Begriff und Einordnung der Telemedizin
Unter Telemedizin wird die Erbringung medizinischer Leistungen über räumliche Distanz mittels Informations- und Kommunikationstechnologie verstanden. Sie ermöglicht beispielsweise die Diagnostik, Therapie, Überwachung sowie Beratung von Patientinnen und Patienten, ohne dass ein persönlicher Kontakt zwingend erforderlich ist. Telemedizin ist ein interdisziplinär geprägtes Feld, das sowohl medizinische als auch technische und insbesondere rechtliche Anforderungen miteinander verbindet.
Rechtlicher Rahmen der Telemedizin in Deutschland
Gesetzliche Grundlagen
Die Telemedizin ist in Deutschland an verschiedene gesetzliche Vorgaben gebunden. Wesentliche Normen finden sich vorwiegend im:
- Telemedizingesetz (noch kein eigenständiges Gesetz, sondern Regelungen innerhalb bestehender Gesetze)
- Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
- Strafgesetzbuch (StGB)
- Berufsordnungen der Landesärztekammern
- Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)
- Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V)
Standesrechtliche Regelungen
Berufsordnungen
Die Berufsordnungen der Ärztekammern regeln den rechtlichen Umgang mit Fernbehandlungen. Seit der maßgeblichen Änderung im Jahr 2018 ist die ausschließliche ärztliche Fernbehandlung zulässig, sofern sie im Einzelfall ärztlich vertretbar ist und die erforderliche Sorgfalt gewahrt wird (§ 7 Abs. 4 Musterberufsordnung für Ärztinnen und Ärzte – MBO-Ä).
Sorgfaltspflichten
Die ärztliche Sorgfaltspflicht erstreckt sich auch auf telemedizinische Behandlungsformen. Ärztinnen und Ärzte müssen prüfen, ob eine Fernbehandlung im jeweiligen Einzelfall eine angemessene Versorgung gewährleisten kann. Die Grenzen der Telemedizin sind dort erreicht, wo persönliche Untersuchung unumgänglich ist.
Datenschutz und Datensicherheit
Anforderungen an die Datenverarbeitung
Die Verarbeitung sensibler Gesundheitsdaten im Rahmen telemedizinischer Leistungen unterliegt strengen Anforderungen nach Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) sowie Bundesdatenschutzgesetz (BDSG). Hierzu gehört die Information der Betroffenen über Art, Umfang und Zweck der Datenverarbeitung sowie deren Einwilligung (§ 9 DSGVO, § 22 BDSG).
Verschlüsselung und IT-Sicherheit
Die Übertragung personenbezogener medizinischer Daten erfordert nach Art. 32 DSGVO angemessene technische und organisatorische Maßnahmen zur Sicherheit der Verarbeitung. Insbesondere Verschlüsselung, Authentifizierung und Passwortschutz sind grundlegende Anforderungen für telemedizinische Anwendungen. Anbieter müssen regelmäßig Datenschutz-Folgenabschätzungen nach Art. 35 DSGVO durchführen.
Haftungsrechtliche Aspekte der Telemedizin
Arzthaftung
Die haftungsrechtlichen Maßstäbe gelten, unabhängig davon, ob die Leistung persönlich oder mittels Telemedizin erbracht wird. Fehler bei der Dateneingabe, Fehldiagnosen aufgrund unzureichender Informationsgrundlage oder fehlende Aufklärungspflichten können zu Schadensersatzansprüchen führen (§ 630a ff. BGB).
Produkthaftung
Bei Verwendung telemedizinischer Systeme und Softwarelösungen kommen Normen des Produkthaftungsgesetzes (ProdHaftG) sowie des Medizinprodukterechts zur Anwendung. Software, die als Medizinprodukt klassifiziert wird, unterliegt strengen Zulassungspflichten nach Medizinproduktegesetz (MPG) bzw. der Medical Device Regulation (MDR).
Besonderheiten bei der Abrechnung telemedizinischer Leistungen
Vergütung im GKV-System
Telemedizinische Leistungen sind im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung nach SGB V abrechnungsfähig, sofern sie nach dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) erfasst sind. Typische Beispiele sind die Videosprechstunde, Telekonsile oder Telemonitoring-Leistungen. Nach § 291g SGB V bestehen konkrete Vorgaben für die technischen Ausführungen und Voraussetzungen.
Private Abrechnung
Im Bereich der privaten Krankenversicherung ist die Abrechnung telemedizinischer Leistungen an die GOÄ (Gebührenordnung für Ärzte) bzw. GOZ (Gebührenordnung für Zahnärzte) gebunden. Einzelne Versicherer regeln eine Kostenerstattung für telemedizinische Behandlung vertraglich.
Informations- und Aufklärungspflichten
Auch im Rahmen der Telemedizin sind umfassende Informations- und Aufklärungspflichten einzuhalten (§ 630e BGB). Der Patient muss über Art, Umfang, Chancen und Risiken der Fernbehandlung in verständlicher Form aufgeklärt werden. Die Einwilligung des Patienten ist zwingende Voraussetzung für die Durchführung telemedizinischer Maßnahmen.
