Straßenverkehrsgefährdung: Begriff, Bedeutung und rechtliche Einordnung
Als Straßenverkehrsgefährdung wird ein Verhalten im öffentlichen Straßenraum bezeichnet, das die Sicherheit des Verkehrs durch gravierende Regelverstöße oder Fahruntüchtigkeit so beeinträchtigt, dass es zu einer konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Sachen von erheblichem Wert kommt. Es handelt sich um einen Straftatbestand des allgemeinen Strafrechts, der die Sicherheit des Straßenverkehrs und besonders geschützte Rechtsgüter wie körperliche Unversehrtheit und bedeutende Sachwerte bewahren soll.
Erfasst sind vor allem Situationen, in denen ein Kraftfahrzeug unter deutlicher Missachtung zentraler Verhaltensregeln geführt wird oder der Fahrzeugführer infolge Alkohol- oder Drogenwirkung fahruntüchtig ist und dadurch beinahe ein Unfall oder ein anderer gefährlicher Zwischenfall eintritt.
Tatbestandsmerkmale
Örtlicher Anwendungsbereich
Der Tatbestand gilt im öffentlichen Straßenverkehr. Dazu zählen nicht nur Straßen, sondern auch allgemein zugängliche Verkehrsflächen wie Parkplätze oder Zufahrten, sofern sie für einen unbestimmten Personenkreis offenstehen.
Tathandlungen: Typische Verhaltensweisen
Erfasst werden vor allem grob verkehrswidrige und rücksichtlose Fahrweisen sowie das Führen eines Fahrzeugs in fahruntüchtigem Zustand. Typische Konstellationen sind:
- Fahren unter erheblichem Einfluss von Alkohol oder anderen berauschenden Mitteln, verbunden mit Ausfallerscheinungen und Sicherheitsdefiziten.
- Deutlich überhöhte Geschwindigkeit, insbesondere bei schlechten Sicht- oder Straßenverhältnissen, in Kurven oder in geschlossenen Ortschaften.
- Gefährliche Überholmanöver, etwa bei unklarer Verkehrslage, vor Kuppen oder in Kurven, sowie Überholen trotz Gegenverkehrs.
- Missachten von Vorfahrt, roten Lichtzeichen oder Haltegeboten in einer Weise, die andere unmittelbar in Gefahr bringt.
- Wenden, Rückwärtsfahren oder Fahren entgegen der Fahrtrichtung auf Schnellstraßen oder Autobahnen.
- Unangepasstes Verhalten an Fußgängerüberwegen, Engstellen, Bahnübergängen oder in Bereichen mit besonderer Gefährdungslage.
„Grob verkehrswidrig“ ist ein besonders schwerer Verstoß gegen zentrale Verkehrsregeln; „rücksichtslos“ handelt, wer sich bewusst über Pflichten hinwegsetzt oder aus Gleichgültigkeit handelt, obwohl die Gefahrenlage erkennbar ist.
Konkrete Gefahr
Erforderlich ist eine konkrete Gefahr: Die Situation muss so weit fortgeschritten sein, dass es beinahe zu einem Schaden gekommen wäre. Typisch sind Notbremsungen, Ausweichmanöver, gefährliche Annäherungen oder andere eindeutige Beinahe-Unfälle. Eine bloß abstrakte Möglichkeit eines Schadens genügt nicht. Geschützt sind Leib und Leben von Menschen sowie fremde Sachen von erheblichem wirtschaftlichem Wert.
Vorsatz und Fahrlässigkeit
Die Tat kann vorsätzlich oder fahrlässig begangen werden. Bei Vorsatz weiß der Täter um die Umstände und nimmt die Gefahr zumindest billigend in Kauf. Fahrlässigkeit liegt vor, wenn die gebotene Sorgfalt in erheblichem Maße verletzt wird, ohne die Gefahr zu wollen. Die rechtlichen Folgen unterscheiden sich je nach Schuldform.
Kausalität und Zurechenbarkeit
Zwischen der konkreten Regelverletzung und der Gefahr muss ein ursächlicher Zusammenhang bestehen. Die Gefahr muss sich gerade aus dem pflichtwidrigen Verhalten ergeben. Mitverursachungen durch andere schließen die Zurechnung nicht aus, wenn die eigene Handlung wesentlich zur Gefahrenlage beiträgt.
