Begriff und Bedeutung des Steuerfestsetzungsverfahrens
Das Steuerfestsetzungsverfahren ist ein zentrales Element des deutschen Steuerrechts und beschreibt den gesetzlich geregelten Prozess, in dem eine Steuer durch die zuständige Finanzbehörde festgesetzt wird. Im Rahmen dieses Verfahrens wird die Höhe der Steuerlast für den Steuerpflichtigen ermittelt, festgelegt und mittels Steuerbescheid bekanntgegeben. Ziel des Steuerfestsetzungsverfahrens ist es, einen rechtsverbindlichen Steueranspruch des Staates gegenüber dem Steuerpflichtigen zu begründen und abzugrenzen.
Rechtsgrundlagen des Steuerfestsetzungsverfahrens
Das Steuerfestsetzungsverfahren wird maßgeblich durch die Abgabenordnung (AO) geregelt. Zentrale Rechtsvorschriften finden sich insbesondere in den §§ 155 bis 181 AO. Weitere Detailregelungen ergeben sich aus den Einzelsteuergesetzen wie dem Einkommensteuergesetz (EStG), dem Körperschaftsteuergesetz (KStG) sowie der Umsatzsteuer (UStG).
Abgabenordnung (§§ 155-181 AO)
Die Abgabenordnung definiert die Grundsätze, Voraussetzungen und Ablauf des Steuerfestsetzungsverfahrens. Dazu zählen insbesondere die Vorschriften zur Steuererklärung, Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen durch die Finanzbehörde, Arten der Steuerfestsetzung, Fristregelungen sowie Korrekturvorschriften.
Ablauf des Steuerfestsetzungsverfahrens
1. Steuererklärung und Anlauf des Verfahrens
Das Verfahren beginnt regelmäßig mit der Abgabe einer Steuererklärung durch den Steuerpflichtigen (§ 149 AO). Mit Einreichung der Steuererklärung wird das Finanzamt zur Prüfung und Festsetzung der Steuer aufgefordert.
2. Ermittlungsverfahren
Im Rahmen des Steuerermittlungsverfahrens prüft die Finanzbehörde die eingereichten Angaben. Dabei kann sie nach dem Grundsatz der Amtsaufklärung (§ 88 AO) alle relevanten Tatsachen erforschen und Sachverhalte eigenständig ermitteln. Die Behörde ist hierbei nicht an die Anträge oder Erklärungen des Steuerpflichtigen gebunden.
3. Steuerfestsetzung durch Steuerbescheid
Nachdem sämtliche Besteuerungsgrundlagen ermittelt wurden, setzt das Finanzamt die Steuer durch Steuerbescheid fest (§ 155 Abs. 1 AO). Der Steuerbescheid ist ein Verwaltungsakt, mit dem die festgesetzte Steuer verbindlich gegenüber dem Steuerpflichtigen bekanntgegeben wird (§ 122 AO). Der Bescheid enthält die wesentlichen Informationen zur Steuerart, Bemessungsgrundlage, Steuerbetrag sowie die Rechtsbehelfsbelehrung.
Arten der Steuerfestsetzung
Festsetzungsverfahren nach § 155 AO
Hierbei trifft die Finanzbehörde eine eigenständige Entscheidung, indem sie die Steuer aufgrund der ermittelten Grundlagen festsetzt. Die Steuerfestsetzung erfolgt in den meisten Fällen durch Steuerbescheid als klassische Steuerveranlagung.
Steueranmeldung
In bestimmten Fällen, etwa bei der Lohnsteuer oder der Umsatzsteuer, wird die Steuer vom Steuerpflichtigen selbst angemeldet (§ 167 AO). Die Steueranmeldung wirkt dabei unter bestimmten Voraussetzungen wie eine Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.
Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung
Die Steuer kann unter Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt werden (§ 164 AO). Dies gibt dem Finanzamt die Möglichkeit, auch nach Erlass des Bescheides die Besteuerungsgrundlagen noch einmal zu überprüfen und die Steuer gegebenenfalls abweichend festzusetzen.
