Legal Lexikon

Unisextarif


Definition und rechtliche Grundlagen des Unisextarifs

Der Begriff Unisextarif bezeichnet einen Tarif in privatwirtschaftlichen Versicherungsverträgen, bei dem das Geschlecht der versicherten Person bei der Beitragskalkulation keine Rolle mehr spielt. In Bezug auf Lebens-, Kranken-, Unfall- und Rentenversicherungen im europäischen Binnenmarkt wurde der Unisextarif als Reaktion auf rechtliche Vorgaben eingeführt, die einen Diskriminierungsschutz aufgrund des Geschlechts gewährleisten sollen. Die Einführung des Unisextarifs markiert einen bedeutenden Einschnitt in der Tarifstrukturierung von Versicherungsunternehmen und folgt unmittelbar europarechtlichen sowie nationalen Vorschriften.


Historische Entwicklung und EU-rechtlicher Hintergrund

Ausgangslage vor Einführung der Unisextarife

Bis zum Inkrafttreten spezifischer Gleichbehandlungsvorschriften war es Versicherungsunternehmen gestattet, bei der Beitragsberechnung die statistisch belegten Unterschiede im Risiko- und Leistungsprofil zwischen Männern und Frauen zu berücksichtigen. Diese sogenannte geschlechtsabhängige Kalkulation führte dazu, dass Frauen und Männer unterschiedliche Prämien oder Leistungen für identische Versicherungsprodukte erhielten.

Richtlinie 2004/113/EG

Ein entscheidender Wendepunkt war die Verabschiedung der Richtlinie 2004/113/EG des Rates der Europäischen Union zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen („Antidiskriminierungsrichtlinie“). Die Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, geschlechtsspezifische Diskriminierungen in vielen Bereichen zu unterbinden. Sie erlaubt jedoch unter bestimmten Bedingungen weiterhin geschlechtsspezifisch unterschiedliche Prämien, sofern diese auf relevanten und genauen versicherungsmathematischen und statistischen Daten beruhen.

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 1. März 2011 – Rechtssache C-236/09

Eine endgültige Klärung erfolgte durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache „Test-Achats“. Der EuGH stellte fest, dass geschlechtsspezifische Beitragsunterschiede ab dem 21. Dezember 2012 unionsrechtswidrig sind. Dies hatte zur Folge, dass ab diesem Stichtag der Abschluss neuer Versicherungsverträge ausschließlich zum Unisextarif zulässig ist. Die unmittelbare Wirkung dieses Urteils betrifft alle Neugeschäfte im Versicherungswesen.


Umsetzung in Deutschland – Gesetzliche Regelungen und Behördenpraxis

Anpassung des Versicherungsvertragsrechts

Die Vorgaben des EuGH wurden durch Artikel 2 § 20 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) sowie Anpassungen im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) national umgesetzt. Seit dem 21. Dezember 2012 ist jede geschlechtsabhängige Differenzierung neuer Versicherungsverträge unzulässig. Bei Bestandsverträgen vor diesem Datum bleibt die bisherige Kalkulation bestehen.

Versicherungsprodukte und Anwendungsbereich

Die Regelung betrifft insbesondere folgende Versicherungsarten:

  • Lebensversicherungen
  • Rentenversicherungen
  • Krankenversicherungen
  • Unfallversicherungen
  • Pflegeversicherungen (soweit privatwirtschaftlich organisiert)

Hiervon ausgenommen sind Versicherungsprodukte, die auf einer Gruppenversicherung oder betrieblichen Altersversorgung beruhen, sofern gruppenspezifische Risikoabwägungen weiterhin zulässig sind.


Rechtsfolgen und praktische Auswirkungen

Verbot geschlechtsabhängiger Differenzierung

Unisextarife führen dazu, dass Versicherungsunternehmen ihr traditionelles Kalkulationsprinzip anpassen mussten. Die Prämien und möglichen Leistungen richten sich seither ausschließlich nach anderen versicherungsmathematischen Faktoren, nicht mehr nach dem Geschlecht der versicherten Person.

Auswirkungen für Versicherungsnehmerinnen und Versicherungsnehmer

Durch die Einführung der Unisextarife kommt es zu Angleichungen bei Prämien und Leistungen, die zu einer Gleichbehandlung beider Geschlechter führen. In der Praxis bedeutet dies, dass geschlechterspezifische Rabattierungen oder Zuschläge nicht mehr zulässig sind. Dies kann für einzelne Risikogruppen sowohl steigende als auch sinkende Beiträge bedeuten:

  • Beispielsweise stiegen bei Risikolebensversicherungen für Männer die Prämien, während diese für Frauen sanken.
  • In der privaten Krankenversicherung oder bei Rentenversicherungen können sich die Veränderungen für beide Geschlechter unterschiedlich auswirken.

