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Tarifordnung


Tarifordnung

Begriff und rechtliche Einordnung der Tarifordnung

Eine Tarifordnung ist ein rechtlich verbindliches Regelwerk, das die Arbeitsbedingungen und das Entgeltverhältnis innerhalb eines bestimmten Wirtschaftszweiges oder für bestimmte Berufsgruppen vorgibt. Sie dient der kollektiven Regelung arbeitsrechtlicher Beziehungen und wird in der Regel von Tarifparteien – meist bestehend aus Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden – vereinbart. Die Tarifordnung ist dabei primär als Synonym für Tarifvertrag im Sinne des Tarifvertragsgesetzes (TVG) zu verstehen, findet aber auch Anwendung in verschiedenen weiteren Bereichen, insbesondere im öffentlichen Dienst, im Verkehrsrecht oder im Sozialversicherungsrecht.

Rechtsgrundlagen

Tarifvertragsgesetz (TVG)

Die zentrale gesetzliche Grundlage für die Tarifordnung in Deutschland stellt das Tarifvertragsgesetz (TVG) dar. Das TVG regelt sowohl den Abschluss als auch die Rechtswirkung und die Durchsetzung von Tarifverträgen und somit von Tarifordnungen. Nach § 1 Abs. 1 TVG können Vereinbarungen über Arbeitsbedingungen – sogenannte Tarifverträge – zwischen den Tarifparteien abgeschlossen werden.

Weitere relevante Vorschriften

Neben dem TVG können sich Tarifordnungen auch aus landesrechtlichen Normen, branchenspezifischen Regelwerken oder Verordnungen ergeben. Zu beachten sind insbesondere:

  • Gesetz über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen (MiArbG)
  • Gesetz über die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen
  • Branchenspezifische Verwaltungsvorschriften (z. B. im öffentlichen Nahverkehr)
  • Sozialgesetzbuch (SGB), insbesondere im Kontext von Leistungserbringern im Sozialversicherungsrecht

Inhalt und typische Regelungen einer Tarifordnung

Tarifordnungen enthalten umfassende Regelungen zu:

  • Arbeitsentgelt (Löhne, Gehälter, Zuschläge)
  • Arbeitszeiten und Arbeitszeitmodelle
  • Urlaubsregelungen und Sonderurlaube
  • Kündigungsfristen
  • Einstellungs- und Entlassungsbedingungen
  • Weiterbildung und Qualifizierungsmaßnahmen
  • Sozialleistungen und betriebliche Altersvorsorge
  • Schlichtungsverfahren bei Streitigkeiten
  • Besondere Regelungen für bestimmte Gruppen (z. B. Jugendliche, Schwangere, Schwerbehinderte)

Arten von Tarifordnungen

Verbands-Tarifordnung

Wird von einem Arbeitgeberverband und einer Gewerkschaft abgeschlossen und gilt typischerweise für alle Mitglieder beider Parteien innerhalb eines Tarifgebietes.

Haus-Tarifordnung (Firmentarifordnung)

Kommt nur zwischen einem einzelnen Arbeitgeber und einer Gewerkschaft zur Anwendung und regelt die Arbeitsbedingungen innerhalb eines bestimmten Unternehmens.

Allgemeinverbindliche Tarifordnung

Wird durch das zuständige Ministerium für „allgemeinverbindlich“ erklärt und gilt damit über die Mitgliedschaft der Tarifparteien hinaus für sämtliche Arbeitsverhältnisse im betreffenden Geltungsbereich.

Rechtswirkung und Verbindlichkeit

Tarifordnungen sind gemäß TVG unmittelbar und zwingend für die von ihrem Geltungsbereich erfassten Arbeitsverhältnisse anzuwenden, sofern Arbeitgeber und Arbeitnehmer tarifgebunden sind. Sie wirken in der Regel normativ, das heißt, die vereinbarten Arbeitsbedingungen werden automatisch Bestandteil der jeweiligen Einzelarbeitsverträge. Abweichende Vereinbarungen im Arbeitsvertrag sind nur zulässig, wenn sie günstiger für die Beschäftigten sind (Günstigkeitsprinzip).

