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Übermittlungsirrtum


Begriff und Definition des Übermittlungsirrtums

Der Übermittlungsirrtum ist ein spezieller Unterfall des Irrtums im deutschen Zivilrecht, der insbesondere im Rahmen der Anfechtung nach § 120 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) von Bedeutung ist. Ein Übermittlungsirrtum liegt vor, wenn eine Willenserklärung von einer Person oder einem Medium übermittelt wird und dabei die Erklärung versehentlich nicht mit dem tatsächlichen Willen des Erklärenden übereinstimmt, weil der Erklärungsbote oder das Übertragungsmedium fehlerhaft handelt oder überträgt. Das Gesetz räumt dem durch den Irrtum Betroffenen die Möglichkeit ein, seine Willenserklärung anzufechten.

Rechtliche Grundlagen des Übermittlungsirrtums

Gesetzliche Regelungen

Die maßgebliche Norm für den Übermittlungsirrtum ist § 120 BGB:

“Hat ein zur Übermittlung einer Willenserklärung bestellter Bote die Erklärung unrichtig übermittelt, so gelten die Vorschriften der §§ 119 und 121 entsprechend.”

Daraus ergibt sich, dass der Übermittlungsirrtum dem Erklärungsirrtum gemäß § 119 Abs. 1 BGB gleichgestellt ist. Wichtig ist, dass der Übermittlungsirrtum nicht nur auf natürliche Personen als Boten beschränkt ist, sondern auch technische Übermittlungswege (Telefon, Fax, E-Mail etc.) erfassen kann.

Abgrenzung zu anderen Irrtumsarten

Neben dem Übermittlungsirrtum kennt das Bürgerliche Gesetzbuch weitere Irrtumsarten, insbesondere:

  • Erklärungsirrtum gemäß § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB (z.B. Versprechen, Verschreiben, Vertippen)
  • Inhaltsirrtum gemäß § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB
  • Eigenschaftsirrtum gemäß § 119 Abs. 2 BGB

Der Übermittlungsirrtum unterscheidet sich insofern, als der Fehler nicht beim Willenserklärenden selbst, sondern beim Übermittler oder auf dem Übermittlungsweg eintritt.

Voraussetzungen des Übermittlungsirrtums

Für einen Übermittlungsirrtum müssen verschiedene Voraussetzungen erfüllt sein:

1. Willenserklärung durch einen Boten

Die Willenserklärung wird nicht direkt vom Erklärenden, sondern durch eine andere Person oder mittels eines technischen Übermittlungsmediums an den Empfänger weitergeleitet.

2. Unrichtige Übermittlung

Die Übermittlung erfolgt fehlerhaft, sodass beim Empfänger eine andere Willenserklärung ankommt, als ursprünglich beabsichtigt war. Dies kann beispielsweise durch ein Verhörer, Verschreiber oder eine technische Störung geschehen.

3. Unmittelbarer Zusammenhang mit der Übermittlungsfunktion

Der Fehler muss unmittelbar mit der Übermittlung zusammenhängen und darf nicht auf einer nachträglichen Veränderung oder eigenständigen Erklärung des Boten beruhen.

4. Kein Verschulden des Erklärenden

Der Irrtum darf nicht auf einem Verschulden des Erklärenden bezüglich der Auswahl des Boten oder der Übermittlungsart basieren, da andernfalls die Anfechtung ausgeschlossen sein kann.

Rechtsfolgen des Übermittlungsirrtums

Anfechtungsrecht

Das BGB gewährt in § 120 in Verbindung mit § 119 BGB ein Anfechtungsrecht. Die Willenserklärung kann angefochten werden, mit der Folge, dass sie grundsätzlich als von Anfang an nichtig gilt (§ 142 Abs. 1 BGB).

Anfechtungsfrist

Gemäß § 121 BGB muss die Anfechtung „unverzüglich”, also ohne schuldhaftes Zögern, erfolgen, sobald der Irrtum erkannt wurde.

Anfechtungserklärung

Die Anfechtung ist gegenüber dem Erklärungsempfänger zu erklären (§ 143 Abs. 1 und 2 BGB).

Schadensersatzpflicht

Im Fall einer erfolgreichen Anfechtung ist der Anfechtende zum Ersatz des sogenannten „Vertrauensschadens” (negatives Interesse) nach § 122 BGB verpflichtet. Dies bedeutet, dass der Anfechtungsgegner so zu stellen ist, wie er ohne das Erklärungsverhalten gestanden hätte, höchstens jedoch so, wie er bei Wirksamkeit des Geschäfts stünde.

