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Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst


Begriff und Rechtsgrundlagen des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst

Der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) ist ein normative Vereinbarung, die die Arbeitsbedingungen von Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in Deutschland regelt. Tarifverträge im öffentlichen Dienst sind zentrale Rechtsquellen, welche das Arbeitsverhältnis zwischen öffentlichen Arbeitgebern (insbesondere Bund, Kommunen und deren Einrichtungen) und den tarifgebundenen Arbeitnehmern gestalten. Grundlage und Rechtsrahmen bildet das Tarifvertragsgesetz (TVG) sowie ergänzend das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) und weitere arbeitsrechtliche Spezialgesetze.

Rechtsnatur und Geltungsbereich

Der Tarifvertrag setzt auf Grundlage des § 1 TVG die Rechte und Pflichten der Arbeitsvertragsparteien, insbesondere hinsichtlich Höhe und Zusammensetzung des Arbeitsentgelts, Arbeitszeit, Urlaub, Sonderzahlungen, Arbeitsbedingungen und Kündigungsfristen fest. Im öffentlichen Dienst finden sich verschiedene Tarifverträge, maßgeblich jedoch der TVöD und seine jeweiligen Sparten (zum Beispiel TVöD-V für Verwaltungen, TVöD-B für den Sozial- und Erziehungsdienst).

Persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich

Der Geltungsbereich eines Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst erstreckt sich auf die tarifgebundenen öffentlichen Arbeitgeber (Bund, Kommunen, ausgewählte Einrichtungen des öffentlichen Rechts) sowie auf die Arbeitnehmer und Auszubildenden, die in einem Arbeitsverhältnis (kein Beamtenverhältnis) stehen. Öffentliche Arbeitgeber sind unter anderem Städte, Gemeinden, kommunale Zweckverbände, Universitäten, Krankenhäuser und andere dem öffentlichen Dienst zuzurechnende Einrichtungen.

Tarifvertragssystematik im öffentlichen Dienst

Seit der Ablösung des Bundesangestelltentarifs (BAT) und ähnlicher Regelwerke wurden mit Wirkung zum 1. Oktober 2005 der TVöD für Bund und Kommunen und später analog der TV-L (Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder) für die Länder eingeführt.

Aufbau und Bestandteile eines Tarifvertrags

Tarifverträge im öffentlichen Dienst bestehen regelmäßig aus folgenden Elementen:

  • Manteltarifvertrag: Regelt grundlegende Arbeitsbedingungen wie Arbeitszeit, Urlaub, Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
  • Entgelttarifvertrag: Regelt die Entgelttabellen, Entgeltgruppen und Aufstiegsmöglichkeiten.
  • Sonderregelungen: Für bestimmte Berufsgruppen (z. B. Sozial- und Erziehungsdienst, Pflege).
  • Überleitungsregelungen: Regeln für die Überführung aus alten in neue Tarifwerke.

Tarifpartner und Verhandlungsparteien

Vertragspartner auf Arbeitgeberseite sind typischerweise die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) beziehungsweise der Bund; auf Arbeitnehmerseite die zuständigen Gewerkschaften wie Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und die Gewerkschaft der Polizei (GdP).

Verbindlichkeit und Wirkung

Ein Tarifvertrag entfaltet nach § 4 TVG unmittelbare und zwingende Wirkung für die tarifgebundenen Arbeitsverhältnisse. Er findet Anwendung auf Arbeitsverhältnisse, wenn beidseitige Tarifbindung besteht oder der Tarifvertrag explizit durch arbeitsvertragliche Bezugnahme vereinbart ist oder aufgrund einer Allgemeinverbindlicherklärung (§ 5 TVG) auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findet.

Rechtliche Inhalte und Regelungskomplexe

Entgelt und Vergütung

Die Eingruppierung, Stufenzuordnung und Vergütungshöhe wird im Entgelttarifvertrag sowie in dazugehörigen Anlagen festgelegt. Regelmäßig unterliegen die Gehälter im TVöD festen Entgelttabellen, die sich nach Qualifikation, Berufserfahrung und Tätigkeit richten.