Kontrolle und Sanktionen

Die Einhaltung der Unisex-Regelungen unterliegt der Aufsicht durch die jeweiligen nationalen Aufsichtsbehörden, in Deutschland insbesondere durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Verstöße gegen das Diskriminierungsverbot können zu aufsichtsrechtlichen Maßnahmen und Vertragsnichtigkeit führen.


Ausnahme- und Übergangsvorschriften

Stichtagsregelung und Bestandsschutz

Der Zwang zur Anwendung von Unisextarifen gilt ausschließlich für Versicherungsverträge, deren Abschluss nach dem 21. Dezember 2012 erfolgte. Bestandsverträge, die vor diesem Datum geschlossen wurden, behalten ihre tarifliche Grundlage.

Gruppenversicherungen

Für Gruppenversicherungen, die z.B. Bestandteil betrieblicher Versorgungssysteme sind, kann unter bestimmten Voraussetzungen weiter differenziert werden, sofern die Unterscheidung auf objektiven und sachlichen Merkmalen beruht und nicht ausschließlich das Geschlecht betrifft.


Rezeption und rechtliche Bewertung

Die Einführung des Unisextarifs stellt ein bedeutendes Element des Diskriminierungsschutzes im Versicherungsrecht dar. Das Gleichbehandlungsgebot hat direkte Auswirkungen auf die Tarifgestaltung und die Risikostruktur der Versicherungsunternehmen. In der Rechtswissenschaft und staatlichen Praxis wurde die Umstellung kontrovers diskutiert, insbesondere mit Blick auf die versicherungsmathematische Solidität der neuen Kalkulationsgrundlagen.


Zusammenfassung

Der Unisextarif ist eine infolge europarechtlicher Vorgaben rechtlich verbindliche Kalkulationsmethode in der privaten Versicherungswirtschaft, die eine geschlechtsunabhängige Prämienberechnung vorschreibt. Die Einführung dient dem Schutz vor Diskriminierung und verwirklicht das Gleichbehandlungsgebot im europäischen Versicherungsmarkt. Sämtliche aufsichtsrechtlichen und gesetzlichen Vorgaben zielen darauf ab, eine geschlechterneutrale Preisbildung für Versicherungsprodukte sicherzustellen, wodurch sich sowohl für Versicherungsunternehmen als auch für Versicherungsnehmer wesentliche Änderungen in der Vertragsgestaltung und Prämienhöhe ergeben.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Grundlagen regeln den Unisextarif?

Die rechtlichen Grundlagen für den Unisextarif ergeben sich auf europäischer Ebene aus der Gleichbehandlungsrichtlinie 2004/113/EG, insbesondere nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 1. März 2011 in der Rechtssache C-236/09 („Test-Achats-Urteil“). Das Urteil hat die bisherige Praxis aufgehoben, nach der in der Versicherungsbranche unterschiedliche Prämien und Leistungen für Männer und Frauen kalkuliert werden durften, sofern dies auf versicherungsmathematischen und statistisch belegten Daten beruhte. Die Bundesrepublik Deutschland hat die Vorgaben durch das Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in nationales Recht umgesetzt. Nach § 19 VAG ist es Versicherungsunternehmen untersagt, beim Abschluss von privaten Versicherungsverträgen geschlechtsspezifische Unterschiede bei Prämien und Leistungen vorzunehmen, es sei denn, eine Ausnahme ist ausdrücklich zulässig. Versicherungsverträge, die nach dem 21. Dezember 2012 neu abgeschlossen wurden, müssen als Unisextarife ausgestaltet sein.

Ab wann mussten Versicherungen den Unisextarif umsetzen?

Die Verpflichtung zur Einführung von Unisextarifen trat europaweit am 21. Dezember 2012 in Kraft und betrifft sämtliche Neuverträge, die ab diesem Zeitpunkt geschlossen wurden. Dies basiert unmittelbar auf dem genannten EuGH-Urteil, wobei für Altverträge, die vor diesem Stichtag abgeschlossen wurden, weiterhin Bestandsschutz gilt – sie dürfen weiterhin auf bis dahin geltenden geschlechtsspezifischen Kalkulationsgrundlagen beruhen. Sobald jedoch eine wesentliche Vertragsänderung nach dem Stichtag vorgenommen wird (z.B. bei Umwandlungen, Erhöhungen des Versicherungsschutzes oder Tarifwechsel), unterfallen auch diese Verträge den Unisex-Bestimmungen.

