Begriff und rechtliche Bedeutung der Stellvertretung
Die Stellvertretung ist ein zentrales Institut im deutschen Privatrecht, das die rechtsgeschäftliche Vertretung von Personen regelt. Sie ermöglicht es einer Person (dem Vertreter), im Namen einer anderen Person (des Vertretenen) Rechtsgeschäfte mit unmittelbarer Wirkung für und gegen den Vertretenen vorzunehmen. Die rechtliche Gestaltung und die Voraussetzungen der Stellvertretung sind vor allem im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geregelt, insbesondere in den §§ 164 ff.
Allgemeine Rechtsgrundlagen der Stellvertretung
Definition der Stellvertretung
Stellvertretung ist das rechtliche Handeln einer Person (Vertreter) in fremdem Namen (im Namen des Vertretenen) und mit Vertretungsmacht, sodass unmittelbar der Vertretene berechtigt und verpflichtet wird. Die zur Stellvertretung führenden Rechtsfolgen treten direkt beim Vertretenen ein, nicht beim Vertreter.
Anforderungen an eine wirksame Stellvertretung
Für die Wirksamkeit einer Stellvertretung sind drei Voraussetzungen erforderlich:
- Handeln im Namen des Vertretenen (Offenkundigkeitsprinzip)
- Abgabe einer eigenen Willenserklärung durch den Vertreter
- Vertretungsmacht
Handeln im Namen des Vertretenen (§ 164 Abs. 1 Satz 1 BGB)
Das Offenkundigkeitsprinzip besagt, dass der Vertreter ausdrücklich oder stillschweigend offenlegen muss, dass er im Namen eines anderen auftritt. Wird diese Offenlegung unterlassen, liegt grundsätzlich ein Eigengeschäft des Vertreters vor (es sei denn, das Geschäft ist nach der Verkehrssitte irrelevant, zum Beispiel bei Bargeschäften des täglichen Lebens).
Abgabe einer eigenen Willenserklärung
Der Vertreter muss eine eigene Willenserklärung abgeben. Handelt er nur als Bote, gibt er keine eigene, sondern lediglich eine fremde Willenserklärung weiter.
Vertretungsmacht
Der Vertreter muss bevollmächtigt sein, für den Vertretenen zu handeln. Fehlt die Vertretungsmacht, ist das Geschäft schwebend unwirksam und muss durch den Vertretenen genehmigt werden (§ 177 BGB).
Arten und Formen der Vertretungsmacht
Gesetzliche und rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht
- Gesetzliche Vertretungsmacht: Entsteht kraft Gesetzes, beispielsweise die elterliche Vertretung für minderjährige Kinder (§§ 1626, 1629 BGB) oder die organschaftliche Vertretung juristischer Personen (Vorstand einer AG, Geschäftsführer einer GmbH).
- Rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht: Entsteht durch ein Rechtsgeschäft, meist in Form einer Vollmacht gemäß § 167 BGB.
Vollmacht
Erteilung der Vollmacht
Die Vollmacht kann entweder ausdrücklich (schriftlich oder mündlich) oder konkludent (durch schlüssiges Verhalten) erteilt werden. Es bedarf grundsätzlich keiner besonderen Form, es sei denn, das zugrundeliegende Geschäft verlangt dies.
Arten der Vollmacht
- Innenvollmacht: Ist an den Vertreter gerichtet (§ 167 Abs. 1 Alt. 1 BGB).
- Außenvollmacht: Wird gegenüber dem Geschäftspartner erklärt (§ 167 Abs. 1 Alt. 2 BGB).
- Generalvollmacht: Ermächtigt zur Vornahme aller Geschäfte.
- Spezialvollmacht: Bezieht sich auf ein bestimmtes Geschäft.
- Untervollmacht: Der Bevollmächtigte bevollmächtigt einen weiteren Vertreter.
