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Testamentsanfechtung


Begriffsbestimmung und rechtliche Einordnung der Testamentsanfechtung

Die Testamentsanfechtung ist ein zentraler Begriff im deutschen Erbrecht und beschreibt das rechtliche Verfahren, mit dem die Wirksamkeit eines bereits errichteten Testaments mit Rückwirkung beseitigt werden kann. Sie ist in den §§ 2078 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) geregelt und stellt ein wesentliches Instrument dar, um unberechtigte oder fehlerhafte Verfügungen von Todes wegen aufzuheben. Ziel der Testamentsanfechtung ist es, testamentarische Verfügungen die infolge bestimmter Mängel zustande gekommen sind, für unwirksam zu erklären, sodass die gesetzliche Erbfolge oder eine ältere letztwillige Verfügung wieder Geltung erlangt.

Voraussetzungen der Testamentsanfechtung

Die Anfechtung eines Testaments ist an bestimmte Voraussetzungen geknüpft, die im Folgenden näher dargelegt werden.

Anfechtungsberechtigte Personen

Anfechtungsberechtigt sind gemäß § 2080 BGB insbesondere diejenigen, denen die Aufhebung des Testaments unmittelbar rechtlich zugutekommen würde. Hierzu zählen:

  • Gesetzliche Erben, die durch das Testament enterbt oder benachteiligt wurden
  • Vorherige Erben, wenn mehrere Testamente vorliegen
  • Personen, denen durch die Anfechtung eigene erbrechtliche Ansprüche entstehen würden

Nicht anfechtungsbefugt sind dagegen Personen, die durch das angefochtene Testament keine rechtliche Stellung oder Aussicht auf eine erbrechtliche Position erlangen würden.

Anfechtungsgründe

Die wirksame Anfechtung setzt das Vorliegen eines gesetzlichen Anfechtungsgrundes voraus, für die insbesondere folgende Ursachen in Betracht kommen:

Inhalts- oder Erklärungsirrtum (§ 2078 Abs. 1 S. 1 BGB)

Der Erblasser hat sich über den Inhalt seiner Erklärung geirrt oder wollte eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben. Beispiel: Der Erblasser hat sich verschrieben oder vertippt.

Motivirrtum (§ 2078 Abs. 2 BGB)

Der Erblasser ist bei der Errichtung des Testaments von einem falschen Motiv oder einer unrichtigen Vorstellung über bestimmte Tatsachen ausgegangen, z.B. über das Verhalten eines Bedachten oder die Existenz bestimmter Personen.

Drohung oder Täuschung (§ 2078 Abs. 2 BGB)

Das Testament wurde durch arglistige Täuschung oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel errichtet oder geändert.

Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten (§ 2079 BGB)

Wurde bei der Errichtung des Testaments eine pflichtteilsberechtigte Person nicht bedacht, weil der Erblasser fälschlich von deren Tod oder einer sonstigen Enterbungsberechtigung ausgegangen ist, kann auch dies ein Anfechtungsgrund sein.

Anfechtungsfrist

Die Anfechtung ist fristgebunden und muss gemäß § 2082 BGB innerhalb eines Jahres ab Kenntnis des Anfechtungsgrundes erfolgen. Kenntnislosigkeit oder schlafende Unkenntnis hemmt die Frist. Die absolute Höchstfrist beträgt jedoch 30 Jahre ab dem Erbfall.

Anfechtungserklärung

Die Anfechtung bedarf der Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht (§ 2081 BGB). Dabei ist keine bestimmte Form vorgeschrieben, jedoch ist eine schriftliche oder zu Protokoll abgegebene Erklärung üblich. Die Erklärung muss den Anfechtungsgrund erkennen lassen.

Rechtsfolgen der Testamentsanfechtung

Rückwirkende Unwirksamkeit

Die erfolgreiche Testamentsanfechtung führt dazu, dass die testamentarische Verfügung als von Anfang an (ex tunc) unwirksam gilt. Die Erbfolge richtet sich dann nach der gesetzlichen Erbfolge beziehungsweise einer älteren letztwilligen Verfügung, falls vorhanden.

Teilweise Anfechtung

Ist ein Testament nur in Teilen mit einem Anfechtungsgrund behaftet, kann die Anfechtung auch nur auf diese Teile beschränkt werden, sofern der verbleibende Teil selbstständig bestehen kann (§ 2085 BGB).

