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Tarifbindung


Begriff und Bedeutung der Tarifbindung

Die Tarifbindung bezeichnet im Arbeitsrecht die rechtliche Verpflichtung von Tarifvertragsparteien und deren Mitglieder, die Regelungen eines abgeschlossenen Tarifvertrags einzuhalten. Sie ist in Deutschland ein zentrales Institut des kollektiven Arbeitsrechts und prägt maßgeblich das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, insbesondere im Rahmen der Arbeitsbedingungen und der Festlegung von Löhnen und Gehältern.

Rechtsgrundlagen der Tarifbindung

Gesetzliche Grundlagen

Die Tarifbindung ist vor allem im Tarifvertragsgesetz (TVG) geregelt. Wesentliche Vorschriften hierzu finden sich in den §§ 3 ff. TVG. Durch das TVG wird das Verhältnis zu Tarifverträgen sowohl auf individueller als auch auf kollektiver Ebene rechtlich ausgestaltet.

§ 3 TVG – Tarifgebundenheit

Nach § 3 Abs. 1 TVG sind Mitglieder der tarifschließenden Gewerkschaften sowie Arbeitgeber, die Mitglied im tarifschließenden Arbeitgeberverband sind, oder solche, die einem Tarifvertrag unmittelbar beigetreten sind, an den Tarifvertrag gebunden. Darüber hinaus besteht nach § 3 Abs. 2 TVG die Möglichkeit der sogenannten außerordentlichen Tarifbindung für nicht verbandsgebundene Einzelarbeitgeber durch den Abschluss eines sogenannten „Firmentarifvertrags“.

Persönliche und betriebliche Tarifbindung

Die Tarifbindung entfaltet ihre Wirkung nur gegenüber den Parteien, die tarifgebunden sind. Dies betrifft

  • die tarifschließenden Parteien (Gewerkschaften und Arbeitgeber(-verbände)),
  • die Mitglieder der Tarifvertragsparteien (Arbeitnehmer auf Seiten der Gewerkschaft und Arbeitgeber auf Seiten des Arbeitgeberverbands),
  • sowie in bestimmten Fällen Betriebe und Arbeitnehmer, für die eine Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags vorliegt.

Arten der Tarifbindung

Unmittelbare und zwingende Wirkung

Nach § 4 Abs. 1 TVG gelten die Normen des Tarifvertrags unmittelbar und zwingend für das Arbeitsverhältnis zwischen den tarifgebundenen Parteien. Dies bedeutet, dass die tariflichen Regelungen automatisch und unmittelbar auf das jeweilige Arbeitsverhältnis einwirken, sofern auf beiden Seiten eine Tarifbindung vorhanden ist.

Allgemeinverbindlicherklärung gemäß § 5 TVG

Ein Tarifvertrag kann durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales auf gemeinsames schriftliches Antragsersuchen der Tarifvertragsparteien oder aus Eigeninitiative für „allgemeinverbindlich“ erklärt werden. In diesem Fall gilt der Tarifvertrag (§ 5 TVG) auch für nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Geltungsbereich des Tarifvertrags. Dadurch soll einer Tarifflucht entgegengewirkt und einheitliche Mindestbedingungen innerhalb einer Branche sichergestellt werden.

Voraussetzungen der Tarifbindung

Mitgliedschaft in Tarifparteien

Die zwingende Voraussetzung für die Tarifbindung ist die Mitgliedschaft des Arbeitnehmers in der hinsichtlich des Tarifvertrags zuständigen Gewerkschaft und die Mitgliedschaft des Arbeitgebers im entsprechenden Arbeitgeberverband oder Abschluss eines Haustarifvertrags. Eine Ausnahme besteht durch die Allgemeinverbindlicherklärung.

Anwendbarkeit des Tarifvertrags

Die Tarifbindung findet Anwendung, wenn

  • ein gültiger Tarifvertrag existiert,
  • die beiderseitige Tarifbindung besteht (sogenanntes „beidseitiges Tarifgebot“),
  • der persönliche, fachliche, räumliche und zeitliche Geltungsbereich des Tarifvertrags eröffnet ist.

Im Falle des sogenannten Haustarifvertrags ist nur ein einzelner Arbeitgeber an den Tarifvertrag gebunden.

Wirkungen der Tarifbindung

Rechtswirkung auf das Arbeitsverhältnis

Die tarifvertraglichen Regelungen über Arbeitsbedingungen, insbesondere über Lohn, Arbeitszeit, Urlaub und Kündigungsschutz, wirken direkt auf das Arbeitsverhältnis ein (§ 4 Abs. 1 TVG). Abweichende Vereinbarungen im Arbeitsvertrag sind grundsätzlich unwirksam, sofern sie zum Nachteil des Arbeitnehmers vom Tarifvertrag abweichen (Günstigkeitsprinzip nach § 4 Abs. 3 TVG).

Nachbindung und Nachwirkung

Nachbindung

Gemäß § 3 Abs. 3 TVG bleibt eine bereits begründete Tarifbindung trotz Beendigung der Mitgliedschaft in der tarifschließenden Organisation bis zum Ablauf des Tarifvertrags bestehen.