Täterkreis
In der Regel richtet sich der Tatbestand an Führer von Kraftfahrzeugen. Auch andere Verkehrsteilnehmer können erfasst sein, sofern sie ein Fahrzeug führen und die Voraussetzungen der Gefährdung verwirklichen. Begleitpersonen oder Halter kommen als Beteiligte in Betracht, wenn sie das Verhalten veranlassen oder fördern.
Abgrenzungen zu anderen Rechtsverstößen
Ordnungswidrigkeiten
Viele Verkehrsverstöße sind Ordnungswidrigkeiten. Sie werden mit Bußgeldern, Punkten und Fahrverboten geahndet. Zur Straftat wird ein Verhalten erst, wenn es die Anforderungen einer konkreten Gefährdung erfüllt oder mit besonders gravierenden Umständen (etwa Fahruntüchtigkeit) einhergeht.
Fahren unter Alkohol- oder Drogeneinfluss ohne konkrete Gefahr
Das Führen eines Fahrzeugs unter erheblicher Rauschmitteleinwirkung kann auch ohne Beinahe-Unfall strafbar sein, wenn Ausfallerscheinungen vorliegen oder bestimmte Grenzwerte erreicht werden. In diesen Fällen stehen nicht die groben Verkehrsverstöße, sondern die Fahruntüchtigkeit im Vordergrund.
Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr
Davon abzugrenzen sind Fälle, in denen die Sicherheit des Verkehrs durch Einwirkung von außen beeinträchtigt wird, etwa durch Hindernisse oder Manipulationen an Anlagen. Dort geht es weniger um Fehlverhalten beim Führen eines Fahrzeugs als um das Stören des Verkehrs an sich.
Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort und weitere Delikte
Nach einem Unfall können zusätzlich eigenständige Straftatbestände erfüllt sein. Diese betreffen die Pflichten nach einem Schadensereignis und sind unabhängig von der Frage, ob zuvor eine Straßenverkehrsgefährdung vorlag.
Rechtsfolgen und Sanktionen
Strafen
Je nach Schwere, Schuldform und Einzelfall kommen Geldstrafe oder Freiheitsstrafe in Betracht. Bei vorsätzlicher Tat ist der Strafrahmen deutlich höher als bei Fahrlässigkeit. Eine Aussetzung zur Bewährung ist möglich, hängt aber von verschiedenen Umständen ab, etwa Vorbelastungen, Gefahrenausmaß und Nachtatverhalten.
Fahrerlaubnisrechtliche Maßnahmen
Häufige Folge ist die Entziehung der Fahrerlaubnis mit Sperrfrist für die Neuerteilung. Daneben sind Fahrverbote und Punkte im Fahreignungsregister möglich. Unter Umständen wird eine medizinisch-psychologische Untersuchung angeordnet. Bereits im Ermittlungsverfahren kann der Führerschein vorläufig beschlagnahmt und die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen werden.
Registereinträge und weitere Konsequenzen
Verurteilungen werden im Bundeszentralregister gespeichert und können, abhängig von Höhe und Art der Strafe, im Führungszeugnis erscheinen. Tilgungs- und Verwertungsfristen richten sich nach Art und Höhe der Sanktionen.
Versicherungsrechtliche Auswirkungen
Haftpflichtversicherer regulieren Schäden Dritter grundsätzlich, können aber bei besonders gravierendem Fehlverhalten Regress nehmen. In der Kaskoversicherung droht Leistungskürzung oder Leistungsfreiheit bei grob fahrlässiger oder vorsätzlicher Herbeiführung des Schadens. Die Details ergeben sich aus Gesetz und Vertragsbedingungen.
Verfahren und Beweisfragen
Ermittlungsmaßnahmen
Zur Aufklärung werden häufig Blut- oder Urinproben, Atemalkoholtests, Unfallrekonstruktionen, Zeugenangaben sowie Video- oder Dashcamaufnahmen herangezogen. Auch technische Fahrzeugdaten können ausgewertet werden. Die Beweise werden in freier richterlicher Würdigung bewertet.
Nachweis der konkreten Gefahr
Maßgeblich sind konkrete, objektiv feststellbare Umstände eines beinahe eingetretenen Schadens: geringe Abstände, markante Ausweichbewegungen, blockierende Bremsungen, drohende Kollisionen oder das gefährliche Überschreiten von Sicherheitsreserven. Bloßes Regelmissachten ohne unmittelbare Gefahrenlage genügt nicht.
