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Tabularersitzung


Begriff und rechtliche Einordnung der Tabularersitzung

Die Tabularersitzung ist ein bedeutsamer Begriff des deutschen Sachenrechts. Sie spielt insbesondere im Zusammenhang mit dem Grundstücksrecht sowie dem Erwerb und der Übertragung von dinglichen Rechten an Immobilien eine Rolle. Die Tabularersitzung ist ein traditionsreiches Institut des Grundbuchrechts und knüpft an die Eintragung von Rechten in das Grundbuch an. Ihre praktische Bedeutung liegt vor allem in ihrer Wirkung im Rahmen der sogenannten Publizität des Grundbuchs und des Vertrauensschutzes.


Historische Entwicklung und Systematik der Tabularersitzung

Die Tabularersitzung geht zurück auf das Recht der Tabularbücher, wie sie im 19. Jahrhundert vor der Schaffung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) gebräuchlich waren. Ursprünglich bezog sich der Begriff auf die Rechtsmacht über ein Grundstück aufgrund des formellen Besitzes oder der Erwähnung im Tabularbuch, einem landesrechtlichen Register vergleichbar dem heutigen Grundbuch. Mit der Einführung des BGB wurde das Registerwesen vereinheitlicht; dennoch blieb die Tabularersitzung als Begriff und Rechtsinstitut teilweise erhalten.


Rechtliche Grundlagen der Tabularersitzung

Eintragung im Grundbuch (§§ 873, 892 BGB)

Die zentrale rechtliche Grundlage der Tabularersitzung findet sich in den Vorschriften über die Übertragung von Grundstücken im Bürgerlichen Gesetzbuch. Nach § 873 BGB ist für die Übertragung oder Belastung eines Grundstücks grundsätzlich die Eintragung im Grundbuch erforderlich. Durch diese Eintragung tritt die Tabularersitzung ein: Die formelle Rechtsposition und das Recht zur Verfügung über das eingetragene Recht stehen dem Tabularberechtigten – also dem im Grundbuch Eingetragenen – zu.

Tabularersitzung im Rahmen des Erwerbs und Schutzes gutgläubiger Dritter

Ein zentrales Element der Tabularersitzung ist ihre Schutzwirkung für Dritte. Nach § 892 BGB wirkt das Grundbuch zugunsten des gutgläubig Erwerbenden: Wer auf die Richtigkeit der Eintragung im Grundbuch vertraut, kann Rechte von demjenigen erwerben, der nach dem Grundbuch als Berechtigter (Tabularberechtigter) aufgeführt ist. Damit schützt die Tabularersitzung den Rechtsverkehr und gewährleistet Sicherheit und Verlässlichkeit im Grundstückserwerb.


Funktionen und Wirkungen der Tabularersitzung

Tabularersitzung als Rechtsscheinträger

Die Eintragung im Grundbuch begründet den sog. Rechtsschein der Berechtigung. Die Tabularersitzung verschafft dem Eingetragenen den Rechtsschein, tatsächlich berechtigt zu sein, unabhängig von der materiellen Rechtslage. Dies ermöglicht einen gutgläubigen Erwerb und trägt zur Verkehrssicherheit bei.

Tabularersitzung und Verfügungsbefugnis

Im deutschen Grundstücksrecht ist die Verfügungsbefugnis maßgeblich an die Eintragung des Rechts geknüpft. Der Tabularersitzende kann über sein eingetragenes Recht verfügen; sowohl Übertragungen als auch Belastungen eines Grundstücks setzen regelmäßig die Stellung als Tabularberechtigter und somit die Tabularersitzung voraus.

Schutzwirkungen der Tabularersitzung

Die weitreichende Schutzwirkung der Tabularersitzung manifestiert sich in mehreren Bereichen:

  • Gutglaubenserwerb: Erwerber eines Grundstücks oder einer grundstücksbezogenen Rechtsposition werden bei Vertrauen auf die Grundbuchlage geschützt.
  • Vertrauensschutz: Die öffentliche Glaubhaftmachung und Rechtssicherheit beim Erwerb und bei der Belastung von Grundstücksrechten werden gewahrt.
  • Vereinfachung des Rechtsverkehrs: Durch die Tabularersitzung wird klargestellt, dass das Grundbuch regelmäßig maßgeblich für die Rechtsinhaberschaft ist.

Grenzen und Ausschlüsse der Tabularersitzung

Widerlegung der Grundbuchvermutung

Die Tabularersitzung findet ihre Grenze dort, wo der Rechtsschein des Grundbuchs widerlegt wird, beispielsweise bei nachgewiesener Unrichtigkeit der Eintragung. Dies kann im Rahmen von Berichtigungsverfahren nach § 894 BGB erfolgen.