Arbeitszeit, Urlaub, Sonderleistungen

Die tariflichen Regelungen zur Arbeitszeit legen die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit (in der Regel 39 Stunden), Mehrarbeit, Schichtarbeit sowie bezahlten Erholungsurlaub (mindestens 30 Tage/Jahr bei Vollbeschäftigung) und Sonderurlaubstatbestände fest. Dazu kommen Ansprüche auf Jahressonderzahlungen (Weihnachtsgeld) und Zusatzversorgungsleistungen.

Kündigungsschutz und Beendigung des Arbeitsverhältnisses

Der TVöD enthält abweichend vom gesetzlichen Mindeststandard modifizierte Kündigungsfristen, besonderen Schutz für ältere oder langjährig beschäftigte Arbeitnehmer, Regelungen zu betrieblichen Änderungen (Betriebsübergang, Umstrukturierung) sowie Vorschriften zur außerordentlichen Kündigung und zur Beendigungsmitteilung.

Beteiligungsrechte und Mitbestimmung

Tarifverträge für den öffentlichen Dienst enthalten Regelungen zu Beteiligungsrechten betriebsverfassungsrechtlicher Organe wie Personalrat oder Mitarbeitervertretung, unter Berücksichtigung des jeweiligen Personalvertretungsgesetzes und der tariflichen Vorgaben zu Anhörung, Information und Mitbestimmung.

Besondere Funktionen und Bedeutung des Tarifvertrags im öffentlichen Dienst

Friedenspflicht und Arbeitskampf

Während der Laufzeit eines Tarifvertrages besteht die tarifliche Friedenspflicht, das heißt, Arbeitskampfmaßnahmen (zum Beispiel Streik) sind grundsätzlich ausgeschlossen, soweit sie die von einem Tarifvertrag geregelten Inhalte betreffen. Nach Ablauf ist der Weg für gewerkschaftliche Arbeitskampfmaßnahmen eröffnet, sofern kein neuer Tarifvertrag abgeschlossen wird.

Gesetzliche und normative Wirkung

Tarifverträge im öffentlichen Dienst modifizieren schuldrechtlich wie normativ das Arbeitsvertragsrecht in weitem Umfang. Sie gehen dispositivem Arbeitsrecht weitestgehend vor und gewähren vielfach über den gesetzlichen Mindeststandard hinausgehende Ansprüche und Sicherheiten. Soweit zwingende Regelungen (zum Beispiel Mutterschutzgesetz, Arbeitszeitgesetz) nicht durch Tarifvertrag abbedungen werden können, gehen diese vor.

Entwicklungsgeschichte und Reformbestrebungen

Die Tarifvertragslandschaft im öffentlichen Dienst unterliegt fortlaufender Entwicklung. Maßgeblich war die Reform im Jahr 2005 durch die Einführung des TVöD, der zuvor existierende, unübersichtlich gewordene Tarifsysteme ablöste. Im Zuge dessen wurden zahlreiche Sonderregelungen harmonisiert, Differenzierungen nach Tätigkeitsbereichen beibehalten und Schritte zu mehr Flexibilität im öffentlichen Dienst unternommen.

Ausblick und aktuelle Entwicklungen

Im Rahmen von Digitalisierung, Demografie, Fachkräftemangel und sich wandelnden Rahmenbedingungen sind Tarifverträge für den öffentlichen Dienst regelmäßig Gegenstand von Anpassungen und Reformverhandlungen. Inhaltliche Schwerpunkte bilden seit einigen Jahren Themen wie mobile Arbeit, tarifliche Regelungen zur Digitalisierung und Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Zusammenfassung

Der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst stellt eine zentrale arbeitsrechtliche Regelungsgrundlage im deutschen öffentlichen Dienst dar. Er bestimmt die wesentlichen Arbeitsbedingungen für viele Arbeitnehmer in Bund, Kommunen und deren Einrichtungen verbindlich und umfassend. Durch seine besondere normative Kraft, seine Vielschichtigkeit und seine prägende Rolle für das öffentliche Arbeitsrecht gilt er als ein zentrales Element des kollektiven Arbeitsrechts und ist fortlaufenden Entwicklungen unterworfen.