Vorläufige Steuerfestsetzung
Nach § 165 AO kann die Steuer vorläufig festgesetzt werden, wenn noch nicht alle Tatsachen aufklärbar oder Rechtsfragen ungeklärt sind. Der Steuerbescheid steht dann unter dem Vorbehalt der endgültigen Klärung.
Fristen im Steuerfestsetzungsverfahren
Festsetzungsverjährung
Die Steuerfestsetzung ist nur innerhalb der sogenannten Festsetzungsfrist möglich (§ 169 AO). Die regelmäßige Festsetzungsfrist beträgt vier Jahre, beginnt jedoch erst mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung eingereicht wurde. Bei Steuerhinterziehung oder leichtfertiger Steuerverkürzung verlängern sich die Fristen auf zehn beziehungsweise fünf Jahre (§ 169 Abs. 2 AO).
Änderung und Korrektur der Steuerfestsetzung
Berichtigung von Schreib- und Rechenfehlern
Nach § 129 AO können offenbare Unrichtigkeiten, wie Tippfehler oder Rechenfehler, jederzeit berichtigt werden.
Korrektur aufgrund neuer Tatsachen
Werden nachträglich Tatsachen bekannt, die zu einer anderen Steuerfestsetzung führen würden, kann die Festsetzung nach Maßgabe der §§ 172 ff. AO geändert werden, sofern dies zu Ungunsten oder Gunsten des Steuerpflichtigen gesetzlich zugelassen ist.
Aufhebung und Änderung bei Vorbehalt der Nachprüfung
Solange der Vorbehalt der Nachprüfung besteht, kann der Steuerbescheid ohne Beschränkung geändert oder aufgehoben werden (§ 164 Abs. 2 AO).
Rechtsmittel und Rechtsschutz im Steuerfestsetzungsverfahren
Einspruchsverfahren
Gegen die Steuerfestsetzung kann der Steuerpflichtige innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Steuerbescheids Einspruch einlegen (§ 347 AO). Das Einspruchsverfahren ist der wichtigste außergerichtliche Rechtsbehelf, um fehlerhafte Festsetzungen überprüfen zu lassen.
Klageverfahren
Wird dem Einspruch nicht abgeholfen, kann innerhalb eines Monats nach Zustellung der Einspruchsentscheidung Klage vor dem Finanzgericht erhoben werden. Die Finanzgerichte prüfen dann die Recht- und Zweckmäßigkeit der Steuerfestsetzung.
Bedeutung des Steuerfestsetzungsverfahrens
Das Steuerfestsetzungsverfahren bildet die Grundlage für sämtliche weiteren Schritte im Steuerrecht, insbesondere für das Erhebungsverfahren (Einziehung der Steuer), Vollstreckungsverfahren und für die Gewährung von Rechtsschutz für Steuerpflichtige. Es gewährleistet die rechtsstaatliche und transparente Festlegung steuerlicher Pflichten und schützt sowohl die Einnahmeinteressen des Staates als auch die Rechte des Einzelnen.
Zusammenfassung:
Das Steuerfestsetzungsverfahren ist ein normierter Prozess der Steuerverwaltung, der die Feststellung und rechtsverbindliche Festsetzung der Steuerlast regelt. Die gesetzlichen Grundlagen, Verfahrensschritte, Fristen, Korrekturmöglichkeiten und Rechtsbehelfe sind umfangreich geregelt und bieten sowohl der Finanzverwaltung, als auch den Steuerpflichtigen Rechtssicherheit und effektiven Rechtsschutz.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Fristen sind im Steuerfestsetzungsverfahren zu beachten?