Gibt es Ausnahmen vom Unisextarif?

Die rechtlichen Vorschriften zum Unisextarif sind grundsätzlich strikt, jedoch gibt es wenige, sehr eng auszulegende Ausnahmen. So dürfen beispielsweise Gruppenversicherungen, die auf kollektiven Verträgen basieren, unter bestimmten Voraussetzungen weiterhin differenzierte Leistungen oder Prämien vorsehen, sofern dies ausschließlich auf anderen objektiven Versicherungsmerkmalen als dem Geschlecht beruht. Auch Altverträge sind, wie bereits erwähnt, vom Unisextarif ausgenommen, sofern keine wesentlichen Vertragsänderungen vorgenommen werden. Die europarechtlichen Vorgaben lassen im Übrigen keinen Spielraum für Ausnahmen auf individueller Ebene zu; das Geschlecht darf in keinem Fall für Neuverträge als versicherungsmathematischer Risikofaktor herangezogen werden.

Welche Rechtsfolgen hat eine Missachtung des Unisextarifs?

Die Missachtung der Pflicht zur Anwendung des Unisextarifs stellt einen Verstoß gegen das Versicherungsaufsichtsgesetz sowie gegen geltende EU-Regelungen dar. In der Praxis kann dies für das Versicherungsunternehmen erhebliche aufsichtsrechtliche Konsequenzen wie Abmahnungen, Bußgelder oder im Extremfall sogar Untersagung von Geschäftstätigkeiten durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zur Folge haben. Darüber hinaus wären betroffene Versicherungsverträge an die gesetzlichen Vorgaben anzupassen; die Versicherungskunden können gegebenenfalls Nachzahlung oder Erstattung verlangen, wenn sich nachträglich herausstellt, dass sie benachteiligt wurden.

Wie werden Streitigkeiten rund um Unisextarife geregelt?

Streitigkeiten, die den Unisextarif betreffen, werden grundsätzlich wie sonstige zivilrechtliche Sachverhalte aus Versicherungsverträgen behandelt. Für die außergerichtliche Klärung steht Verbrauchern die Schlichtungsstelle des Versicherungsombudsmanns offen. Kommt eine Einigung nicht zustande, ist der Rechtsweg zu den zuständigen Zivilgerichten eröffnet. Spezialfälle können zudem vor den europäischen Gerichten verhandelt werden, falls sich Fragen der richtlinienkonformen Auslegung des Unionsrechts ergeben. Die Aufsichtsbehörde BaFin kann zudem auf Antrag von Betroffenen tätig werden, wenn systematische Verstöße gegen den Unisextarif vermutet werden.

Welche Bedeutung hat das Unisextarif-Prinzip im Lichte des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG)?

Das AGG sieht ein umfassendes Diskriminierungsverbot, insbesondere hinsichtlich des Geschlechts, im zivilrechtlichen Verkehr vor. Zwar enthält § 20 Abs. 2 AGG eine spezielle Regelung, die die Berücksichtigung des Geschlechts durch Versicherer in Ausnahmefällen zulässt, jedoch wurde dieser Passus durch das EuGH-Urteil und die Umsetzung in nationales Recht faktisch weitgehend obsolet. Der Unisextarif ist Ausdruck der gesetzlichen Verpflichtung, das Diskriminierungsverbot effektiv umzusetzen und so für Gleichbehandlung nicht nur im Arbeitsrecht, sondern explizit auch im Bereich der Privatversicherungen zu sorgen. Ein Verstoß gegen den Unisextarif kann als mittelbare Diskriminierung nach AGG qualifiziert werden.

Können Versicherungsnehmer rückwirkend auf einen Unisextarif bestehen?

Rechtlich besteht kein Anspruch darauf, bestehende Altverträge, die vor dem 21. Dezember 2012 geschlossen wurden, rückwirkend auf einen Unisextarif umzustellen. Diese Verträge unterliegen dem sogenannten Vertrauensschutz und bleiben von der gesetzlichen Neuregelung unberührt, es sei denn, es erfolgen Vertragsänderungen, die als Neuvertrag zu werten sind. Dennoch haben Versicherungsnehmer das Recht, bei konkreten Vertragsänderungen oder Neuabschlüssen auf den entsprechenden Unisextarif gemäß den aktuellen gesetzlichen Vorgaben zu bestehen. Ein Rückwirkungsanspruch besteht nach geltender Rechtslage jedoch nicht.