Tabularersitzung und Vormerkung

Zu unterscheiden ist die Tabularersitzung von der Eintragung einer Vormerkung. Während die Tabularersitzung auf der Eintragung eines dinglichen Rechts beruht, dient die Vormerkung (z. B. § 883 BGB) der Sicherung eines künftigen Anspruchs auf Erwerb eines solchen Rechts.

Kein Schutz bei Evidenz

Der Erwerb vom Tabularersitzenden unterliegt gewissen Einschränkungen, sobald dem Erwerber die Unrichtigkeit des Grundbuchs bekannt ist oder er sich diese grob fahrlässig nicht kenntlich gemacht hat (§ 892 Abs. 1 S. 2 BGB: Evidenzprinzip).


Bedeutung der Tabularersitzung im heutigen Grundbuchrecht

Im heutigen Sachenrecht hat die Tabularersitzung vor allem im Rahmen der Publizitätswirkung des Grundbuchs und bei gutgläubigen Erwerbsakten wesentliche praktische Bedeutung. Sie trägt zur Rechtssicherheit, Rechtsklarheit und Effizienz im Grundstücksverkehr bei. Gleichzeitig sorgt sie für die erforderliche Ausgewogenheit zwischen den Interessen berechtigter und gutgläubiger Erwerber.


Zusammenfassung

Die Tabularersitzung ist ein zentrales Institut des deutschen Grundbuch- und Sachenrechts. Sie bezeichnet die Rechtsmacht des im Grundbuch eingetragenen Tabularberechtigten und verbindet diese mit weitreichenden Schutz- und Rechtsscheinwirkungen im Grundstücksverkehr. Ihre Funktion für Rechtssicherheit, Vertrauensschutz und Gutglaubenserwerb ist von erheblicher Bedeutung für den Immobilienmarkt in Deutschland. Dennoch bestehen Grenzen, insbesondere bei bekanntem Widerspruch zwischen Grundbuchlage und materieller Rechtslage. Die Tabularersitzung bleibt somit ein integraler Bestandteil zur Sicherung der Verlässlichkeit des Grundbuchsystems im deutschen Recht.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit eine Tabularersitzung zustande kommt?

Für das Zustandekommen einer Tabularersitzung müssen bestimmte rechtliche Voraussetzungen gegeben sein. Zentrales Element ist zunächst der Besitz der betreffenden Liegenschaft durch den Ersitzenden. Dieser Besitz muss jedoch redlich, echt, offen und unangefochten sein. Die Besitzzeit, also jener Zeitraum, in welchem der Ersitzende wie ein Eigentümer (animus domini) über die Liegenschaft verfügt, muss in Österreich nach § 1477 ABGB für die ordentliche Ersitzung mindestens 30 Jahre betragen. Eigentum kann tabularisch nur an Grundstücken ersessen werden, für die der Ersitzende im Grundbuch nicht als Eigentümer eingetragen ist und für die kein wirksamer, auf seinen Namen ausgestellter Erwerbstitel gefunden werden kann. Darüber hinaus muss es sich um ein Gut handeln, das zum Privatvermögen zählt und daher grundsätzlich ersitzbar ist – Res extra commercium (wie z.B. öffentliche Straßen) sind von der Ersitzung ausgeschlossen. Ist ein Buchbesitzer (jemand, der im Grundbuch eingetragen ist) vorhanden, muss zusätzlich die Unrichtigkeit des Grundbuchs bewiesen werden. Eine ordentliche Tabularersitzung kann nicht erfolgen, wenn der Besitz durch Gewalt oder Heimlichkeit erwirkt wurde (§ 1466 ABGB). Bei Vorliegen all dieser Punkte besteht rechtlich die Möglichkeit, einen Antrag auf Tabularersitzung zu stellen.

Wer ist für die Durchführung des Tabularersitzungsverfahrens zuständig?

Zuständig für die Durchführung des Tabularersitzungsverfahrens ist das jeweils örtlich zuständige Grundbuchsgericht. In der Regel handelt es sich hierbei um das Bezirksgericht, in dessen Sprengel das zu ersitzende Grundstück liegt. Das Verfahren ist von Amts wegen vorzunehmen, sobald ein entsprechender Antrag gestellt wurde. Der Antrag kann sowohl von der ersitzenden Person selbst als auch von ihren Rechtsnachfolgern (z.B. Erben) eingebracht werden. Im Verfahren wird zunächst geprüft, ob die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, insbesondere hinsichtlich der Art des Besitzes, der Besitzdauer und der Ersitzbarkeit des Grundstücks. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens können auch Zeugen einvernommen sowie Urkunden herangezogen werden. Alle betroffenen Parteien, insbesondere die Buchberechtigten (im Grundbuch eingetragene Eigentümer), werden vom Gericht verständigt und erhalten die Möglichkeit zur Stellungnahme und zum Widerspruch. Erst nach ordnungsgemäßer Durchführung dieses Verfahrens kann das Gericht anordnen, dass der ersitzende Antragsteller im Grundbuch als Eigentümer eingetragen wird.

