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Steuerstrafverfahren


Begriff und rechtliche Einordnung des Steuerstrafverfahrens

Das Steuerstrafverfahren ist ein besonderes Strafverfahren, das bei Verdacht auf eine Steuerstraftat nach den Vorschriften der Abgabenordnung (AO), insbesondere §§ 369 ff. AO, sowie dem Strafgesetzbuch (StGB) durchgeführt wird. Ziel des Steuerstrafverfahrens ist die Ahndung von Straftaten im Zusammenhang mit der Verletzung steuerlicher Pflichten. Es verbindet Elemente des Steuerrechts und des Strafprozessrechts, wobei insbesondere die rechtlichen Besonderheiten aus der Schnittmenge dieser beiden Rechtsgebiete von Bedeutung sind.

Anwendungsbereich und Rechtsgrundlagen

Zentrale Steuerstraftaten

Ein Steuerstrafverfahren kommt insbesondere bei folgenden Tatbeständen in Betracht:

  • Steuerhinterziehung (§ 370 AO)
  • Leichtfertige Steuerverkürzung (§ 378 AO)
  • Steuerhehlerei (§ 374 AO)
  • Begünstigung einer Steuerstraftat (§ 257 StGB)

Die Steuerhinterziehung ist hierbei die zentrale Steuerstraftat und erfasst die vorsätzliche und rechtswidrige Verkürzung von Steuern oder das Erlangen ungerechtfertigter Steuervorteile.

Verfahrensrechtliche Grundlagen

Das Steuerstrafverfahren richtet sich nach den Vorschriften der Abgabenordnung (§§ 385 ff. AO) und den Vorschriften der Strafprozessordnung (StPO), soweit die AO keine eigenen Regelungen trifft. Die Ermittlungsbehörden, meist die Steuerfahndung (vgl. § 208 AO), erlangen im Steuerstrafverfahren weitreichende Kompetenzen, etwa bei Durchsuchung und Beschlagnahme.

Verfahrensablauf

Einleitung des Steuerstrafverfahrens

Das Steuerstrafverfahren wird eingeleitet, sobald zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Steuerstraftat vorliegen. Die Einleitung erfolgt meist durch eine Prüfungs- oder Ermittlungsmaßnahme der Finanzbehörden oder durch die Staatsanwaltschaft. Über die Einleitung des Strafverfahrens muss gemäß § 397 AO grundsätzlich der Betroffene unterrichtet werden.

Abgrenzung zum Besteuerungsverfahren

Das Besteuerungsverfahren dient der Festsetzung und Erhebung von Steuern, während das Steuerstrafverfahren auf die Aufklärung und Sanktionierung etwaiger Straftaten aus dem Steuerverhältnis abzielt. Beide können parallel laufen, beeinflussen sich jedoch gegenseitig – vor allem hinsichtlich der Offenbarungspflichten des Beschuldigten.

Ermittlungsverfahren

Im Ermittlungsverfahren werden Beweise gesammelt, Zeugen vernommen und ggf. Durchsuchungen sowie Beschlagnahmen durchgeführt. Die Steuerfahndung agiert in diesem Rahmen eigenständig, teils unter Beteiligung der Staatsanwaltschaft. Das Ermittlungsverfahren kann mit einer Einstellung enden, etwa bei Geringfügigkeit (§ 398 AO) oder gegen Auflagen.

Hauptverfahren und gerichtliche Entscheidung

Kommt es zur Anklageerhebung, wird das Verfahren vor dem zuständigen Amts- oder Landgericht weitergeführt. In der Hauptverhandlung werden die erhobenen Beweise geprüft. Am Ende der Hauptverhandlung steht ein Urteil, durch das der Angeklagte freigesprochen, verurteilt oder das Verfahren eingestellt wird.

Rechtsmittel

Gegen Urteile im Steuerstrafverfahren können dem Beschuldigten Rechtsmittel wie Berufung und Revision zustehen, die sich nach den allgemeinen Vorschriften der StPO richten.

