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Traditionelle Lebensmittel


Definition und rechtliche Grundlagen traditioneller Lebensmittel

Traditionelle Lebensmittel sind Nahrungsmittel, deren Rezepturen, Herstellungsweisen, Zusammensetzungen oder Verwendungsarten auf überlieferte Praktiken zurückgehen und die häufig eine besondere kulturelle, regionale oder historische Bedeutung aufweisen. In Europa und insbesondere in Deutschland sind traditionelle Lebensmittel ein rechtlich komplexer Begriff, da sie über verschiedene EU-Verordnungen, nationale Gesetze sowie spezielle Schutz- und Kennzeichnungsregime definiert, geschützt und reguliert werden.

Abgrenzung des Begriffs „traditionelle Lebensmittel”

Im rechtlichen Kontext wird von traditionellen Lebensmitteln gesprochen, wenn sich diese in ihrer Zusammensetzung, Art der Herstellung oder Verarbeitung nachweislich über mehrere Generationen – in der Regel mindestens 30 Jahre – bewährt haben. Die Richtlinie (EU) 2015/2283 über neuartige Lebensmittel (Novel-Food-Verordnung) verweist ausdrücklich auf traditionelle Lebensmittel, insofern für sie eine gesonderte Behandlung im Zulassungsverfahren vorgesehen ist.

Relevante Rechtsvorschriften

Die maßgeblichen Vorschriften zur Definition, zum Schutz und zur Vermarktung traditioneller Lebensmittel umfassen insbesondere:

  • Verordnung (EU) Nr. 1151/2012 über Qualitätsregelungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel (g.g.A., g.U. und g.t.S.)
  • Verordnung (EU) 2015/2283 (Novel-Food-Verordnung)
  • Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB)
  • Nationale Durchführungs- und Ergänzungsgesetze

Europäischer Rechtsrahmen für traditionelle Lebensmittel

Schutz geografischer Angaben und Ursprungsbezeichnungen

Im europäischen Recht genießen traditionelle Lebensmittel oftmals Schutz als „geografisch geschützte Angabe (g.g.A.)”, „geschützte Ursprungsbezeichnung (g.U.)” oder über die „garantiert traditionelle Spezialität (g.t.S.)”. Diese Systeme dienen dem Schutz vor Nachahmung und der Sicherung authentischer Erzeugungsmethoden.

Geschützte Ursprungsbezeichnung (g.U.)

Erzeugnisse mit g.U.-Status müssen vollständig in einer bestimmten Region nach anerkannten traditionellen Verfahren hergestellt, verarbeitet und erzeugt werden. Bekannte Beispiele sind Parmigiano Reggiano oder Münchener Bier.

Geschützte geografische Angabe (g.g.A.)

Hierbei muss eine Stufe der Produktion, Verarbeitung oder Herstellung in dem definierten geografischen Gebiet stattfinden. Das Produkt muss charakteristische Eigenschaften besitzen, die diesem Gebiet zuzuordnen sind.

Garantiert traditionelle Spezialität (g.t.S.)

Diese Schutzkategorie richtet sich an Produkte mit traditionellen Zusammensetzungen oder Herstellungsverfahren, unabhängig von der geografischen Herkunft. Hierzu zählen beispielsweise Mozzarella oder Serrano-Schinken.

Kennzeichnungs- und Eintragungsverfahren

Der Schutz als g.U., g.g.A. oder g.t.S. setzt ein förmliches Antrags- und Prüfverfahren bei der Europäischen Kommission voraus. Die Spezifikationen müssen öffentlich eingesehen werden können und die Eintragung garantiert europaweiten Schutz.

Traditionelle Lebensmittel und Novel-Food-Verordnung

Unterscheidung zwischen traditionellen und neuartigen Lebensmitteln

Mit Inkrafttreten der Novel-Food-Verordnung wurden klare Kriterien geschaffen, ab wann ein Lebensmittel als traditionell gilt. Lebensmittel, die vor dem 15. Mai 1997 in der Europäischen Union in nennenswertem Umfang verzehrt wurden, gelten als traditionell und unterliegen nicht der Novel-Food-Zulassung, sofern die Sicherheit für die Verbraucher belegt werden kann.

Zulassung traditioneller Lebensmittel aus Drittländern

Für traditionelle Lebensmittel aus Drittländern, die innerhalb der EU neu auf den Markt gebracht werden, gilt ein erleichtertes Zulassungsverfahren gemäß Artikel 14 der Verordnung (EU) 2015/2283. Es ist nachzuweisen, dass dieses Erzeugnis historisch sicher konsumiert wurde und keine Gesundheitsrisiken zu erwarten sind.

