Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort
Das unerlaubte Entfernen vom Unfallort, umgangssprachlich auch als Fahrerflucht bezeichnet, stellt im deutschen Strafrecht eine zentrale Norm zum Schutz der Rechtspflichten bei Verkehrsunfällen dar. Die einschlägige Vorschrift findet sich in § 142 Strafgesetzbuch (StGB) und regelt, in welchen Fällen das Verlassen des Unfallorts nach einem Verkehrsunfall strafbar ist, welche Rechtsfolgen drohen und wie sich die Verhaltenspflichten der Beteiligten gestalten.
Rechtliche Grundlagen
Tatbestand des § 142 StGB
Der Tatbestand des unerlaubten Entfernens vom Unfallort ist in § 142 StGB normiert. Danach macht sich strafbar, wer sich als Unfallbeteiligter nach einem Unfall im Straßenverkehr vom Unfallort entfernt, bevor er zugunsten der anderen Beteiligten und der Geschädigten die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeugs und der Art seiner Beteiligung ermöglicht hat.
Unfallbegriff
Ein Unfall im Sinne des § 142 StGB ist ein plötzliches, zumindest für einen Beteiligten ungewolltes Ereignis, das mit dem Straßenverkehr und seinen typischen Gefahren in Zusammenhang steht und zu einem nicht völlig belanglosen Personen- oder Sachschaden führt.
Unfallbeteiligter
Unfallbeteiligter ist jede Person, deren Verhalten nach den Umständen zur Verursachung des Unfalls beigetragen haben kann. Die Vorschrift ist weit zu verstehen und umfasst auch Fußgänger oder Radfahrer, sofern sie an der Entstehung des Unfalls mitgewirkt haben könnten.
Feststellungsduldungspflichten
Möglichkeiten der Feststellung
Der Unfallbeteiligte ist verpflichtet, am Unfallort zu verbleiben, um die erforderlichen Angaben zu seiner Person, dem Fahrzeug und seiner Unfallbeteiligung zu ermöglichen. Bleibt kein Geschädigter oder sonstiger Beteiligter vor Ort, so kann die Feststellungspflicht auch dadurch erfüllt werden, dass eine angemessene Zeit am Unfallort gewartet und anschließend die unverzügliche Meldung bei einer nahegelegenen Polizeidienststelle erfolgt.
Dauer der Wartepflicht
Die Dauer der Wartepflicht ist nach den Umständen des Einzelfalles zu bestimmen. Wesentliche Kriterien sind unter anderem die Höhe des entstandenen Schadens, die Tageszeit und die Witterungsverhältnisse. In der Regel sind bei Bagatellschäden Wartezeiten von 15 bis 60 Minuten angemessen, während bei erheblichen Schäden längere Wartezeiten erforderlich sein können.
Strafbarkeit und Rechtsfolgen
Strafrahmen
Das unerlaubte Entfernen vom Unfallort wird gemäß § 142 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe geahndet. Dies gilt auch dann, wenn am eigenen Fahrzeug kein oder nur ein geringer Schaden entstanden ist, sofern ein fremder Schaden vorliegt.
Nebenstrafen und zusätzliche Konsequenzen
Bereits ab einem Schaden von etwa 1.300 Euro sind neben der eigentlichen Strafe auch fahrerlaubnisrechtliche Maßnahmen möglich. Dazu zählen Fahrverbote (§ 44 StGB) oder gar die Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB) bei erheblichem Fremdschaden oder besonderer Rücksichtslosigkeit. Weiterhin kann im Verkehrszentralregister des Kraftfahrt-Bundesamts ein Eintrag erfolgen.
Bedeutung für die Versicherung
Ein unerlaubtes Entfernen vom Unfallort hat regelmäßig auch zivilrechtliche Folgen. Die Kfz-Haftpflichtversicherung kann Regress nehmen und im Falle grober Fahrlässigkeit bis hin zur vorsätzlichen Handlungsweise bis zu 5.000 Euro vom Schädiger zurückfordern. Teil- oder Vollkaskoversicherungen können den Versicherungsschutz ebenfalls einschränken oder verweigern.
Besondere Konstellationen
Entfernen nach eigenständiger Schadensbeseitigung
Mitunter entfernen sich Verkehrsteilnehmer vom Unfallort, um beispielsweise angeblich Hilfe zu holen oder nach Dritten zu suchen. Ein solches Verhalten begründet nicht per se eine Strafbarkeit, solange die Feststellungspflicht ordnungsgemäß erfüllt oder unverzüglich nachgeholt wird.
Nachträgliche Mitteilungspflicht
Verlässt der Unfallbeteiligte den Unfallort aus nachvollziehbaren Gründen, ist er verpflichtet, die Feststellung unverzüglich und aktiv bei der nächsten Polizeidienststelle nachzuholen. Die Rechtsprechung fasst „unverzüglich“ streng auf – zumeist ist darunter eine Meldung innerhalb kürzester Zeit nach dem Ereignis zu verstehen.