Nachwirkung

Nach § 4 Abs. 5 TVG wirken die tariflichen Normen nach dem Auslaufen des Tarifvertrags so lange fort, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Diese Nachwirkung schützt Arbeitnehmer und Arbeitgeber vor einer plötzlichen „regelungsfreien“ Zeit.

Beendigung und Verlust der Tarifbindung

Die Tarifbindung kann unter bestimmten Voraussetzungen beendet werden, etwa durch

  • Austritt des Arbeitgebers aus dem Arbeitgeberverband,
  • Austritt des Arbeitnehmers aus der Gewerkschaft,
  • Beendigung des Tarifvertrags (etwa durch ordentliche Kündigung).

Im Regelfall bleibt jedoch eine sogenannte Nachbindung bis zum Ablauf des aktuellen Tarifvertrags bestehen.

Tarifbindung im internationalen und europäischen Kontext

Im internationalen Arbeitsrecht ist die Tarifbindung ein häufig anzutreffendes Instrument der Selbstregulierung innerhalb der Sozialpartnerschaft. Im europäischen Kontext sind tarifliche Regelungen und die Tarifbindung insbesondere durch die Grundrechtecharta (Art. 28 GRCh) anerkannt. Das nationale Recht der Mitgliedstaaten gestaltet indes die konkrete Ausformung der Tarifbindung aus, sodass erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Rechtsordnungen bestehen.

Kritische Würdigung und aktuelle Entwicklung

Die Tarifbindung in Deutschland ist rückläufig, insbesondere durch die zunehmende Individualisierung von Arbeitsverträgen und den Trend zur Arbeitgeberverbandsflucht. Gleichwohl bleibt die Tarifbindung ein zentraler Baustein der Arbeitsbedingungen und der sozialen Sicherung, indem sie flächendeckende Mindeststandards garantiert und den Betriebsfrieden fördert.

Literatur und weiterführende Hinweise

  • Tarifvertragsgesetz (TVG)
  • Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Informationen zur Tarifbindung
  • BAG-Urteile zur Tarifbindung und Allgemeinenverbindlicherklärung
  • Schaub, Arbeitsrecht – Handbuch der Tarifbindung

Hinweis: Dieser Artikel stellt eine allgemeine Darstellung des Begriffs Tarifbindung dar und dient zu Informationszwecken im Sinne eines Rechtslexikons.

Häufig gestellte Fragen

Wann und wie entsteht eine Tarifbindung rechtlich?

Tarifbindung entsteht gemäß § 3 Abs. 1 Tarifvertragsgesetz (TVG) regelmäßig dann, wenn sowohl der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer Mitglied der tarifvertragschließenden Parteien sind, das heißt einerseits der Arbeitgeber oder ein Arbeitgeberverband sowie andererseits die zuständige Gewerkschaft. Die Tarifbindung tritt bereits automatisch mit der Mitgliedschaft in Kraft; ein weiteres Zutun ist nicht erforderlich. Nach § 4 TVG gelten die Rechtsnormen eines Tarifvertrags unmittelbar und zwingend für das Arbeitsverhältnis, sofern beide Parteien tarifgebunden sind. Außerdem ist die Tarifbindung an den Geltungsbereich des jeweiligen Tarifvertrags geknüpft, welcher sachlich, räumlich und persönlich zu prüfen ist. Ein Arbeitgeber kann also beispielsweise nur dann tarifgebunden sein, wenn sein Betrieb in den Geltungsbereich des Tarifvertrags fällt und er ordnungsgemäß Mitglied im Arbeitgeberverband ist. Eine Ausnahme bildet die Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG: Hierdurch wird ein Tarifvertrag für alle Arbeitgeber und Arbeitnehmer einer Branche verbindlich – auch ohne Mitgliedschaft in einer Tarifvertragspartei.

Kann sich ein Arbeitgeber einseitig von der Tarifbindung lösen?

Ein Arbeitgeber kann sich nicht einseitig und mit sofortiger Wirkung von der Tarifbindung lösen. Die Tarifbindung endet grundsätzlich nur durch Austritt des Arbeitgebers aus dem Arbeitgeberverband, durch Beendigung der Mitgliedschaft in einer betreffenden Innung oder durch Auflösung der Gewerkschaft. Im Falle eines Austritts wirkt die Tarifbindung gemäß § 3 Abs. 3 TVG jedoch nach: Die Normen des Tarifvertrags gelten für die bestehenden Arbeitsverhältnisse weiterhin so lange nach, bis sie durch andere Regelungen (Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung oder neuen Tarifvertrag) abgelöst werden (sog. Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG). Eine vollständige Loslösung ist also nur unter Beachtung der Nachwirkung und ggf. Satzungsregelungen des Arbeitgeberverbands möglich, da Austrittsfristen oder Kündigungsfristen beachtet werden müssen.

Welche Rechtsfolgen hat die Tarifbindung für das Arbeitsverhältnis?