Nationale Regelungen und Schutzsysteme

Umsetzung in Deutschland

Traditionelle Lebensmittel unterliegen dem deutschen Lebensmittelrecht. Das LFGB und weitere lebensmittelrechtliche Vorschriften konkretisieren die Anforderungen an Kennzeichnung, Zusammensetzung und Verkehrsfähigkeit. Besonders relevante Aspekte sind das Verbot der Irreführung (§ 11 LFGB) und die durch die Behörden zu sichernde Einhaltung traditioneller Rezepturen bei entsprechender Kennzeichnung.

Beispiel: Bayerisches Bier

Das Reinheitsgebot und die geschützte Bezeichnung „Bayerisches Bier” illustrieren, wie traditionelle Herstellungsverfahren und Qualitätsversprechen rechtlich verbindlich verankert sind.

Rolle des Codex Alimentarius

Viele Standards, etwa für Bier, Käse oder Wurstwaren, sind zudem im Codex Alimentarius zusammengefasst, um einen internationalen Bezugsrahmen für spezifische Mindestanforderungen an traditionelle Erzeugnisse zu bieten.

Schutz vor Irreführung und Verbraucherschutzaspekte

Verbot der Irreführung

Produkte dürfen als „traditionell” nur dann gekennzeichnet oder beworben werden, wenn sie tatsächlich den entsprechenden traditionellen Herstellungsweisen und Rezepturen entsprechen. Hierbei sind die Vorgaben der Lebensmittelinformationsverordnung (LMIV) sowie des § 11 LFGB maßgeblich. Unberechtigterweise als „traditionell” vermarktete Produkte können als wettbewerbswidrig und irreführend beanstandet werden.

Verbraucherschutz und Transparenz

Verbraucherschutzaspekte liegen vorrangig in der Vermeidung von Täuschung, der Sicherstellung der Rückverfolgbarkeit traditionell hergestellter Produkte und der Unterrichtung der Verbraucher über die Produktionsweise, Inhaltsstoffe und den Ursprung.

Internationale Aspekte und Handelsabkommen

Schutz traditioneller Lebensmittel im internationalen Kontext

Im Rahmen von Handelsabkommen, insbesondere des Abkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte am geistigen Eigentum (TRIPS), werden Schutzrechte traditioneller Lebensmittel anerkannt. Durch bilaterale Abkommen mit Drittstaaten kann der Schutz geografischer Angaben auf den internationalen Handel ausgeweitet werden.

Zusammenfassung und Ausblick

Traditionelle Lebensmittel nehmen eine zentrale Rolle im europäischen und deutschen Lebensmittelrecht ein. Ihr Schutz erfolgt durch verschiedene Systeme für Qualitätsregelungen, geografische Angaben, Ursprungsbezeichnungen und traditioneller Spezialitäten. Die klare Abgrenzung zu neuartigen Lebensmitteln schützt sowohl die kulturelle Identität als auch Verbrauchererwartungen. Rechtsvorschriften auf nationaler und EU-Ebene sowie internationale Abkommen sorgen für ein umfassendes Schutzsystem, das Missbrauch unterbindet und die Integrität traditioneller Herstellungsweisen sichert.

Häufig gestellte Fragen

Was gilt rechtlich als traditionelles Lebensmittel in der Europäischen Union?

Im rechtlichen Kontext der Europäischen Union werden traditionelle Lebensmittel insbesondere im Zusammenhang mit speziellen Schutzmechanismen wie der „Traditionell garantiert” (g.t.S.) oder im Rahmen von Zulassungsverfahren für neuartige Lebensmittel („Novel Food”-Verordnung) betrachtet. Ein Lebensmittel gilt in diesem Zusammenhang als traditionell, wenn nachgewiesen werden kann, dass es nachweislich seit mindestens einer Generation (mindestens 30 Jahre) in einem bestimmten geografischen Raum produziert, verarbeitet oder zusammengesetzt wurde und dabei traditionelle Rezepturen, Produktions- oder Verarbeitungsmethoden angewendet werden. Für traditionelle Lebensmittel kann der Hersteller eine Zulassung bzw. besondere Anerkennung beantragen, die mit spezifischen Anforderungen, wie Dokumentations- und Nachweispflichten, verbunden ist. Traditionelle Lebensmittel sind nicht automatisch von allen lebensmittelrechtlichen Pflichten befreit; es gelten grundsätzlich die gleichen Anforderungen an Lebensmittelsicherheit und Kennzeichnung wie bei anderen Lebensmitteln, es sei denn, es wird durch spezielle EU-Verordnungen eine Ausnahme formuliert.

Welche rechtlichen Schutzmechanismen existieren für traditionelle Lebensmittel?