In welchen Fällen ist die Tabularersitzung ausgeschlossen?

Die Tabularersitzung ist in mehreren Fällen rechtlich ausgeschlossen. Zum einen ist die Ersitzung von Eigentumsrechten an Grundstücken, die dem öffentlichen Gut zuzuordnen sind, generell nicht zulässig, da diese der Privaterwerbung nicht zugänglich sind. Ebenso sind Liegenschaften, die dem Eigentum des Bundes, der Länder, Gemeinden oder öffentlich-rechtlicher Körperschaften unterliegen und einen öffentlichen Zweck erfüllen, von der Ersitzung ausgeschlossen. Ein weiterer Ausschlussgrund ist das Vorliegen von Besitzunrecht, wie beispielsweise der Erwerb des Besitzes durch Gewalt, List oder Heimlichkeit – ein solcher Besitz gilt als fehlerhaft und erfüllt nicht die Voraussetzungen der Ersitzung (§ 1466 ABGB). Darüber hinaus ist die Tabularersitzung unzulässig, wenn ein gültiger Rechtstitel und eine entsprechende Eintragung im Grundbuch (Tabularrecht) bereits vorhanden sind, da dann kein Bedarf für eine Ersitzung besteht. Auch Grundstücke, die im Zuge eines Nachlassverfahrens noch nicht abschließend zugeordnet wurden, können nicht ersessen werden. Ein weiterer praxisrelevanter Ausschluss liegt vor, wenn die Besitzdauer von 30 Jahren (bei ordentlicher Ersitzung) beziehungsweise 40 Jahren (bei außerordentlicher Ersitzung) nicht erreicht wurde.

Wie gestaltet sich das Verfahren der Eintragung im Grundbuch nach erfolgreicher Tabularersitzung?

Nach erfolgreichem Abschluss des Tabularersitzungsverfahrens ordnet das Gericht die Eintragung des neuen Eigentümers ins Grundbuch an. Hierzu ist ein vollzugsfähiger Antrag erforderlich, der alle notwendigen Angaben zum ersessenen Grundstück und zum neuen Eigentümer enthalten muss. Das Verfahren ist formlos, es folgt jedoch den allgemeinen Grundsätzen des Grundbuchsverfahrens nach der Grundbuchsordnung (GBG). Das Gericht überprüft die Erfüllung aller rechtlichen Voraussetzungen, insbesondere die nachweisliche, lückenlose Ausübung des Besitzes über den geforderten Zeitraum und das Fehlen eines gültigen Erwerbstitels. Werden keine Einwendungen erhoben und die Tatsachen sind geklärt, ergeht ein Eintragungsbeschluss (Eintragungsdekret), mit dem der Name des Ersitzers als neuer Eigentümer im Hauptbuch des Grundbuchs ausgewiesen wird. Im Rahmen dieser Eintragung werden auch etwaige Vormerkungen oder Hindernisse im B-Blatt des Grundbuchs berücksichtigt. Liegen mehrere Anträge (z.B. konkurrierende Ansprüche) vor, so entscheidet das Gericht nach den gesetzlichen Prioritäten des Ersitzungsrechts.

Welche Rechtsmittel stehen gegen die Eintragung durch Tabularersitzung zur Verfügung?

Gegen die Eintragung des Eigentumsrechts nach Tabularersitzung können die durch das Verfahren betroffenen Parteien – insbesondere der bisher eingetragene (Buch-)Eigentümer – Rechtsmittel einlegen. Hierbei handelt es sich im Wesentlichen um das Rechtsmittel der Beschwerde gegen den Eintragungsbeschluss (§ 13 GBG). Die vom Gericht verständigten Buchberechtigten oder andere betroffene Dritte müssen innerhalb der gesetzlich bestimmten Frist (in der Regel 14 Tage ab Zustellung) die Beschwerde beim zuständigen Gericht einbringen. Im Rechtsmittelverfahren wird geprüft, ob das Verfahren korrekt abgelaufen ist, alle Voraussetzungen für die Ersitzung tatsächlich vorlagen und die Entscheidung damit rechtmäßig war. Gelingt es den Rechtsmittelwerbern, begründete Zweifel an der Anspruchsgrundlage oder am Ablauf des Besitzes darzulegen, kann das Rechtsmittelgericht die Eintragung abändern oder aufheben. Neben der formalen Beschwerde ist in Ausnahmefällen auch die Wiederaufnahme des Verfahrens möglich, wenn beispielsweise wesentliche neue Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden.

