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Übergang eines Betriebs


Rechtsbegriff: Übergang eines Betriebs

Der Übergang eines Betriebs ist ein zentraler Rechtsbegriff im Arbeitsrecht, insbesondere geprägt durch § 613a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Er bezeichnet die Übernahme einer wirtschaftlichen Einheit von einem Arbeitgeber (Veräußerer) auf einen anderen (Erwerber) unter Wahrung der bestehenden Arbeitsverhältnisse. Die Regelungen zum Betriebsübergang sind unionsrechtlich in der Richtlinie 2001/23/EG (sogenannte Umwandlungsrichtlinie) harmonisiert und in Deutschland in mehreren Gesetzen inhaltlich umgesetzt.


Definition und rechtliche Grundlage

Der Übergang eines Betriebs ist im deutschen Recht maßgeblich durch § 613a BGB geregelt. Ein Betriebsübergang liegt vor, wenn ein Betrieb oder ein Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen neuen Inhaber übergeht. Wesentliche Merkmale sind der Erhalt der wirtschaftlichen Einheit und ihre Weiterführung oder Wiederaufnahme durch den neuen Inhaber.

Unionsrechtlicher Hintergrund

Grundlage auf europäischer Ebene bildet die RL 2001/23/EG, welche den Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei Betriebsübergängen zum Ziel hat. Die Richtlinie wurde in Deutschland insbesondere durch § 613a BGB umgesetzt.


Tatbestandsmerkmale des Betriebsübergangs

Betrieb oder Betriebsteil

Im Zentrum steht die Übertragung einer wirtschaftlichen Einheit, die eine organisatorische Zusammenfassung von Ressourcen darstellt, mit denen eine wirtschaftliche Tätigkeit – sei es Haupt- oder Nebentätigkeit – dauerhaft verfolgt wird. Auch Teile eines Betriebs (Betriebsteilübergang) sind von den Regelungen umfasst.

Rechtsgeschäftliche Übertragung

Ein Betriebsübergang setzt eine Übertragung durch ein Rechtsgeschäft voraus, wie etwa Kauf, Pacht, Einbringung oder Umwandlung. Nicht umfasst sind kraft Gesetz erfolgende Übertragungen, insbesondere im Erbfall.

Wahrung der Identität

Entscheidend ist, dass die wirtschaftliche Einheit ihre Identität bewahrt. Es bedarf einer Gesamtwürdigung, bei der unterschiedliche Kriterien zu berücksichtigen sind, wie etwa die Übernahme von Vermögenswerten, Belegschaft, Kundenstamm, Know-how und Betriebsmitteln. Rechtsprechung und Schrifttum betonen den funktionalen Unternehmensbegriff.


Rechtsfolgen des Betriebsübergangs

Fortbestand der Arbeitsverhältnisse

Mit dem Übergang gehen nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB die Arbeitsverhältnisse der zum Zeitpunkt des Übergangs beschäftigten Personen automatisch mit allen Rechten und Pflichten auf den Erwerber über. Die Arbeitsbedingungen bleiben zunächst unverändert, insbesondere gelten kollektivrechtliche Normen und individualrechtliche Vereinbarungen weiter.

Haftung

Der Veräußerer haftet neben dem Erwerber für Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis, die vor dem Übergang entstanden sind, grundsätzlich gesamtschuldnerisch für ein Jahr nach Übergang.

Kündigungsschutz

Kündigungen wegen des Betriebsübergangs sind gemäß § 613a Abs. 4 BGB unwirksam, ausgenommen bleiben betriebsbedingte oder personenbedingte Kündigungen aus anderen Gründen.


Informations- und Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer

Vor dem Übergang müssen Arbeitgeber die betroffenen Arbeitnehmer schriftlich informieren. Die Informationen gemäß § 613a Abs. 5 BGB müssen umfassen:

  • Zeitpunkt oder geplantes Datum des Übergangs
  • Grund für den Übergang
  • rechtliche, wirtschaftliche und soziale Folgen des Übergangs
  • geplante Maßnahmen bezüglich der Arbeitnehmer

Ein Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses ist möglich. Die Widerspruchsfrist beträgt einen Monat ab Zugang der Unterrichtung.


Kollektivrechtliche Aspekte

Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen

Nach wirksamem Übergang finden die bei Betriebsübergang geltenden Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen weiter Anwendung. Für tarifgebundene Erwerber sind Abweichungen mittels Nachwirkung möglich; Betriebsvereinbarungen wirken nach (§ 613a Abs. 1 S. 2 BGB).

Beteiligungsrechte des Betriebsrats

Der Betriebsrat hat umfassende Beteiligungsrechte, insbesondere nach dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) bezüglich Unterrichtung, Beratung und Mitbestimmung.