Häufig gestellte Fragen

Wann kommt ein Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst rechtlich zur Anwendung?

Ein Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (z.B. TVöD oder TV-L) findet rechtlich Anwendung, wenn sowohl der Arbeitgeber als auch die Arbeitnehmer bzw. ihre Vertretungen tarifgebunden sind oder im Arbeitsvertrag explizit auf die Geltung des Tarifvertrags Bezug genommen wird. Nach § 4 Tarifvertragsgesetz (TVG) sind die Regelungen aus einem Tarifvertrag unmittelbar und zwingend Bestandteil des Arbeitsverhältnisses, sofern die Parteien tarifgebunden sind. Tarifgebundenheit besteht in der Regel für Mitglieder der vertragsschließenden Gewerkschaft und den Arbeitgeber, der dem entsprechenden Arbeitgeberverband angehört oder selbst Partei des Tarifvertrags ist. Zusätzlich können Arbeitsverträge auf den Tarifvertrag verweisen („tarifliche Bezugnahme“), wodurch auch für nicht tarifgebundene Beschäftigte im öffentlichen Dienst die tariflichen Regelungen anwendbar werden. Im Falle einer Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG gilt der Tarifvertrag zudem für sämtliche Arbeitsverhältnisse des betroffenen Geltungsbereichs, unabhängig von der Gewerkschafts- oder Verbandszugehörigkeit.

Welche rechtlichen Regelungen im Tarifvertrag sind zwingend, und welche können arbeitsvertraglich geändert werden?

Im rechtlichen Kontext unterscheidet das Tarifrecht zwischen zwingenden und dispositiven Tarifnormen. Grundsätzlich gelten nach § 4 Absatz 3 TVG die tariflichen Regelungen als Mindestarbeitsbedingungen. Klauseln, die zuungunsten der Beschäftigten von den tariflichen Standards abweichen, sind grundsätzlich unwirksam, es sei denn, der Tarifvertrag lässt ausdrücklich günstigere individuelle Regelungen zu (Günstigkeitsprinzip, § 4 Absatz 3 TVG). Erlaubt der Tarifvertrag sogenannte Öffnungsklauseln, besteht in diesen Bereichen eine Möglichkeit tarifabweichender Regelungen auf betrieblicher oder individueller Ebene. Im Umkehrschluss sind Verschlechterungen zu den tariflichen Konditionen rechtlich nicht zulässig. Gleichfalls können bestimmte Individualabreden, die zugunsten des Arbeitnehmers vom Tarif abweichen, rechtmäßig vereinbart werden, sofern sie den Mindestschutz des Tarifvertrags wahren.

Welche Rechtsfolgen ergeben sich bei Nichtanwendung oder fehlerhafter Anwendung eines Tarifvertrags im öffentlichen Dienst?

Wird ein Tarifvertrag zu Unrecht nicht angewendet, besteht für betroffene Beschäftigte ein individueller Anspruch auf die tariflichen Leistungen und Arbeitsbedingungen. Dies kann u.a. Entgeltansprüche, Urlaubsansprüche, Arbeitszeitregelungen und Sonderzahlungen betreffen. Arbeitnehmer können ihre Ansprüche regelmäßig im Wege einer Klage vor dem Arbeitsgericht geltend machen. Fehlerhafte oder unterlassene Anwendung des Tarifvertrags stellt einen Verstoß gegen das Gesetz dar und kann bei systematischen Verstößen auch aufsichtsrechtliche bzw. sanktionierende Folgen für den öffentlichen Arbeitgeber nach sich ziehen. Zu beachten ist, dass tarifliche Ausschlussfristen (Ausschlussfristen) gegebenenfalls die spätere Durchsetzung von Ansprüchen beschränken.

Wie verhält sich der Tarifvertrag im öffentlichen Dienst zu anderen Rechtsquellen, wie z.B. Gesetzen oder Betriebs-/Dienstvereinbarungen?

