Begriff und Definition der Steuernachforderungen
Steuernachforderungen bezeichnen Forderungen der Finanzbehörden gegenüber einer steuerpflichtigen Person oder Gesellschaft auf Zahlung von Steuern, die in der Vergangenheit nicht, zu gering oder zu spät festgesetzt bzw. entrichtet wurden. Sie resultieren regelmäßig aus einer nachträglichen Steuerfestsetzung, die erfolgt, wenn das Finanzamt im Rahmen einer Steuerprüfung, Veranlagung oder sonstigen Überprüfung Abweichungen zwischen den vom Steuerpflichtigen erklärten und den gesetzlich geschuldeten Steuerbeträgen feststellt.
Rechtliche Grundlagen der Steuernachforderungen
Steuerliche Verfahrensgrundlagen
Die rechtliche Grundlage für Steuernachforderungen ist primär in der Abgabenordnung (AO) geregelt. Maßgeblich ist das Prinzip, dass Steuern nach Maßgabe der tatsächlichen Verhältnisse und der gesetzlichen Vorgaben erhoben werden (§ 85 AO). Werden Fehler bei der Festsetzung oder Anrechnung von Steuern festgestellt, ist das Finanzamt verpflichtet, die Steuer unter Berücksichtigung der richtigen Besteuerungsgrundlagen neu festzusetzen und etwaige Rückstände einzufordern.
Steuerfestsetzung und Änderungsbescheide
Steuernachforderungen entstehen häufig aus sogenannten Änderungsbescheiden oder aufgrund einer Außenprüfung. Steuerbescheide können gemäß §§ 129 ff. AO berichtigt, aufgehoben oder geändert werden, wenn nachträglich Tatsachen bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen.
Ein Änderungsbescheid kann insbesondere in diesen Fällen ergehen:
- Neue Tatsachen oder Beweismittel werden bekannt (§ 173 AO)
- Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 175 AO)
- Nachträgliche Berichtigung von offenbaren Unrichtigkeiten (§ 129 AO)
Nach § 155 AO werden Steuern durch Steuerbescheid festgesetzt, dessen Offenlegung die Steuernachforderung konkretisiert. Mit Bekanntgabe eines entsprechenden Bescheides wird die Steuernachforderung rechtlich wirksam.
Festsetzungsfristen
Bei Steuernachforderungen ist insbesondere die sogenannte Festsetzungsfrist zu beachten. Die Festsetzungsfrist beträgt in der Regel vier Jahre (§ 169 AO), kann jedoch bei Steuerhinterziehung bis zu zehn Jahre (§ 169 Abs. 2 S. 2 AO) und bei leichtfertiger Steuerverkürzung fünf Jahre betragen. Nach Ablauf dieser Fristen können keine neuen Steuerbescheide oder Steuernachforderungen mehr wirksam bekannt gegeben werden, es sei denn, die Frist wurde aufgrund besonderer Umstände gehemmt oder verlängert.
Entstehungstatbestände von Steuernachforderungen
Steuernachforderungen entstehen insbesondere in folgenden Konstellationen:
Fehlerhafte oder unvollständige Steuererklärung
Gibt ein Steuerpflichtiger seine steuerlichen Verhältnisse unvollständig oder fehlerhaft an, kann das Finanzamt nach Korrektur der Besteuerungsgrundlagen Nachforderungen geltend machen.
Außenprüfung und Betriebsprüfung
Werden im Rahmen einer steuerlichen Außen-, Betriebs- oder Umsatzsteuer-Sonderprüfung Abweichungen festgestellt, resultieren regelmäßig Steuernachforderungen, die durch entsprechende Bescheide nacherhoben werden.
Steuerstrafrechtliche Konstellationen
Im Zusammenhang mit Steuerstraftaten, etwa bei Steuerhinterziehung (§ 370 AO), werden zusätzlich zu steuerauslösenden Tatbeständen Steuerbescheide mit Nachforderungen erlassen, um den zu Unrecht nicht vereinnahmten Steuerbetrag nachzuerheben.
Rechtsfolgen einer Steuernachforderung
Fälligkeit und Zahlungspflicht
Steuernachforderungen werden mit Bekanntgabe des Bescheides zur Zahlung fällig (§ 220 AO). Der Steuerpflichtige ist verpflichtet, den geforderten Betrag bis zum festgesetzten Termin zu begleichen. Die Nichtzahlung kann zu Säumniszuschlägen (§ 240 AO) und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen führen.
Säumniszuschläge und Zinsen
Für verspätet entrichtete Steuern entstehen nach § 233a AO Nachzahlungszinsen, sofern zwischen der erstmaligen Steuerfestsetzung und der endgültigen Festsetzung ein erheblicher Zeitraum liegt. Zudem fallen auf rückständige Steuern Säumniszuschläge an, die der Sicherstellung des pünktlichen Steueraufkommens dienen.