Für traditionelle Lebensmittel gibt es in der EU zwei wichtige Schutzmechanismen: die „garantiert traditionelle Spezialität” (g.t.S.) sowie die „geschützte Ursprungsbezeichnung” (g.U.) und die „geschützte geografische Angabe” (g.g.A.). Beim g.t.S.-Schutz wird insbesondere das Herstellungsverfahren oder die traditionelle Zusammensetzung geschützt, unabhängig vom Herkunftsort. Der Schutzmechanismus sieht ein mehrstufiges Antragsverfahren vor, bei dem das Produkt detailliert beschrieben und die Tradition nachgewiesen werden muss. Nach der Eintragung dürfen nur Produkte, die diese Anforderungen erfüllen, unter der geschützten Bezeichnung vermarktet werden. Verstöße gegen den Schutz können rechtlich verfolgt werden.

Welche Voraussetzungen müssen für eine EU-weite Zulassung eines traditionellen Lebensmittels erfüllt sein?

Für die Zulassung als traditionelles Lebensmittel im Sinne der EU-Gesetzgebung (z. B. im Rahmen der Novel-Food-Verordnung, Artikel 16) muss die traditionelle Verwendung im Drittland nachgewiesen werden, unter anderem durch Veröffentlichungen oder Berichte der zuständigen Lebensmittelbehörden. Ferner sind Sicherheitsnachweise zu erbringen, etwa zur gesundheitlichen Unbedenklichkeit, Verträglichkeit und zum Fehlen toxikologischer Risiken im Rahmen der beabsichtigten Verwendung. Ein umfassendes Dossier mit Produktbeschreibung, Nachweis der traditionellen Verwendung und Daten zur Sicherheit ist bei der zuständigen nationalen Behörde bzw. bei der Europäischen Kommission einzureichen. Diese prüft die Unterlagen und stellt das Produkt nach positiver Bewertung in den Novel-Food-Katalog ein.

Gibt es länderspezifische Ausnahmen oder Vereinfachungen für traditionelle Lebensmittel bei der Kennzeichnung?

Die EU-Lebensmittelkennzeichnungsverordnung (LMIV) gilt prinzipiell für alle Lebensmittel, einschließlich traditioneller Produkte. Allerdings können für bestimmte traditionelle Lebensmittel produktbezogene Ausnahmeregelungen bestehen, etwa im Hinblick auf die Angabe von Zutaten oder Nährwertinformationen. Diese Ausnahmen sind jedoch im Einzelfall begründet und müssen mit einer entsprechenden rechtlichen Grundlage, meist in der jeweiligen o.g. Schutzregistrierung (g.t.S., g.U., g.g.A.) oder in nationalen Durchführungsvorschriften, begründet sein. Überdies ist für jedes Land zu prüfen, ob nationale Ergänzungen oder restriktivere Vorgaben beim Verkauf und der Kennzeichnung traditioneller Lebensmittel bestehen.

Welche rechtlichen Vorgaben gelten für die Hygiene und Lebensmittelsicherheit bei traditionellen Lebensmitteln?

Auch für traditionelle Lebensmittel gelten die strengen EU-Anforderungen an Lebensmittelhygiene und Lebensmittelsicherheit gemäß den Verordnungen (EG) Nr. 852/2004 und 178/2002. Es existieren jedoch sogenannte Flexibilitätsregelungen, die es unter bestimmten Bedingungen ermöglichen, bei stabil überlieferten Herstellungsverfahren traditionelle Methoden weiter zu verwenden, sofern sie keine Gesundheitsgefahr darstellen und das Schutzniveau gewahrt bleibt. Diese Flexibilitätsregeln müssen allerdings von den zuständigen Behörden genehmigt und überwacht werden. Dennoch bleibt die Verantwortung für die Sicherheit und Gesundheit beim Inverkehrbringen stets beim Hersteller.

Wie werden Streitigkeiten im Zusammenhang mit traditionellen Lebensmitteln rechtlich behandelt?

Streitigkeiten, beispielsweise über die unrechtmäßige Verwendung einer geschützten Bezeichnung oder die Nachahmung eines traditionellen Produkts, werden nach Maßgabe des EU-Zivilrechts und der nationalen Schutzgesetze gelöst. In diesen Fällen kann eine Klage auf Unterlassung, Schadensersatz oder Rückruf der Produkte erfolgen. Zuständig sind erstinstanzlich meist die nationalen Gerichte; im Rahmen von EU-weiter Anerkennung und Schutz ist gegebenenfalls der Europäische Gerichtshof einzubeziehen. Bei Verstößen gegen Hygiene- oder Sicherheitsvorschriften drohen zudem Bußgelder oder ein Herstellungs- und Vertriebsverbot.