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Stufenweise Wiedereingliederung


Begriff und Ziel der Stufenweisen Wiedereingliederung

Die Stufenweise Wiedereingliederung beschreibt ein arbeitsrechtlich und sozialversicherungsrechtlich geregeltes Verfahren, das erkrankten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nach einer länger andauernden Arbeitsunfähigkeit ermöglicht, den Wiedereinstieg in den beruflichen Alltag unter ärztlicher Begleitung schrittweise zu gestalten. Ziel ist die behutsame Heranführung an die volle Arbeitsbelastung, um Rückfällen und erneuten Arbeitsunfähigkeitszeiten vorzubeugen.

Rechtliche Grundlagen der Stufenweisen Wiedereingliederung

Sozialgesetzbuch (SGB)

SGB IX – Rehabilitation und Teilhabe

Die gesetzlichen Vorschriften zur stufenweisen Wiedereingliederung finden sich vor allem in § 74 Sozialgesetzbuch (SGB) IX. Dieses Regelwerk dient der Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen, ist jedoch auch auf alle Versicherten mit entsprechendem Bedarf anzuwenden. Die Maßnahme kommt insbesondere zur Anwendung, wenn nach ärztlicher Einschätzung zu erwarten ist, dass über eine stufenweise Belastungssteigerung die volle Arbeitsfähigkeit wiederhergestellt werden kann.

SGB V – Gesetzliche Krankenversicherung

Die Stufenweise Wiedereingliederung ist zudem nach § 44 SGB V als begleitende Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation anerkannt. Die Durchführung erfolgt auf Grundlage des Wiedereingliederungsplans, der von der behandelnden Person in Kooperation mit der versicherten Person, dem Arbeitgeber und der Krankenkasse erstellt wird.

SGB VII – Gesetzliche Unfallversicherung

Im Kontext von Arbeits- oder Wegeunfällen regelt § 39 SGB VII die stufenweise Wiederaufnahme der Tätigkeit insbesondere im Rahmen der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Die berufsgenossenschaftlichen Träger können hierbei ergänzende Maßnahmen anordnen oder fördern.

Weitere Rechtsquellen

  • § 164 Abs. 4 SGB IX: Enthält spezifische Arbeitgeberpflichten im Zusammenhang mit der betrieblichen Wiedereingliederung.
  • § 241 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB): Die Pflicht zu wechselseitiger Rücksichtnahme im Arbeitsverhältnis wird durch die Kooperation bei der Wiedereingliederung gestärkt.

Ablauf der Stufenweisen Wiedereingliederung

Voraussetzungen

Voraussetzung ist eine fortbestehende Arbeitsunfähigkeit, bei der jedoch absehbar ist, dass über abgestufte Belastungssteigerungen voraussichtlich die vollständige Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit erreicht werden kann. Die Entscheidung über die Aufnahme der Maßnahme trifft primär die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt im Benehmen mit dem Versicherten und – je nach Kontext – unter Einbindung des Betriebsarztes.

Initiierung und Planung

  • Erstellung des Eingliederungsplans: Die Ärztin oder der Arzt erarbeitet gemeinsam mit der arbeitsunfähigen Person und ggf. unter Hinzuziehung des Betriebsarztes und des Arbeitgebers einen auf die individuellen gesundheitlichen Bedürfnisse abgestimmten Wiedereingliederungsplan.
  • Zustimmung und Koordination: Für die Durchführung ist die Zustimmung der beziehungsweise des Versicherten und des Arbeitgebers erforderlich. Die Krankenkasse oder der zuständige Rehabilitationsträger kontrolliert und begleitet den Prozess.

Durchführung

Die Rückkehr erfolgt stufenweise, meist über mehrere Wochen. Typische Maßnahmen sind:

  • Zeitlich gestaffelte Erhöhung der Wochenarbeitszeit
  • Anpassung der Arbeitsinhalte
  • Begleitende ärztliche Überwachung

Während der Stufenweisen Wiedereingliederung bleibt die Person formal arbeitsunfähig, es besteht jedoch eine (wieder holbare) Versuchstätigkeit im Betrieb.

Rechtsstellung der versicherten Person und des Arbeitgebers

Status während der Maßnahme

Die betroffene Person befindet sich weiterhin im Zustand der Arbeitsunfähigkeit, erhält folglich kein Arbeitsentgelt vom Arbeitgeber. Stattdessen besteht in der gesetzlichen Krankenversicherung der Anspruch auf Krankengeld (§ 44 SGB V) oder in der gesetzlichen Unfallversicherung auf Verletztengeld (§ 45 SGB VII).

Rechte und Pflichten der Beteiligten

Arbeitnehmende

  • Teilnahme an der Maßnahme ist freiwillig.
  • Recht auf professionelle Begleitung und Überprüfung des Maßnahmenerfolgs.
  • Schutz durch das Entgeltfortzahlungsgesetz und Leistungen der sozialen Sicherungssysteme.

