Begriff und Definition der Übertariflichen Zulagen
Übertarifliche Zulagen bezeichnen Zahlungen des Arbeitgebers an Arbeitnehmer, die zusätzlich zur im Tarifvertrag vereinbarten Vergütung geleistet werden. Sie sind demnach Entgeltbestandteile, die das tariflich geregelte Mindestentgelt überschreiten. Diese Zulagen können auf unterschiedlichster Rechtsgrundlage beruhen: Sie werden entweder freiwillig vom Arbeitgeber gewährt oder individuell, beispielsweise im Arbeitsvertrag, zugesichert.
Rechtliche Einordnung und Abgrenzung
Abgrenzung zu anderen Entgeltbestandteilen
Übertarifliche Zulagen sind von anderen Vergütungsbestandteilen zu unterscheiden:
- Tarifliche Zulagen: Bestandteil der tarifvertraglich geregelten Vergütung, beispielsweise Zuschläge für Schichtarbeit oder Überstunden.
- Gratifikationen und Sonderzahlungen: Nicht zwangsläufig an die tarifliche Vergütung gebunden, stehen aber häufig unter der Bedingung, dass das Arbeitsverhältnis zum Auszahlungszeitpunkt besteht.
- Leistungsprämien: Meist an individuelle Zielerreichung gebunden und nicht zwingend übertariflich.
Ein zentrales Abgrenzungsmerkmal ist, dass übertarifliche Zulagen nicht auf einer tariflichen Verpflichtung, sondern auf einer Individualvereinbarung oder einseitigen Erklärung des Arbeitgebers beruhen.
Rechtsgrundlagen und Gestaltungsmöglichkeiten
Kollektiv- und Individualrechtliche Grundlagen
Die Rechtsgrundlagen für übertarifliche Zulagen können unterschiedlich beschaffen sein:
- Arbeitsvertrag: Häufig werden übertarifliche Zulagen bereits im Arbeitsvertrag geregelt, entweder als fest vereinbarter Betrag oder in prozentualer Höhe zum Tarifentgelt.
- Betriebsvereinbarung: Betriebsparteien können übertarifliche Zulagen für bestimmte Arbeitnehmergruppen regeln.
- Einseitige Arbeitgeberentscheidung: Der Arbeitgeber kann nach billigem Ermessen freiwillig übertarifliche Zulagen gewähren. Hierbei ist auf die Gleichbehandlung der Belegschaft zu achten.
Charakter und Widerruflichkeit
Ob eine übertarifliche Zulage widerrufen, vorbehalten oder abgeändert werden kann, richtet sich nach ihrer vertraglichen oder tatsächlichen Ausgestaltung:
- Unwiderrufliche Zulagen: Sind die Zulagen ausdrücklich als unwiderruflich vereinbart, können sie nicht einseitig abgeändert werden.
- Widerrufsvorbehalt: Enthält der Arbeitsvertrag oder eine Zusatzvereinbarung einen ausdrücklichen Widerrufsvorbehalt, kann der Arbeitgeber die Zulage aus sachlichen Gründen widerrufen. Die Voraussetzungen für einen zulässigen Widerrufsvorbehalt nach Maßgabe des § 308 Nr. 4 BGB (unangemessene Benachteiligung) müssen gewahrt bleiben.
- Freiwilligkeitsvorbehalt: Wird eine Zulage unter Freiwilligkeitsvorbehalt gezahlt, entsteht kein Anspruch auf künftige Zahlungen, es sei denn, durch fortlaufende vorbehaltlose Gewährung ist eine betriebliche Übung entstanden.
Zweck und Praxis der übertariflichen Zulagen
Motivation und Bindung von Fachkräften
Arbeitgeber nutzen übertarifliche Zulagen insbesondere, um bestimmte Arbeitnehmergruppen zu motivieren und an das Unternehmen zu binden. Überdies können branchenspezifische Personalknappheit, besondere Qualifikationen oder regionale Arbeitsmarktsituationen eine Rolle spielen.
Transparenz- und Gleichbehandlungsgebot
Auch übertarifliche Zulagen unterliegen dem betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Eine sachlich nicht gerechtfertigte Differenzierung zwischen Arbeitnehmern ist unzulässig. Diskriminierungsverbote nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) sind ebenso zu beachten.
Übertragung auf den tariflichen Charakter und Anrechnung
Anrechnung auf künftige Tariferhöhungen
Eine Kernthematik bei übertariflichen Zulagen ist, ob und inwieweit sie bei künftigen Tariferhöhungen auf das tarifliche Entgelt angerechnet werden können. Hier gilt:
- Keine automatische Anrechnung: Ohne ausdrückliche vertragliche Regelung kann der Arbeitgeber die übertarifliche Zulage nicht ohne Weiteres auf Tariferhöhungen anrechnen.