Fahruntüchtigkeit
Bei Alkohol- oder Drogenwirkung kommt es auf Ausfallerscheinungen, Konzentrations- und Koordinationsdefizite sowie auf gesicherte Messwerte an. Ab bestimmten, rechtlich festgelegten Grenzbereichen wird Fahruntüchtigkeit angenommen. Entscheidend ist stets die Kombination aus Zustand und konkretem Verkehrsgeschehen.
Verjährung
Straßenverkehrsgefährdung unterliegt einer mehrjährigen Verjährungsfrist. Die konkrete Dauer richtet sich nach dem gesetzlichen Höchstmaß der angedrohten Strafe.
Beispiele aus der Praxis
- Überfahren einer roten Ampel mit hoher Geschwindigkeit, sodass ein querender Fußgänger nur durch einen Sprung zurückweicht.
- Überholen trotz Gegenverkehrs, wobei das überholte Fahrzeug stark abbremsen und der Gegenverkehr auf den Seitenstreifen ausweichen muss.
- Fahren unter erheblichem Alkoholeinfluss bei Nacht, Schlangenlinien und beinahe Kollision mit geparkten Fahrzeugen.
- Extremes Drängeln mit sehr geringem Sicherheitsabstand, woraufhin der Vordermann notbremsen muss und ein Auffahrunfall nur knapp verhindert wird.
- Fahren entgegen der Fahrtrichtung auf einer Auffahrt, wobei es erst im letzten Moment zu einem riskanten Ausweichmanöver kommt.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was bedeutet „konkrete Gefahr“ bei der Straßenverkehrsgefährdung?
Eine konkrete Gefahr liegt vor, wenn der Schadenseintritt so nahegerückt ist, dass er nur zufällig ausbleibt. Es muss mehr vorliegen als ein allgemeines Risiko; typische Anzeichen sind Notbremsungen, Ausweichmanöver oder ein Beinahe-Zusammenstoß.
Reicht hohe Geschwindigkeit allein für eine Straßenverkehrsgefährdung aus?
Allein die Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit genügt nicht. Erforderlich ist, dass durch die konkrete Fahrweise eine unmittelbar gefährliche Situation entsteht, in der es fast zu einem Schaden kommt.
Ist Fahren unter Alkohol- oder Drogeneinfluss auch ohne Beinahe-Unfall relevant?
Ja, Fahren in fahruntüchtigem Zustand kann auch ohne konkrete Gefährdung strafbar sein. Für die Straßenverkehrsgefährdung im engeren Sinn ist jedoch zusätzlich eine konkrete Gefahr erforderlich.
Wer kann Täter sein – nur Fahrzeugführer?
In der Regel ist Täter, wer ein Fahrzeug im Verkehr führt. Andere Personen kommen als Beteiligte in Betracht, wenn sie das Verhalten veranlassen oder fördern. Maßgeblich ist, wer die gefahrbegründende Handlung im Straßenverkehr vornimmt.
Worin liegt der Unterschied zur Ordnungswidrigkeit?
Die Ordnungswidrigkeit sanktioniert Regelverstöße ohne strafrechtliche Gefährdungsqualität. Zur Straftat wird ein Verhalten, wenn durch grobe Pflichtverletzungen oder Fahruntüchtigkeit eine konkrete Gefahr für Menschen oder bedeutende Sachwerte entsteht.
Welche Folgen drohen für die Fahrerlaubnis?
Es kommen Entziehung der Fahrerlaubnis mit Sperrfrist, Fahrverbote und Punkte im Fahreignungsregister in Betracht. Bereits im Ermittlungsverfahren kann der Führerschein vorläufig einbehalten werden.
Wird eine Verurteilung im Führungszeugnis vermerkt?
Das hängt von Art und Höhe der Strafe ab. Nicht jede Verurteilung erscheint im Führungszeugnis; maßgeblich sind die gesetzlichen Eintrags- und Tilgungsregeln.
Welche Rolle spielt die Kfz-Versicherung?
Die Haftpflicht reguliert Schäden Dritter, kann aber unter bestimmten Voraussetzungen Regress nehmen. In der Kaskoversicherung drohen Leistungskürzungen bei grober Fahrlässigkeit oder Leistungsfreiheit bei Vorsatz, abhängig von Gesetz und Versicherungsbedingungen.