Abgrenzungen und Spezialproblematiken

Bote versus Empfangsbote

Im Zusammenhang mit dem Übermittlungsirrtum ist zwischen Erklärungsbote (übermittelt die Willenserklärung des Geschäftsherrn an den Empfänger) und Empfangsbote (nimmt die Erklärung für den Geschäftsherrn entgegen) zu unterscheiden. Ein Übermittlungsirrtum ist ausschließlich beim Erklärungsboten möglich.

Technische Übermittlungsfehler

Auch technische Übertragungswege (Telefax, E-Mail, Telefon) fallen unter den Tatbestand des Übermittlungsirrtums. Entscheidend ist hierbei, dass der Fehler im Übertragungsprozess liegt und nicht etwa durch eine missverständliche Formulierung des Erklärenden verursacht wird.

Unterschied zur Stellvertretung

Während beim Übermittlungsirrtum der Bote lediglich als verlängerter Arm des Erklärenden dessen Willenserklärung übermittelt, gibt ein Vertreter eine eigene Willenserklärung im Namen des Vertretenen ab. Ein Übermittlungsirrtum im Sinne des § 120 BGB liegt daher nicht bei Fehlern des Vertreters vor.

Beispiele für Übermittlungsirrtümer

Zu den typischen Fällen des Übermittlungsirrtums gehören:

  • Ein Kind soll seinem Nachbarn mitteilen, dass sein Vater bereit ist, das Auto für “7.000 Euro” zu verkaufen, übermittelt aber fälschlicherweise “17.000 Euro”.
  • Ein Sekretär verschreibt sich beim Verfassen eines Briefes und übermittelt einen anderen Vertragspreis als besprochen.
  • Bei der Übermittlung einer Zahlungsanweisung per Fax wird aufgrund eines technischen Fehlers eine Null zu viel übertragen.

Bedeutung im Rechtsverkehr

Der Übermittlungsirrtum sorgt für die erforderliche Korrektur von Vertragsabschlüssen, bei denen infolge fehlerhafter Übermittlungserklärungen ein nicht gewollter Wille kommuniziert wurde. Gleichzeitig sorgt das System für einen gerechten Interessenausgleich zwischen dem Anfechtenden und dem Erklärungsempfänger durch die Schadensersatzregel des § 122 BGB.

Literatur und weiterführende Informationen

  • Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar zu § 120 BGB
  • Brox/Walker, Allgemeiner Teil des BGB
  • Prütting/Wegen/Weinreich, BGB-Kommentar

Fazit

Der Übermittlungsirrtum stellt eine zentrale Regelung zur Schadensvermeidung und -begrenzung im deutschen Zivilrecht dar. Er gewährt Anfechtungsrechte im Falle fehlerhafter Übermittlungen von Willenserklärungen, sorgt für Rechtssicherheit im Geschäftsverkehr und schützt betroffene Parteien vor ungewollten Rechtsfolgen, wobei eine klare Struktur an Voraussetzungen und Rechtsfolgen besteht.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Folgen hat ein Übermittlungsirrtum gemäß § 120 BGB?

Ein Übermittlungsirrtum nach § 120 BGB führt dazu, dass derjenige, dessen Erklärung unrichtig übermittelt wurde, seine Willenserklärung anfechten kann. Die Anfechtung ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung und muss unverzüglich nach Entdeckung des Irrtums erfolgen (§ 121 BGB). Rechtsfolge einer erfolgreichen Anfechtung ist gemäß § 142 BGB die Nichtigkeit der ursprünglich abgegebenen Willenserklärung ex tunc, das heißt, rückwirkend. Zu beachten ist, dass die Anfechtung gegenüber dem Erklärungsempfänger zu erfolgen hat, andernfalls entfaltet sie keine Wirkung. Darüber hinaus ist nach § 122 BGB der Anfechtende verpflichtet, dem Geschäftspartner den sogenannten Vertrauensschaden (negatives Interesse) zu ersetzen, sofern dieser auf die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts vertraut hat und infolgedessen einen Schaden erleidet, jedoch begrenzt auf das Interesse, das bei Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts bestanden hätte.

Wer trägt beim Übermittlungsirrtum das Risiko für den Anfechtungsgegner?

Beim Übermittlungsirrtum trägt grundsätzlich der Erklärende das Risiko der richtigen Übermittlung seiner Willenserklärung, selbst wenn ein Dritter (z. B. Bote, Übermittlungsdienst) fehlerhaft handelte. Kommt es zu einem Übermittlungsirrtum, kann der Empfänger die Erklärung anfechten, muss allerdings dem Anfechtungsgegner, der bis zur Anfechtung gutgläubig war, nach § 122 BGB unter bestimmten Bedingungen Schadensersatz leisten. Folglich schützt das Gesetz den guten Glauben des Empfängers insoweit, als dass er vor wirtschaftlichen Nachteilen beim Ausfall des Geschäfts bewahrt wird.