Verfahrensbesonderheiten im Steuerstrafverfahren

Selbstanzeige gemäß § 371 AO

Eine bedeutende Besonderheit im Steuerstrafverfahren ist die Möglichkeit der strafbefreienden Selbstanzeige (§ 371 AO). Unter bestimmten Voraussetzungen kann der Steuerschuldner durch vollständige und rechtzeitige Offenbarung bisher nicht erklärter steuerrelevanter Tatsachen Straffreiheit erlangen.

Voraussetzungen der strafbefreienden Selbstanzeige

Wesentliche Voraussetzungen sind die vollständige Nachholung der richtigen Angaben, das Nachzahlen der hinterzogenen Steuern zuzüglich Zinsen sowie das Fehlen von Sperrgründen (z. B. Tatentdeckung oder bereits eingeleitetes Strafverfahren).

Wechselwirkung zwischen Steuer- und Strafverfahren

Obwohl das Steuerstrafverfahren unabhängig ist, hat es Auswirkungen auf das steuerliche Veranlagungsverfahren. Feststellungen im einen Verfahren entfalten in bestimmten Fällen Bindungswirkung im anderen Verfahren (§ 400 AO). Dies betrifft insbesondere die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen.

Verfahrensrechte des Beschuldigten

Beschuldigte im Steuerstrafverfahren unterliegen besonderen Pflichten, haben gleichzeitig jedoch ausgeprägte Rechte, insbesondere das Schweigerecht und das Recht auf Akteneinsicht (§ 147 StPO i. V. m. § 385 Abs. 1 AO).

Sanktionen und Folgen

Strafrechtliche Sanktionen

Die strafrechtlichen Sanktionen im Steuerstrafverfahren reichen von Geldstrafen bis zu Freiheitsstrafen. Die Höhe der Strafen richtet sich nach dem Umfang der verkürzten Steuern und dem Maß der individuellen Schuld. In schweren Fällen gemäß § 370 Abs. 3 AO drohen Freiheitsstrafen von bis zu zehn Jahren.

Steuerliche und außerstrafrechtliche Folgen

Neben der strafrechtlichen Sanktion ist stets die Nachzahlung der hinterzogenen Steuern einschließlich Zinsen und ggf. Säumniszuschlägen erforderlich. In schweren Fällen drohen Berufsverbote oder Eintragungen ins Gewerbezentralregister, die auch zivilrechtliche und berufsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen können.

Verjährung im Steuerstrafverfahren

Die Verjährung richtet sich nach Straf- und Steuerrecht. Die strafrechtliche Verfolgungsverjährung beträgt bei Steuerhinterziehung grundsätzlich fünf Jahre, in besonders schweren Fällen zehn Jahre (§ 376 AO i. V. m. § 78 StGB). Zu beachten ist die eigenständige steuerliche Festsetzungsverjährung, die regelmäßig zehn Jahre beträgt.

Internationale Bezüge und grenzüberschreitende Ermittlungen

Durch die fortschreitende Internationalisierung steuerpflichtiger Vorgänge sind im Steuerstrafverfahren zunehmend internationale Aspekte von Bedeutung. Hierzu zählen Amtshilfemaßnahmen gemäß § 117 AO, internationale Rechtshilfe sowie die Zusammenarbeit mit ausländischen Strafverfolgungsbehörden im Rahmen von EU-Richtlinien und internationalen Abkommen.

Relevanz und Bedeutung in der Steuerpraxis

Das Steuerstrafverfahren ist ein zentrales Instrument zur Sicherstellung der Steuermoral und der gleichmäßigen Besteuerung. Neben der repressiven Funktion – der Sanktionierung rechtswidrigen Verhaltens – besitzt es eine erhebliche präventive Wirkung auf die Einhaltung steuerlicher Vorschriften.


