Begriff und Wesen der Überversicherung
Definition der Überversicherung
Als Überversicherung wird im Versicherungsrecht der Zustand bezeichnet, in dem die Versicherungssumme den Versicherungswert des versicherten Interesses zum Zeitpunkt des Versicherungsfalles übersteigt. Die Versicherungssumme ist dabei der vertraglich vereinbarte Höchstbetrag, bis zu dem der Versicherer im Schadensfall leisten muss. Der Versicherungswert entspricht hingegen dem tatsächlichen wirtschaftlichen Wert des versicherten Objekts oder Interesses. Überversicherung kann bei allen Versicherungsarten auftreten, besonders häufig im Bereich der Sachversicherung.
Rechtliche Grundlagen
Die zentrale Rechtsgrundlage für die Überversicherung im deutschen Recht findet sich in § 74 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG). Dort ist geregelt, wie im Fall einer Überversicherung zu verfahren ist. Ergänzende Regelungen und Begriffsbestimmungen ergeben sich zudem aus allgemeinen Versicherungsbedingungen und entsprechenden Spezialgesetzen.
Erscheinungsformen der Überversicherung
Ursächliche Entstehung
Überversicherung kann durch verschiedene Konstellationen zustande kommen:
- Bewusste Überversicherung: Der Versicherungsnehmer vereinbart absichtlich eine höhere Versicherungssumme als den tatsächlichen Versicherungswert, etwa in der Hoffnung auf eine höhere Entschädigung bei Eintritt des Versicherungsfalls.
- Unbewusste Überversicherung: Diese entsteht häufig durch Wertveränderungen während der Vertragslaufzeit (beispielsweise Wertminderung einer Sache) oder durch Fehlangaben bei Vertragsschluss über den tatsächlichen Wert des Versicherungsgutes.
- Mehrfache Versicherungen: Überversicherung liegt auch dann vor, wenn mehrere Verträge mit unterschiedlichen Versicherern für denselben Gegenstand und denselben Risikofall abgeschlossen werden, und die Gesamtsumme aller vereinbarten Versicherungssummen den Versicherungswert übersteigt.
Unterschiede zur Unterversicherung
Im Gegensatz zur Überversicherung spricht man von Unterversicherung, wenn die Versicherungssumme niedriger ist als der Versicherungswert. In beiden Fällen spielt das Prinzip des maßgeblichen Versicherungsinteresses eine zentrale Rolle.
Rechtsfolgen der Überversicherung
Leistungspflicht des Versicherers
Besteht zum Zeitpunkt des Schadensfalls eine Überversicherung, so beschränkt sich die Leistungspflicht des Versicherers auf den tatsächlichen Versicherungswert (§ 75 Abs. 1 VVG). Der Versicherungsnehmer erhält keinesfalls eine Entschädigung, die über den Eintritt des tatsächlichen Schadens hinausgeht; eine Bereicherung ist ausdrücklich ausgeschlossen.
Beispiel
Versichert ist eine Sache mit einer Versicherungssumme von 20.000 Euro, deren Wert jedoch nur 10.000 Euro beträgt. Im Schadensfall zahlt der Versicherer nur 10.000 Euro.
Teilweise Überversicherung
Wenn die Versicherungssumme lediglich für einen Teil des versicherten Interesses den Versicherungswert übersteigt, liegt eine teilweise Überversicherung vor. Auch hier wird die Leistung entsprechend der Wertverhältnisse begrenzt.
Präventive Maßnahmen des Versicherers
Der Versicherer ist gemäß § 74 Abs. 2 VVG berechtigt, auf eine angemessene Herabsetzung der Versicherungssumme sowie der Prämie hinzuwirken. Wird der Versicherungsvertrag aufrechterhalten, so ist die Herabsetzung mit Wirkung für die Zukunft vorzunehmen. Überzahlte Beiträge für vergangene Zeiträume können nicht zurückverlangt werden.
Rückwirkende Vertragskorrekturen
Anpassung des Vertrags
Erkennt der Versicherer eine Überversicherung, hat er die Möglichkeit, den Vertrag zu den tatsächlichen Wertverhältnissen anzupassen und die Prämie entsprechend zu reduzieren (§ 74 Abs. 2 Satz 2 VVG). Reagiert der Versicherungsnehmer nicht auf das Anpassungsangebot, kann der Versicherer den Vertrag binnen eines Monats nach Kenntniserlangung fristlos kündigen (§ 74 Abs. 2 Satz 3 VVG).
Rückforderungsrechte
Überzahlte Prämien für bereits abgelaufene Versicherungsperioden kann der Versicherungsnehmer in der Regel nicht zurückfordern. Eine Ausnahme besteht, wenn die Überversicherung allein auf ein Verschulden des Versicherers zurückzuführen ist, etwa infolge fehlender Prüfungspflichten.
