Legal Lexikon

Tariftreue


Definition und rechtliche Einordnung der Tariftreue

Tariftreue bezeichnet im deutschen Recht das Prinzip, dass Vergabestellen des öffentlichen Sektors bei der Auftragsvergabe an Unternehmen die Einhaltung bestehender Tarifverträge oder bestimmte Mindestarbeitsbedingungen fordern oder voraussetzen. Ziel dieser Regelungen ist es, faire Arbeitsbedingungen sicherzustellen, Lohndumping zu verhindern sowie Wettbewerbsvorteile durch Missachtung tariflicher oder sozialrechtlicher Standards zu unterbinden. Tariftreuegesetze und -klauseln sind sowohl in Bundessowie in zahlreichen Landesgesetzen normiert.

Rechtsgrundlagen der Tariftreue

Bundesrechtliche Regelungen

Im Bundesrecht findet sich das Leitprinzip der Tariftreue insbesondere im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und in der Vergabeverordnung (VgV). Nach § 97 Abs. 4 GWB soll bei der öffentlichen Auftragsvergabe „bei der Festlegung der Bedingungen des Auftrags das Gebot der Angemessenheit der Arbeitsbedingungen“ berücksichtigt werden. Tarifbindung wird durch konkrete Regelungen in vergaberechtlichen Spezialgesetzen und landesrechtlichen Vorgaben weiter ausgestaltet.

Landesrechtliche Tariftreuegesetze

In den Bundesländern existieren spezifische Tariftreuegesetze (z.B. Tariftreue- und Vergabegesetz NRW, TVgG NRW; Tariftreuegesetz Brandenburg, TtG BB), die die Einhaltung von branchenspezifischen Tarifverträgen, Mindestlohnregelungen und sozialen Standards vorschreiben. Die einzelnen Gesetze unterscheiden sich im Detail u.a. hinsichtlich der betroffenen Branchen, Auftragswerte und Kontrollmechanismen.

Wesentliche Inhalte landesrechtlicher Tariftreuegesetze

  • Pflicht zur Tariftreueerklärung: Unternehmen müssen zum Nachweis der Tariftreue im Rahmen der Vergabe eine entsprechende Erklärung abgeben.
  • Geltungsbereich: Häufig beschränkt auf bestimmte Schwellenwerte (z.B. Auftragswerte ab 25.000 Euro) und einzelne Branchen (z.B. Bau, ÖPNV, Reinigungsdienste).
  • Sanktionen: Verstöße können zu Vertragsstrafen, zum Ausschluss von der Vergabe und zu Rückforderung von bereits gezahlten Vergütungen führen.

Tariftreue im europäischen Kontext

Die Vorgaben des europäischen Vergaberechts (u.a. Richtlinie 2014/24/EU) lassen soziale und arbeitsrechtliche Anforderungen in Vergabeverfahren grundsätzlich zu, solange sie mit den Grundfreiheiten der EU (z.B. Dienstleistungsfreiheit) vereinbar sind und nicht diskriminierend wirken. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mehrfach über Zulässigkeit und Reichweite von Tariftreuevorgaben entschieden und dabei grundsätzlich eine Vereinbarkeit mit Unionsrecht festgestellt, sofern die Maßgaben transparent, verhältnismäßig und nicht diskriminierend ausgestaltet sind.

Anwendungsbereich und Reichweite der Tariftreue

Öffentliche Auftraggeber

Tariftreueverpflichtungen richten sich primär an öffentliche Auftraggeber, darunter Bund, Länder, Kommunen sowie deren ausgegliederte Einheiten (z.B. Eigenbetriebe). Viele Landesvergabegesetze beziehen auch Sektorenauftraggeber (z.B. Energie, Wasser, Verkehr) ein.

Verpflichtete Unternehmen

Unternehmen, die sich auf öffentliche Ausschreibungen bewerben, sind zur Tariftreue verpflichtet. Auch Nachunternehmer und Leiharbeitsunternehmen müssen sich regelmäßig an die geltenden Tariftreuevorgaben halten. In vielen Gesetzen ist eine sogenannte Nachunternehmerklausel vorgesehen, um „Sub-Sub-Vergaben“ dem Tariftreueschutz zu unterstellen.

Nachweis der Tariftreue und Kontrollmechanismen

Nachweispflichten

Unternehmen müssen im Projektantrag beziehungsweise mit Angebotsabgabe eine Tariftreuenerklärung abgeben. Häufig zu verwendende Nachweise sind z.B.:

  • Anerkennung und Anwendung des einschlägigen Tarifvertrags
  • Nachweis der Anwendung eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrags oder – falls nicht vorhanden – der Zahlung eines branchenspezifischen Mindestlohns

Kontrolle und Sanktionierung

Die Einhaltung der Tariftreue kann von den Vergabestellen kontrolliert werden. Verstöße führen, je nach Landesgesetz, zu Sanktionen wie Vertragsauflösung, Schadenersatzforderungen oder temporärem Ausschluss von weiteren Vergabeverfahren. In bestimmten Bundesländern gibt es zentrale Kontrollstellen oder Vergabekammern.

