Definition und rechtlicher Rahmen der Stufenklage
Die Stufenklage ist eine besondere Klageart im deutschen Zivilprozessrecht, die es dem Kläger ermöglicht, zunächst die Auskunft über bestimmte Tatsachen zu verlangen, um darauf aufbauend seinen Leistungsanspruch genau zu beziffern und durchzusetzen. Die Stufenklage ist in § 254 der Zivilprozessordnung (ZPO) geregelt. Sie spielt insbesondere dann eine bedeutende Rolle, wenn der Kläger die genaue Höhe seines materiellen Anspruchs zunächst nicht beziffern kann, weil die entscheidenden Informationen sich im Machtbereich der gegnerischen Partei befinden.
Gesetzliche Grundlage
Die Stufenklage wird in § 254 ZPO wie folgt gesetzlich geregelt:
„Ist die Leistung von der Auskunft oder von der Rechnungslegung abhängig, so kann der Kläger die Verurteilung zur Abgabe der Auskunft oder zur Rechnungslegung und in demselben Verfahren, sobald die Auskunft oder die Rechnungslegung erfolgt ist, die Verurteilung zur Leistung verlangen.“
Der Gesetzestext verdeutlicht, dass die Stufenklage nicht auf eine einzige Anspruchsstufe beschränkt ist, sondern aus mehreren, aufeinander aufbauenden Klagebegehren bestehen kann.
Aufbau und Ablauf einer Stufenklage
Stufenprinzip
Die Stufenklage setzt sich typischerweise aus bis zu drei Stufen zusammen:
1. Stufe:
Klage auf Auskunftserteilung oder Rechnungslegung.
Der Kläger verlangt auf der ersten Stufe, dass die beklagte Partei Auskunft über bestimmte Tatsachen oder eine Rechnungslegung erteilt, um die später geltend zu machende Forderung beziffern zu können.
2. Stufe:
Klage auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung.
In dieser Stufe kann der Kläger – sofern er begründete Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Auskunft hat – verlangen, dass die beklagte Partei die Richtigkeit und Vollständigkeit der erteilten Auskunft an Eides statt versichert.
3. Stufe:
Klage auf Leistung.
Sobald die erforderlichen Informationen vorliegen, kann der Kläger im selben Verfahren den eigentlichen Leistungsantrag beziffern und geltend machen, beispielsweise die Zahlung eines bestimmten Geldbetrages.
Prozessuales Vorgehen
Das wesentliche Merkmal einer Stufenklage besteht darin, dass alle Klageanträge bereits im Ausgangsantrag angekündigt und im selben Verfahren gestellt werden. Die Klage geht stufenweise vor, das heißt, das Gericht entscheidet erst über die vorhergehende Stufe, bevor die nächste zur Entscheidung ansteht. Dadurch wird ein einheitlicher Prozess über alle Stufen hinweg gewährleistet.
Verfahren und Urteilsfällung:
Das Gericht ergeht zunächst ein Teilurteil über die Auskunfts- oder Rechnungslegungspflicht. Erst nach deren Erfüllung wird der Kläger in der Lage sein, den Leistungsanspruch zu konkretisieren, woraufhin das Gericht über diesen im Folgenden entscheidet.
Anwendungsbereiche und typische Fälle
Die Stufenklage findet in der Praxis breite Anwendung, unter anderem in folgenden Konstellationen:
- Erbrecht: Pflichtteilsberechtigte verlangen von den Erben Auskunft über den Bestand des Nachlasses, um anschließend ihren Pflichtteilsanspruch geltend zu machen.
- Familienrecht: Zum Beispiel im Rahmen eines Zugewinnausgleichs kann die Auskunft über das Anfangs- und Endvermögen beansprucht werden, um die Ausgleichsforderung zu berechnen.
- Gesellschaftsrecht: Gesellschaftsmitglieder machen Auskunftsansprüche gegen Mitgesellschafter oder die Gesellschaft geltend, um Gewinnbeteiligungen oder Abfindungen zu berechnen.
- Vertragsrecht: In Fällen, in denen die Bezifferung eines Schadenersatz- oder Herausgabeanspruchs von Informationen abhängt, die allein der Anspruchsgegner besitzt.
Voraussetzungen und Besonderheiten
Voraussetzungen der Stufenklage
Für die Zulässigkeit der Stufenklage müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
- Abhängigkeit der Leistung: Der Leistungsanspruch muss von der vorhergehenden Auskunft oder Rechnungslegung abhängen.
- Unmöglichkeit der Bezifferung: Der Kläger muss zur Bezifferung seines Anspruchs auf Informationen angewiesen sein, die sich beim Gegner befinden.
- Klageanträge: Alle Stufen müssen bereits im Klageantrag mit angekündigt werden.
Besonderheiten
Bindungswirkung
Die Entscheidungen des Gerichts über die einzelnen Stufen entfalten Bindungswirkung im Sinne der Rechtskraft. Das Teilurteil zur Auskunft oder Rechnungslegung bleibt endgültig, unabhängig vom Ausgang des Leistungsantrags in der letzten Stufe.