Tarifordnung und ihre Abgrenzung

Unterschied zu Einzelarbeitsvertrag

Die Tarifordnung unterscheidet sich wesentlich von individuellen Arbeitsverträgen. Während Letztere die Konditionen eines einzelnen Arbeitsverhältnisses konkretisieren, regelt die Tarifordnung kollektiv und abstrakt die Mindestbedingungen für eine Vielzahl von Arbeitsverhältnissen.

Unterschied zu Betriebsvereinbarung

Eine Betriebsvereinbarung ist eine kollektivrechtliche Abmachung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat auf betrieblicher Ebene. Im Falle von Überschneidungen gehen die Regelungen einer einschlägigen Tarifordnung grundsätzlich vor, sofern kein Tarifvorbehalt besteht.

Öffentlicher Dienst und Sonderformen

Im öffentlichen Dienst substituiert die so genannte „Tarifordnung“ in vielen Bereichen frühere Besoldungsordnungen bzw. Dienstordnungen, z. B. durch den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) oder den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L). Daneben existieren weiterhin Tarifordnungen in Bereichen wie dem öffentlichen Nahverkehr (z. B. Tarifordnung für Straßenbahn- und Omnibusbetriebe).

Funktion der Tarifordnung im Rechtsverkehr

Die Tarifordnung erfüllt mehrere zentrale Funktionen im Arbeitsrecht und Arbeitsleben:

  • Schutzfunktion: Sie gewährleistet Mindeststandards bezüglich Lohn, Urlaub und Arbeitszeit.
  • Ordnungsfunktion: Sie sorgt für Rechtssicherheit und einheitliche Spielregeln innerhalb einer Branche.
  • Friedensfunktion: Durch die Bindungswirkung wirken Tarifordnungen konfliktvermeidend und fördern den sozialen Frieden.

Durchsetzung und Kontrolle

Für die Überwachung der Einhaltung von Tarifordnungen sind verschiedene Instanzen zuständig:

  • Arbeitsgerichte: Zuständig für die rechtliche Klärung von Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung von Tarifordnungen.
  • Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände: Kontrollieren die Einhaltung durch ihre Mitglieder und unterstützen bei der Durchsetzung der Rechte.
  • Aufsichtsbehörden: Im öffentlichen Dienst und bestimmten Branchen werden Tarifordnungen auch durch staatliche Stellen kontrolliert.

Beendigung und Nachwirkung von Tarifordnungen

Tarifordnungen gelten grundsätzlich für die vereinbarte Laufzeit. Nach Ablauf der Laufzeit entfalten sie eine sogenannte Nachwirkung, bis eine neue Tarifordnung oder ein Individualvertrag geschlossen wird. In der Nachwirkung gelten die Normen der alten Tarifordnung weiter, jedoch können die Parteien diese rechtswirksam abändern oder ersetzen.

Internationale Aspekte

Auch auf europäischer Ebene existieren kollektive arbeitsrechtliche Vereinbarungen (z. B. Rahmenvereinbarungen und branchenspezifische europäische Tarifordnungen), die Einfluss auf nationale Tarifordnungen und deren Ausgestaltung haben.

Zusammenfassung

Die Tarifordnung ist ein zentrales Instrument des kollektiven Arbeitsrechts. Sie regelt verbindlich die Mindestbedingungen für Arbeitsverhältnisse innerhalb eines bestimmten Geltungsbereichs und wird durch das Tarifvertragsgesetz und andere einschlägige Vorschriften getragen. Tarifordnungen dienen dem Schutz der Arbeitnehmer, der Ordnung im Arbeitsleben sowie dem Ausgleich zwischen den Tarifparteien. Ihre Einhaltung und Durchsetzung sind durch verschiedene Mechanismen gesichert, und sie unterliegen klaren rechtlichen Rahmenbedingungen, um sowohl Arbeitgebern als auch Arbeitnehmern Rechtssicherheit zu gewährleisten.


Siehe auch:

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Grundlagen regeln die Tarifordnung in Deutschland?