Erlöschen der Vollmacht
Die Vollmacht kann durch Zeitablauf, Widerruf oder durch das Erlöschen des Grundverhältnisses enden (§ 168 BGB). Der Widerruf ist jederzeit möglich, sofern nicht etwas anderes vereinbart wurde.
Folgen fehlender Vertretungsmacht
Handelt der Vertreter ohne oder außerhalb der ihm zustehenden Vertretungsmacht, ist das Rechtsgeschäft zunächst schwebend unwirksam. Es kann jedoch vom Vertretenen nachträglich genehmigt werden (§ 177 BGB).
- Genehmigung: Wird die Genehmigung verweigert, ist das Geschäft endgültig unwirksam.
- Haftung des Vertreters: Der Vertreter kann dem Vertragspartner gegenüber nach § 179 BGB haften, wenn er ohne Vertretungsmacht handelt.
Ausgeschlossene und unzulässige Stellvertretung
In bestimmten Fällen ist Stellvertretung ausgeschlossen, etwa bei höchstpersönlichen Rechtsgeschäften, wie Eheschließung (§ 1311 BGB), Testamentserrichtung (§ 2064 BGB) oder bei der Annahme einer Erbschaft (§ 1945 BGB).
Sonderformen der Vertretung
Organvertretung
Bei juristischen Personen handeln die Organe, zum Beispiel der Vorstand einer Aktiengesellschaft oder der Geschäftsführer einer GmbH, als Vertreter der Gesellschaft. Hier gelten spezielle Regelungen des jeweiligen Gesellschaftsrechts.
Prozessvertretung
Im Zivilprozess können Parteien durch Prozessbevollmächtigte vertreten werden (§ 78 ZPO). Für einzelne Prozesshandlungen ist ein Vertretungsverbot möglich, etwa bei der persönlichen Anhörung der Partei.
Stellvertretung mit Vertretungsmacht kraft Rechtsscheins
Wird dem Rechtsverkehr durch das Verhalten des Vertretenen der Eindruck erweckt, eine Vertretungsmacht bestehe, kann der vollmachtlose Vertreter das Geschäft wirksam abschließen (Duldungs- und Anscheinsvollmacht).
Stellvertretung im internationalen Privatrecht
Im internationalen Rechtsverkehr ist zu berücksichtigen, welches Recht für die Stellvertretung Anwendung findet (Art. 8 Rom I-VO bzw. Art. 32 EGBGB). Die Bestimmung des anwendbaren Rechts hängt vom Ort der Vollmachtserteilung und von dem zugrundeliegenden Geschäft ab.
Abgrenzung zu ähnlichen Rechtsinstituten
Bote und Vertreter
Ein Bote überbringt lediglich eine Willenserklärung; seine Erklärungen werden dem Geschäftsherrn zugerechnet. Im Gegensatz dazu gibt der Vertreter eine eigene Willenserklärung im Namen des Vertretenen ab.
Vertretung und Erfüllungsgehilfe
Der Erfüllungsgehilfe führt keine Willenserklärung aus, sondern übt eine Leistungshandlung im Rahmen eines Schuldverhältnisses aus (§ 278 BGB).
Rechtsfolgen der Stellvertretung
Die abgegebenen Willenserklärungen wirken unmittelbar für und gegen den Vertretenen. Persönliche Eigenschaften, die für das Geschäft relevant sind (beispielsweise Geschäftsfähigkeit), müssen beim Vertretenen vorliegen (§ 165 BGB). Willensmängel (Irrtum, Drohung, Täuschung) werden grundsätzlich beim Vertreter geprüft (§ 166 BGB).
Literatur
- Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch
- MüKoBGB, Kommentar zum BGB
- Brox/Walker, Allgemeiner Teil des BGB
Fazit
Die Stellvertretung ist ein fundamentaler Bestandteil des deutschen Zivilrechts und ermöglicht die rechtsgeschäftliche Teilnahme durch Dritte. Die differenzierte Regelung im BGB und die praxisrelevanten Ausgestaltungen, wie Organvertretung, Prozessvertretung und Vollmacht kraft Rechtsscheins, sichern einen rechtskonformen und flexiblen Geschäftsverkehr. Durch die klare Definition der Voraussetzungen, Arten und Wirkungen der Stellvertretung wird Rechtssicherheit für alle am Geschäftsleben Beteiligten geschaffen.