Rechtsbehelfe gegen Steuernachforderungen
Gegen eine Steuernachforderung kann der Steuerpflichtige Einspruch einlegen (§ 347 AO). Im Rahmen des Einspruchsverfahrens wird geprüft, ob die Nachforderung rechtmäßig und in der geltend gemachten Höhe zutreffend ist. Wird dem Einspruch nicht stattgegeben, besteht die Möglichkeit, Klage vor dem Finanzgericht zu erheben.
Vollstreckung
Kommt der Steuerpflichtige der Zahlung nicht nach, kann das Finanzamt Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nach §§ 249 ff. AO einleiten, die von der Pfändung von Konten oder Gehalt bis zur Zwangsversteigerung von Grundstücken reichen können.
Abgrenzung zu ähnlichen Begriffen
Steuernachforderungen sind begrifflich von regelmäßigen Steuerzahlungen und Vorauszahlungen zu unterscheiden. Während reguläre Steuerzahlungen fristgerecht auf vorläufige oder endgültige Bescheide geleistet werden, handelt es sich bei der Steuernachforderung stets um eine nachträgliche Korrektur bereits zuvor festgesetzter oder erklärter Steuerbeträge.
Besondere Fallgestaltungen
Umsatzsteuernachforderungen
Besonders häufig treten Nachforderungen im Bereich der Umsatzsteuer auf, wenn Vorsteuerabzüge unberechtigt geltend gemacht oder Umsätze nicht ordnungsgemäß erklärt wurden.
Erbschaft- und Schenkungssteuer
Auch bei der Erbschaft- und Schenkungssteuer können sich Steuernachforderungen ergeben, etwa wenn Vermögenswerte bei der Anzeige nicht angegeben wurden und das Finanzamt diese nachträglich ermittelt.
Gewerbesteuer und Körperschaftsteuer
Im Unternehmensbereich entstehen Nachforderungen vor allem aus Betriebsprüfungen, bei denen Betriebsausgaben nicht anerkannt oder Umsätze nachträglich zugerechnet werden.
Bedeutung und Prävention von Steuernachforderungen
Steuernachforderungen sind für die Finanzverwaltung ein wesentliches Instrument der Sicherung der Steuereinnahmen und dienen der rechtskonformen steuerlichen Gleichbehandlung. Für Steuerpflichtige ist eine korrekte und vollständige Steuererklärung die beste Möglichkeit, die Entstehung von Steuernachforderungen und damit verbundene negative Folgewirkungen wie Zinsen, Säumniszuschläge oder Zwangsvollstreckung zu vermeiden.
Zusammenfassung
Steuernachforderungen sind nachträgliche Forderungen des Finanzamts auf Zahlung von noch ausstehenden oder zu gering entrichteten Steuern. Sie beruhen auf der nachträglichen Feststellung abweichender Besteuerungsgrundlagen und können vermieden werden, indem steuerliche Pflichten korrekt und fristgerecht erfüllt werden. Rechtliche Handlungsoptionen wie Einspruchs- und Klageverfahren bieten die Möglichkeit, sich gegen unberechtigte oder fehlerhaft berechnete Nachforderungen zur Wehr zu setzen. Accurate Steuererklärungen und regelmäßige Prüfung der eigenen steuerlichen Situation sind insbesondere für Unternehmen und Selbständige essentiell, um unerwartete Nachzahlungen zu verhindern.
Häufig gestellte Fragen
Welche Rechte habe ich, wenn ich eine Steuernachforderung erhalte?
Erhalten Steuerpflichtige einen Nachforderungsbescheid vom Finanzamt, haben sie umfassende Rechte, um sich gegen unberechtigte oder fehlerhafte Nachforderungen zu wehren. Zunächst steht ihnen das Recht auf eine detaillierte Begründung des Bescheids zu (§ 121 AO). Innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Steuerbescheids kann Einspruch eingelegt werden (§ 355 AO). Während des Einspruchsverfahrens ist die Nachforderung grundsätzlich weiter vollziehbar, jedoch kann auf Antrag eine Aussetzung der Vollziehung nach § 361 AO gewährt werden, wenn ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen oder unbillige Härten drohen. Im Einspruchsverfahren muss das Finanzamt seine Entscheidung nochmals prüfen und ggf. abändern (§§ 367 ff. AO). Betroffene können zudem Akteneinsicht beantragen (§ 91 AO) und sich durch einen Steuerberater vertreten lassen. Bei Ablehnung des Einspruchs bleibt die Klage zum zuständigen Finanzgericht als weiterer Rechtsweg offen (§ 40 FGO).
Wie wird die Verjährung bei Steuernachforderungen berechnet?