Arbeitgebende

  • Es besteht grundsätzlich keine gesetzliche Verpflichtung zur Zustimmung, jedoch ein starker arbeitsrechtlicher Kooperationsgedanke (§ 241 Abs. 2 BGB, § 164 SGB IX).
  • Sind zur Rücksichtnahme auf den Gesundheitszustand verpflichtet.

Beendigung, Abbruch und Folgen

Erfolgreicher Abschluss

Erreicht die versicherte Person am Ende der Maßnahme die im Plan vorgesehene Leistungsfähigkeit, wird die Arbeitsunfähigkeit beendet. Der Übergang in ein reguläres Arbeitsverhältnis erfolgt ohne besondere Neubegründung; das Arbeitsverhältnis bestand durchgehend fort.

Abbruch und Folgen

Ist die stufenweise Wiedereingliederung nicht erfolgreich, verbleibt die Person weiterhin arbeitsunfähig. Sie bezieht weiterhin Krankengeld beziehungsweise Verletztengeld. Ein Rechtsanspruch auf Wiederholung besteht nicht, aber ein erneuter Versuch kann bei medizinischer Indikation veranlasst werden.

Vorteile und Risiken der stufenweisen Wiedereingliederung

Die Maßnahme dient sowohl der betroffenen Person als auch dem Unternehmen als wirksames Mittel zur Rückfallprävention und zur Erhaltung der Beschäftigungsfähigkeit. Sie ist integraler Bestandteil des modernen Betrieblichen Eingliederungsmanagements, bringt jedoch auch Herausforderungen im Bereich des betrieblichen Ablaufes und des Datenschutzes (z. B. Erfordernisse zur Vertraulichkeit medizinischer Daten).

Fazit

Die stufenweise Wiedereingliederung ist ein zentraler Baustein des deutschen Sozialrechts, der eine rechtskonforme und sozial verantwortliche Rückkehr von langzeiterkrankten Beschäftigten in das Berufsleben ermöglicht. Die Maßnahme ist detailliert im SGB geregelt und bedarf einer engen Zusammenarbeit aller beteiligten Parteien. Sie birgt sowohl für Versicherte als auch für Arbeitgeber relevante Rechte und Pflichten und ist mit spezifischen sozialrechtlichen Leistungsansprüchen verbunden.

Häufig gestellte Fragen

Wer entscheidet über die Genehmigung einer stufenweisen Wiedereingliederung?

Die Entscheidung über die Genehmigung einer stufenweisen Wiedereingliederung obliegt grundsätzlich mehreren Instanzen. Zunächst müssen der behandelnde Arzt oder die behandelnde Ärztin sowie der oder die Beschäftigte gemeinsam einen Wiedereingliederungsplan erstellen. Anschließend bedarf es der Zustimmung des Arbeitgebers, da dieser die geforderte Arbeitszeit- und Aufgabenverteilung ermöglichen muss. Ebenso ist die Zustimmung des jeweiligen Rehabilitationsträgers erforderlich, also in der Regel der gesetzlichen Krankenkasse, Rentenversicherung oder Unfallversicherung, die auch während der Maßnahme das Entgeltfortzahlungsersatzleistungsrecht (z. B. Krankengeld, Übergangsgeld, Verletztengeld) prüft und die Lohnfortzahlung gewährleistet. Erst wenn alle Parteien – Arbeitnehmer, Arzt, Arbeitgeber und Kostenträger – einverstanden sind, kann die stufenweise Wiedereingliederung beginnen. Darüber hinaus kann im Einzelfall auch eine betriebsärztliche oder arbeitsmedizinische Beurteilung beigezogen werden, etwa zur Beurteilung der individuellen Belastbarkeit des Arbeitnehmers im Betrieb.

Besteht während der stufenweisen Wiedereingliederung ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber?

Während der stufenweisen Wiedereingliederung besteht grundsätzlich kein Anspruch auf eine Entgeltfortzahlung vom Arbeitgeber. Die/der Arbeitnehmer*in gilt rechtlich weiterhin als arbeitsunfähig und erhält deshalb in der Regel Leistungen des jeweiligen Sozialversicherungsträgers, z. B. Krankengeld von der Krankenkasse (nach § 44 SGB V), Übergangsgeld von der gesetzlichen Rentenversicherung oder Verletztengeld durch die Unfallversicherung. Eine Zahlung von Arbeitsentgelt durch den Arbeitgeber erfolgt erst nach vollständiger Genesung und dem offiziellen Ende der Arbeitsunfähigkeit. Es gibt jedoch Ausnahmen, etwa wenn im Arbeits- oder Tarifvertrag abweichende Regelungen getroffen wurden oder individuelle betriebliche Vereinbarungen bestehen. Rechtlich maßgeblich ist, dass die stufenweise Wiedereingliederung keine Wiederaufnahme der regulären Arbeit, sondern eine Maßnahme im Rahmen der bestehenden Arbeitsunfähigkeit darstellt.

