Definition und Bedeutung der Straßenverkehrsgefährdung
Die Straßenverkehrsgefährdung ist ein zentrales strafrechtliches Schutzgut im deutschen Verkehrsrecht. Darunter versteht man eine besonders gefährliche und ordnungswidrige Verhaltensweise im Straßenverkehr, durch die Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer oder fremde Sachen von bedeutendem Wert konkret gefährdet werden. Der Begriff ist insbesondere im Kontext von § 315c Strafgesetzbuch (StGB) relevant und ist eng mit dem Ziel verbunden, die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs zu gewährleisten.
Rechtlicher Rahmen der Straßenverkehrsgefährdung
Tatbestand nach § 315c StGB
Der Tatbestand der Straßenverkehrsgefährdung ist in § 315c StGB geregelt. Die Norm schützt den Straßenverkehr vor erheblichen Gefahren, die durch besonders verkehrswidrige Handlungen entstehen können. § 315c StGB lautet auszugsweise:
„Wer im Straßenverkehr … Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft…“
Geschütztes Rechtsgut
Das Rechtsgut der Vorschrift ist die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs. Mittelbar schützt das Gesetz damit auch Leib, Leben und bedeutende Sachwerte.
Täterkreis
Täter kann jede Person sein, die am Straßenverkehr teilnimmt. Somit ist der Anwendungsbereich umfassend und nicht auf bestimmte Fahrzeugführer beschränkt.
Objektiver Tatbestand
Für die Verwirklichung des Tatbestandes der Straßenverkehrsgefährdung sind mehrere objektive Voraussetzungen notwendig.
Tathandlungen
Der Gesetzeswortlaut zählt bestimmte gefährliche Verhaltensweisen auf, wie:
- das Führen eines Fahrzeugs trotz Fahrunsicherheit infolge Alkohols oder anderer berauschender Mittel,
- grob verkehrswidriges und rücksichtsloses Verhalten, das in § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB im Katalog abschließend aufgezählt ist, z. B.
– falsches Überholen,
– zu schnelles Fahren an unübersichtlichen Stellen,
– nichtbeachten der Vorfahrt,
– falsches Verhalten an Bahnübergängen,
– Wenden und Rückwärtsfahren auf der Autobahn,
– Missachten von roten Ampeln mit Gefahr für andere.
Gefährdungsvoraussetzungen
Der Tatbestand verlangt eine konkrete Gefährdung von zumindest einem Menschen, dessen Leib oder Leben bedroht wird, oder einer fremden Sache von bedeutendem Wert (Regel: im Regelfall Wertgrenze ab ca. 1.300 €).
Konkrete Gefahr
Eine konkrete Gefahr ist die Situation, in der es – nach objektiver Betrachtung – nur durch einen Zufall nicht zu einem Schadenseintritt gekommen ist. Ein bloßes Gefährdungspotential genügt nicht.
Subjektiver Tatbestand
Die Tat erfordert grundsätzlich vorsätzliches Handeln hinsichtlich der Gefährdung. Wer grob verkehrswidrig und rücksichtslos handelt, muss dies zumindest billigend in Kauf nehmen. In bestimmten Fällen ist auch fahrlässiges Handeln strafbar, insbesondere bei Trunkenheit im Verkehr.
Versuch und Vollendung
Die Straßenverkehrsgefährdung ist regelmäßig ein Erfolgsdelikt. Der Versuch ist gemäß § 315c Abs. 3 StGB strafbar, soweit das Gesetz dies vorsieht.
Abgrenzung zu anderen Tatbeständen
Die Straßenverkehrsgefährdung grenzt sich insbesondere ab zu folgenden verwandten Vorschriften:
§ 316 StGB – Trunkenheit im Verkehr
§ 316 StGB stellt bereits das Führen eines Fahrzeugs im Zustand der Fahruntüchtigkeit unter Strafe, es muss jedoch keine konkrete Gefährdung eingetreten sein.
§ 229 StGB – Fahrlässige Körperverletzung
Schäden, die aus einer Fahrweise resultieren, werden unter Umständen gesondert als fahrlässige Körperverletzung verfolgt. Eine Abgrenzung erfolgt je nach Fallkonstellation.
