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Steuerverfahren


Begriff und Bedeutung des Steuerverfahrens

Das Steuerverfahren bezeichnet im deutschen Steuerrecht sämtliche rechtlichen Regelungen und Abläufe, die der Festsetzung, Erhebung und Durchsetzung von Steuern dienen. Es umfasst alle Verfahrensschritte, die zur Besteuerung führen, von der Anbahnung des Steuerrechtsverhältnisses über die Steuerfestsetzung bis hin zu Rechtsbehelfs- und Vollstreckungsverfahren. Das Steuerverfahren ist zentraler Bestandteil des Steuerrechts und sichert die rechtmäßige, gleichmäßige und effektive Steuererhebung unter Beachtung der Verfahrensgrundrechte.

Rechtsgrundlagen des Steuerverfahrens

Die maßgeblichen Regelungen zum Steuerverfahren finden sich vor allem in der Abgabenordnung (AO), die als „Grundgesetz des Steuerrechts“ fungiert. Ergänzende Normen ergeben sich aus den Einzelsteuergesetzen (z.B. Einkommensteuergesetz, Umsatzsteuergesetz) sowie aus Verordnungen und Verwaltungsvorschriften.

Wichtige Rechtsgrundlagen:

  • Abgabenordnung (AO)
  • Einzelsteuergesetze (EStG, UStG, etc.)
  • Steuerberatungsgesetz (StBerG)
  • Steuerstrafrechtliche Vorschriften (z.B. §§ 369 ff. AO)

Ablauf des Steuerverfahrens

Das Steuerverfahren gliedert sich in verschiedene Verfahrensabschnitte. Die wichtigsten Phasen sind das Festsetzungsverfahren, das Erhebungsverfahren, die Steueraufsicht sowie das Rechtsbehelfsverfahren und die Steuervollstreckung.

Festsetzungsverfahren

Das Festsetzungsverfahren umfasst sämtliche Tätigkeiten zur Ermittlung und Festsetzung der Steuer durch die Finanzbehörde.

Steuererklärung und Mitwirkungspflicht

Die Beteiligten sind grundsätzlich verpflichtet, dem Finanzamt steuerlich relevante Sachverhalte wahrheitsgemäß durch Steuererklärungen mitzuteilen (§ 149 AO). Eine umfassende Mitwirkungspflicht der Steuerpflichtigen bei der Sachverhaltsaufklärung ist für das Festsetzungsverfahren kennzeichnend.

Ermittlungsverfahren

Die Finanzbehörde ermittelt gemäß § 88 AO den Sachverhalt von Amts wegen. Die Amtsermittlung reicht von der Anforderung von Unterlagen bis zur Durchführung von Außenprüfungen (§§ 193 ff. AO).

Steuerbescheid

Die Steuerfestsetzung erfolgt regelmäßig durch Verwaltungsakt, den Steuerbescheid (§ 155 AO). Im Steuerbescheid werden Art und Höhe der festgesetzten Steuer sowie die Zahlungsaufforderung zusammengefasst. Der Bescheid ist Grundlage für die weitere Durchsetzung der Steuerforderung.

Erhebungsverfahren

Nach Erlass des Steuerbescheids folgt das Erhebungsverfahren, das auf die Einziehung der festgesetzten Steuerbeträge gerichtet ist.

Fälligkeit und Zahlung

Steuern werden mit der im Steuerbescheid festgelegten Fälligkeit zur Zahlung fällig (§ 220 AO). Kommt der Steuerpflichtige der Zahlungsverpflichtung nicht freiwillig nach, kann die Finanzbehörde Zwangsmaßnahmen ergreifen.

Stundung, Erlass und Vollstreckung

Unter bestimmten Voraussetzungen kann die Steuer gestundet oder erlassen werden (§§ 222 ff. AO). Bei Nichtzahlung kann die Steuer im Verwaltungsvollstreckungsverfahren beigetrieben werden (§ 249 AO).