Fazit: Das Steuerstrafverfahren stellt einen eigenständigen und äußerst komplexen Bereich des deutschen Rechts dar, in dem steuerliche Regelungen und strafprozessuale Vorschriften eng miteinander verzahnt sind. Von zentraler Bedeutung sind hierbei die Verfahrensrechte der Beteiligten, die besonderen Möglichkeiten der strafbefreienden Selbstanzeige sowie die internationalen Entwicklungen zur Bekämpfung grenzüberschreitender Steuerstraftaten.

Häufig gestellte Fragen

Welche Rechte hat ein Beschuldigter im Steuerstrafverfahren?

Im Steuerstrafverfahren stehen dem Beschuldigten verschiedene Rechte zu, die maßgeblich dem Schutz seiner verfahrensrechtlichen Stellung dienen. Zunächst gilt das Recht auf Aussageverweigerung, das bedeutet, der Beschuldigte muss sich nicht selbst belasten und hat grundsätzlich das Recht, zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu schweigen. Weiterhin besteht das Akteneinsichtsrecht, das es dem Beschuldigten oder seinem Verteidiger ermöglicht, Einsicht in die behördlichen Akten zu nehmen, um sich umfassend auf das Verfahren vorzubereiten. Ebenso steht dem Beschuldigten das Recht auf anwaltlichen Beistand zu. Hinzu kommt das Recht auf ein faires Verfahren, das unter Berücksichtigung der Unschuldsvermutung eine objektive und unparteiische Ermittlungsführung sicherstellen soll. Diese Rechte sind im Strafprozessrecht normiert und finden im Steuerstrafverfahren uneingeschränkt Anwendung.

Wie läuft ein Steuerstrafverfahren ab?

Das Steuerstrafverfahren beginnt in der Regel mit der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, das häufig aus einem Verdacht einer Steuerstraftat resultiert. Die Strafverfolgungsbehörden – insbesondere die Steuerfahndung und Staatsanwaltschaft – führen daraufhin Ermittlungen durch, wobei sowohl Zeugen befragt als auch Unterlagen und Beweismittel sichergestellt oder beschlagnahmt werden können. Im weiteren Verlauf kann es zu einer Durchsuchung von Wohn- und Geschäftsräumen kommen. Nach Abschluss der Ermittlungen entscheidet die Ermittlungsbehörde, ob das Verfahren eingestellt wird, eine Geldauflage ergeht oder Anklage beim zuständigen Strafgericht erhoben wird. Wird Anklage erhoben, folgt das Hauptverfahren vor Gericht, in dem Beweise erhoben, Zeugen vernommen und am Ende ein Urteil gefällt wird. Gegen dieses Urteil kann – je nach Instanz – Rechtsmittel eingelegt werden.

Was droht dem Beschuldigten bei einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung?

Kommt es im Steuerstrafverfahren zu einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung, drohen dem Beschuldigten empfindliche Sanktionen. Das Strafmaß richtet sich nach dem Ausmaß des hinterzogenen Betrages und den Umständen des Einzelfalls. Es reicht von Geldstrafen bis hin zu Freiheitsstrafen, wobei ab einem Hinterziehungsbetrag von 50.000 Euro regelmäßig eine Freiheitsstrafe, zumindest zur Bewährung, verhängt wird. Bei besonders schweren Fällen, etwa bei gewerbsmäßiger Steuerhinterziehung oder Hinterziehungsbeträgen über 1 Million Euro, kann auch die Verhängung einer nicht zur Bewährung aussetzbaren Freiheitsstrafe drohen. Zudem kann das Gericht sogenannte Nebenstrafen aussprechen, beispielsweise berufsrechtliche Maßnahmen oder die Einziehung von Vermögenswerten.

Gibt es Möglichkeiten, ein Steuerstrafverfahren zu vermeiden oder zu beenden?