Beweiserleichterungen
Die Stufenklage bietet dem Kläger die Möglichkeit, seinen Zahlungsanspruch dann exakt zu beziffern, wenn er Kenntnis von den relevanten Daten erlangt hat, beispielsweise durch Rechnungslegung oder Auskunftserteilung.
Kostenrechtliche Aspekte
Die Streitwertberechnung umfasst alle gestellten Anträge. Gemäß § 44 GKG wird der Gesamtstreitwert durch Addition der Einzelstreitwerte der Stufen ermittelt, wobei der Wert der Leistungsstufe in der Regel maßgeblich ist.
Hemmung der Verjährung
Durch die Einleitung einer Stufenklage wird die Verjährung im Hinblick auf alle Ansprüche, die Gegenstand der Klage sind (Auskunft, eidesstattliche Versicherung, Leistung), gehemmt.
Stufenklage im Unterschied zu anderen Klagearten
Die Stufenklage unterscheidet sich von der sogenannten Auskunftsklage dadurch, dass bei der Auskunftsklage allein die Informationsverschaffung begehrt wird, ohne dass unmittelbar ein Leistungsantrag gestellt werden kann. Kommt hinzu, dass der Leistungsantrag der Stufenklage meist auf eine Geldzahlung, Herausgabe oder andere konkrete Leistung gerichtet ist und erst nach Erhalt der Auskunft vollständig beziffert werden kann.
Rechtsschutzinteresse und Klagemöglichkeiten
Eine Stufenklage setzt voraus, dass ein echtes Rechtsschutzbedürfnis besteht. Das bedeutet, dass der Kläger objektiv auf die fremden Informationen angewiesen sein muss. Liegen dem Kläger die erforderlichen Informationen bereits vor, ist eine Stufenklage nicht zulässig.
Urteil und Prozessverlauf
Das Gericht entscheidet im Ablauf der Stufenklage nicht in einer einzigen Instanz über alle Stufen, sondern sukzessive:
- Im ersten Schritt folgt ein (Teil-)Urteil zur Auskunft oder Rechnungslegung.
- Nach Erteilung der Auskunft kann der Kläger, meist nach einer Fristsetzung durch das Gericht, seinen Anspruch auf Leistung konkretisieren. Dies geschieht durch eine nachträgliche Erweiterung bzw. Konkretisierung der Klage im Ausgangsverfahren.
- Über den Leistungsantrag erfolgt in einem weiteren Urteil die abschließende Entscheidung.
Zusammenfassung und Bedeutung
Die Stufenklage ist ein zentraler prozessualer Mechanismus im Zivilprozessrecht, um Anspruchsteller in die Lage zu versetzen, einen materiellen Leistungsanspruch wirksam durchzusetzen, wenn die notwendigen Informationen ausschließlich dem Gegner vorliegen. Durch die Kombination von Auskunfts- und Leistungsantrag innerhalb eines Prozesses bietet die Stufenklage einen effizienten Rechtsschutz und verhindert die Verzögerung der Anspruchsdurchsetzung. Ihr Anwendungsbereich ist breit gefächert, insbesondere im Erb-, Familien- und Gesellschaftsrecht sowie überall dort, wo Auskunftspflichten eine Voraussetzung für die Bezifferung des Leistungsanspruchs bilden.
Literatur und weiterführende Quellen
- Zivilprozessordnung (ZPO), insbesondere § 254 ZPO
- Kommentare zur ZPO, z.B. Musielak/Voit, Stein/Jonas, Thomas/Putzo
- Rechtsprechung zum Auskunfts- und Leistungsprozess
Hinweis: Die genaue Anwendung der Stufenklage kann je nach Einzelfall variieren und sollte stets im konkreten Zusammenhang mit den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen der Zivilprozessordnung und der einschlägigen Rechtsprechung betrachtet werden.
Häufig gestellte Fragen
Wann ist die Stufenklage im Zivilprozess zulässig?
Die Stufenklage ist im deutschen Zivilprozess nach § 254 ZPO zulässig, wenn der Kläger zunächst noch nicht in der Lage ist, die vollständige Leistung genau zu beziffern, weil ihm Informationen bzw. Auskünfte des Beklagten fehlen. Typische Anwendungsfälle sind Auskunfts- und Rechnungslegungsansprüche, etwa im Familienrecht (z.B. Zugewinnausgleich), Erbrecht (z.B. Auskunft über Nachlassgegenstände) oder im Handelsrecht (z.B. Gewinnbeteiligungen). Die Klage kann dabei auf bis zu drei Stufen aufgebaut sein: Zuerst wird die Auskunft begehrt, danach die Erstellung eines Verzeichnisses oder Rechnungslegung und abschließend die Leistungserbringung; das heißt, nach Kenntnis der genau bezifferten Forderung kann diese im Prozess beziffert geltend gemacht werden. Voraussetzung für die Zulässigkeit ist stets, dass der Leistungsantrag von der Vorab-Auskunft abhängt, also eine substanzielle Unsicherheit über die Anspruchshöhe besteht.
Wie wird das Gericht über die einzelnen Stufen entscheiden?
