Begriff und rechtlicher Rahmen des TVÜ
Der Begriff TVÜ steht für „Tarifvertrag zur Überleitung“, häufig auch als „Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten in den TVöD“ bzw. „TVÜ-VKA“ (Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände) oder „TVÜ-Bund“ bezeichnet. TVÜ beschreibt somit spezifische tarifvertragliche Regelungen, die im Zuge der Einführung des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) und des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) zur Anwendung kamen. Ziel dieser Überleitungstarifverträge war die rechtlich einwandfreie und transparente Überführung der Arbeitsverhältnisse aus den alten Tarifwerken (insbesondere BAT, MTArb, BMT-G) in das neue Entgeltsystem.
Entstehungshintergrund der TVÜ
Ablösung alter Tarifsysteme
Mit Inkrafttreten des TVöD zum 1. Oktober 2005 und des TV-L im Jahr 2006 wurde die bis dahin geltende, heterogene Tariflandschaft des öffentlichen Dienstes neu geordnet. Die alten Tarifverträge wie der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT), der Manteltarifvertrag Arbeiter (MTArb), der Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G) sowie zahlreiche übergeleitete Tarifverträge verloren ihre Gültigkeit und wurden durch den TVöD bzw. den TV-L ersetzt. Da die neuen Tarifverträge wesentliche strukturelle Änderungen hinsichtlich Eingruppierung, Entgeltberechnung und Laufbahnrecht enthielten, wurde mit den jeweiligen TVÜ die Systemumstellung geregelt.
Gesetzliche Grundlagen
Die tarifliche Autonomie der Tarifvertragsparteien nach Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz erlaubt die freie Vereinbarung von Tarifverträgen. Diese Freiheit umfasst auch die nachträgliche Veränderung bestehender Regelungen durch Überleitungsverträge. Die TVÜ werden demnach im Sinne des Tarifvertragsgesetzes abgeschlossen und können Tarifbindung gemäß § 4 TVG auslösen.
Hauptinhalte und Regelungsbereiche der TVÜ
1. Überleitungsmechanismen
a) Zuordnung zu Entgeltgruppen
Die zentrale Aufgabe der TVÜ besteht darin, die Überleitung der Beschäftigten aus den bisherigen Vergütungs- und Lohngruppen zu den neuen Entgeltgruppen herzustellen. Hierbei werden die bisherigen Beschäftigten gemäß ihrer alten Eingruppierung (BAT, MTArb, BMT-G etc.) einer neuen Entgeltgruppe des TVöD oder des TV-L zugeordnet (§ 3 TVÜ). Die Zuordnungen beruhen auf komplexen, in Begleitregelungen und Anlagen detaillierten Überleitungstabellen.
b) Stufenzuordnung und Besitzstände
Um Besitzstände (beispielsweise in Bezug auf Erfahrungsstufen oder spezielle Vergütungsbestandteile) zu wahren, regeln die TVÜ die Überführung in das neue Stufensystem. Häufig erfolgt eine Zuordnung zu bestimmten Stufen; etwa ist bei kürzlich erfolgtem Aufstieg in eine höhere Lebensaltersstufe eine spezielle Berücksichtigung vorgesehen. Besitzstandregelungen sichern zudem individuelle Zulagen oder persönliche Entgeltbestandteile, damit bestehende Einkommensniveaus nicht ohne angemessene Kompensation sinken.
2. Folgen für Arbeitsverhältnisse
Die rechtliche Wirksamkeit der Überleitung erfolgt durch Tarifbindung und kollektivrechtliche Wirkung. Arbeitsverträge der betroffenen Beschäftigten werden grundsätzlich nicht individuell geändert, sondern durch die normative Wirkung des TVÜ kollektiv angepasst. Vereinbarungen, die günstiger sind als das neue Tarifrecht, behalten ihre Gültigkeit nach dem Günstigkeitsprinzip (§ 4 Abs. 3 TVG).
Spezifische Überleitungsregelungen
TVÜ-Bund, TVÜ-VKA und TVÜ-Länder
Der Überleitungstarifvertrag existiert in mehreren Versionen:
TVÜ-Bund betrifft Beschäftigte des Bundes.
TVÜ-VKA gilt für die Beschäftigten der Kommunen.
TVÜ-Länder (TVÜ-L) regelt die Überleitung in den Ländern.
Jede dieser Fassungen enthält spezifische Anlagen, Tabellen und Regelungen, die an die bisher jeweils geltenden Tarifwerke angepasst sind.
Besondere Personengruppen
Die TVÜ sehen besondere Vorschriften für Personengruppen wie Teilzeitbeschäftigte, Beschäftigte im Sozial- und Erziehungsdienst sowie Beschäftigte, deren Arbeitsverhältnis während der Überleitung ruht. Die Regelungen gewährleisten eine einheitliche und rechtskonforme Zuordnung.