Welche rechtlichen Wirkungen hat die Tabularersitzung auf bisher bestehende Rechte Dritter?

Mit der Eintragung des neuen Eigentümers infolge Tabularersitzung tritt dieser im Regelfall in alle bestehenden rechtlichen Beziehungen zu Dritten ein, sogenannte Singularsukzession. Belastungen des Grundstücks, die bereits im Grundbuch vermerkt waren (wie Hypotheken, Dienstbarkeiten oder Reallasten), bleiben bestehen und werden durch die Ersitzung nicht berührt. Neueigentümer müssen diese Rechte – analog zum originären Erwerb – anerkennen und übernehmen. Anders verhält es sich mit nicht grundbücherlich gesicherten oder nicht offenkundigen Rechten, wie etwa persönlichen Nutzungsrechten, die ohne öffentliche Eintragung bestehen: Diese erlöschen im Allgemeinen bei erfolgter Ersitzung, es sei denn, dass sie dem Ersitzenden ausdrücklich bekannt waren oder anerkannt wurden. Ein gutgläubiger Erwerb nach erfolgter Tabularersitzung ist möglich, weswegen der Schutz des öffentlichen Glaubens des Grundbuchs auch gegenüber Dritten greift. Im Ergebnis bedeutet dies, dass Rechte, die vor der Ersitzung grundbücherlich eingetragen und somit offenkundig waren, auch weiterhin Bestand haben, wohingegen versteckte oder nicht eingetragene Rechte mit der Tabularersitzung zumeist erlöschen.

Welche Besonderheiten gelten für die Tabularersitzung bei Miteigentum oder Gesamthandeigentum?

Beim Miteigentum oder Gesamthandeigentum gelten für die Tabularersitzung spezifische rechtliche Besonderheiten. Grundsätzlich ist es möglich, auch einzelne ideelle Anteile an einer Liegenschaft zu ersitzen, sofern der Ersitzende den entsprechenden Anteil tatsächlich wie ein Alleineigentümer besessen hat und die übrigen gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. Im Falle von Miteigentum muss der Ersitzungsbesitzer seinen Besitz klar von jenem der übrigen Miteigentümer abgrenzen können; dabei ist entscheidend, dass der Besitz des ideellen Anteils eindeutig individualisierbar ist. Kommt es zu konkurrierenden Ersitzungsansprüchen mehrerer Miteigentümer über denselben Zeitraum, entscheidet die tatsächliche Besitzlage und die Ausübung des Besitzes nach außen (Publizität). Im Falle von Gesamthandeigentum (etwa bei Erbengemeinschaften) kann grundsätzlich nur die Gesamthand, nicht aber einzelne Gemeinschafter, die Ersitzung geltend machen. Liegen Streitigkeiten oder Unklarheiten hinsichtlich der Besitzführung vor, entscheidet das Grundbuchsgericht auf Basis der vorgelegten Beweismittel über das Vorliegen der Voraussetzungen für die Tabularersitzung.

Welche Folgen ergeben sich aus einer erfolgreichen Tabularersitzung für das Grundbuch?

Eine erfolgreiche Tabularersitzung hat zur Folge, dass das Eigentumsrecht des Ersitzenden im Grundbuch eingetragen und das Eigentumsrecht des vormaligen Buchberechtigten gelöscht wird. Dies bewirkt einen originären Eigentumserwerb kraft Gesetzes, welcher rückwirkend auf den Zeitpunkt des Ablaufs der Ersitzungsfrist wirkt. Die Eigentumseintragung verschafft dem Ersitzenden den vollen Schutz des Grundbuchs, einschließlich der Publizitäts- und Prioritätswirkung sowie des gutgläubigen Erwerbs für Dritte. Eventuelle Belastungen, die bislang im Grundbuch eingetragen waren, wie etwa Dienstbarkeiten oder Lasten, bleiben grundsätzlich aufrecht. Für sämtliche künftigen Rechtsgeschäfte und Verfügungen über die Liegenschaft ist der neu eingetragene Eigentümer maßgeblich. Das Grundbuch spiegelt somit nach erfolgreicher Tabularersitzung die tatsächlichen Besitz- und Eigentumsverhältnisse wider und gewährleistet Rechtssicherheit für Rechtsverkehr und Dritte.