- Anrechnungsvorbehalt: Ein im Arbeitsvertrag oder der Zulagenzusage enthaltener Anrechnungsvorbehalt erlaubt es dem Arbeitgeber, bei Tariflohnerhöhungen die Zulage zum Ausgleich heranzuziehen. Die Transparenz der Anrechnungsregelung spielt hierbei eine entscheidende Rolle.
Wegfall und Veränderung
Eine übertarifliche Zulage kann wegfallen, wenn tariflich eine gleichwertige Vergütung eingeführt wird oder sich die Vertragslage fundamental ändert. In der Praxis sind hier Übergangsregelungen und etwaige Vertrauensschutzaspekte zu berücksichtigen.
Steuer- und Sozialversicherungsrechtliche Behandlung
Steuerpflicht
Grundsätzlich unterliegen übertarifliche Zulagen als Teil des Arbeitsentgelts der Lohnsteuerpflicht und müssen wie das reguläre Arbeitsentgelt versteuert werden.
Sozialversicherungspflicht
Auch in der Sozialversicherung sind übertarifliche Zulagen als Bestandteil des Arbeitsentgelts zu berücksichtigen. Sie fließen in die Beitragsbemessung zur Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung ein.
Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats
Gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) besteht ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Festsetzung und Ausgestaltung von übertariflichen Zulagen, sofern Regelungen zur betrieblichen Vergütungsstruktur betroffen sind.
Rechtsprechung zu übertariflichen Zulagen
Die höchstrichterliche Rechtsprechung, insbesondere des Bundesarbeitsgerichts (BAG), hat zentrale Leitlinien für die Ausgestaltung, Anrechnung und den Widerruf von übertariflichen Zulagen entwickelt. Maßgeblich ist, wie Zulagen im Arbeitsvertrag oder einer anderen Rechtsgrundlage ausgestaltet sind und ob entsprechende Vorbehalte transparent und klar formuliert wurden.
Fazit
Übertarifliche Zulagen sind ein wichtiger Bestandteil des deutschen Arbeitsrechts und dienen der individuellen Vergütungsgestaltung jenseits des tariflichen Mindestentgelts. Sie bieten sowohl Arbeitgebern als auch Arbeitnehmern Flexibilität, bergen jedoch hinsichtlich Widerruf, Anrechnung und Gleichbehandlung zahlreiche rechtliche Herausforderungen. Die sorgfältige vertragliche Ausgestaltung und die Beachtung bestehender arbeits- und steuerrechtlicher Vorgaben sind unerlässlich, um rechtliche Risiken zu vermeiden und Rechtssicherheit zu gewährleisten.
Häufig gestellte Fragen
Müssen übertarifliche Zulagen im Arbeitsvertrag ausdrücklich geregelt werden?
Übertarifliche Zulagen sollten aus juristischer Sicht möglichst ausdrücklich und eindeutig im Arbeitsvertrag geregelt werden, da ansonsten Unsicherheiten bezüglich ihres Bestehens, ihrer Höhe oder der Voraussetzungen für ihre Zahlung entstehen können. Zwar können solche Zulagen auch aufgrund einer betrieblichen Übung oder durch ausdrückliche, wiederholte Zahlung ohne vertragliche Grundlage anerkannt werden, jedoch bietet eine vertragliche Regelung allen Parteien Rechtssicherheit. Insbesondere sollten Regelungen zur dynamischen Entwicklung (z. B. Anpassung an Tariflohnerhöhungen), zu Widerrufs- oder Freiwilligkeitsvorbehalten sowie zum Anspruch auf Zahlung bei Krankheit, Urlaub, Mutterschutz oder Elternzeit festgehalten werden. Ohne eine klare vertragliche Grundlage besteht das Risiko, dass Streitigkeiten entstehen, etwa bezüglich einer späteren Änderung oder Einstellung der Zulage.
Unter welchen Voraussetzungen dürfen übertarifliche Zulagen gekürzt oder widerrufen werden?
Die Kürzung oder der Widerruf übertariflicher Zulagen ist nur möglich, wenn im Arbeitsvertrag ein ausdrücklicher Widerrufsvorbehalt oder eine entsprechende Kürzungsklausel enthalten ist. Dabei muss ein solcher Vorbehalt ausreichend bestimmt und transparent formuliert sein (§ 307 BGB – Transparenzgebot). Fehlt eine solche Regelung, besteht eine sogenannte vertragliche Bindung, und der Arbeitgeber ist zur Fortzahlung der Zulage verpflichtet. Für einen wirksamen Widerrufsvorbehalt müssen zudem sachliche Gründe (wie wirtschaftliche Notlage, innerbetriebliche Umstrukturierungen) genannt werden, die zu einem späteren Widerruf berechtigen. Wurde der Widerrufsvorbehalt wirksam vereinbart, kann der Arbeitgeber die Zulage einseitig streichen, jedoch nur unter Einhaltung der arbeitsrechtlichen Gleichbehandlung und unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips.