Das Gericht entscheidet in der Regel stufenweise, beginnend mit der Auskunftsstufe. Im ersten Schritt erlässt es ein Teilurteil über den Auskunftsanspruch, sofern dieser besteht. Nach Erfüllung des Auskunftsanspruchs – gemeint ist die ordnungsgemäße Erteilung der Informationen durch den Beklagten – setzt das Gericht dem Kläger eine Frist zur Bezifferung seines Leistungsantrags. Erst nachdem der Kläger die Leistung anhand der erhaltenen Auskünfte konkretisiert hat, wird über die Leistungsklage entschieden. Ein Zwischenurteil zur Verpflichtung zur Auskunft folgt also dem Grundsatz der Prozessökonomie und gewährleistet, dass der Beklagte erst nach Erfüllung der Vorstufe zur Leistung verurteilt wird.
Wie wird der Streitwert bei einer Stufenklage bestimmt?
Bei der Streitwertbestimmung der Stufenklage werden die Werte der Auskunft, Rechnungslegung und Leistung einzeln ermittelt. Zunächst ist der Wert der Auskunftsstufe zu schätzen, der üblicherweise einen Prozentsatz (oft etwa 10% bis 25%) des zu erwartenden Leistungsbetrags ausmacht. Mit Hinzukommen der Leistungsstufe (nach Bezifferung) erhöht sich der Streitwert entsprechend. Für die Kostentragung und die Berechnung der Gerichtsgebühren bleibt dieser Wert immer dynamisch, da er mit jeder Stufe angepasst wird. Am Ende bestimmt sich der endgültige Streitwert in der Regel nach dem Wert des Leistungsantrags.
Welche prozessualen Besonderheiten sind bei einer Stufenklage zu beachten?
Die Stufenklage weist einige prozessuale Besonderheiten auf. Der Kläger muss zumindest den Anspruch auf Auskunft und (gegebenenfalls) weitere Stufen nachvollziehbar geltend machen; der Leistungsantrag kann zunächst unbeziffert bleiben. Nach Erfüllung der Auskunftspflicht ist der Kläger verpflichtet, innerhalb einer vom Gericht gesetzten Frist den Leistungsantrag zu konkretisieren und gegebenenfalls Klage zu erweitern oder zu ändern. Der Beklagte hat nach jeder Stufe das Recht auf Einwendungen gegen den jeweiligen Anspruch. Außerdem gilt, dass gegen jedes Teilurteil auf beiden Stufen die Berufung zulässig ist, sofern die Berufungssumme erreicht ist und die sonstigen Voraussetzungen vorliegen.
Welche Risiken bestehen für den Kläger bei einer Stufenklage?
Ein wesentliches Risiko für den Kläger besteht darin, dass die Auskunft möglicherweise nicht den erhofften Umfang der Forderung ergibt, wodurch sein Kostenrisiko steigt. Sollte sich beispielsweise nach Offenlegung herausstellen, dass lediglich ein geringfügiger Zahlungsanspruch besteht, bleibt der Kläger gleichwohl mit den, unter Umständen erheblichen, Kosten der ersten Stufen belastet. Zusätzlich besteht das Risiko, dass im Verlauf der Klage die anspruchsbegründenden Tatsachen nicht ausreichend substantiiert werden können, wodurch die Klage abgewiesen wird. Zudem verlängert die stufenweise Vorgehensweise oftmals das Verfahren insgesamt, da jeder Streitpunkt nacheinander ausgetragen wird.
Muss der Kläger vor der Stufenklage eine außergerichtliche Auskunft verlangen?
Die Einleitung einer Stufenklage setzt regelmäßig nicht voraus, dass der Kläger zuvor außergerichtlich Auskunft verlangt hat. Zwar ist es in der Praxis oft sinnvoll, um unnötige Prozesse zu vermeiden und dem Beklagten Gelegenheit zur freiwilligen Erfüllung zu bieten, jedoch ist die gerichtliche Geltendmachung auch ohne vorherigen außergerichtlichen Versuch rechtlich zulässig. Allerdings kann ein vorheriges Auskunftsverlangen Auswirkungen auf die Verteilung der Prozesskosten sowie auf die Frage der sofortigen Anerkenntnisgebühr haben.
Was passiert, wenn der Beklagte auf die Auskunft oder Rechnungslegung nicht oder unzureichend reagiert?
Erfüllt der Beklagte die Verpflichtung zur Auskunft oder zur Rechnungslegung nicht oder nur unzureichend (unvollständig, verspätet oder falsch), kann auf Antrag des Klägers ein Zwangsgeld gemäß § 888 ZPO gegen den Beklagten verhängt werden, um die Auskunftserteilung durchzusetzen. Darüber hinaus kann das Gericht den vom Kläger geltend gemachten Leistungsbetrag nach den Grundsätzen der sogenannten sekundären Darlegungslast oder gemäß § 287 ZPO schätzen, falls der Beklagte pflichtwidrig nicht ausreichend Auskunft gibt. Weitere prozessuale Möglichkeiten bestehen auch in der vorläufigen Vollstreckbarkeit eines Teilurteils oder der vorläufigen Zahlung auf einen Mindestbetrag.