Grenzfälle und Sonderregelungen

Outsourcing und Funktionsnachfolge

Ein Betriebsübergang kann auch vorliegen, wenn im Wege von Outsourcing Dienstleistungen oder Funktionen von einem Dritten übernommen werden, sofern die wirtschaftliche Identität gewahrt wird. Erforderlich ist, dass mehr als nur die Arbeitskraft übertragen wird.

Öffentlicher Dienst

Im öffentlichen Dienst greifen besondere Vorschriften, unter anderem aus dem Beamtenrecht und dem Tarifrecht des öffentlichen Sektors.


Bedeutung in der Unternehmenspraxis

Der Übergang eines Betriebs ist besonders relevant bei Unternehmensverkäufen, Outsourcing-Projekten, Umstrukturierungen und Insolvenzen. Arbeitnehmerrechte stehen dabei in besonderem Fokus und sind bei der Gestaltung wirtschaftlicher Transaktionen zu berücksichtigen.


Rechtsprechung zum Betriebsübergang

Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und der deutschen Arbeitsgerichte, insbesondere des Bundesarbeitsgerichts (BAG), präzisiert fortlaufend die Anforderungen an das Merkmal des einheitlichen wirtschaftlichen Betriebs und die Rechtsfolgen des Übergangs.


Literaturverzeichnis

  • Bundesarbeitsgericht: Urteile und Entscheidungen zu § 613a BGB
  • Europäischer Gerichtshof: EuGH-Rechtsprechung zur RL 2001/23/EG
  • Bauer, M. / Wiedemann, H.: Der Betriebsübergang nach § 613a BGB
  • Preis, U.: Betriebsübergang und Individualarbeitsrecht
  • Arbeitsrecht Kommentar: Münchener Kommentar zum BGB, §§ 613a ff.

Hinweis: Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über die rechtlichen Aspekte des Betriebsübergangs. Für individuelle Problemstellungen empfiehlt sich die Beiziehung weiterer Informationsquellen oder rechtlicher Beratung.

Häufig gestellte Fragen

Welche Rechte behalten Arbeitnehmer beim Übergang eines Betriebs?

Beim Übergang eines Betriebs oder Betriebsteils gemäß § 613a BGB bleiben die Rechte und Pflichten aus den bestehenden Arbeitsverhältnissen grundsätzlich unverändert erhalten. Das bedeutet, dass sämtliche Arbeitsverträge zu den bisherigen Bedingungen weiterbestehen, so als hätte es keinen Betriebsübergang gegeben. Weder eine automatische Kündigung noch eine Änderung der Arbeitsbedingungen ist allein durch den Übergang zulässig. Der neue Inhaber tritt kraft Gesetzes in sämtliche Rechte und Pflichten aus den bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Ausgenommen sind allerdings nur solche Rechte und Pflichten, die aufgrund öffentlicher oder tariflicher Regelungen zwingend an den bisherigen Arbeitgeber gebunden sind. Höchstrichterlich entschieden ist zudem, dass der neue Eigentümer auch für rückständige Lohnansprüche haftet, sofern diese dem Zeitraum vor dem Betriebsübergang entstammen, wenn sie erst nach Übergang fällig werden. Für den Betriebsübergang gibt es keinen erforderlichen Formerfordernis im Sinne einer gesonderten Zustimmung durch die Arbeitnehmer. Insbesondere bleibt auch der bestehende Kündigungsschutz unberührt; Kündigungen wegen des Betriebsübergangs sind ausdrücklich ausgeschlossen. Allerdings kann der neue Inhaber unter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben betriebsbedingte Kündigungen aussprechen, wenn diese durch wirtschaftliche oder organisatorische Gründe gerechtfertigt sind und nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Betriebsübergang stehen.

Welche Informationspflichten bestehen gegenüber den Arbeitnehmern beim Betriebsübergang?

Der bisherige und der neue Betriebsinhaber sind verpflichtet, die betroffenen Arbeitnehmer rechtzeitig und in Textform über den anstehenden Betriebsübergang zu informieren. Zu den Mindestinhalten der Information zählen der Zeitpunkt oder das geplante Datum des Übergangs, der Grund für den Betriebsübergang, die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer sowie geplante Maßnahmen in Bezug auf die Arbeitnehmer. Die Information muss so gestaltet sein, dass der Arbeitnehmer in die Lage versetzt wird, eine fundierte Entscheidung hinsichtlich seines Widerspruchsrechts zu treffen. Unzureichende oder fehlerhafte Informationen führen dazu, dass die einmonatige Widerspruchsfrist nicht zu laufen beginnt, womit das Widerspruchsrecht nicht verwirkt wird.

Kann der Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widersprechen?