Rechtsfolgen und Sanktionen
Bei Vorliegen einer Straßenverkehrsgefährdung droht je nach Schwere der Tat eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe. Hinzu kommen in vielen Fällen Nebenfolgen, wie z. B.
- Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 69 StGB,
- Anordnung einer Sperrfrist für die Wiedererteilung.
Eine niedrige Strafe ist selten, insbesondere wenn Leib oder Leben insbesondere von unbeteiligten Personen gefährdet wurden.
Fahrverbot und Entziehung der Fahrerlaubnis
Das Gericht kann zusätzlich ein Fahrverbot nach § 44 StGB von bis zu drei Monaten anordnen. Bei besonders schwerwiegenden Taten wird die Fahrerlaubnis sogar vollständig entzogen.
Einzug und Sicherstellung des Fahrzeugs
In gravierenden Fällen kann das Tatfahrzeug als Tatmittel in staatliche Verwahrung genommen oder gar eingezogen werden.
Relevante Rechtsprechung
Die Rechtsprechung der deutschen Gerichte konkretisiert die Tatbestandsmerkmale, insbesondere die Definition von „bedeutendem Wert“ und die Anforderungen an die „konkrete Gefahr“. Relevante Urteile stellen klar, dass eine einfache Gefahrerhöhung nicht ausreichend ist, sondern es stets auf das spezifische Gefährdungsdelikt ankommt.
Bedeutung für die Verkehrssicherheit
Die Strafvorschrift des § 315c StGB dient dem präventiven Schutz des Straßenverkehrs vor schwerwiegenden Risiken. Sie soll potenziell gefährliches Verhalten unterbinden und einen sicheren Straßenverkehr gewährleisten.
Quellen:
- Bundesministerium der Justiz: § 315c StGB – Straßenverkehrsgefährdung
- Fischer, Strafgesetzbuch Kommentar (aktuelle Auflage)
- Rechtsprechung zum Begriff „konkrete Gefahr“, BGH Beschlüsse
Dieser umfassende Lexikonartikel zum Begriff Straßenverkehrsgefährdung bietet eine ausführliche und strukturierte Darstellung des Themas, um sowohl die gesetzlichen Regelungen als auch deren praktische Bedeutung nachvollziehbar zu machen.
Häufig gestellte Fragen
Welche Strafen drohen bei einer Verurteilung wegen Straßenverkehrsgefährdung?
Im Falle einer Verurteilung wegen Straßenverkehrsgefährdung nach § 315c StGB drohen erhebliche strafrechtliche Sanktionen. Grundsätzlich sieht das Gesetz für vorsätzliche Taten eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe vor. Wird die Tat fahrlässig begangen, so beträgt der Strafrahmen eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe. Eine besonders schwere Folge – etwa eine schwere Gesundheitsschädigung eines anderen Menschen oder gar der Tod – kann den Strafrahmen weiter erhöhen. Neben diesen Strafen wird in aller Regel auch die Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 69 StGB sowie ein Fahrverbot nach § 44 StGB ausgesprochen. Die Fahrerlaubnissperre beträgt wenigstens sechs Monate. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass eine Verurteilung regelmäßig mit einem Eintrag im Fahreignungsregister in Flensburg sowie mit der Eintragung von bis zu drei Punkten verbunden ist. Wiederholungstäter müssen mit noch empfindlicheren Maßnahmen rechnen.
Wann liegt konkret eine Gefährdung des Straßenverkehrs im rechtlichen Sinne vor?
Nach § 315c StGB liegt eine Straßenverkehrsgefährdung vor, wenn ein Verkehrsteilnehmer sich grob verkehrswidrig und rücksichtslos verhält, dabei eine der im Gesetz aufgezählten acht sogenannten „Katalogtaten“ begeht (zum Beispiel falsches Überholen, Missachten der Vorfahrt, nicht angepasste Geschwindigkeit) und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet. Entscheidend ist, dass es nicht zur tatsächlichen Verletzung oder zum tatsächlichen Schaden gekommen sein muss – eine konkrete Gefahr, also eine sogenannte „Beinahe-Unfall“-Situation, genügt bereits. Die Rechtsprechung verlangt hierfür, dass der Eintritt eines Schadens nur noch vom Zufall abhängt und nicht mehr durch normale, sichere Beherrschung der Situation abgewendet werden kann.