Im Rahmensystem der arbeitsrechtlichen Normen steht der Tarifvertrag über Betriebs- bzw. Dienstvereinbarungen, jedoch unter den gesetzlichen Regelungen. Sollten gesetzliche Vorschriften (z.B. das Arbeitszeitgesetz, Mutterschutzgesetz) strengere Maßstäbe vorgeben als der Tarifvertrag, gehen diese vor. Tarifverträge können bestehende gesetzliche Vorschriften allerdings verbessern, nicht jedoch zuungunsten der Beschäftigten abweichen, sofern das Gesetz dies nicht ausdrücklich zulässt. Betriebs- oder Dienstvereinbarungen sind nur insoweit zulässig, wie sie durch den Tarifvertrag nicht ausgeschlossen werden oder tariflich vorgesehene Spielräume ausfüllen (Tarifsperre, § 77 Abs. 3 BetrVG). Eine Konkurrenzregelung zwischen verschiedenen Tarifverträgen ist durch das Prinzip der Tarifpluralität beschränkt.

Welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen für Beschäftigte, bei Änderungen von Tarifverträgen im öffentlichen Dienst Einfluss zu nehmen?

Beschäftigte können rechtlich nur indirekt auf Änderungen von Tarifverträgen Einfluss nehmen, da Tarifverhandlungen ausschließlich den vertragsschließenden Tarifparteien (Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände/öffentlicher Arbeitgeber) vorbehalten sind. Beschäftigte können jedoch über ihre Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft ihre Interessen artikulieren, Delegierte wählen oder an gewerkschaftlichen Abstimmungen (z.B. im Rahmen einer Urabstimmung bei Streiks) teilnehmen. Innerhalb des rechtlichen Rahmens sind es die Tarifparteien, die vertragliche Änderungen aushandeln, abschließen oder kündigen dürfen. Individuelle Beteiligungsrechte an den Tarifverhandlungen bestehen demnach nicht.

Wie wirkt sich eine Kündigung oder Änderung eines Tarifvertrags auf bestehende Arbeitsverhältnisse im öffentlichen Dienst aus?

Bei der Kündigung eines Tarifvertrags tritt nach Ablauf der Kündigungsfrist und dem Ende der Nachwirkung (§ 4 Absatz 5 TVG) eine sogenannte Nachwirkung ein, das heißt die bisherigen tariflichen Regelungen gelten weiterhin, bis sie durch eine neue Regelung ersetzt oder ausdrücklich anderweitig geregelt werden. Diese Nachwirkung sichert die Rechtsposition der Arbeitnehmer, schützt jedoch nur die bereits bestehenden Arbeitsverhältnisse und verpflichtet Neugestaltungen, sich nach neuen Vorgaben zu richten. Die Nachwirkung erstreckt sich jedoch nur auf sog. Inhaltsnormen des Tarifvertrags (z.B. Entgelt, Arbeitszeit), nicht auf schuldrechtliche Nebenabsprachen zwischen den Tarifparteien. Mit Abschluss eines neuen Tarifvertrags werden die alten Regelungen abgelöst (Verdrängungsprinzip).

Welche Bedeutung hat die Allgemeinverbindlicherklärung für Tarifverträge im öffentlichen Dienst?

Die Allgemeinverbindlicherklärung gemäß § 5 TVG ist ein Instrument, mit dessen Hilfe Tarifverträge auf Antrag einer Tarifvertragspartei durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales auf besonders große Teile einer Branche ausgedehnt werden können. Im öffentlichen Dienst ist die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen jedoch die Ausnahme, da hier in aller Regel ohnehin ein sehr hoher Organisationsgrad auf Arbeitgeberseite vorliegt, und damit de facto nahezu alle Arbeitsverhältnisse vom Geltungsbereich der Tarifverträge erfasst werden. Sollte eine Allgemeinverbindlicherklärung erfolgen, hätte dies zur Folge, dass der jeweilige Tarifvertrag für sämtliche Arbeitsverhältnisse des betroffenen Bereichs – unabhängig von einer Mitgliedschaft in Gewerkschaften oder Arbeitgeberverbänden – unmittelbar anwendbar wird. Das Instrument dient in erster Linie der Schaffung einheitlicher Mindestarbeitsbedingungen innerhalb des öffentlichen Dienstes.