Muss der Arbeitgeber der stufenweisen Wiedereingliederung zustimmen?

Die Zustimmung des Arbeitgebers zur stufenweisen Wiedereingliederung ist zwingend erforderlich. Da er in die Umsetzung des Wiedereingliederungsplans eingebunden ist und organisatorische Anpassungen im Betrieb vornehmen muss (z. B. veränderte Arbeitszeiten oder Aufgaben), kann er die Teilnahme ablehnen, wenn sachliche Gründe vorliegen, die eine Durchführung unmöglich machen oder erschweren. Rechtlich ist der Arbeitgeber jedoch gehalten, die Wiedereingliederung im Rahmen des § 167 Abs. 2 SGB IX (betriebliches Eingliederungsmanagement) zu unterstützen. Eine generelle Verpflichtung, jeder Wiedereingliederung zuzustimmen, gibt es allerdings nicht. Erfolgt eine Ablehnung, sind die Gründe darzulegen; im Streitfall kann eine Überprüfung durch die zuständige Sozialversicherungsträger oder Einigungsstellen erfolgen.

Ist während der Wiedereingliederung ein besonderer Kündigungsschutz vorgesehen?

Rechtlich gesehen besteht während der stufenweisen Wiedereingliederung grundsätzlich kein über den allgemeinen Kündigungsschutz hinausgehender besonderer Kündigungsschutz. Allerdings gelten für schwerbehinderte Menschen die besonderen Schutzvorschriften gemäß §§ 168 ff. SGB IX, nach denen eine Kündigung der Zustimmung des Integrationsamts bedarf. Da die Wiedereingliederung zum Schutz der Gesundheit und zur Förderung des Arbeitsverhältnisses dient, muss eine Kündigung durch den Arbeitgeber besonders gut begründet werden. Eine Kündigung allein wegen der Inanspruchnahme einer stufenweisen Wiedereingliederung wäre in der Regel unwirksam, da dies eine Benachteiligung im Sinne des § 612a BGB (Verbot von Maßregelungen) darstellt.

Welche rechtlichen Folgen hat ein Abbruch der stufenweisen Wiedereingliederung?

Wird die stufenweise Wiedereingliederung vorzeitig abgebrochen, bleibt der Status der Arbeitsunfähigkeit bestehen. Rechtlich bedeutet das, dass der oder die Beschäftigte weiterhin Anspruch auf Entgeltersatzleistungen (wie Krankengeld oder Übergangsgeld) hat, solange die Arbeitsunfähigkeit fortdauert. Ein Abbruch kann sowohl vom Arbeitnehmer als auch vom Arbeitgeber oder dem behandelnden Arzt sowie dem Kostenträger initiiert werden, beispielsweise, wenn sich gesundheitliche Probleme verschärfen oder die vereinbarten Arbeitsbelastungen nicht tragbar sind. Im Falle eines Abbruchs kann ein erneuter Wiedereingliederungsversuch später unternommen werden, Beschränkungen bestehen diesbezüglich nicht, sofern die Voraussetzungen weiterhin erfüllt sind.

Können während der Wiedereingliederung Urlaubstage oder Überstunden angerechnet oder genommen werden?

Rechtlich gesehen ist die Anrechnung oder Inanspruchnahme von Urlaubstagen während der stufenweisen Wiedereingliederung nicht zulässig, da weiterhin eine formale Arbeitsunfähigkeit vorliegt. Urlaubsansprüche entstehen aber weiter gemäß § 3 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG), die tatsächliche Gewährung des Urlaubs kann jedoch erst nach vollständiger Genesung und Wiederaufnahme der regulären Tätigkeit erfolgen. Ebenso ist der Abbau von Überstunden oder deren Abgeltung während der Wiedereingliederung grundsätzlich nicht möglich, solange die volle Arbeitsfähigkeit nicht wiederhergestellt ist.

Welche Pflichten treffen Arbeitnehmer während der stufenweisen Wiedereingliederung?

Während der stufenweisen Wiedereingliederung sind Arbeitnehmer verpflichtet, sich entsprechend dem Wiedereingliederungsplan am Arbeitsplatz zu beteiligen und die festgelegten Arbeitszeiten und -leistungen zu erbringen. Sie müssen sich weiterhin arbeitsunfähig melden und Änderungen im Gesundheitszustand umgehend dem behandelnden Arzt sowie dem Arbeitgeber und dem Kostenträger mitteilen. Sollte die Wiedereingliederung scheitern, besteht die Pflicht, dies unverzüglich zu kommunizieren. Zudem ist der Arbeitnehmer verpflichtet, kooperativ mitzuwirken und den Erfolg der Maßnahme nicht durch nachlässiges Verhalten zu gefährden. Bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung dieser Mitwirkungspflicht kann ein Anspruch auf die Entgeltersatzleistung gefährdet sein (§ 66 SGB I).