Unter welchen Voraussetzungen kann ein Übermittlungsirrtum rechtlich anerkannt werden?

Ein Übermittlungsirrtum ist rechtlich nur dann relevant, wenn der Wille des Erklärenden bei der Übermittlung seiner Erklärung durch einen Boten oder ein technisches Übertragungsmittel auf dem Weg verloren gegangen oder verfälscht worden ist. Es muss sich bei dem Übermittlungsfehler um einen wesentlichen Irrtum handeln, d. h., die Erklärung muss inhaltlich verändert oder sinnentstellend überbracht worden sein. Kein Übermittlungsirrtum liegt vor, wenn der Fehler aus dem Machtbereich des Erklärenden stammt (z. B. eine eigene missverständliche Formulierung) oder der Übermittler als Erklärungsbote eigenständig gehandelt hat. Wichtig ist also, dass der Übermittlungsfehler nicht im Verantwortungsbereich des Empfängers liegt und die Erklärung ohne den Irrtum so nicht abgegeben worden wäre.

Wie unterscheidet sich der Übermittlungsirrtum vom Inhaltsirrtum oder Erklärungsirrtum?

Der Übermittlungsirrtum (§ 120 BGB) unterscheidet sich vom Inhaltsirrtum (§ 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB) und vom Erklärungsirrtum (§ 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB) wesentlich dadurch, dass bei einem Inhalts- oder Erklärungsirrtum der Fehler unmittelbar beim Erklärenden selbst liegt, sei es durch ein Missverständnis hinsichtlich des Erklärungsinhalts oder durch ein Versehen bei der Erklärungshandlung. Beim Übermittlungsirrtum hingegen ist der Erklärende in seinem Handlungswillen klar und eindeutig, jedoch wird seine Willenserklärung durch einen Boten oder ein technisches System unrichtig wiedergegeben. Die Übermittlungsfehler sind somit von außen verursacht, während die Irrtümer nach § 119 BGB im Inneren des Erklärenden wurzeln.

Kann der Übermittlungsirrtum auch bei Nutzung digitaler Übertragungswege (z. B. E-Mail, Fax) auftreten?

Ein Übermittlungsirrtum ist keineswegs auf traditionelle Boten oder schriftliche Mitteilungen beschränkt, sondern kann nach ständiger Rechtsprechung gleichermaßen bei der Nutzung elektronischer oder technischer Übertragungsmittel wie E-Mail, Fax oder vergleichbaren Kommunikationssystemen eintreten. Springt etwa eine E-Mail-Adresse während des Versendens auf eine andere, wird ein Dokument fehlerhaft eingescannt oder werden Anlagendateien nicht mitgesendet, kann der daraus resultierende Fehler unter den Übermittlungsirrtum subsumiert werden, sofern die übrigen Voraussetzungen vorliegen – insbesondere, dass der Wille des Erklärenden unrichtig übermittelt wurde und keine eigene Sorgfaltspflichtverletzung des Erklärenden vorliegt.

Welche Fristen müssen bei der Anfechtung des Übermittlungsirrtums beachtet werden?

Die Frist zur Anfechtung wegen Übermittlungsirrtums ist gesetzlich normiert und beträgt nach § 121 Abs. 1 BGB „unverzüglich”, das heißt ohne schuldhaftes Zögern nach Kenntnis des Irrtums. Die Rechtsprechung definiert „unverzüglich” individuell am Einzelfall; in der Regel sind dies nur wenige Tage, in besonderen Umständen kann auch ein längerer Zeitraum als angemessen gelten. Wird die Frist nicht eingehalten, erlischt das Anfechtungsrecht, und das Rechtsgeschäft bleibt wirksam.

Wie ist die Beweislast im Fall eines Übermittlungsirrtums verteilt?

Im Falle des Übermittlungsirrtums trägt derjenige, der sich auf einen solchen beruft und seine Willenserklärung anfechten will, die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass tatsächlich ein Übermittlungsfehler vorgelegen hat und dass dieser Fehler für den Inhalt der übermittelten Erklärung kausal war. Der Anfechtende muss also im Streitfall plausibel schildern können, auf welche Weise und an welcher Stelle der Fehler bei der Übermittlung aufgetreten ist. Können diese Umstände nicht belegt werden, bleibt die Erklärung wie erklärt wirksam.