Im Steuerfestsetzungsverfahren gelten verschiedene Fristen, die in der Abgabenordnung (AO) geregelt sind und zwingend beachtet werden müssen. Die zentrale Frist ist die sogenannte Festsetzungsfrist, die in § 169 AO geregelt ist. Sie beträgt grundsätzlich vier Jahre und beginnt mit dem Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist. Bei leichtfertiger Steuerverkürzung verlängert sich die Frist auf fünf Jahre, bei Steuerhinterziehung sogar auf zehn Jahre. Daneben gibt es weitere Fristen, etwa für die Abgabe der Steuererklärung (§ 149 AO), die regelmäßig bis zum 31. Juli des Folgejahres läuft, sofern keine Fristverlängerung beantragt wurde. Besonders zu beachten ist zudem die Ablaufhemmung (§ 171 AO), die bestimmte Ereignisse – wie eine Außenprüfung oder ein schwebendes Einspruchsverfahren – berücksichtigt und die Festsetzungsfrist hemmt oder verlängert. Versäumt die Finanzbehörde diese Fristen, ist eine erstmalige oder geänderte Steuerfestsetzung grundsätzlich nicht mehr zulässig.
Welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen gegen einen fehlerhaften Steuerbescheid im Festsetzungsverfahren?
Gegen einen fehlerhaften Steuerbescheid kann der Steuerpflichtige innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Bescheides Einspruch einlegen (§ 355 AO). Der Einspruch ist das zentrale außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren im Steuerrecht und muss schriftlich oder elektronisch bei der zuständigen Finanzbehörde eingereicht werden. Während des Einspruchsverfahrens prüft die Behörde den Bescheid erneut in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht. Wird dem Einspruch nicht oder nur teilweise stattgegeben, erlässt die Behörde eine Einspruchsentscheidung, gegen die der Steuerpflichtige Klage beim Finanzgericht einreichen kann (§ 40 FGO). Neben dem Einspruch existieren weitere Korrekturmöglichkeiten, wie die Änderung nach § 173 AO (Rücknahme oder Änderung bei neuen Tatsachen oder Beweismitteln) oder die Berichtigung von Schreib- und Rechenfehlern nach § 129 AO.
Welche Bedeutung hat die materiell-rechtliche und die formell-rechtliche Prüfung im Steuerfestsetzungsverfahren?
Im Steuerfestsetzungsverfahren sind sowohl die materiell-rechtlichen als auch die formell-rechtlichen Voraussetzungen für die Steuerfestsetzung zu prüfen. Die materiell-rechtliche Prüfung bezieht sich darauf, ob die Steuer in der geltend gemachten Höhe tatsächlich besteht, also ob das Steuergesetz auf den konkreten Sachverhalt zutreffend angewandt wurde. Die formell-rechtliche Prüfung betrifft die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften hinsichtlich Fristen, Zuständigkeit der Behörde, ordnungsgemäße Bekanntgabe (§ 122 AO) sowie das rechtliche Gehör (§ 91 AO). Verletzungen von Formvorschriften können unter Umständen zur Nichtigkeit des Steuerbescheides führen (§ 125 AO), soweit es sich nicht nur um bloße Ordnungsvorschriften handelt, die keinen Einfluss auf die materielle Rechtmäßigkeit haben.
Welche Rolle spielen Korrekturvorschriften bei der nachträglichen Änderung eines Steuerbescheids?
Für die nachträgliche Änderung eines Steuerbescheids sieht die Abgabenordnung umfangreiche Korrekturvorschriften vor, die den Grundsatz der Rechtsbeständigkeit des Verwaltungsakts (Bestandskraft) durchbrechen. Die wichtigsten Regelungen sind in den §§ 129 ff. AO zu finden. § 129 AO erlaubt die Berichtigung offenbarer Unrichtigkeiten, zum Beispiel Schreib- oder Rechenfehler. § 173 AO regelt die Änderung bei nachträglich bekannt gewordenen Tatsachen oder Beweismitteln, sofern diese zu einer höheren oder niedrigeren Steuer führen würden. § 174 AO (rückwirkende Ereignisse) und § 175 AO (steuerlich erhebliche Grundlagenbescheide) gewähren unter bestimmten Voraussetzungen eine Anpassung auch nach Eintritt der Bestandskraft. Allerdings ist zu beachten, dass jede Änderung und Berichtigung ihrerseits wiederum an festgelegte Fristen gebunden ist und begründet werden muss.