Aufsichts- und Prüfungsverfahren

Die Finanzverwaltung unterliegt Kontrollmechanismen, um die Gleichmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit der Besteuerung sicherzustellen.

Betriebsprüfung

Besondere Bedeutung hat die steuerliche Außenprüfung (Betriebsprüfung, §§ 193 ff. AO). Ziel ist die umfassende Prüfung steuerlicher Verhältnisse über einen bestimmten Zeitraum, um Unstimmigkeiten aufzudecken.

Steueraufsicht

Die Finanzbehörde übt die Steueraufsicht aus, um Steuerausfälle und -verkürzungen zu verhindern (§§ 208 ff. AO).

Rechtsbehelfsverfahren und gerichtliche Verfahren

Gegen steuerliche Verwaltungsakte besteht die Möglichkeit der Anfechtung durch Rechtsbehelfe.

Einspruchsverfahren

Der Einspruch ist der erste Rechtsbehelf gegen Steuerbescheide (§§ 347 ff. AO). Die Behörde prüft den Fall erneut und kann den Bescheid abändern, aufheben oder bestätigen.

Steuerstreitverfahren vor den Finanzgerichten

Bleibt der Einspruch erfolglos, steht der Weg zu den Finanzgerichten (§§ 33 ff. FGO) offen. Im Urteil werden Streitfragen des Steuerverfahrens geklärt. Gegen Urteile der Finanzgerichte ist unter bestimmten Voraussetzungen Revision oder Beschwerde zum Bundesfinanzhof möglich.

Steuerstrafverfahren und Steuerordnungswidrigkeitenverfahren

Teil des Steuerverfahrens sind auch Maßnahmen zur Strafverfolgung bei Steuerdelikten oder Ordnungswidrigkeiten.

Steuerstrafrecht

Das Steuerstrafverfahren beginnt meist mit der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens bei Verdacht auf Steuerhinterziehung (§ 370 AO), Steuerhehlerei (§ 374 AO) oder leichtfertige Steuerverkürzung (§ 378 AO).

Selbstanzeige

Die Möglichkeit einer strafbefreienden Selbstanzeige (§ 371 AO) ist ein wesentliches Element zur Korrektur fehlerhafter Steuererklärungen.

Grundprinzipien des Steuerverfahrens

Das Steuerverfahren ist von grundlegenden Prinzipien und Garantien geprägt.

Legalitätsprinzip

Die Finanzbehörden sind verpflichtet, steuerlich erhebliche Sachverhalte vollständig zu ermitteln und die Besteuerung nach Maßgabe der Gesetze durchzusetzen.

Gleichmäßigkeitsgrundsatz

Die Besteuerung muss gleichmäßig, nach einheitlichen Maßstäben erfolgen (Art. 3 Abs. 1 GG).

Verfahrensrechte der Beteiligten

Das Steuerverfahren gewährleistet Verfahrensbeteiligten umfassende Mitwirkungs-, Informations- und Rechtsschutzmöglichkeiten (Akteneinsicht, Beteiligtenrechte, Anhörung).

Bedeutung und Ziele des Steuerverfahrens

Das Steuerverfahren gewährleistet eine effektive und rechtmäßige Steuererhebung als Grundlage staatlicher Finanzierung. Es schützt gleichzeitig die Rechte der Beteiligten und sichert die Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Durch klare verfahrensrechtliche Regelungen ermöglicht es die Überprüfung der Steuerfestsetzung und bietet durch das Rechtsbehelfs- und Gerichtsverfahren effektiven Rechtsschutz.

Literatur und weiterführende Informationen

  • Tipke/Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar
  • Klein, Abgabenordnung, Kommentar
  • Kanzleiter, Steuerrecht, Lehrbuch

Dieser umfassende Eintrag bietet eine detaillierte Übersicht zum Thema Steuerverfahren, beleuchtet alle relevanten Dimensionen des Verfahrensrechts und dient als fundierte Informationsquelle für die rechtliche Einordnung und Anwendung in der Praxis.