Häufig gestellte Fragen
Wer haftet bei einem Handeln des Vertreters ohne Vertretungsmacht?
Handelt ein Vertreter ohne Vertretungsmacht, entfaltet sein Handeln grundsätzlich keine unmittelbare rechtliche Wirkung für und gegen den Vertretenen (§ 177 BGB). Der Vertrag kommt nur zustande, wenn der Vertretene das Geschäft nachträglich genehmigt. Erfolgt keine Genehmigung, haftet der Vertreter dem Vertragspartner nach § 179 BGB auf Erfüllung oder Schadensersatz wegen Nichterfüllung. Der Dritte hat im Regelfall ein Wahlrecht, ob er auf Erfüllung oder auf Schadensersatz klagt. War dem Dritten jedoch bekannt oder hätte er erkennen müssen, dass der Vertreter keine Vertretungsmacht hatte, ist die Haftung ausgeschlossen. Gleiches gilt, wenn der Vertreter im guten Glauben gehandelt hat, beispielsweise als Minderjähriger.
In welchen Fällen ist eine Vertretung ausgeschlossen?
Nach den §§ 164 ff. BGB gibt es bestimmte höchstpersönliche Rechtsgeschäfte, bei denen eine Stellvertretung ausgeschlossen ist. Dazu zählen unter anderem Eheschließungen, Testamentserrichtungen sowie beispielsweise die Wahrnehmung höchstpersönlicher Rechte bei gesellschaftsrechtlichen Entscheidungen (z.B. die Stimmabgabe in bestimmten Mitgliederversammlungen). Auch bei Spezialvollmachten kann durch ausdrücklichen Ausschluss im Einzelfall die stellvertretende Ausübung bestimmter Handlungen untersagt sein. Bei ausdrücklichem gesetzlichen Verbot (z.B. § 2064 BGB beim eigenhändigen Testament) ist die Vertretung ebenfalls ausgeschlossen.
Was muss der Vertreter beim Offenkundigkeitsprinzip beachten?
Das Offenkundigkeitsprinzip besagt, dass der Vertreter im Rechtsverkehr erkennbar machen muss, dass er im Namen eines anderen handelt. Fehlt dieser Offenbarungstatbestand und tritt der Vertreter nicht – ausdrücklich oder aus den Umständen erkennbar – als Vertreter auf, haftet er nach § 164 Abs. 2 BGB grundsätzlich selbst. Nur in Ausnahmefällen, bei rein unternehmensbezogenen Geschäften (Geschäft für den, den es angeht), kann ein Rechtsgeschäft trotz fehlender Offenlegung dem Vertretenen zugeordnet werden. In der Praxis muss der Vertreter daher stets entweder ausdrücklich von „im Namen des“ sprechen oder eine andere eindeutige Willenserklärung abgeben.
Welche Formvorschriften sind bei der Stellvertretung zu beachten?
Die Vertretung selbst ist grundsätzlich formfrei möglich. Allerdings müssen alle für das zugrunde liegende Rechtsgeschäft geltenden Formvorschriften auch beim Handeln durch den Vertreter beachtet werden (§ 167 BGB). Beispielsweise ist der Abschluss eines notariellen Vertrages über Grundstücksgeschäfte auch bei Stellvertretung nur wirksam, wenn die Vollmacht ebenfalls in notarieller Form erteilt wurde (§ 167 Abs. 2 BGB i.V.m. § 311b Abs. 1 BGB). Bei einzelnen Dauerschuldverhältnissen oder besonders schutzwürdigen Rechtsgeschäften kann zudem eine schriftliche Vollmacht gefordert sein, etwa im Arbeitsrecht (§ 167 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Spezialnormen).
