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Steuerstrafverfahren

Begriff und Einordnung des Steuerstrafverfahrens

Ein Steuerstrafverfahren ist ein staatliches Strafverfahren zur Aufklärung des Verdachts, dass Steuern durch pflichtwidriges Verhalten verkürzt oder zu Unrecht erlangt wurden. Es dient der Ermittlung von Sachverhalten, der rechtlichen Bewertung und gegebenenfalls der Ahndung als Straftat. Typische Vorwürfe sind insbesondere Steuerhinterziehung und Beihilfe hierzu. Das Verfahren steht im Spannungsfeld zwischen allgemeinem Strafverfahrensrecht und Besonderheiten des Steuerrechts, weil die steuerliche Sachverhaltsermittlung und die strafrechtliche Verfolgung eng verzahnt sind.

Abgrenzung zu anderen Verfahren

Steuerstrafverfahren vs. Besteuerungsverfahren

Das Besteuerungsverfahren klärt, welche Steuern geschuldet sind, setzt diese fest und erhebt sie. Das Steuerstrafverfahren klärt, ob steuerlich relevantes Verhalten strafbar war. Beide Verfahren können parallel laufen. Die Feststellungen im Besteuerungsverfahren beeinflussen regelmäßig die Strafzumessung, während das Strafverfahren Erkenntnisse liefern kann, die für die Steuerfestsetzung bedeutsam sind.

Steuerstraftat vs. Ordnungswidrigkeit

Neben Steuerstraftaten gibt es steuerliche Ordnungswidrigkeiten, die mit Geldbußen geahndet werden. Maßgeblich für die Einordnung sind Schwere und Vorsatzgrad des Verhaltens. Das Ordnungswidrigkeitenverfahren ist ein Bußgeldverfahren; das Steuerstrafverfahren ist ein Strafverfahren mit weitergehenden Eingriffsbefugnissen und schwereren Sanktionen.

Verfahrensbeteiligte und Zuständigkeiten

Ermittelnde Behörden

Die Strafverfolgung obliegt der Staatsanwaltschaft. Sie bedient sich zur Aufklärung der Polizei und spezialisierter Einheiten der Finanzverwaltung, insbesondere der Steuerfahndung. Innerhalb der Finanzverwaltung ist die Stelle für Bußgeld- und Strafsachen für die Bearbeitung steuerstrafrechtlicher Vorgänge zuständig und arbeitet mit der Staatsanwaltschaft zusammen.

Finanzbehörden

Die Finanzämter setzen Steuern fest und erheben sie. Sie liefern häufig Anhaltspunkte für ein Strafverfahren, etwa durch Außenprüfungen oder Kontrollmitteilungen. Steuerfahndung und Bußgeld- und Strafsachenstelle sind organisatorisch der Finanzverwaltung zugeordnet und ermitteln sowohl steuerlich als auch strafrechtlich.

Gerichte

Über Anklagen entscheiden Strafgerichte. Je nach Schwere des Falls ist das Amts- oder Landgericht zuständig. Auch der Erlass eines Strafbefehls ohne Hauptverhandlung ist möglich, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen.

Weitere Beteiligte

Beteiligte sind die beschuldigte Person, gegebenenfalls die Verteidigung, Zeugen, Sachverständige und in Unternehmenskonstellationen vertretungsberechtigte Organe. Betroffen sein können auch Dritte, etwa als Inhaber von Beweismitteln.

Ablauf des Steuerstrafverfahrens

Auslöser und Anfangsverdacht

Ein Verfahren beginnt, wenn zureichende Anhaltspunkte für eine Steuerstraftat vorliegen. Typische Auslöser sind Außenprüfungen, Kontrollmitteilungen, Anzeigen, bankseitige Hinweise, internationale Informationsaustausche oder Datenanalysen.

Einleitung und Bekanntgabe

Nach formeller Einleitung werden Ermittlungen aufgenommen. Die beschuldigte Person erhält grundsätzlich eine Mitteilung über das Verfahren, sofern der Ermittlungszweck dadurch nicht gefährdet wird.

Ermittlungsmaßnahmen

Zur Sachverhaltsaufklärung kommen Befragungen, Zeugenvernehmungen, Akteneinsicht bei Behörden, Auskunftsersuchen an Banken, Einsicht in Buchführungsdaten und digitale Auswertungen in Betracht. Bei Vorliegen der Voraussetzungen sind Zwangsmaßnahmen wie Durchsuchung und Beschlagnahme möglich. In schweren Fällen können weitergehende Maßnahmen, etwa Überwachung bestimmter Kommunikation, zulässig sein.

