaft in der Regel nicht an Angehörige oder Erben zurück. Die jeweiligen Details und Ansprüche hängen von den spezifischen betrieblichen Regelungen und den Regelungen der Versorgungszusage ab. Es gelten insoweit die vereinbarten oder tariflichen Bedingungen. Gesetzliche Mindeststandards, z. B. für Witwen-/Witwerversorgung, sind zu beachten.