Grenzen und Entwicklung des Telemedizinrechts
Die Rechtsentwicklung im Bereich der Telemedizin ist von einer hohen Dynamik geprägt. Künftig wird mit einer weiteren Ausdifferenzierung spezialgesetzlicher Vorschriften und der Etablierung europaweiter Mindeststandards zu rechnen sein. Zukünftige Herausforderungen betreffen insbesondere die Fortschreibung des Datenschutzes, die Haftungsregelungen sowie die Ausweitung abrechnungsfähiger telemedizinischer Leistungen.
Zusammenfassung
Telemedizin nimmt eine zunehmend wichtige Rolle in der Gesundheitsversorgung ein. Die Rechtslage ist durch ein komplexes Zusammenspiel aus berufs-, datenschutz-, haftungs- und sozialrechtlichen Vorschriften geprägt. Zentrale Bereiche wie die ärztliche Sorgfaltspflicht, Schutz der Patientendaten, Produkthaftung sowie Abrechnungsmodalitäten sind detailliert gesetzlich geregelt. Durch die anhaltende technologische Entwicklung und Digitalisierung im Gesundheitswesen bleibt das Telemedizinrecht ein fortlaufend zu beobachtendes Rechtsgebiet, bei dem stets aktuelle Rechtsentwicklungen berücksichtigt werden müssen.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Anforderungen müssen an die ärztliche Schweigepflicht und den Datenschutz bei Telemedizin beachtet werden?
Bei telemedizinischen Leistungen gelten die gleichen strengen Anforderungen an die ärztliche Schweigepflicht wie bei einer klassischen ärztlichen Behandlung. Ärztinnen und Ärzte sind gemäß § 203 StGB sowie den Berufsordnungen verpflichtet, sämtliche ihnen anvertrauten Informationen vertraulich zu behandeln. Darüber hinaus sind die Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) bindend, da bei telemedizinischen Anwendungen regelmäßig personenbezogene, häufig sogar besonders schützenswerte Gesundheitsdaten verarbeitet werden. Anbieter müssen sicherstellen, dass die Übermittlung und Speicherung der Daten ausschließlich auf besonders gesicherten Übertragungswegen (z.B. Ende-zu-Ende-Verschlüsselung) erfolgt und nur berechtigte Personen Zugriff auf diese Informationen haben. Zudem besteht eine umfassende Informationspflicht gegenüber den Patientinnen und Patienten im Hinblick auf Art, Umfang und Zweck der Datenverarbeitung. Einwilligungen zur Datenverarbeitung müssen explizit erfolgen und protokolliert werden. Verstöße können zu rechtlichen Konsequenzen und Schadensersatzforderungen führen.
Wer haftet bei technischen Fehlern oder Ausfällen während einer telemedizinischen Behandlung?
Die Haftungsfragen bei der Telemedizin sind in weiten Teilen deckungsgleich mit der klassischen ärztlichen Behandlung, unterscheiden sich jedoch im Hinblick auf technische Komponenten. Ärztinnen und Ärzte tragen grundsätzlich die Verantwortung dafür, dass die medizinische Versorgung dem jeweiligen fachlichen Standard entspricht. Im Falle technischer Störungen oder Ausfälle (z.B. Verbindungsabbrüche, Fehlfunktionen der genutzten Software) besteht die Pflicht, gegebenenfalls auf andere Kommunikationswege umzusteigen oder Patientinnen und Patienten unverzüglich über die Einschränkung der Beratungsleistung zu informieren. Scheitert die Behandlung an technischen Problemen und entsteht daraus ein Gesundheitsschaden, kann im Einzelfall eine Haftung der/des Ärztin/Arztes oder auch des technischen Dienstleisters in Frage kommen. Daher ist ein lückenloses Protokoll über technische Schwierigkeiten und die ergriffenen Maßnahmen zu führen. Ärztinnen und Ärzte sollten sich zudem bei ihrer Berufshaftpflichtversicherung vergewissern, dass telemedizinische Leistungen ausdrücklich mitversichert sind.
Welche rechtlichen Vorgaben gelten für die grenzüberschreitende Erbringung von telemedizinischen Leistungen?
Die grenzüberschreitende Telemedizin steht vor besonderen rechtlichen Herausforderungen, da unterschiedliche nationale Vorgaben im Gesundheitsrecht und Berufsrecht der beteiligten Länder zu beachten sind. Eine ärztliche Behandlung darf in der Regel nur dann angeboten werden, wenn die behandelnde Person sowohl im Herkunfts- als auch im Zielstaat zur Berufsausübung berechtigt ist. Zusätzlich sind Vorgaben der DSGVO zur Übermittlung von Gesundheitsdaten in Drittländer zu berücksichtigen. Viele Staaten verlangen ein besonderes Zulassungsverfahren für ausländische Leistungserbringer oder erkennen fremde ärztliche Berufsqualifikationen nur eingeschränkt an. Überdies müssen telemedizinische Angebote die Vorschriften der jeweils geltenden Heilmittelwerbegesetze, Standesrecht und ggf. spezifische Anzeigepflichten erfüllen. Bei Nichtbeachtung drohen Bußgelder, berufsrechtliche Verfahren oder die Untersagung der Tätigkeit.