Abschlussentscheidungen

Das Verfahren kann eingestellt werden, mitunter gegen Auflagen (z. B. eine Geldauflage). Alternativ kann ein Strafbefehl beantragt oder Anklage erhoben werden. Im Falle einer Anklage entscheidet das Gericht nach Hauptverhandlung durch Urteil. Gegen einen Strafbefehl ist ein Einspruch möglich; gegen Urteile stehen je nach Instanz Rechtsmittel offen.

Rechte und Pflichten der beschuldigten Person

Unschuldsvermutung

Bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung gilt die Unschuldsvermutung. Die Beweislast für den Tatvorwurf liegt bei den Strafverfolgungsbehörden.

Aussagefreiheit und Schweigerecht

Beschuldigte Personen müssen sich nicht zur Sache äußern. Eine Aussagefreiheit umfasst auch das Recht, einzelne Fragen unbeantwortet zu lassen. Über diese Rechte ist zu belehren.

Mitwirkung im Steuer- vs. Strafverfahren

Im Besteuerungsverfahren bestehen erweiterte Mitwirkungspflichten, etwa zur Vorlage von Unterlagen. Im Strafverfahren gilt der Schutz vor Selbstbelastung. Das Zusammenspiel beider Verfahren kann zu Spannungen führen, weil dieselben Unterlagen sowohl für die Steuerfestsetzung als auch für den Tatnachweis relevant sein können.

Akteneinsicht und Information

Die Verteidigung erhält grundsätzlich Einsicht in die Ermittlungsakten, soweit dadurch der Untersuchungszweck nicht gefährdet wird. Betroffene werden über wesentliche Verfahrensschritte informiert, insbesondere über Abschlussentscheidungen.

Beweis und Beweiserhebung

Typische Beweismittel

Beweismittel sind insbesondere Buchführungsunterlagen, Steuererklärungen, elektronische Kassendaten, Kontoauszüge, E-Mail-Korrespondenz, Verträge, Zeugenaussagen und Sachverständigengutachten. Digitale Forensik spielt eine zunehmende Rolle.

Grenzen der Beweisverwertung

Die Verwertung rechtswidrig erlangter Beweise kann eingeschränkt sein. Ob ein Beweisverwertungsverbot vorliegt, hängt von Art und Gewicht des Verstoßes und einer Abwägung zwischen Strafverfolgungsinteresse und Grundrechtsschutz ab.

Sanktionen und Nebenfolgen

Hauptstrafen

In Betracht kommen Geldstrafen und Freiheitsstrafen, letztere bei entsprechender Schwere mit oder ohne Bewährung. Die Strafhöhe richtet sich unter anderem nach dem Ausmaß des Steuerschadens, der Dauer und Intensität des Verhaltens sowie dem Nachtatverhalten.

Nebenfolgen

Mögliche Nebenfolgen sind die Einziehung von Taterträgen, die Zahlung rückständiger Steuern nebst Zinsen und etwaige berufs- oder gewerberechtliche Konsequenzen. Eintragungen können Auswirkungen auf Führungszeugnisse und Zuverlässigkeitsprüfungen haben.

Unternehmen und Verantwortlichkeit

Gegen natürliche Personen, die für Unternehmen handeln, kann strafrechtlich vorgegangen werden. Gegen Unternehmen selbst kommen Geldbußen und Abschöpfungsmaßnahmen in Betracht, insbesondere bei Organisationspflichtverletzungen. Zudem sind reputationsbezogene Folgen und Ausschlüsse von Vergabeverfahren möglich.

Verjährung

Strafrechtliche Verfolgungsverjährung

Die Verfolgungsverjährung bestimmt, wie lange ein Tatvorwurf strafrechtlich verfolgt werden kann. Bei Steuerhinterziehung beträgt sie regelmäßig mehrere Jahre; in besonders schweren Fällen ist ein längerer Zeitraum vorgesehen. Die Frist kann durch verfahrensbedingte Maßnahmen unterbrochen oder gehemmt werden.

Vollstreckungsverjährung

Nach Rechtskraft einer Entscheidung bestimmt die Vollstreckungsverjährung, wie lange eine verhängte Strafe vollstreckt werden kann. Die Dauer richtet sich nach Art und Höhe der Strafe.

Festsetzungsverjährung im Steuerrecht

Unabhängig vom Strafverfahren läuft die steuerliche Festsetzungsverjährung. Bei unrichtigen oder unterlassenen Angaben kann sich diese erheblich verlängern. Dadurch können Steuern auch noch nach längerer Zeit festgesetzt und erhoben werden.