Kritik und rechtliche Diskussionen

Verfassungsrechtliche Herausforderungen

Tariftreuegesetze und -klauseln standen vereinzelt im Fokus verfassungsrechtlicher Überprüfungen, insbesondere im Hinblick auf die Berufsfreiheit (Art. 12 GG), die Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG) und die Wettbewerbsfreiheit. Die Rechtsprechung ist jedoch mehrheitlich zur Auffassung gelangt, dass solche Regelungen im öffentlichen Interesse zulässig sind.

Praxistauglichkeit und Umsetzungsprobleme

In der Praxis kommt es gelegentlich zu Problemen bei der Umsetzung, da teils unterschiedliche Regelungen auf Landesebene und der hohe Nachweisaufwand für Unternehmen die Rechtspraxis erschweren können. Zudem werden Unterschiede bei der Kontrolle und Sanktionsdurchsetzung zwischen den Bundesländern kritisiert.

Relevanz in der aktuellen Gesetzgebung und Reformen

Neue Initiativen auf Bundes- und Landesebene nehmen die Themen Tariftreue und Mindestlohn regelmäßig in Reformprozesse auf. So haben beispielsweise zahlreiche Bundesländer ihre Gesetze an den bundesweiten gesetzlichen Mindestlohn angepasst oder neue Regelungsbereiche (z.B. Klimaschutz, soziale Kriterien) in die Vergabegesetze integriert.

Literatur und Weblinks

Weiterführende Informationen bieten u.a.:

  • Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)
  • Vergabeverordnung (VgV)
  • Landesgesetze zur Tariftreue (z.B. TVgG NRW, TtG BB)
  • Vergaberichtlinien der Europäischen Union
  • Bundesanzeiger, einschlägige Rechtsprechung und Urteilsdatenbanken

Dieser Beitrag wurde erstellt für die Aufnahme in ein digitales Rechtslexikon und informiert umfassend über die rechtlichen Grundlagen und aktuellen Entwicklungen im Bereich der Tariftreue in Deutschland.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Grundlagen gelten für die Tariftreue in Deutschland?

Die Tariftreue in Deutschland basiert hauptsächlich auf landesspezifischen Tariftreuegesetzen (Tariftreue- und Vergabegesetze) und auf dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) im Vergaberecht. Viele Bundesländer haben eigene Tariftreuegesetze erlassen, die öffentliche Auftraggeber verpflichten, Leistungen nur an Unternehmen zu vergeben, die sich zur Einhaltung bestimmter Tarifverträge oder tariflicher Mindestarbeitsbedingungen verpflichten (§ 97 Abs. 4 GWB und länderspezifische Vorschriften, etwa das Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetz). Ergänzend gelten europarechtliche Vorgaben, insbesondere die Richtlinie 2014/24/EU über die öffentliche Auftragsvergabe, die nationale Regelungen begrenzen kann, sofern sie den freien Binnenmarkt beeinträchtigen. Auf Bundesebene ist das Tarifvertragsgesetz (TVG) relevant, das regelt, wann ein Tarifvertrag auf ein Arbeitsverhältnis Anwendung findet. Die Institute der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen (nach § 5 TVG) und des Mindestlohngesetzes (§ 3 MiLoG) spielen ebenfalls eine wichtige Rolle, wenn Tariftreue auch außerhalb des Geltungsbereichs eines Tarifvertrags durchgesetzt werden soll. Somit ergibt sich ein komplexes System aus bundes- und landesrechtlichen Vorgaben unter Beachtung von Europarecht.

Gilt die Tariftreuepflicht auch für Nachunternehmen und Subunternehmer?

Ja, die Tariftreuepflicht erstreckt sich in der Regel auch auf Nachunternehmen und Subunternehmer. Öffentliche Auftraggeber sind verpflichtet, durch entsprechende Vertragsklauseln sicherzustellen, dass auch Unternehmen, die Teile des Auftrags weitervergeben, die relevanten tariflichen Regelungen und Mindestentgelte einhalten. Dies wird meist durch eine sogenannte Verpflichtungserklärung zur Tariftreue gemäß den jeweiligen Landesgesetzen umgesetzt. Nach § 128 GWB und entsprechenden Regelungen in den Landesvergabegesetzen müssen Hauptunternehmer ihre Subunternehmer regelmäßig vertraglich verpflichten, die geltenden Tariftreueverpflichtungen einzuhalten. Die Kontrolle der Einhaltung kann durch stichprobenartige Überprüfungen, das Verlangen entsprechender Nachweise und durch Sanktionen (z. B. Vertragsstrafen oder Ausschluss von zukünftigen Vergabeverfahren) unterstützt werden.

Welche Kontrollen und Sanktionen sind im Zusammenhang mit der Tariftreue vorgesehen?