Es existieren verschiedene Ansatzpunkte, ein Steuerstrafverfahren vorzeitig zu beenden oder gar zu vermeiden. Die wirkungsvollste Möglichkeit bietet die Selbstanzeige nach § 371 AO. Dabei legt der Steuerschuldner sämtliche steuerlich relevanten Sachverhalte offen und zahlt die hinterzogenen Steuern nebst Zinsen nach. Ist die Selbstanzeige vollständig und rechtzeitig, kann sie zur Straffreiheit führen. Im Rahmen des laufenden Strafverfahrens besteht zudem die Möglichkeit, dass das Verfahren nach § 153a StPO gegen Auflage eingestellt wird, wenn die Schuld nicht als schwerwiegend angesehen wird. Auch die vorzeitige Beendigung durch Rückzahlung der hinterzogenen Beträge sowie Kooperation mit den Ermittlungsbehörden kann sich positiv auf die Verfahrensführung und das Strafmaß auswirken.

Welche Mitwirkungspflichten bestehen im Rahmen des Steuerstrafverfahrens?

Im Unterschied zu reinen Besteuerungsverfahren sind die Mitwirkungspflichten des Beschuldigten im Steuerstrafverfahren eingeschränkt. Während im steuerlichen Veranlagungsverfahren grundsätzlich umfangreiche Mitwirkungspflichten bestehen, schützt im Strafverfahren das Aussageverweigerungsrecht den Beschuldigten, sodass er weder aktiv zur Aufklärung des Tatvorwurfs beitragen noch Auskünfte zu seiner Verteidigung geben muss. Allerdings trifft ihn unter Umständen eine sogenannte Wahrheitspflicht im Zusammenhang mit nachträglicher Steuererklärung oder Selbstanzeige, um die strafbefreiende Wirkung in Anspruch nehmen zu können. Beweismittel oder Akten dürfen gegen den Willen des Beschuldigten beschlagnahmt werden, soweit dies zur Aufklärung notwendig erscheint.

Wie verhalten sich Steuerstrafverfahren und Besteuerungsverfahren zueinander?

Das Steuerstrafverfahren ist grundsätzlich von dem steuerlichen Veranlagungsverfahren zu unterscheiden, auch wenn beide oftmals parallel verlaufen. Das strafrechtliche Verfahren dient der Feststellung, ob und in welchem Umfang eine strafbare Steuerhinterziehung vorliegt, während das Besteuerungsverfahren darauf abzielt, den konkreten Steueranspruch gegenüber dem Steuerpflichtigen festzusetzen. Die Erkenntnisse aus dem Strafverfahren können jedoch im Besteuerungsverfahren verwendet werden und umgekehrt. Es gilt das Grundprinzip der sogenannten „Doppelfunktionalität“: Die Strafverfolgungsbehörden dürfen die im Rahmen der Ermittlungen gewonnenen Informationen zur steuerlichen Festsetzung nutzen und Steuerbescheide nachträglich anpassen.

Kann ein Verstoß gegen Verfahrensrechte im Steuerstrafverfahren zu einer Verfahrenseinstellung führen?

Ein Verstoß gegen wesentliche Verfahrensrechte kann im Steuerstrafverfahren erhebliche Auswirkungen auf den Fortgang oder sogar die Zulässigkeit des Strafverfahrens haben. Beispielsweise kann ein gravierender Eingriff in das Recht auf rechtliches Gehör, die Verweigerung der Akteneinsicht oder Ermittlungsmaßnahmen ohne richterlichen Beschluss zur Beweismittelunverwertbarkeit führen. In besonders schweren Fällen von Verfahrensverstößen – etwa systematische Missachtung der Verteidigungsrechte – kann dies unter Umständen sogar eine Verfahrenseinstellung nach sich ziehen oder die Unbrauchbarkeit bestimmter Ermittlungsergebnisse begründen. Das Gericht hat hierbei eine strenge Einzelfallprüfung vorzunehmen, wobei das Ziel eines fairen und rechtsstaatlichen Verfahrens stets im Vordergrund steht.