Rechtliche Auswirkungen und Streitfragen
Vertrauensschutz und Besitzstandswahrung
Einer der wichtigsten Grundsätze des TVÜ ist der Schutz erworbener Rechte. Bestehende Ansprüche auf höheres Entgelt, Urlaub, Jahressonderzahlungen oder andere Leistungen werden durch Besitzstandsklauseln geschützt. Dennoch gibt es fortlaufende rechtliche Auseinandersetzungen über die Auslegung von Überleitungsvorschriften, insbesondere hinsichtlich der Stufenzuordnung, Höhergruppierungen und des Einfrierens individueller Entgelte.
Mitbestimmung und Beteiligung
Mitbestimmungsgremien wie Personal- oder Betriebsräte werden bei der Einführung und Umsetzung der TVÜ umfassend beteiligt. In Zweifelsfällen besteht ein Initiativrecht zur Klärung strittiger Fragen. Auch individualrechtliche Klagen sind möglich, etwa bezüglich der korrekten Stufenzuordnung.
Fallbeispiele und Rechtsprechung zu den TVÜ
In der Praxis wurden zahlreiche gerichtliche Entscheidungen getroffen, die Zweifelsfragen im Zuge der Überleitung klären. Besonders häufig betroffen sind Streitigkeiten bezüglich der korrekten Stufenzuordnung sowie der Ermittlung des maßgeblichen Vergleichsentgelts. Die Rechtsprechung betont dabei stets die maßgebliche Rolle der Tarifauslegung im Sinne der Tarifautonomie.
Bedeutung und aktuelle Entwicklung des TVÜ
Auch Jahre nach In-Kraft-Treten der neuen Tarifwerke behalten die TVÜ ihre praktische Relevanz. Bei jedem Wechsel zwischen Tarifwerken, Neueingruppierungen oder Fragen des Besitzstandsschutzes sind die Überleitungstarifverträge ein rechtlich unverzichtbarer Bezugsrahmen. Änderungen und Anpassungen seitens der Tarifvertragsparteien sorgen für eine stetige Fortentwicklung der Überleitungsregelungen.
Literatur und Weblinks
Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten in den TVöD (TVÜ-VKA)
Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten in den TV-L (TVÜ-Länder)
Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten in den TVöD (TVÜ-Bund)
Tarifvertragsgesetz (TVG)
Grundgesetz Art. 9 Abs. 3
Der TVÜ ist damit ein zentraler Rechtsbegriff für die rechtskonforme, sozial ausgewogene und strukturierte Überführung von Tarifbeschäftigten und hat prägende Bedeutung für die Rechts- und Tarifpraxis im öffentlichen Dienst in Deutschland.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Grundlagen regeln den TVÜ und seine Anwendung?
Der Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten in den TVöD (TVÜ) sowie dessen Weiterentwicklung und Auslegung basieren hauptsächlich auf dem Tarifvertragsgesetz (TVG) und weiteren arbeitsrechtlichen Bestimmungen, die das Verhältnis zwischen Arbeitgebern des öffentlichen Dienstes und deren Beschäftigten regulieren. Der TVÜ ist ein eigenständiger Tarifvertrag, dessen Rechtswirkungen sich aus der jeweiligen Tarifbindung ergeben, beispielsweise durch Mitgliedschaft in der Gewerkschaft oder durch den Beitritt des Arbeitgebers zu einem Arbeitgeberverband, der Vertragspartei ist. Im Einzelfall können auch arbeitsvertragliche Bezugnahmen auf den TVÜ erfolgen. Daneben gelten übergeordnete arbeitsrechtliche Gesetze wie das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB), insbesondere die Vorschriften zu Änderungen und Ergänzungen von Arbeitsverträgen (§§ 305 ff. BGB) und zum Bestandsschutz (§ 613a BGB). Die Auslegung richtet sich nach der Tarifsystematik und der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, vor allem des Bundesarbeitsgerichts. Die Kompatibilität des TVÜ mit europarechtlichen Vorschriften, etwa zur Gleichbehandlung, ist ebenfalls rechtlich zu berücksichtigen.
Wie ist das Verhältnis des TVÜ zu Tarifverträgen des Bundestarifrechts oder allgemeinem Arbeitsrecht?
Im rechtlichen Kontext ist der TVÜ primär als spezialgesetzliche Regelung im Verhältnis zu anderen Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes zu verstehen, insbesondere im Gegenüber zum früheren BAT (Bundes-Angestelltentarifvertrag) oder Abschnitte des BMT-G (Bundes-Manteltarifvertrag für Arbeiter). Änderungen oder Abweichungen, die der TVÜ für die Überleitung und Besitzstandswahrung regelt, gehen als speziellere Regelung grundsätzlich den allgemeinen Vorschriften des TVöD oder den arbeitsrechtlichen Allgemeinen Geschäftsbedingungen vor. Maßgeblich ist, dass für tv-gebundene Arbeitnehmer während und nach der Überleitung die Vorschriften des TVÜ verbindlich und vorrangig anzuwenden sind, es sei denn, später werden ergänzende oder ablösende vertragliche Vereinbarungen getroffen. Die Rechtsprechung erkennt dabei die Vorrangstellung der spezifischen Überleitungsvorschriften ausdrücklich an.