Arbeitnehmer haben das gesetzliche Recht, dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf den neuen Inhaber zu widersprechen. Dieses Widerspruchsrecht kann binnen eines Monats nach Zugang der ordnungsgemäßen Unterrichtung über den Betriebsübergang ausgeübt werden (§ 613a Abs. 6 BGB). Der Widerspruch muss schriftlich erfolgen – eine mündliche Erklärung ist unwirksam. Wird widersprochen, bleibt das Arbeitsverhältnis zum bisherigen Arbeitgeber bestehen. Allerdings muss dieser unter Umständen wegen Wegfalls der Beschäftigungsmöglichkeit betriebsbedingt kündigen. Die Geltendmachung des Widerspruchs ist an keine Begründung geknüpft.

Wie ist die Haftung für ausstehende Forderungen beim Betriebsübergang geregelt?

Nach § 613a Abs. 2 BGB haften der bisherige und der neue Betriebsinhaber für im Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehende Verpflichtungen aus den Arbeitsverhältnissen gesamtschuldnerisch für ein Jahr nach dem Übergang. Das bedeutet, dass beide gegenüber den Arbeitnehmern für rückständige Lohnansprüche oder sonstige offene Forderungen haftbar gemacht werden können. Für solche Verbindlichkeiten, die nach Ablauf von einem Jahr geltend gemacht werden oder nach dem Betriebsübergang entstehen, haftet jedoch nur noch der neue Inhaber.

Können tarifliche oder betriebliche Regelungen nach einem Betriebsübergang abgeändert werden?

Tarifliche und betriebliche Regelungen bleiben zunächst nachgelagert anwendbar, auch wenn der neue Inhaber nicht tarifgebunden ist. Die Wirkung dieser Regelungen wird allerdings statisch festgelegt, das heißt zu den Bedingungen und in dem Umfang, wie sie zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestanden haben. Änderungen können nur durch eine Betriebsvereinbarung, durch Abschluss eines neuen Tarifvertrags oder durch Änderungsverträge mit den Arbeitnehmern erfolgen. Der Erwerber ist befugt, nach Ablauf eines Jahres nach dem Betriebsübergang die arbeitsvertraglich in Bezug genommenen tariflichen oder betrieblichen Regelungen durch andere kollektivvertragliche Vereinbarungen zu ersetzen.

Ist eine Änderungskündigung aufgrund eines Betriebsübergangs zulässig?

Eine Änderungskündigung ausschließlich wegen des Betriebsübergangs ist unzulässig. Kündigungen – egal ob Beendigungs- oder Änderungskündigungen – die ausschließlich wegen des Betriebsübergangs ausgesprochen werden, sind gemäß § 613a Abs. 4 BGB unwirksam. Zulässig kann eine Änderungskündigung nur dann sein, wenn sie aus anderen, betriebsbedingten Gründen erfolgt, zum Beispiel aufgrund einer Umstrukturierung, Rationalisierung oder wirtschaftlicher Notwendigkeiten beim neuen Inhaber, die nicht ausschließlich im Zusammenhang mit dem Betriebsübergang stehen. Die allgemeinen gesetzlichen und tariflichen Anforderungen an eine Änderungskündigung bleiben dabei vollumfänglich bestehen.

Welcher rechtliche Rahmen gilt für befristete Arbeitsverhältnisse beim Betriebsübergang?

Auch befristete Arbeitsverhältnisse werden von § 613a BGB erfasst, weshalb sie mit allen bestehenden Rechten und Pflichten auf den Erwerber übergehen. Die Befristung bleibt dabei unberührt, das heißt, das Arbeitsverhältnis endet regulär mit dem Ablauf der Befristung, sofern keine Verlängerungsvereinbarung getroffen wird. Der neue Betriebsinhaber tritt für die Dauer der Befristung vollumfänglich in die rechtliche Stellung des früheren Arbeitgebers ein. Rechte aus der Befristung werden durch den Wechsel des Arbeitgebers nicht berührt oder erneuert.

Welche Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats sind beim Betriebsübergang zu beachten?

Der Betriebsrat ist beim Betriebsübergang umfassend zu beteiligen. Insbesondere bestehen Informations-, Anhörungs- und Beratungsrechte bezüglich der geplanten Maßnahme. Gemäß § 111 BetrVG kann, sofern ein Betriebsübergang mit grundlegenden Veränderungen für die Belegschaft einhergeht, ein Interessenausgleich oder Sozialplan erforderlich werden. Die Beteiligung muss frühzeitig erfolgen, damit der Betriebsrat seine Mitbestimmungsrechte wahrnehmen kann. Dazu zählen insbesondere Fragen der personellen Einzelmaßnahmen, Versetzungen und ein etwaiger Personalabbau. Die Verletzung von Mitbestimmungsrechten kann zum Unterlassen der Durchführung des Betriebsübergangs führen oder Schadensersatzansprüche begründen.