Wann wird ein Steuerbescheid bestandskräftig, und welche rechtlichen Folgen ergeben sich daraus?
Ein Steuerbescheid wird bestandskräftig, wenn gegen ihn nicht innerhalb der Rechtsbehelfsfrist (in der Regel ein Monat nach Bekanntgabe) Einspruch eingelegt wird und keine anderen Korrekturmöglichkeiten greifen. Die Bestandskraft bedeutet, dass der Bescheid grundsätzlich nicht mehr zu Ungunsten oder zugunsten des Steuerpflichtigen geändert werden kann (§ 124 AO). Ausnahmen bestehen nur bei Vorliegen spezieller Korrekturvorschriften (z. B. §§ 129 ff. AO, § 172 AO). Die Rechtsfolge der Bestandskraft ist, dass die festgesetzte Steuer als verbindlich gilt, und die Finanzbehörde auf Grundlage dieses Bescheides zur Erhebung der Steuer schreiten kann. Ein späterer Angriff des Steuerpflichtigen gegen den Bescheid ist dann nur noch in den engen Grenzen des sogenannten außerordentlichen Rechtsbehelfsverfahrens möglich, etwa durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder eine Anfechtung wegen Nichtigkeit (§ 125 AO).
Welche besonderen Verfahrensrechte stehen dem Steuerpflichtigen im Festsetzungsverfahren zu?
Im Steuerfestsetzungsverfahren stehen dem Steuerpflichtigen zahlreiche Verfahrensrechte zu, die rechtsstaatliche Prinzipien gewährleisten sollen. Hierzu gehört insbesondere das Recht auf rechtliches Gehör (§ 91 AO), nach dem der Steuerpflichtige vor einer für ihn nachteiligen Entscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten muss. Weiterhin besteht ein Anspruch auf Akteneinsicht (§ 364 AO), sofern berechtigtes Interesse besteht. Der Steuerpflichtige hat das Recht, sich im gesamten Verfahren vertreten zu lassen (§ 80 AO) und Anträge auf Beweiserhebung zu stellen (§ 88 AO). Ferner ist die Wahrung des Datenschutzes und der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen zu beachten (§ 30 AO). Schließlich ist die Finanzbehörde verpflichtet, auch zugunsten des Steuerpflichtigen zu ermitteln (Grundsatz der Amtsaufklärung nach § 88 AO).
Welche Bindungswirkung entfalten Grundlagenbescheide im Steuerfestsetzungsverfahren?
Grundlagenbescheide (§ 171 Abs. 10, § 175 AO) entfalten eine besondere Bindungswirkung für das Steuerfestsetzungsverfahren, weil sie verbindliche Vorgaben zu bestimmten Besteuerungsgrundlagen machen, die von der Finanzbehörde zwingend zu übernehmen sind. Typische Beispiele sind Feststellungsbescheide nach § 180 AO (etwa bei Einkünften aus einer Personengesellschaft). Der Folgebescheid (z. B. der Einkommensteuerbescheid) darf von den Vorgaben des Grundlagenbescheides nicht abweichen, auch wenn der Steuerpflichtige zum Zeitpunkt des Erlasses des Folgebescheides zum Inhalt des Grundlagenbescheids keine Einwendungen mehr erheben kann. Rechtsbehelfe gegen die Feststellungen sind grundsätzlich nur gegen den Grundlagenbescheid, nicht aber gegen den Folgebescheid statthaft. Eine Änderung des Folgebescheides ist jedoch nach § 175 AO möglich, wenn der Grundlagenbescheid nachträglich geändert oder aufgehoben wird.