Welche Anforderungen existieren an die Einwilligung der Patient:innen in die telemedizinische Behandlung?
Für jede telemedizinische Behandlung ist vor deren Beginn eine informierte Einwilligung der Patientin oder des Patienten einzuholen. Die Einwilligung muss auf einer umfassenden Aufklärung beruhen, die nach ärztlichem Berufsrecht (§ 630e BGB in Verbindung mit der jeweiligen Berufsordnung) sicherstellt, dass der Patient oder die Patientin über alle wesentlichen Umstände der Behandlung – insbesondere die Besonderheiten, Chancen und Risiken der telemedizinischen Form – verständlich informiert wurde. Die Erklärung ist freiwillig, kann schriftlich, elektronisch oder mündlich erfolgen, sollte aber aus Beweisgründen dokumentiert werden. Die Möglichkeit eines Widerrufs muss jederzeit gewährleistet sein. Wird die Einwilligung nicht ordnungsgemäß eingeholt, ist die Durchführung der telemedizinischen Behandlung rechtswidrig und kann haftungsrechtliche sowie berufsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.
Welche gesetzlichen Grundlagen regeln die Fernbehandlung und welche Einschränkungen bestehen?
Die gesetzlichen Grundlagen für die Fernbehandlung wurden durch die Lockerung des Fernbehandlungsverbots im Zuge des „Gesetzes zur Neuregelung des Berufsrechts der Heilberufe“ und Anpassung der (Muster-)Berufsordnung für Ärzte (MBO-Ä) geschaffen. Demnach ist eine ausschließliche Fernbehandlung zulässig, sofern sie ärztlich vertretbar ist und die ärztliche Sorgfalt nach den anerkannten fachlichen Standards gewahrt wird (§ 7 Abs. 4 MBO-Ä). Der individuelle Einzelfall sowie die technische und medizinische Eignung müssen jeweils beurteilt werden. Einschränkungen bestehen weiterhin bei Behandlungen, die eine unmittelbare körperliche Untersuchung oder Intervention erfordern. Auch Rezepte oder Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen dürfen (je nach Bundesland) nur nach Erfüllung definierter Voraussetzungen im Rahmen der Fernbehandlung ausgestellt werden. Zudem bedarf jede Fernbehandlung einer sorgfältigen Dokumentation.
Welche Vorgaben bestehen zur Dokumentation bei telemedizinischen Leistungen?
Telemedizinische Behandlungen unterliegen denselben Dokumentationspflichten wie konventionelle Arzt-Patienten-Kontakte (§ 630f BGB; Berufsordnung). Ärztinnen und Ärzte müssen sämtliche relevanten Informationen, Befunde, Diagnosen, Therapievorschläge, Aufklärungen und Einwilligungen sowie technische Besonderheiten der Beratung zeitnah, vollständig und nachvollziehbar dokumentieren. Besonderheiten ergeben sich hinsichtlich der Speicherung und Archivierung der elektronischen Daten, die nach den Vorgaben der DSGVO erfolgen muss. Die jeweiligen Softwarelösungen müssen dabei gewährleisten, dass die Integrität, Vertraulichkeit und Verfügbarkeit der Patientendaten zu jeder Zeit sichergestellt sind und die gesetzlich vorgeschriebenen Aufbewahrungsfristen eingehalten werden. Bei der Nutzung von Videokonferenzsystemen oder anderen digitalen Plattformen ist ferner zu vermerken, auf welchem Wege der Kontakt stattfand und ob technische Störungen bestanden.
Welche berufsrechtlichen Voraussetzungen muss ein/e Ärzt:in für das Angebot telemedizinischer Leistungen erfüllen?
Ärztinnen und Ärzte, die telemedizinische Leistungen anbieten wollen, müssen über eine gültige Approbation sowie über eine Eintragung in das Arztregister verfügen. Abhängig vom Bundesland kann eine gesonderte Anzeige oder Genehmigung bei der zuständigen Ärztekammer erforderlich sein. Weiterhin muss der Arzt oder die Ärztin sicherstellen, dass die eingesetzten Kommunikationssysteme den geltenden berufsrechtlichen und datenschutzrechtlichen Anforderungen (insbesondere was ärztliche Schweigepflicht und Datensicherheit betrifft) genügen. Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Einhaltung der Sorgfaltspflichten, insbesondere im Hinblick auf die richtige Indikationsstellung, die Weiterleitung an vor Ort tätige Kolleg:innen im Bedarfsfall und die Dokumentation. Zudem ist vor Beginn der Tätigkeit die Berufshaftpflichtversicherung auf den Leistungsumfang der Telemedizin auszudehnen und die Patient:innen entsprechend zu informieren.