Tarifgebundene Arbeitsverhältnisse unterliegen den normativen Regelungen des einschlägigen Tarifvertrags. Das bedeutet, die tariflichen Arbeitsbedingungen – wie Entgelt, Arbeitszeit, Urlaub und Kündigungsfristen – gelten zwingend und unmittelbar. Ein Arbeitsvertrag darf nur zugunsten des Arbeitnehmers von den Tarifnormen abweichen, nicht zu dessen Nachteil (§ 4 Abs. 3 TVG, Günstigkeitsprinzip). Das hat zur Folge, dass tarifvertragliche Mindeststandards – beispielsweise bei Gehaltszahlungen oder Urlaubsansprüchen – nicht unterschritten werden dürfen. Im Streitfall ist im Individualarbeitsrecht regelmäßig die tarifliche Regelung maßgebend. Nur durch einen neuen Tarifvertrag oder durch eine wirksame Allgemeinverbindlicherklärung kann der tarifliche Zustand verändert werden. Bei tarifgebundenen Arbeitgebern und -nehmern besteht auch kein Gestaltungsspielraum für vom Tarifvertrag abweichende Vereinbarungen zuungunsten des Arbeitnehmers.

Unter welchen Voraussetzungen gilt ein Tarifvertrag für nicht tarifgebundene Arbeitnehmer?

Nicht tarifgebundene Arbeitnehmer profitieren grundsätzlich nicht automatisch von einem Tarifvertrag, da es an der Tarifbindung durch Gewerkschaftsmitgliedschaft fehlt. Allerdings kann der Arbeitgeber die Anwendung des Tarifvertrags arbeitsvertraglich mit dem Arbeitnehmer vereinbaren, oftmals in Form einer sogenannten Bezugnahmeklausel. Diese kann dynamisch oder statisch gestaltet sein, entscheidet also, ob immer der jeweils gültige Tarifvertrag oder nur eine bestimmte Fassung Anwendung findet. Zudem können Tarifverträge durch die Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG auf nicht tarifgebundene Arbeitnehmer ausgeweitet werden. In Unternehmen mit Tarifbindung, aber nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern, ist es jedoch üblich, die tariflichen Regelungen freiwillig auch auf diese Gruppe zu übertragen, um betriebliche Einheitlichkeit zu gewährleisten.

Wie lange wirkt ein Tarifvertrag nach dem Ende der Tarifbindung nach?

Endet die Tarifbindung – zum Beispiel durch Austritt des Arbeitgebers aus dem Arbeitgeberverband oder der Arbeitnehmer aus der Gewerkschaft – tritt die sogenannte Nachwirkung des Tarifvertrags gemäß § 4 Abs. 5 TVG ein. Die in einem Tarifvertrag enthaltenen Bestimmungen wirken für die bereits bestehenden Arbeitsverhältnisse nach, bis sie durch eine andere Regelung ersetzt werden. Während der Nachwirkung gelten die tariflichen Mindestbedingungen sowohl für den Arbeitgeber als auch für den Arbeitnehmer fort; allerdings können diese in der Nachwirkungszeit durch Einzelarbeitsvertrag oder Betriebsvereinbarung abgeändert werden, sofern dies den gesetzlichen Vorgaben entspricht. Die Nachwirkung endet, sobald eine wirksame anderweitige Regelung getroffen wurde.

Können Tarifverträge auch ohne Mitgliedschaft durch Betriebsvereinbarungen übernommen werden?

Yes, Tarifverträge können mittels sogenannter freiwilliger Bezugnahme in Betriebsvereinbarungen übernommen werden, auch wenn keine Mitgliedschaft der Parteien in den Tarifvertragsparteien besteht. Diese Bezugnahme kann ausdrücklich im Wortlaut der Betriebsvereinbarung erfolgen und wirkt wie eine individual- oder kollektivrechtliche Regelung. Dabei ist zu beachten, dass diese Regelungen nicht die unmittelbare und zwingende Wirkung eines Tarifvertrags nach dem Tarifvertragsgesetz (TVG) entfalten. Sie sind stattdessen den vertraglichen Regelungen nach dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) unterworfen und können im Rahmen der betrieblichen Mitbestimmung modifiziert oder abgelöst werden. Der rechtliche Status dieser Vereinbarungen unterscheidet sich dadurch erheblich von der zwingenden Tarifbindung.

Welche Bedeutung hat die Allgemeinverbindlicherklärung für die Tarifbindung?

Die Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) gemäß § 5 TVG ist ein behördlicher Akt, durch den das Bundesministerium für Arbeit und Soziales auf Antrag einer Tarifvertragspartei einen Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt. Damit unterfallen auch nicht-tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer dem Geltungsbereich des Tarifvertrags. Die rechtlichen Folgen sind umfassend: Ab dem Zeitpunkt der AVE stehen die tariflichen Mindestbedingungen allen darunter fallenden Arbeitsverhältnissen zwingend und unmittelbar zu, unabhängig von einer Mitgliedschaft in der Gewerkschaft oder im Arbeitgeberverband. Dies ist ein wesentliches Instrument zum Schutz von Branchenstandards und zur Verhinderung von Lohndumping. Die Allgemeinverbindlicherklärung wird im Bundesanzeiger veröffentlicht und ist für die gesamte betroffene Branche verbindlich rechtswirksam.