Missbräuchliche Überversicherung
Verbot des wissentlichen Doppelabschlusses
Nach § 74 Abs. 1 Satz 2 VVG ist eine vorsätzlich herbeigeführte Überversicherung, um sich im Versicherungsfall eine unberechtigte Bereicherung zu verschaffen, rechtswidrig. Derartige Handlungen werden als Betrug gewertet und können gemäß Strafgesetzbuch strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.
Bedeutung für die Schadensregulierung
Im Fall nachweislicher missbräuchlicher Überversicherung ist der Versicherer berechtigt, die Leistung zu verweigern und den Vertrag außerordentlich zu kündigen. Zudem behält sich der Versicherer vor, bereits erbrachte Leistungen zurückzufordern.
Internationale Besonderheiten
Überversicherung im internationalen Versicherungsrecht
Auch in anderen Rechtsordnungen ist das Bereicherungsverbot bei Überversicherung grundsätzlich anerkannt, wenngleich die konkreten Regelungen zum Umgang mit Überversicherung variieren können. Die Prinzipien von Versicherungswert und Versicherungssumme, sowie das daraus entstehende Verbot ungerechtfertigter Bereicherung, sind jedoch in den meisten Rechtssystemen verankert.
Bedeutung der Überversicherung im Versicherungsalltag
Praktische Relevanz
Im Versicherungsalltag bildet die Überversicherung ein zentrales Thema bei der Vertragsgestaltung und der laufenden Betreuung von Versicherungsverträgen. Eine regelmäßige Anpassung der Versicherungssumme an den aktuellen Versicherungswert dient der Vermeidung finanzieller Nachteile für beide Vertragsparteien.
Risikominimierung für Versicherungsnehmer
Um Überversicherung zu verhindern, empfiehlt sich eine sorgfältige Wertermittlung bei Vertragsschluss sowie regelmäßige Überprüfung und Anpassung der Versicherungssumme im Verlauf des Versicherungsverhältnisses, beispielsweise nach Modernisierungen oder Wertverlusten.
Literaturhinweise und weiterführende Quellen
- Versicherungsvertragsgesetz (VVG)
- Münchener Kommentar zum VVG
- Prölss/Martin: Versicherungsvertragsgesetz, Kommentar
- Leitfäden und Merkblätter der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)
- VVG-Informationszentrum
Dieser Artikel beleuchtet die rechtlichen Dimensionen der Überversicherung unter besonderer Berücksichtigung praxisrelevanter Aspekte sowie der geltenden gesetzlichen Grundlagen. Eine sachgerechte Einschätzung und angemessene Vertragsgestaltung helfen, rechtliche Risiken im Zusammenhang mit Überversicherung zu vermeiden.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Folgen hat eine Überversicherung für den Versicherungsnehmer?
Eine Überversicherung liegt vor, wenn die Versicherungssumme den tatsächlichen Wert des versicherten Interesses (z.B. die tatsächlichen Kosten oder den Marktwert einer Sache) übersteigt. Aus rechtlicher Sicht regelt § 74 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG), dass im Schadensfall der Versicherer nur zur Leistung in Höhe des tatsächlichen Schadens verpflichtet ist, unabhängig davon, wie hoch die Versicherungssumme vereinbart wurde. Der Versicherungsnehmer erhält also keinesfalls einen Gewinn durch die Überversicherung, sondern lediglich Ersatz des realen Schadens bis maximal zur Höhe der Versicherungssumme. Im Extremfall kann die Überversicherung zu einer Vertragsaufhebung durch den Versicherer führen, sofern der Versicherungsnehmer die Überversicherung in der Absicht vereinbart hat, sich einen unrechtmäßigen Vorteil zu verschaffen (§ 22 VVG i.V.m. §§ 123, 138 BGB). Es besteht also ein erhebliches rechtliches Risiko für den Versicherungsnehmer, wenn dieser vorsätzlich oder grob fahrlässig eine Überversicherung betreibt.
Wie kann ein Versicherer im Schadensfall bei Überversicherung vorgehen?
Im Falle einer Überversicherung prüft der Versicherer zunächst den tatsächlichen Wert des versicherten Objektes zum Schadenszeitpunkt. Die Regulierung erfolgt dann streng nach dem Prinzip der Entschädigung (Kongruenzprinzip). Das bedeutet, dass der Versicherer den Schaden nur bis zum realen Wert des versicherten Gegenstandes ersetzt, ungeachtet der höheren Versicherungssumme. Sollte der Versicherer feststellen, dass eine Überversicherung vorliegt und der Versicherungsnehmer dies zu betrügerischen Zwecken genutzt hat, kann der Versicherer vom Vertrag zurücktreten oder ihn anfechten (§ 21 Abs. 2 VVG). Darüber hinaus kann der Versicherer bei nachgewiesenem Betrug Schadensersatz fordern. Rechtlich ist der Versicherer auch verpflichtet, den Versicherungsnehmer nachträglich auf die Überversicherung hinzuweisen und eine Vertragsanpassung anzubieten (§ 19 Abs. 4 VVG).