Häufig gestellte Fragen

Wie läuft das Einspruchsverfahren gegen einen Steuerbescheid ab?

Gegen einen Steuerbescheid kann innerhalb eines Monats nach seiner Bekanntgabe Einspruch beim zuständigen Finanzamt eingelegt werden. Der Einspruch muss schriftlich eingereicht oder zur Niederschrift erklärt werden, wobei eine Begründung empfehlenswert, aber nicht zwingend erforderlich ist. Das Finanzamt prüft daraufhin den Bescheid erneut im sogenannten außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren (§§ 347 ff. AO). Im Rahmen dieser Überprüfung kann der Steuerpflichtige neue Tatsachen und Beweismittel vorbringen. Nach umfassender Prüfung erlässt das Finanzamt entweder eine Einspruchsentscheidung, mit der dem Einspruch abgeholfen, teilweise abgeholfen oder ihn insgesamt zurückgewiesen wird. Gegen die Einspruchsentscheidung kann innerhalb eines Monats Klage beim Finanzgericht eingereicht werden. Zu beachten ist ferner, dass der Einspruch grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung bezüglich Zahlungsfristen hat, sofern nicht das Finanzamt auf Antrag die Aussetzung der Vollziehung gewährt (§ 361 AO).

Welche Fristen müssen im Steuerverfahren beachtet werden?

Im Steuerverfahren gelten zahlreiche Fristen, die unbedingt einzuhalten sind, da sonst Rechte verloren gehen können. Eine der wichtigsten ist die einmonatige Einspruchsfrist gegen Steuerbescheide (§ 355 AO). Wird diese Frist versäumt, wird der Bescheid bestandskräftig; nachträgliche Änderungen sind dann nur noch unter den strengen Voraussetzungen der §§ 172 ff. AO möglich. Auch im Klageverfahren gegen Einspruchsentscheidungen gibt es eine Monatsfrist zur Einreichung der Klage beim Finanzgericht (§ 47 FGO). Bei der Abgabe von Steuererklärungen gelten unterschiedliche Fristen, regelmäßig der 31. Juli des Folgejahres (§ 149 AO), bei Vertretung durch einen steuerlichen Berater kann diese Frist sich verlängern. Fristen können sich durch Verlängerungsanträge, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder durch besondere Umstände verschieben, dies muss jedoch jeweils im Einzelfall und nach gesetzlichen Bestimmungen geprüft werden.

Welche Mitwirkungspflichten hat der Steuerpflichtige im Steuerverfahren?

Der Steuerpflichtige unterliegt im Steuerverfahren umfassenden Mitwirkungspflichten (§§ 90 ff. AO). Er ist verpflichtet, alle Auskünfte zu erteilen, die für die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen notwendig sind, und entsprechende Nachweise auf Anforderung vorzulegen. Dazu gehört die Vorlage von Urkunden, Verträgen, Aufstellungen und Belegen sowie in bestimmten Fällen die Vorlage von Büchern und Aufzeichnungen. Bei Auslandssachverhalten gelten erhöhte Mitwirkungspflichten, beispielsweise ist die Vorlage von Unterlagen in deutscher Sprache vorgeschrieben (§ 87 AO). Werden Mitwirkungspflichten nicht ausreichend erfüllt, kann das Finanzamt Schätzungen nach § 162 AO vornehmen, was regelmäßig zu steuerlichen Nachteilen führt. Im Rahmen von Steuerfahndungsmaßnahmen sind die Befugnisse der Finanzbehörden noch weitergehend.

Was bedeutet Schätzung der Besteuerungsgrundlagen im Steuerverfahren?