Besonderheiten des Steuerstrafrechts

Selbstanzeige

Die Selbstanzeige ist ein besonderes Instrument, das unter engen Voraussetzungen zu Straffreiheit führen kann. Erforderlich sind eine vollständige Nachdeklaration und rechtzeitige Zahlung. Es bestehen zahlreiche Ausschlussgründe, etwa bei bereits erfolgter Tatentdeckung oder in Konstellationen mit besonders hohem Hinterziehungsumfang.

Internationaler Bezug

Steuerstraftaten weisen häufig grenzüberschreitende Elemente auf. Es existiert eine weitreichende Zusammenarbeit zwischen Staaten, etwa durch Informationsaustausch, Rechtshilfe und gemeinsame Ermittlungen. Finanzkonteninformationen werden in standardisierten Verfahren zwischen Staaten übermittelt.

Doppelbestrafungsverbot

Niemand darf wegen derselben Tat mehrfach bestraft werden. Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten sind Zuständigkeiten und Wirkungen ausländischer Entscheidungen zu beachten.

Datenschutz, Geheimhaltung und Öffentlichkeit

Das Steuergeheimnis schützt personenbezogene Steuerdaten. Im Strafverfahren kann die Vertraulichkeit durch Ermittlungsmaßnahmen und die Öffentlichkeit einer Hauptverhandlung begrenzt sein. Medienberichterstattung unterliegt rechtlichen Schranken, insbesondere zum Schutz der Persönlichkeitsrechte.

Kosten und finanzielle Auswirkungen

Im Falle einer Verurteilung fallen Gerichtsgebühren und Auslagen an, etwa für Sachverständige. Bei Einstellung ohne Auflagen entstehen regelmäßig keine Gerichtskosten, bei Einstellung gegen Auflagen sind Zahlungen möglich. Unabhängig vom Ausgang des Strafverfahrens bleiben steuerliche Nachforderungen, Zinsen und gegebenenfalls Sicherungsmaßnahmen wie Arrest unberührt.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Was ist ein Steuerstrafverfahren?

Es handelt sich um ein Strafverfahren zur Aufklärung des Verdachts einer Steuerstraftat. Geprüft wird, ob steuerlich relevantes Verhalten die Schwelle zur Strafbarkeit überschritten hat und welche Sanktion in Betracht kommt.

Wodurch wird ein Steuerstrafverfahren eingeleitet?

Auslöser sind Anhaltspunkte für eine Straftat, etwa Feststellungen aus Außenprüfungen, Anzeigen, Kontrollmitteilungen, Bankinformationen oder internationale Datenaustausche. Bei hinreichendem Anfangsverdacht wird das Ermittlungsverfahren förmlich eingeleitet.

Welche Behörden sind beteiligt?

Die Staatsanwaltschaft führt das Verfahren. Sie arbeitet mit der Polizei, der Steuerfahndung und der Bußgeld- und Strafsachenstelle der Finanzverwaltung zusammen. Für die Steuerfestsetzung bleibt das Finanzamt zuständig. Über Anklagen entscheiden die Strafgerichte.

Welche Maßnahmen können im Ermittlungsverfahren vorkommen?

Möglich sind Befragungen, Zeugenvernehmungen, Auskunftsersuchen an Banken, Auswertung elektronischer Daten, Durchsuchungen und Beschlagnahmen. In schweren Fällen sind weitergehende Überwachungsmaßnahmen möglich, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen.

Welche Ergebnisse sind am Ende des Verfahrens möglich?

Das Verfahren kann eingestellt werden, mitunter gegen Auflagen. Alternativ kann ein Strafbefehl ergehen oder Anklage erhoben werden. Nach einer Hauptverhandlung entscheidet das Gericht durch Urteil. Gegen Entscheidungen bestehen Rechtsbehelfe im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben.

Wie lange kann eine Steuerstraftat verfolgt werden?

Die Verfolgungsverjährung beträgt mehrere Jahre und ist bei schwereren Fällen länger. Sie kann durch verfahrensbezogene Maßnahmen unterbrochen oder gehemmt werden. Davon zu unterscheiden ist die steuerliche Festsetzungsverjährung, die bei unrichtigen Angaben deutlich verlängert sein kann.

Unterscheidet sich das Steuerstrafverfahren vom Besteuerungsverfahren?

Ja. Das Besteuerungsverfahren klärt die Höhe der Steuerschuld; das Steuerstrafverfahren klärt die Strafbarkeit. Beide Verfahren können parallel laufen und sich wechselseitig beeinflussen.

Welche Bedeutung hat eine Selbstanzeige?

Die Selbstanzeige kann unter strengen Voraussetzungen zur Straffreiheit führen. Sie setzt Vollständigkeit, Rechtzeitigkeit und Zahlung voraus und ist in bestimmten Konstellationen ausgeschlossen, etwa bei bereits eingetretener Tatentdeckung.