Kann eine Überversicherung nachträglich rechtlich korrigiert werden?
Ja, nach deutschem Versicherungsvertragsrecht besteht die Möglichkeit, eine bestehende Überversicherung zu korrigieren. Sowohl der Versicherungsnehmer als auch der Versicherer können eine Anpassung des Vertrags verlangen, sobald festgestellt wird, dass das versicherte Interesse geringer ist als die Versicherungssumme (§ 76 Abs. 1 VVG). Die Anpassung kann entweder zu einer Prämienherabsetzung oder – falls dies vom Versicherungsnehmer gewünscht wird – zu einer Reduzierung der Versicherungssumme führen. Bedingung hierfür ist, dass der Korrekturbedarf rechtzeitig erkannt und angezeigt wird. Ein Recht auf Rückforderung zu viel gezahlter Prämien besteht jedoch nur für die Zukunft, nicht rückwirkend, es sei denn, ein etwaiges Verschulden seitens des Versicherers liegt vor oder der Versicherungsnehmer kann eine Täuschung nachweisen.
Besteht ein Sonderkündigungsrecht aufgrund einer Überversicherung?
Im rechtlichen Kontext besteht grundsätzlich kein automatisches Sonderkündigungsrecht des Versicherungsnehmers allein aufgrund einer festgestellten Überversicherung. Das VVG sieht hierfür vielmehr die Möglichkeit einer Vertragsanpassung gemäß § 76 Abs. 1 VVG vor. Lediglich dann, wenn die Überversicherung auf arglistiger Täuschung oder Betrug beruht, kann der Versicherer vom Vertrag zurücktreten oder diesen anfechten (§ 22, § 123 BGB). Für den Versicherungsnehmer besteht das Recht, eine Reduzierung der Versicherungssumme zu verlangen. Sollte der Versicherer auf dieses Verlangen nicht eingehen, entsteht unter Umständen ein außerordentliches Kündigungsrecht, welches im Einzelfall zu prüfen ist. Eine ordentliche Kündigung des Vertrags nach den üblichen vertraglichen und gesetzlichen Fristen bleibt davon unberührt.
Welche Pflichten treffen den Versicherer bei Feststellung einer Überversicherung?
Stellt der Versicherer während der Vertragslaufzeit oder bei der Schadensregulierung eine Überversicherung fest, ist er verpflichtet, den Versicherungsnehmer hierüber unverzüglich in Kenntnis zu setzen und eine Anpassung des Vertrags anzubieten (§ 19 Abs. 4, § 76 Abs. 2 VVG). Unterlässt der Versicherer diese Mitteilung, kann dies zu einem haftungsrechtlichen Nachteil für ihn führen, insbesondere hinsichtlich eines etwaigen Rückforderungsanspruchs zu viel gezahlter Prämien. Zudem muss der Versicherer dem Versicherungsnehmer offenlegen, wie die Überversicherung entstanden ist und welche rechtlichen Schritte erforderlich sind. Diese Aufklärungspflicht dient dem Schutz des Versicherungsnehmers vor finanziellen Nachteilen durch eine ineffiziente oder unsachgemäße Versicherungskonstellation.
Kann eine Überversicherung strafrechtliche Konsequenzen haben?
Strafrechtliche Konsequenzen kann eine Überversicherung nur dann haben, wenn sie vorsätzlich herbeigeführt wurde, insbesondere mit dem Ziel, im Schadensfall einen unrechtmäßigen Vermögensvorteil zu erlangen (Versicherungsbetrug gemäß § 263 StGB). Im zivilrechtlichen Sinne ist die bloße Überversicherung, die beispielsweise aus Unkenntnis oder Fehleinschätzung des Versicherungswertes resultiert, nicht strafbar. Erst wenn eine Täuschungshandlung zum Nachteil des Versicherers offensichtlich wird – also wenn der Versicherungsnehmer etwa den Versicherungswert absichtlich zu hoch angibt, um im Schadensfall mehr Geld zu erhalten -, wird der Tatbestand des Betruges erfüllt. In einem solchen Fall drohen neben der strafrechtlichen Sanktion auch zivilrechtliche Konsequenzen wie Vertragsaufhebung und Schadenersatzforderungen.