Welche Bedeutung hat die Innen- und Außenvollmacht bei der Stellvertretung?
Die Vollmacht als Grundlage der Stellvertretung kann intern (Innenvollmacht) zwischen Vertreter und Vertretenem oder als Außenvollmacht gegenüber dem Dritten erklärt werden (§ 167 BGB). Die Innenvollmacht gilt nur im Verhältnis zum Vertreter, während die Außenvollmacht dem Geschäftspartner kundgetan wird. Die Wirksamkeit der Vertretung hängt regelmäßig davon ab, dass die Vollmacht im Zeitpunkt des Rechtgeschäfts besteht. Bei einem Widerruf oder Erlöschen der Vollmacht ist entscheidend, wie und zu welchem Zeitpunkt der Dritte davon Kenntnis erlangt hat (§ 170 ff. BGB). Fehlt es an einer solchen Kenntnisnahme, besteht möglicherweise ein gutgläubiger Rechtserwerb Dritter.
Was ist ein Insichgeschäft und welche rechtlichen Konsequenzen hat es für die Stellvertretung?
Ein Insichgeschäft liegt vor, wenn der Vertreter im Namen des Vertretenen mit sich selbst als Vertreter oder als eigener Vertragspartner ein Rechtsgeschäft abschließt (§ 181 BGB). Ein solches Geschäft ist grundsätzlich unzulässig, da eine Interessenkollision Gefahr läuft, zulasten des Vertretenen zu gehen. Ausnahmen bestehen nur, wenn das Insichgeschäft dem Vertreter ausdrücklich gestattet wurde oder es ausschließlich in der Erfüllung einer Verbindlichkeit besteht. Ohne eine solche Erlaubnis sind Insichgeschäfte schwebend unwirksam und können im Nachgang genehmigt oder versagt werden.
Wie wird der Bestand und Umfang der Vertretungsmacht im Außenverhältnis geprüft?
Der Bestand und Umfang der Vertretungsmacht wird im Außenverhältnis zum Vertragspartner danach beurteilt, was diesem durch einseitige Erklärung des Vertretenen, durch Gesetz, Rechtsschein oder durch Vollmachtsurkunde (Vollmachtsurkunde § 172 BGB) mitgeteilt wurde. Die Vertretungsmacht kann sich sowohl aus gesonderter (oft schriftlicher) Vollmachterteilung als auch aus gesetzlichen Vorschriften (z.B. bei Eltern, Vormündern, Geschäftsführern) ergeben. Im Zweifel ist zur Auslegung auf die Berechtigung gemäß dem erklärten Umfang abzustellen. Überschreitet der Vertreter die ihm tatsächlich eingeräumten Grenzen, haftet meist der Vertreter selbst, es sei denn, es liegt ein Rechtsscheintatbestand vor (z.B. Anscheins- oder Duldungsvollmacht).
Wann und wie kann eine Vollmacht bei der Stellvertretung erlöschen?
Eine Vollmacht erlischt grundsätzlich mit dem Wegfall des zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses (sog. Grundverhältnis) oder durch ausdrücklichen Widerruf (§ 168 BGB). Sie kann außerdem zeitlich befristet oder auf einen bestimmten Zweck begrenzt sein. Im Außenverhältnis bleibt die Wirksamkeit der Vollmacht gegenüber Dritten bestehen, solange diesen das Erlöschen nicht bekannt gegeben wurde (§ 170 BGB). Bei Vorlage einer Vollmachtsurkunde ist sie nach Rückgabe oder Vernichtung der Urkunde entzogen (§ 172 Abs. 1 Satz 2 BGB). Dringende gesetzliche Regelungen, wie im Falle des Todes des Vollmachtgebers (§ 672 BGB), können im Einzelfall eine Fortgeltung oder ein sofortiges Erlöschen der Vollmacht begründen.