Verfahrensrechtliche Aspekte
Ermittlungen
Beim Verdacht des unerlaubten Entfernens vom Unfallort nehmen Polizeibehörden regelmäßig Ermittlungen auf. Zu den Maßnahmen zählen Zeugenbefragungen, Sicherung von Unfallspuren, Auswertung ggf. vorhandener Videoaufzeichnungen und die Überprüfung von Lack- und Schadensteilen.
Strafprozessuale Rechte und Pflichten
Beschuldigte eines Verstoßes gegen § 142 StGB sind zur Mitwirkung an der Aufklärung des Sachverhalts nicht verpflichtet, sie dürfen zum Tatvorwurf schweigen. Eine Aussage- oder Mitwirkungspflicht gegenüber den Ermittlungsbehörden besteht nicht.
Minder schwere Fälle und Strafaufhebung
Tätige Reue (§ 142 Abs. 4 StGB)
In minder schweren Fällen kann gemäß § 142 Abs. 4 StGB von Strafe abgesehen werden, wenn der Unfallbeteiligte freiwillig, bevor die Behörden eingeschaltet oder der Unfall entdeckt wurde, die Feststellungen nachträglich ermöglicht. Diese Möglichkeit, auch „tätige Reue“ genannt, fördert die nachträgliche Meldung und Schadensregulierung.
Häufig gestellte Fragen und Besonderheiten
- Was passiert bei einem Parkrempler ohne Personenschaden?
Auch bei einem Parkrempler gilt die Feststellungspflicht, unabhängig von der Höhe des Schadens und davon, ob ein Personenschaden vorliegt.
- Sind auch Fußgänger oder Radfahrer vom Tatbestand umfasst?
Ja, der Begriff des Unfallbeteiligten ist weit auszulegen und kann auch Nicht-Kraftfahrzeugführer einschließen.
- Gibt es eine Verjährungsfrist?
Die Verfolgungsverjährung richtet sich nach § 78 StGB und beträgt in aller Regel drei Jahre.
Literatur und weitere Informationen
- Deutscher Bundestag, Drucksachen und Materialien zu § 142 StGB
- Kommentierungen im Leipziger Kommentar und im Schönke/Schröder StGB
- Aktuelle Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH)
Fazit
Das unerlaubte Entfernen vom Unfallort ist eine der am häufigsten diskutierten Verkehrsstraftaten. Die gesetzlichen Vorschriften des § 142 StGB bezwecken die Sicherstellung von Schadensregulierung und Opferschutz. Aufgrund gravierender Konsequenzen und komplexer Einzelfälle ist die Einhaltung der Verhaltenspflichten nach einem Unfall von hoher Bedeutung.
Häufig gestellte Fragen
Welche Konsequenzen drohen bei einer Verurteilung wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort?
Im Falle einer Verurteilung wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort nach § 142 StGB drohen sowohl strafrechtliche als auch fahrerlaubnisrechtliche Konsequenzen. Strafrechtlich sieht das Gesetz eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe vor. Hinzu kommt regelmäßig die Verhängung von Nebenstrafen wie dem Fahrverbot (§ 44 StGB) oder dem Entzug der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB), wenn sich der Täter als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hat. Insbesondere bei Unfällen mit bedeutendem Sachschaden (die Grenze wird von Gerichten meist ab etwa 1.300 Euro gezogen) oder bei Personenschäden ist mit einem Entzug der Fahrerlaubnis und einer Sperrfrist für die Wiedererteilung zu rechnen. Darüber hinaus wird der zugrunde liegende Verstoß als Eintrag im Fahreignungsregister vermerkt und zieht in der Regel zwei bis drei Punkte in Flensburg nach sich. Diese Konsequenzen werden unabhängig von zivilrechtlichen Ansprüchen aus dem Unfallereignis verhängt.
Wann liegt kein unerlaubtes Entfernen vom Unfallort vor?
Kein unerlaubtes Entfernen vom Unfallort liegt vor, wenn der Unfallbeteiligte entweder nicht bemerkt hat, dass es zu einem Unfall gekommen ist, oder berechtigte Gründe für das Verlassen des Unfallorts bestehen. Nach der Rechtsprechung muss dem Fahrer bewusst sein, dass ein Sach- oder Personenschaden verursacht wurde. Führt etwa ein extrem geringfügiger Anstoß zu keinerlei spürbarer Erschütterung oder Geräuschentwicklung, kann allenfalls ein Verbotsirrtum angenommen werden, sofern der Fahrer glaubhaft macht, er habe den Unfall nicht bemerkt. Weiterhin entschuldigt ein Notfall, wie etwa die notwendige Versorgung eigener schwerer Verletzungen oder anderer Personen, das sofortige Verlassen, sofern der Unfallbeteiligte sich anschließend unverzüglich um die Feststellung seiner Person und seines Fahrzeugs bemüht. In der Praxis jedoch legen Gerichte an das Vorliegen eines Entschuldigungsgrundes strenge Maßstäbe an.