Kann der Steuerpflichtige seiner Mitwirkungspflicht nicht oder nicht ausreichend nachkommen oder bestehen Unstimmigkeiten und Lücken im Zahlenwerk, so ist das Finanzamt nach § 162 AO berechtigt, die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen. Dies geschieht insbesondere, wenn Unterlagen fehlen, Aufzeichnungen nicht den Vorschriften entsprechen oder Angaben des Steuerpflichtigen als nicht glaubhaft oder vollständig beurteilt werden. Die Schätzung erfolgt nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung aller zugänglichen Tatsachen und Erfahrungswerte. Ziel ist, eine möglichst wirklichkeitsnahe Besteuerungsgrundlage zu ermitteln, im Zweifel wird jedoch zugunsten des Fiskus geschätzt. Der Steuerpflichtige muss im Rahmen eines Schätzungsbescheids einen erhöhten Begründungsaufwand leisten, um im Einspruchs- oder Klageverfahren eine Herabsetzung zu erreichen.

Welche Rechte hat der Steuerpflichtige im Steuerverfahren?

Der Steuerpflichtige hat im gesamten Steuerverfahren verschiedene Schutzrechte. Dazu zählt zunächst das rechtliche Gehör (§ 91 AO), das ihm ermöglicht, zu allen relevanten tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten Stellung zu nehmen, bevor eine belastende Entscheidung ergeht. Weiterhin steht ihm das Akteneinsichtsrecht (§ 364 AO) zu, das auf Antrag gewährt werden muss, wobei schutzwürdige Interessen Dritter beachtet werden müssen. Ferner besteht ein Anspruch auf Begründung von Verwaltungsakten (§ 121 AO) sowie das Recht auf Vertretung durch einen Steuerberater oder Rechtsanwalt. Im Rechtsbehelfsverfahren kann sich der Steuerpflichtige jederzeit beraten lassen oder vertreten werden. Im Besteuerungsverfahren selbst besteht außerdem das Recht auf Verfahrensruhe bei anhängigen Verfahren mit ähnlicher Rechtslage (§ 363 AO).

Wann kommt es zur Durchführung einer Außenprüfung und welche Folgen hat diese?

Eine Außenprüfung (§§ 193 ff. AO), insbesondere Betriebsprüfung genannt, wird vom Finanzamt angeordnet, wenn Anhaltspunkte für Unregelmäßigkeiten bestehen oder bei größeren, insbesondere gewerblichen Steuerpflichtigen in regelmäßigen Abständen. Die Prüfung wird angekündigt und umfasst sämtliche steuerlich relevanten Sachverhalte einer oder mehrerer Steuerarten und Veranlagungszeiträume. Die Befugnisse der Finanzbehörde sind weitreichend und umfassen das Betreten und Durchsuchen von Geschäftsräumen sowie die Einsicht in Unterlagen und Bücher. Der Abschluss der Außenprüfung erfolgt durch einen Prüfungsbericht und gegebenenfalls geänderte Steuerbescheide. Außenprüfungen können zu erheblichen Steuernachforderungen führen, aber auch zugunsten des Steuerpflichtigen ausgehen, beispielsweise durch Anerkennung von Betriebsausgaben. Während und nach einer Außenprüfung können Steuerstrafverfahren eingeleitet werden, sofern Anhaltspunkte für steuerstrafrechtlich relevante Sachverhalte bestehen.

Welche Bedeutung hat die Aussetzung der Vollziehung im Steuerverfahren?

Die Aussetzung der Vollziehung (AdV) nach § 361 AO dient dem vorläufigen Schutz des Steuerpflichtigen vor der Vollstreckung streitiger Steuerbeträge während eines laufenden Rechtsbehelfsverfahrens. Im Rahmen eines Einspruchs oder einer anschließenden Klage kann die AdV beim Finanzamt und später beim Finanzgericht beantragt werden. Die Aussetzung wird gewährt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen oder bei unbilliger Härte. Während der AdV werden keine Zwangsmaßnahmen zur Beitreibung der festgesetzten Steuerbeträge ergriffen. Im Falle der späteren Aufhebung oder Änderung des Bescheids fällt die Verpflichtung zur Zahlung weg, andernfalls werden neben der Nachzahlung Zinsen nach § 237 AO fällig. Zu beachten ist, dass für die Aussetzung im Steuerstrafverfahren abweichende und strengere Voraussetzungen gelten.