Die Verjährung von Steuernachforderungen richtet sich nach den Vorschriften der Abgabenordnung (AO). Die reguläre Festsetzungsfrist beträgt vier Jahre (§ 169 AO). Sie beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist (sog. Festsetzungsfristbeginn nach § 170 AO). Bei leichtfertiger Steuerverkürzung oder Steuerhinterziehung verlängert sich die Frist auf fünf beziehungsweise zehn Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 2, § 370 AO). Die Festsetzungsfrist kann durch verschiedene Faktoren, wie z. B. durch das Bekanntwerden neuer Tatsachen oder durch das Ruhen bei Einspruchsverfahren, unterbrochen werden. Nach Ablauf der Festsetzungsfrist kann keine Steuernachforderung mehr erhoben werden, außer in Fällen von Steuerhinterziehung, wenn diese Frist noch nicht verstrichen ist.
Welche Pflichten treffen Steuerpflichtige nach Erhalt einer Steuernachforderung?
Nach Erhalt einer Steuernachforderung trifft den Steuerpflichtigen zunächst die Pflicht zur Zahlung des geforderten Betrags innerhalb der im Bescheid genannten Frist (§ 254 AO). Kommt der Steuerpflichtige dieser Zahlungsverpflichtung nicht nach, können Zinsen auf die Nachforderung anfallen (§ 233a AO) und Vollstreckungsmaßnahmen drohen (§ 249 AO). Darüber hinaus besteht die Pflicht zur Mitwirkung und Offenlegung relevanter Informationen und Unterlagen (§ 90 AO), insbesondere wenn ein Einspruch eingelegt oder eine steuerliche Prüfung verlangt wird. Ferner kann der Steuerpflichtige zur Berichtigung oder Ergänzung seiner Angaben verpflichtet sein (§ 153 AO), falls Fehler in der Steuererklärung zu korrigieren sind.
Ist eine Ratenzahlung oder Stundung bei Steuernachforderungen möglich?
Bei Steuernachforderungen besteht grundsätzlich die Möglichkeit, eine Ratenzahlung oder eine Stundung beim Finanzamt zu beantragen (§ 222 AO). Eine Stundung wird nur gewährt, wenn die sofortige Einziehung der Steuer eine erhebliche Härte für den Steuerpflichtigen bedeuten würde und der Steueranspruch durch die Stundung nicht gefährdet erscheint. Die Entscheidung darüber liegt im Ermessen der Finanzbehörde und kann mit Auflagen wie Sicherheiten oder Verzinsung versehen werden. Im Antrag muss die persönliche und finanzielle Situation detailliert dargelegt werden. Ratenzahlungen werden als Unterfall der Stundung individuell vereinbart. Die Ablehnung eines Stundungs- oder Ratenantrags ist durch Einspruch und Klage überprüfbar.
Welche rechtlichen Folgen drohen bei Nichtzahlung der Steuernachforderung?
Kommt ein Steuerpflichtiger der Nachforderung nicht fristgerecht nach, kann das Finanzamt Vollstreckungsmaßnahmen einleiten (§ 249 AO). Dies umfasst Kontopfändungen, Lohnpfändungen oder die Pfändung von beweglichen Sachen. Zudem fallen Säumniszuschläge in Höhe von 1% des rückständigen Steuerbetrags pro Monat an (§ 240 AO). In Extremfällen, insbesondere bei nicht gezahlten und hinterzogenen Steuern, kann ein Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung (§ 370 AO) oder wegen leichtfertiger Steuerverkürzung (§ 378 AO) folgen. Das Finanzamt kann auch die Erstattung weiterer Auskünfte verlangen und letztlich einen Haftbefehl zur Erzwingung der Vermögensauskunft (§ 284 AO) erwirken.
Können Steuernachforderungen anfechtbar oder aufschiebend wirken?
Steuernachforderungen sind grundsätzlich anfechtbar, d. h. der Steuerpflichtige kann Rechtsmittel gegen den Bescheid einlegen. Der Einspruch hat in der Regel jedoch keine aufschiebende Wirkung (§ 361 AO). Das bedeutet, die Nachforderung muss grundsätzlich trotz laufenden Rechtsbehelfs bezahlt werden. Eine Aussetzung der Vollziehung kann aber auf Antrag gewährt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen oder wenn die Vollziehung eine unbillige Härte darstellen würde. Lehnt die Finanzbehörde die Aussetzung ab, ist ein entsprechender Antrag beim Finanzgericht möglich (§ 69 FGO).
Welche Informationspflichten hat das Finanzamt bei Steuernachforderungen?
Das Finanzamt ist verpflichtet, eine Steuernachforderung im Steuerbescheid rechtswirksam und ausführlich zu begründen (§ 121 AO). In der Begründung müssen die Tatsachen, rechtlichen Erwägungen und Berechnungsgrundlagen nachvollziehbar dargelegt werden. Auf Nachfrage müssen dem Steuerpflichtigen weitere Erläuterungen gegeben und auf dessen Verlangen Einsicht in die Verwaltungsakte gewährt werden (§ 91 AO). Im Fall elektronischer Bekanntgabe gelten besondere Schutzmechanismen zur Sicherung des Empfangs. Der Steuerpflichtige hat das Recht, alle zugrundeliegenden Berechnungen und Sachverhalte zu überprüfen sowie Änderungen und Ergänzungen anzuregen.