Die Einhaltung der Tariftreue wird durch unterschiedliche Mechanismen überwacht. Öffentliche Auftraggeber können und müssen teilweise stichprobenartige oder anlassbezogene Prüfungen durchführen. Zu den gängigen Kontrollen gehören die Vorlage von Lohnnachweisen, Sozialversicherungsabrechnungen, Steuerunterlagen oder auch die Angabe der beschäftigten Arbeitnehmer und deren Vergütung. Manche Landesgesetze verpflichten zur Einsicht in entsprechende Unterlagen während und nach der Ausführung des Auftrags. Bei Verstößen gegen die Tariftreue drohen rechtliche Konsequenzen, etwa in Form von Vertragsstrafen, Schadensersatz, der Möglichkeit zur außerordentlichen Kündigung des Auftrags oder einem Ausschluss von künftigen Vergabeverfahren (§§ 124, 128 GWB). In einigen Bundesländern sind zusätzliche Ordnungswidrigkeitenregelungen oder Bußgeldtatbestände vorgesehen. Der genaue Umfang von Kontrolle und Sanktionierung richtet sich dabei nach den jeweiligen Landesvergabeordnungen.

Wie verhalten sich Tariftreuepflichten zu der europaweiten Dienstleistungsfreiheit?

Tariftreuepflichten stehen in einem Spannungsverhältnis zur europäischen Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) und zum Diskriminierungsverbot (Art. 18 AEUV). Sie können eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs darstellen, sind aber unter bestimmten Voraussetzungen europarechtlich zulässig. Nach Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (z. B. Rs. C-346/06 „Rüffert“) müssen Tariftreuepflichten durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses (z. B. Schutz der Arbeitnehmer) gerechtfertigt und verhältnismäßig ausgestaltet sein. Sie dürfen außerdem nicht zu einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung von Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten führen. Landesrechtliche Anforderungen müssen sich zudem auf tarifliche Mindestbedingungen stützen, die allgemeinverbindlich erklärt oder durch Gesetz für alle verbindlich sind, um unionsrechtskonform zu sein.

Geht die Tariftreuepflicht über den gesetzlichen Mindestlohn hinaus?

Tariftreuepflichten gehen oft über das Niveau des gesetzlichen Mindestlohns hinaus, da sie auf die Anwendung entsprechender branchenspezifischer Tariflöhne – sofern diese höher liegen – abzielen. Der gesetzliche Mindestlohn nach dem MiLoG bildet dabei die absolute Untergrenze; landspezifische Tariftreuegesetze oder AVE-Tarifverträge können jedoch weitergehende Entgeltpflichten für die betroffenen Branchen und Regionen vorschreiben (siehe § 4 TVG und § 3 Arbeitnehmer-Entsendegesetz – AEntG). Wird eine Tariftreuepflicht durch das Vergaberecht angeordnet, müssen Unternehmen bei der Ausführung öffentlicher Aufträge entsprechend höhere Tarifentgelte zahlen – dies gilt unabhängig davon, ob die Unternehmen tarifgebunden sind.

Welche Bedeutung hat die Allgemeinverbindlicherklärung für die Tariftreue?

Die Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) eines Tarifvertrages (§ 5 TVG) hat große Bedeutung in Bezug auf Tariftreuepflichten. Sie sorgt dafür, dass die tariflichen Regelungen nicht nur für die originär tarifgebundenen Mitglieder der Tarifvertragsparteien, sondern für alle Arbeitgeber und Arbeitnehmer der jeweiligen Branche gelten. Im Rahmen der öffentlichen Auftragsvergabe ist die Bezugnahme auf allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge unionsrechtlich zulässig und wird sowohl in Bundes- als auch Landesvergabegesetzen als maßgebliches Kriterium für Tariftreuepflichten verwendet. Hierdurch wird ein einheitliches Lohn- und Arbeitsbedingungeniveau für öffentliche Aufträge gesichert.

Wie erfolgt die praktische Umsetzung der Tariftreuepflicht im öffentlichen Vergabeverfahren?

Im Vergabeverfahren wird die Tariftreuepflicht in der Praxis meist durch eine sogenannte Tariftreueerklärung umgesetzt. Auftragnehmer müssen mit Abgabe ihres Angebots oder spätestens vor Zuschlagserteilung eine schriftliche Erklärung abgeben, dass sie die maßgeblichen Tarifverträge oder die gesetzlich bestimmten Mindestarbeitsbedingungen einhalten werden. Diese Verpflichtung ist oft Bestandteil der Vergabeunterlagen. Die Einhaltung während der Auftragsdurchführung kann durch Vorlage von Arbeitsverträgen, Lohnunterlagen oder Nachweise gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber kontrolliert werden. Häufig besteht zudem eine Verpflichtung zur Weitergabe der Tariftreuepflicht an Subunternehmer, die den Auftrag (teilweise) ausführen. Bei Nichteinhaltung kann der Vertrag gekündigt und das Unternehmen für zukünftige Vergaben ausgeschlossen werden, zudem können Bußgelder verhängt werden.