Welche individuellen Ansprüche kann eine Beschäftigter rechtlich aus dem TVÜ ableiten?
Beschäftigte haben nach dem TVÜ rechtlich Anspruch auf bestimmte Besitzstandswahrungen, insbesondere in Bezug auf Vergütungsbestandteile wie individuelle Zwischen- oder Endstufen, bisherige Zulagen oder übergeleitete Arbeitszeiten. Diese Ansprüche werden durch die individuell im Arbeitsverhältnis geltenden Regelungen des TVÜ konkretisiert und können im Streitfall gerichtlich geltend gemacht werden, solange keine wirksame Änderung gemäß § 77 Abs. 4 BetrVG oder arbeitsvertragliche Änderungen einvernehmlich vereinbart worden sind. Zentral ist auch die Einordnung der bisherigen Eingruppierung und die Überleitung in das neue Entgeltsystem, wobei eine rechtliche Nachprüfung im Rahmen tariflicher Ausschlussfristen möglich ist. Die betroffenen Beschäftigten müssen dabei keine gesonderten Anträge stellen, sondern haben einen unmittelbaren, tarifrechtlichen Anspruch auf die korrekte Anwendung und Umsetzung der Überleitung und Besitzstandswahrung.
Wie wirken sich Änderungen in den Ausgangsverträgen auf die Überleitung nach dem TVÜ aus?
Rechtlich ist maßgeblich, dass für die Überleitung grundsätzlich die am Stichtag des Inkrafttretens des TVöD/tv-L bestehenden Arbeitsverträge und ihr tariflicher Status heranzuziehen sind. Änderungen am Arbeitsverhältnis nach diesem Stichtag, z.B. aufgrund von Beförderung, Umgruppierung oder Wechsel des Beschäftigtenkreises, unterliegen nicht mehr den Überleitungsvorschriften des TVÜ, sondern ausschließlich den Regelungen des neuen Tarifrechts (TVöD/TV-L). Hierzu gibt es eine umfangreiche Rechtsprechung, insbesondere zur Stichtagsregelung, die verhindern soll, dass nachträgliche Veränderungen fälschlich der Überleitung unterstellt werden. Dies dient der Bestandssicherung und der Transparenz der Rechtsprechung zur bezugsberechtigten Personengruppe.
Können Ansprüche aus abgelösten Tarifverträgen über den TVÜ hinaus fortbestehen?
Mit Inkrafttreten des TVÜ und der vollständigen Ablösung des bisherigen tariflichen Systems durch den TVöD besteht grundsätzlich kein Anspruch mehr auf Leistungen oder Regelungen aus den abgelösten Tarifverträgen (z.B. BAT, BMT-G), es sei denn, sie werden im TVÜ ausdrücklich für die Überleitungsphase oder zur Besitzstandswahrung in Bezug genommen. Eine Ausnahme besteht für vor Inkrafttreten entstandene Ansprüche, sofern diese bis zum Stichtag rechtlich unverfallbar sind und die tariflichen Ausschlussfristen gewahrt wurden. In arbeitsgerichtlichen Streitigkeiten wird stets individuell geprüft, ob weiterhin Bestandsschutz besteht und ob der TVÜ oder das neue Tarifrecht greift.
Welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen bei fehlerhafter Überleitung nach dem TVÜ?
Wird eine fehlerhafte Überleitung festgestellt – etwa durch unzutreffende Eingruppierung, falsche Berechnung der Besitzstandszulage oder das Nichtberücksichtigen bestimmter Überleitungstatbestände – kann der/die Beschäftigte arbeitsrechtlich auf Nachbesserung klagen. Maßgeblich ist dabei die Einhaltung tariflicher und ggf. gesetzlicher Ausschlussfristen. Die Durchsetzung erfolgt vor Arbeitsgerichten, wobei die Beweislast für die fehlerhafte Anwendung oder Unterlassung in der Regel beim Kläger/bei der Klägerin liegt. Tarifliche Ansprüche, insbesondere zur Zuordnung zu Entgeltgruppen oder Stufen, können für den Zeitraum nach dem Inkrafttreten des TVÜ mittels Feststellungs- oder Leistungsklage geltend gemacht werden.
Unterliegt der TVÜ der Mitbestimmung des Personal- oder Betriebsrats?
Die Einführung und Anwendung des TVÜ als Tarifvertrag selbst unterliegen nicht der Mitbestimmung nach dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) oder den entsprechenden landesrechtlichen Regelungen für den öffentlichen Dienst, da Tarifverträge von den Sozialpartnern abgeschlossen werden. Jedoch können sich bei der konkreten Umsetzung, insbesondere im Rahmen der Überleitung einzelner Beschäftigter oder bei der Auslegung unbestimmter Begriffe, mitbestimmungspflichtige Tatbestände ergeben, wie z.B. bei der Erstellung von Auswahlrichtlinien oder Kriterien für die Zuordnung. Die innerbetriebliche Umsetzung ist meist mitbestimmungspflichtig, insbesondere im Bereich der personellen Einzelmaßnahmen und der Vorbereitung entsprechender Listen und Daten.