Welche Pflichten hat ein Unfallbeteiligter nach einem Unfall?
Der Unfallbeteiligte ist nach § 142 StGB verpflichtet, am Unfallort zu verbleiben und die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeugs und der Art seiner Beteiligung zu ermöglichen. Dies umfasst die aktive Mitwirkung, indem er wartenden Polizeibeamten, anderen Unfallbeteiligten oder Geschädigten Name, Anschrift, Kfz-Kennzeichen und gegebenenfalls Führerschein auf Verlangen offenbart. Ist ein Geschädigter nicht anwesend, muss der Unfallbeteiligte eine „angemessene Zeit“ (je nach Tageszeit und Unfallort meist zwischen 20 und 60 Minuten) warten. Erfolgen in dieser Zeit keine Feststellungen, ist der Beteiligte verpflichtet, unverzüglich die nächstgelegene Polizeidienststelle über das Unfallgeschehen zu informieren und die erforderlichen Daten nachzumelden.
Wie wird die „angemessene Wartezeit“ am Unfallort bestimmt?
Die angemessene Wartezeit ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der sich nach den Umständen des Einzelfalls richtet. Maßgebliche Faktoren sind die Tageszeit, der Unfallort (innerorts, außerorts, auf einem Parkplatz), das Ausmaß des Schadens sowie die Witterungsbedingungen. An einem belebten Ort mit hoher Passantenfrequenz wird in der Regel eine kürzere Wartezeit als ausreichend betrachtet, während auf abgelegenen Straßen oder bei Unfällen während der Nachtstunden eine längere Wartezeit erforderlich sein kann. Die Rechtsprechung orientiert sich für geringfügige Schäden oft an Wartezeiten von 20 bis 30 Minuten, bei erheblichen Schäden oder abgelegenen Orten kann ein Verbleiben von bis zu 60 Minuten verlangt werden.
Wie kann ein Unfallbeteiligter seiner Pflicht zur Feststellung nachträglich genügen?
Verlässt ein Unfallbeteiligter den Unfallort zunächst berechtigt (z. B. wegen eines Notfalls) oder glaubt zunächst nicht an einen erheblichen Schaden, kann er gemäß § 142 Abs. 2 StGB innerhalb von 24 Stunden nachträglich die erforderlichen Angaben bei der Polizei machen, sofern es sich um einen Unfall außerhalb des fließenden Verkehrs und nur mit geringfügigem Sachschaden handelt. Für andere Fälle ist die unverzügliche Nachholung der Feststellungsangaben erforderlich. Der Nachweis, dass die Meldung ohne schuldhaftes Zögern erfolgte, liegt beim Betroffenen. Wird diese Pflicht nicht eingehalten, kann dies dennoch zur Strafbarkeit führen, selbst wenn es sich um einen Bagatellschaden handelt.
Gibt es einen Unterschied zwischen Unfall im fließenden Verkehr und auf Parkplätzen?
Ja, aus rechtlicher Sicht unterscheidet sich die Bewertung insbesondere hinsichtlich des sogenannten „tätigen Reueparagraphen“ (§ 142 Abs. 4 StGB). Bei Unfällen im ruhenden Verkehr – etwa auf Parkplätzen – und nur bei reinem Sachschaden besteht die Möglichkeit, binnen 24 Stunden straffrei nachzumelden, sofern der Unfallbeteiligte nicht bereits vorher von der Polizei ermittelt wurde. Im fließenden Verkehr ist diese Nachmeldung grundsätzlich nicht möglich. Außerdem sind auf Parkplätzen und in Tiefgaragen aufgrund der häufigen Abwesenheit des Geschädigten strengere Anforderungen an das richtige Verhalten und längere Wartezeiten üblich.
Was ist unter tätiger Reue gemäß § 142 Abs. 4 StGB zu verstehen und wann greift sie?
Tätige Reue bedeutet, dass der Unfallbeteiligte nachträglich innerhalb von 24 Stunden die erforderlichen Feststellungen bei einer nahegelegenen Polizeidienststelle nachholt, wenn er sich nach einem Unfall mit lediglich unbedeutendem Sachschaden im ruhenden Verkehr entfernt hat. Diese Möglichkeit der Straffreiheit gilt jedoch nur für Fälle, in denen der Unfall nicht im fließenden Verkehr, sondern beispielsweise auf Parkplätzen oder beim Ein- und Ausparken stattgefunden hat. Tätige Reue setzt zudem voraus, dass der Verursacher nicht bereits durch andere Maßnahmen als Täter bekannt wurde. Sie greift nicht bei erheblichen Personen- oder Vermögensschäden und auch nicht, wenn die Wartepflicht am Unfallort grob missachtet wurde.