Fallen übertarifliche Zulagen unter den gesetzlichen oder tariflichen Kündigungsschutz?
Übertarifliche Zulagen sind Bestandteil des Arbeitsentgelts und genießen daher grundsätzlich den gleichen Kündigungsschutz wie der Arbeitsvertrag insgesamt. Das bedeutet, dass eine einseitige Streichung der Zulage ohne Vorbehalt und ohne entsprechende vertragliche Regelung nicht zulässig ist. Soll die Zahlung eingestellt oder gekürzt werden, ist in jedem Fall die Zustimmung des Arbeitnehmers oder eine Änderungskündigung gemäß § 2 KSchG erforderlich. Dabei muss der Arbeitgeber soziale Gesichtspunkte und die Interessen des Arbeitnehmers angemessen berücksichtigen. Im Falle einer Betriebsratbeteiligung ist zudem das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zu beachten, wenn übertarifliche Zulagen Teil einer betrieblichen Entgeltstruktur sind.
Werden übertarifliche Zulagen bei der Berechnung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld berücksichtigt?
Ob übertarifliche Zulagen bei Sonderzahlungen wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld zu berücksichtigen sind, hängt maßgeblich von der vertraglichen oder betrieblichen Regelung ab. Sind die Zulagen als laufendes Entgelt gezahlt worden und sind sie nicht ausdrücklich auf bestimmte Zwecke (etwa Schmutzzulage, Erschwerniszulage) oder Zeiträume beschränkt, werden sie in der Regel dem regelmäßig gezahlten Arbeitsentgelt zugeordnet und müssen bei der Berechnung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld mit einbezogen werden. Gesetzliche Grundlage hierfür ist § 11 Bundesurlaubsgesetz, wonach das während des Urlaubs fortzuzahlende Arbeitsentgelt alle regelmäßigen Zahlungen umfasst, also auch übertarifliche Zulagen. Eine ausdrückliche Herausnahme durch arbeitsvertragliche oder tarifliche Regelung ist jedoch möglich.
Sind übertarifliche Zulagen steuer- und sozialversicherungspflichtig?
Aus arbeitsrechtlicher Sicht sind übertarifliche Zulagen grundsätzlich als Teil des Arbeitsentgelts zu betrachten und unterliegen somit regelmäßig sowohl der Lohnsteuer als auch der Sozialversicherungspflicht. Es gibt keine allgemeine steuer- oder abgabenfreie übertarifliche Zulage. Etwaige Ausnahmen bedürfen einer besonderen gesetzlichen Grundlage, wie sie beispielsweise für bestimmte Zuschläge (z. B. für Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit) vorgesehen sind. Für alle übrigen Zulagen gilt: Sie erhöhen das sozialversicherungspflichtige Bruttoentgelt und werden im Rahmen der laufenden Entgeltabrechnung als steuerpflichtige Einnahmen behandelt.
Können übertarifliche Zulagen auf spätere Tariflohnerhöhungen angerechnet werden?
Die Möglichkeit, übertarifliche Zulagen auf spätere Tariflohnerhöhungen anzurechnen, besteht rechtlich nur, wenn eine sogenannte Anrechnungsklausel im Arbeitsvertrag ausdrücklich festgelegt wurde. Ohne eine solche Regelung gelten Tariflohnerhöhungen unabhängig von der Zulagengewährung, sodass der Arbeitnehmer beide Bestandteile kumulativ erhält. Mit Zustimmung des Arbeitnehmers, etwa im Rahmen einer Änderungsvereinbarung, ist eine spätere Anrechnung allerdings möglich. Wichtig ist, dass eine solche Anrechnung nicht gegen das Günstigkeitsprinzip (§ 4 Abs. 3 TVG) verstößt: Der Arbeitnehmer darf durch die Anrechnung nicht schlechter stehen als dies tarifvertraglich vorgesehen ist.
Welche Mitbestimmungsrechte hat der Betriebsrat bei Gewährung und Änderung übertariflicher Zulagen?
Nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG hat der Betriebsrat ein zwingendes Mitbestimmungsrecht hinsichtlich der Gestaltung betrieblicher Entlohnungssysteme, wozu auch die Einführung, Änderung oder Abschaffung übertariflicher Zulagen gehört. Das Mitbestimmungsrecht bezieht sich dabei auf die Frage der Verteilung und Struktur der Zulagen, nicht jedoch auf deren individuelle Höhe. Eine einseitige Änderung derartiger Zulagen durch den Arbeitgeber ist daher im Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes ohne Zustimmung des Betriebsrats grundsätzlich unzulässig. Dies gilt auch für Neuregelungen, Anrechnungsklauseln oder Veränderungen in der Auszahlungspraxis der Zulagen.