Welche Rolle spielt der Vorsatz bei der Beurteilung einer Straßenverkehrsgefährdung?
Der Straftatbestand der Straßenverkehrsgefährdung kann sowohl vorsätzlich als auch fahrlässig begangen werden. Liegt Vorsatz vor, das heißt, der Täter handelt bewusst und willentlich in Kenntnis der Gefahr, fällt die Strafe regelmäßig höher aus (bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe). Bei fahrlässiger Begehung – das heißt, der Verkehrsteilnehmer hätte bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt die Gefährdung erkennen und vermeiden können – ist der Strafrahmen geringer, also maximal zwei Jahre. Der Vorsatz bezieht sich dabei insbesondere auf das grob verkehrswidrige Verhalten und die Inkaufnahme der konkreten Gefahr. Für die rechtliche Bewertung ist dabei stets sorgfältig zu prüfen, inwieweit dem Täter die Gefährdung bewusst war.
Welche Auswirkungen hat eine Verurteilung wegen Straßenverkehrsgefährdung auf die Fahrerlaubnis?
Mit einer Verurteilung wegen Straßenverkehrsgefährdung ist nach § 69 StGB in der Regel die Entziehung der Fahrerlaubnis verbunden, da der Gesetzgeber bei einer solchen Tat regelmäßig mangelnde Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen annimmt. Die Fahrerlaubnisbehörde verhängt daraufhin eine Sperrfrist, die mindestens sechs Monate, in der Praxis aber auch länger dauern kann. Erst nach Ablauf dieser Sperrfrist kann der Betroffene eine neue Fahrerlaubnis beantragen, was je nach Einzelfall die Vorlage eines positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens (MPU) erforderlich macht. Das Ausmaß der Folgen hängt dabei von der Schwere der Tat, etwaigen Vorstrafen und der persönlichen Gefährlichkeit des Täters ab.
Kann eine Straßenverkehrsgefährdung auch bei Radfahrern oder Fußgängern vorliegen?
Der Tatbestand der Straßenverkehrsgefährdung nach § 315c StGB richtet sich grundsätzlich nur an Fahrer von Fahrzeugen, also an Personen, die Kraftfahrzeuge oder auch Fahrräder führen. Allerdings sind Fußgänger vom Gesetz ausdrücklich nicht erfasst, da sie keine Fahrzeuge führen. Für Radfahrer gelten jedoch keine Ausnahmen: Auch sie können den Straftatbestand erfüllen, wenn sie etwa grob verkehrswidrig und rücksichtslos fahren und dabei andere Verkehrsteilnehmer gefährden. Entscheidend ist stets das Vorliegen der im Gesetz genannten Voraussetzungen. In der Praxis betreffen die meisten Verfahren jedoch Kraftfahrzeugführer.
Wie unterscheidet sich die Straßenverkehrsgefährdung von anderen Verkehrsdelikten wie etwa Trunkenheit am Steuer oder fahrlässiger Körperverletzung?
Die Straßenverkehrsgefährdung nach § 315c StGB stellt einen konkreten Gefährdungsdelikt dar und ist von anderen Verkehrsdelikten abzugrenzen. Anders als bei der Trunkenheit im Verkehr nach § 316 StGB wird bei der Straßenverkehrsgefährdung eine zusätzliche konkrete Gefahr für Personen oder bedeutende Sachen vorausgesetzt. Während § 316 bereits die Trunkenheitsfahrt als solche sanktioniert, greift § 315c dann, wenn infolge der Trunkenheit oder eines anderen Fehlverhaltens eine konkrete Gefährdung eintritt. Im Unterschied zur fahrlässigen Körperverletzung nach § 229 StGB setzt die Straßenverkehrsgefährdung keinen tatsächlichen Erfolg (also keine Verletzung), sondern nur eine konkrete Gefahr voraus. Bei tatsächlichem Eintritt eines Schadens kann eine Tateinheit vorliegen, sodass der Täter wegen mehrerer Delikte parallel bestraft werden kann.