Die Tarifordnung in Deutschland basiert primär auf dem Tarifvertragsgesetz (TVG), das die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Abschluss, die Wirkung und die Durchsetzung von Tarifverträgen regelt. Ergänzt wird das TVG durch eine Vielzahl weiterer Rechtsquellen, wie dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG), dem Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) und gegebenenfalls dem Manteltarifvertrag spezifischer Branchen. Zudem finden sich tarifrechtliche Regelungen in spezialgesetzlichen Normen, etwa dem Tarifvertragsgesetz für den öffentlichen Dienst (TVöD). Hinsichtlich der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen sind auch die einschlägigen Verordnungen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zu beachten. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) präzisiert die Auslegung dieser Regelungen kontinuierlich. Zu beachten ist außerdem das Zusammenspiel zwischen Tarifrecht und europarechtlichen Vorgaben, insbesondere dann, wenn Fragen der Entgeltgleichheit oder der Arbeitnehmerfreizügigkeit berührt sind.

Wann ist eine Tarifordnung für Arbeitgeber und Arbeitnehmer verbindlich?

Die Verbindlichkeit einer Tarifordnung richtet sich rechtlich nach der Tarifgebundenheit gemäß § 3 TVG. Tarifordnungen gelten unmittelbar und zwingend für jene Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die als Mitglieder der tarifschließenden Parteien – sprich: Mitglied in einer Gewerkschaft beziehungsweise im entsprechenden Arbeitgeberverband – organisiert sind. Ein Tarifvertrag wirkt außerdem auf nicht-organisierte Arbeitgeber und Arbeitnehmer, wenn er durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales offiziell für allgemeinverbindlich erklärt wurde (§ 5 TVG). In einigen Fällen kann eine arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel dazu führen, dass tarifliche Regelungen auch auf Beschäftigte Anwendung finden, die nicht tarifgebunden sind. Darüber hinaus müssen sich öffentliche Arbeitgeber grundsätzlich an die für sie geltenden Tarifordnungen halten, auch ohne explizite Verbandsmitgliedschaft. Jegliche Abweichungen von tariflichen Mindeststandards sind, sofern sie zu Lasten der Arbeitnehmer gehen, rechtlich unwirksam (§ 4 Abs. 3 TVG).

Welche rechtlichen Möglichkeiten gibt es, von der Tarifordnung abzuweichen?

Rechtlich gesehen lässt das Tarifvertragsgesetz Abweichungen nur in engen Grenzen zu. Grundsätzlich gilt der Tarifvorrang, nach dem tarifvertragliche Regelungen durch einzelvertragliche Absprachen nur zugunsten, nicht aber zuungunsten der Arbeitnehmer geändert werden können. Individuelle Arbeitsverträge ohne Tarifbindung dürfen nur dann von der Tarifordnung abweichen, wenn keine gesetzliche oder tarifvertragliche Mindestnorm entgegensteht. Ferner erlauben Öffnungsklauseln innerhalb von Tarifverträgen begrenzte Abweichungen, beispielsweise hinsichtlich Arbeitszeitgestaltung oder Vergütungsbestandteilen, meist jedoch nur unter Zustimmung der zuständigen Tarifparteien oder des Betriebsrats. Im Bereich der betrieblichen Bündnisse für Arbeit sind abweichende Regelungen im Rahmen des § 3 TVG und des § 77 Abs. 3 BetrVG in engen Grenzen und unter besonderen Voraussetzungen denkbar. Nichttarifgebundene Arbeitgeber haben grundsätzlich größere Spielräume, doch das gilt nicht, wenn ein Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt wurde.

Wie wird eine Tarifordnung rechtswirksam eingeführt und gekündigt?

Die Einführung einer Tarifordnung erfolgt durch den Abschluss eines Tarifvertrags zwischen den tarifschließenden Parteien, also Arbeitgeberverbänden oder einzelnen Arbeitgebern und Gewerkschaften (§ 1 Abs. 1 TVG). Rechtswirksam wird dieser Vertrag mit Unterzeichnung und Veröffentlichung, wobei die erforderlichen Formerfordernisse gemäß § 1 Abs. 2 TVG zu beachten sind. Die Rechtswirksamkeit kann sich zusätzlich durch eine Allgemeinverbindlicherklärung ausweiten. Hinsichtlich der Kündigung regelt § 4 Abs. 5 TVG, dass für Tarifverträge eine Mindestlaufzeit einzuhalten und eine schriftliche Kündigung erforderlich ist. Nach Ablauf der Kündigungsfrist tritt die Nachwirkung der Tarifnormen ein, d.h. die bisherigen Regelungen gelten fort, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Eine Aufhebung oder Änderung ist jederzeit im gegenseitigen Einvernehmen der Tarifparteien möglich. Bei Verstößen gegen Form- oder Fristvorgaben kann die Einführung oder Beendigung einer Tarifordnung gerichtlich angefochten und für unwirksam erklärt werden.