Mitwirkung weiterer Beteiligter

In bestimmten Konstellationen, insbesondere bei gemeinschaftlichen Testamenten (z. B. Ehegattentestament nach § 2268 BGB), kann auch der überlebende Ehegatte zur Anfechtung berechtigt sein, sofern er durch eine wechselbezügliche Verfügung beschwert ist.

Abgrenzung zu verwandten Rechtsinstituten

Unterschied zur Testamentsauslegung

Anders als bei der Testamentsanfechtung geht es bei der Testamentsauslegung (§ 133, § 2084 BGB) nicht um die Beseitigung des Testaments, sondern um die Klärung des wirklichen Willens des Erblassers im Rahmen der bestehenden Verfügung.

Unterschied zur Testamentsnichtigkeit

Die vollständige Nichtigkeit eines Testaments ergibt sich aus anderen Gründen, insbesondere bei Verstoß gegen gesetzliche Formvorschriften (§ 125 BGB), Geschäftsunfähigkeit oder Scheingeschäften, und bedarf keiner Anfechtung.

Praktische Bedeutung und Verfahrensweise

Die Testamentsanfechtung hat vor allem praktische Bedeutung im Streit um die Erbfolge, insbesondere wenn Anhaltspunkte für Irrtum, Täuschung oder unzulässigen Druck vorliegen. Sie stellt für benachteiligte potenzielle Erben das wichtigste Rechtsmittel dar, um eine möglicherweise fehlerhafte Verfügung von Todes wegen zu beseitigen.

Nach Eingang der Anfechtungserklärung prüft das Nachlassgericht, ob der geltend gemachte Anfechtungsgrund durch Urkunden, Zeugenaussagen oder andere Mittel nachweisbar ist. Im Streitfall kann ein gerichtliches Verfahren notwendig werden.

Zusammenfassung

Die Testamentsanfechtung ist ein komplexes, gesetzlich geregeltes Verfahren, das berechtigten Personen ermöglicht, letztwillige Verfügungen, welche auf Irrtum, Täuschung, Drohung oder Übergehung von Pflichtteilsberechtigten beruhen, rückwirkend unwirksam zu machen. Voraussetzung sind ein anerkannter Anfechtungsgrund, fristgerechte Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht sowie ein schutzwürdiges eigenes Interesse der anfechtenden Person. Die erfolgreiche Anfechtung führt zur Unwirksamkeit der betroffenen letztwilligen Verfügung, sodass wiederum die gesetzliche oder eine frühere testamentarische Erbfolge Anwendung findet.

Testamentsanfechtungen spielen vor allem in der gerichtlichen Klärung von Erbfällen eine zentrale Rolle und sichern die Wahrung des wirklichen Willens des Erblassers sowie die Rechte der durch das Testament benachteiligten Personen.

Häufig gestellte Fragen

Welche Fristen müssen bei der Anfechtung eines Testaments beachtet werden?

Die Frist zur Anfechtung eines Testaments richtet sich im deutschen Erbrecht grundsätzlich nach § 2082 BGB. Danach muss die Anfechtung innerhalb eines Jahres erfolgen, nachdem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund und der letztwilligen Verfügung Kenntnis erlangt hat. Maßgeblich ist also nicht der Zeitpunkt des Erbfalls oder der Testamentseröffnung, sondern der Moment, an dem dem Berechtigten bekannt wird, dass ein Anfechtungsgrund vorliegt (z.B. Irrtum, Drohung, Täuschung des Erblassers) und zugleich ein Testament existiert, das ihn betrifft. Die absolute Höchstfrist („Verjährung“) beträgt jedoch nach § 2082 Absatz 2 BGB 30 Jahre nach dem Erbfall, unabhängig von der individuellen Kenntnis. Nach Ablauf dieser Frist ist eine Anfechtung nicht mehr möglich, selbst wenn der Anfechtungsgrund erst später bekannt wird.

Wer ist zur Anfechtung eines Testaments berechtigt?

Anfechtungsberechtigt sind grundsätzlich die Personen, denen durch die Wirksamkeit der angefochtenen Verfügung ein rechtlicher Nachteil entsteht oder deren gesetzliche Erbfolge beeinträchtigt wird. Dies sind insbesondere gesetzliche Erben, die durch das Testament enterbt wurden oder im Vergleich zur gesetzlichen Erbfolge schlechter gestellt sind. Auch Vermächtnisnehmer oder andere durch das Testament benachteiligte Personen können zur Anfechtung berechtigt sein, sofern sie durch eine erfolgreiche Anfechtung eine vorteilhaftere Rechtsposition erlangen würden. Nicht berechtigt sind hingegen Personen, die durch das Testament keinen Nachteil erleiden oder deren Rechtsstellung sich nicht ändert.