Besteht ein rechtlicher Anspruch auf Anwendung der Tarifordnung für Nicht-Gewerkschaftsmitglieder?

Nicht-Gewerkschaftsmitglieder haben grundsätzlich keinen automatischen Rechtsanspruch auf die Anwendung einer Tarifordnung, da Tarifverträge primär nur für Mitglieder der tarifschließenden Parteien gelten. Ausnahmen bestehen, wenn der entsprechende Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt wurde (§ 5 TVG), sodass seine Regelungen auch auf Außenseiter Anwendung finden. Daneben kann im Arbeitsvertrag die Geltung tariflicher Regeln ausdrücklich vereinbart werden – entweder dynamisch („jeweils geltender Tarifvertrag“) oder statisch („Tarifvertrag in der Fassung vom XY“). Ein konkludenter Anspruch („betriebliche Übung“) entsteht nur selten, etwa wenn ein Arbeitgeber systematisch und widerspruchslos tarifliche Leistungen gewährt. Zum Schutz vor Diskriminierung dürfen Arbeitgeber Nicht-Gewerkschaftsmitglieder rechtlich nicht ohne sachlichen Grund schlechterstellen (§ 75 BetrVG, § 241 Abs. 2 BGB).

Welche rechtlichen Anforderungen stellt das Arbeitsgericht an die Auslegung von Tarifordnungen?

Das Arbeitsgericht orientiert sich bei der Auslegung von Tarifordnungen an den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen des Rechts, allerdings mit besonderem Augenmerk auf den sog. Günstigkeitsprinzip und den Normcharakter tariflicher Regelungen. Maßgeblich ist dabei der objektive Wortlaut unter Berücksichtigung des Sinns und Zwecks der tariflichen Vorschrift. Vorrangig werden der Tariftext und die systematische Stellung innerhalb des Vertrags herangezogen, im Zweifelsfall auch Verhandlungsmaterialien und die tatsächliche Handhabung der Vertragspartner. Entscheidend ist stets die Gleichbehandlung und Wirksamkeitserstreckung auf den geschützten Personenkreis. Bei Unklarheiten gilt der Grundsatz „im Zweifel zugunsten der Arbeitnehmer“. Das Bundesarbeitsgericht gibt viele verbindliche Leitlinien zur Auslegung von Definitionen – beispielsweise zu Fragen der Vergütung, Arbeitszeit, Urlaub oder Kündigungsschutz – vor, die nachfolgende Instanzen regelmäßig anzuwenden haben.

Welche Rolle spielen betriebliche Übung und Gesamtzusage im Verhältnis zur Tarifordnung?

Im rechtlichen Kontext kann eine betriebliche Übung oder eine Gesamtzusage zusätzliche oder abweichende Ansprüche begründen, sofern diese den Bestimmungen der Tarifordnung nicht widersprechen oder diese zugunsten der Arbeitnehmer erweitern. Eine betriebliche Übung entsteht, wenn Arbeitgeber wiederholt und vorbehaltlos bestimmte Leistungen gewähren, die von den Beschäftigten als verbindlich angesehen werden können. Gesamtzusagen sind allgemeine schriftliche Leistungszusicherungen des Arbeitgebers an alle oder Gruppen von Arbeitnehmern. Beide Institute wirken ergänzend, können jedoch tarifvertragliche Mindeststandards nicht unterschreiten. Rechtlich werden sie dann relevant, wenn kein einschlägiger Tarifvertrag existiert oder tarifliche Öffnungsklauseln genutzt werden. Sie ersetzen nicht den Tarifvertrag als kollektive Regelungsgrundlage, werden aber bei dessen Fehlen oder Lückenfüllung arbeitsgerichtlich anerkannt, sofern sie dem Günstigkeitsprinzip folgen und keine konkurrierenden Tarifnormen bestehen.