In welchen Fällen ist eine Testamentsanfechtung möglich?

Eine Anfechtung ist in den gesetzlich geregelten Fällen nach §§ 2078, 2079 BGB möglich. Zu den häufigsten Anfechtungsgründen zählen der Irrtum des Erblassers, etwa über den Inhalt der Verfügung (Erklärungsirrtum, Inhaltsirrtum) oder über eine entscheidungserhebliche Tatsache (Motivirrtum). Auch die Drohung oder Täuschung, die zur Testamentserrichtung geführt hat, berechtigt zur Anfechtung (§ 2078 Absatz 2 BGB). Zudem kann ein Pflichtteilsberechtigter das Testament anfechten, wenn ihm der Pflichtteil durch eine letztwillige Verfügung entzogen wurde, obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Pflichtteilsentziehung nicht vorlagen (§ 2079 BGB). Nicht jeder formelle Fehler bei der Testamentserrichtung begründet jedoch eine Anfechtung; hier ist säuberlich zwischen Anfechtung und bloßer Nichtigkeit zu unterscheiden.

Wie ist die Anfechtung eines Testaments formell durchzuführen?

Die Anfechtungserklärung muss gegenüber dem Nachlassgericht, das für die Verwaltung des Nachlasses zuständig ist, abgegeben werden. Sie bedarf keiner besonderen Form, kann also mündlich zur Niederschrift oder schriftlich eingereicht werden; allerdings empfiehlt sich aus Nachweisgründen die Schriftform. Die Erklärung muss hinreichend bestimmt sein und klar zum Ausdruck bringen, dass und aus welchem Grund das Testament angefochten wird. Der Anfechtungsgrund ist dabei substantiiert anzugeben. Das Gericht prüft dann, ob die gesetzlichen Voraussetzungen einer wirksamen Anfechtung vorliegen.

Welche Rechtsfolgen hat eine erfolgreiche Anfechtung eines Testaments?

Wird ein Testament erfolgreich angefochten, entfaltet die angefochtene Verfügung keine Wirkung mehr. Sie gilt als von Anfang an nichtig. In der Regel tritt dann die gesetzliche Erbfolge ein oder vorhergehende letztwillige Verfügungen (etwa frühere Testamente oder Erbverträge) werden wieder wirksam, sofern sie durch die nunmehr angefochtene Verfügung aufgehoben oder verdrängt wurden (sog. „Rückerbschaft“). Die Erbenstellung wird entsprechend neu festgestellt und der bisherige Erbschein verliert gegebenenfalls seine Gültigkeit.

Wer trägt die Kosten für die Testamentsanfechtung?

Die Kosten der Testamentsanfechtung setzen sich aus den Gerichtskosten und gegebenenfalls den außergerichtlichen Kosten der Beteiligten (z.B. Anwaltskosten) zusammen. Grundsätzlich trägt jeder Beteiligte zunächst seine eigenen Kosten. Im Falle eines gerichtlichen Verfahrens kann das Gericht eine Kostentragungspflicht aussprechen, zum Beispiel wenn eine Partei mutwillig oder erfolglos einen Antrag stellt. Außerdem können Erben, die das angefochtene Testament begünstigt hätte, zur Kostenerstattung verpflichtet werden, wenn die Anfechtung erfolgreich ist. Die genaue Kostenverteilung richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls und den Regelungen des FamFG sowie des GKG.

Was geschieht, wenn mehrere Testamente vorhanden sind?

Liegt mehr als ein Testament vor, ist zunächst zu prüfen, welche Verfügungen sich gegenseitig aufheben oder ergänzen. Eine Testamentsanfechtung bezieht sich immer konkret auf die angefochtene Verfügung. Wird das zuletzt errichtete Testament vollständig oder in Teilen erfolgreich angefochten, richtet sich die Erbfolge vorrangig nach dem vorhergehenden wirksamen Testament oder – wenn kein solches vorhanden ist – nach der gesetzlichen Erbfolge. Ein älteres Testament lebt grundsätzlich wieder auf, wenn das jüngere als angefochten oder unwirksam beurteilt wird.