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Städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen


Städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen – Rechtliche Grundlagen und Ausgestaltung

Städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen sind ein zentrales Instrument des deutschen Städtebaurechts und zielen auf die nachhaltige städtebauliche Ordnung und Entwicklung von Gebieten ab, die einer umfassenden Neuordnung oder Umstrukturierung bedürfen. Sie sind im Baugesetzbuch (BauGB) umfassend normiert und unterliegen strikten rechtlichen Rahmenbedingungen, um sowohl die städtebaulichen Interessen der Allgemeinheit als auch die Belange der betroffenen Grundstückseigentümer und Beteiligten zu wahren.


Rechtliche Einordnung und Zielsetzung

Städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen sind im vierten Teil des Baugesetzbuchs (§§ 165 bis 171a BauGB) geregelt und dienen der städtebaulichen Entwicklung insbesondere in Gebieten mit erheblichem städtebaulichem Entwicklungsbedarf. Ziel ist die Schaffung, Arrondierung oder Sicherung geordneter städtebaulicher Strukturen in Bereichen, in denen die bisherigen baulichen und sonstigen Nutzungsverhältnisse grundlegende Änderungen erfordern.

Anwendungsbereich und Voraussetzungen

Nach § 165 Abs. 1 BauGB ist eine städtebauliche Entwicklungsmaßnahme zulässig, wenn die städtebauliche Entwicklung eines größeren Gebietes im geförderten Interesse der Allgemeinheit liegt. Dies kann beispielsweise bei der Errichtung neuer Stadtquartiere, der Entwicklung ehemaliger Militär- oder Industrieflächen oder der grundlegenden Umstrukturierung von Bestandsquartieren der Fall sein.

Zu den rechtlichen Voraussetzungen zählen insbesondere:

  • Erforderlichkeit der Entwicklungsmaßnahme

Das Gebiet muss einen besonderen Entwicklungsbedarf aufweisen, der mit den sonstigen städtebaulichen Instrumenten, wie Bebauungsplanverfahren, nicht bewältigt werden kann (§ 165 Abs. 2 BauGB).

  • Projektbezogenheit und Allgemeinwohlbezug

Die Maßnahme muss im Interesse der Allgemeinheit liegen und ein wesentliches Entwicklungsziel verfolgen (z. B. Schaffung von Wohnraum, infrastrukturelle Entwicklung).

  • Konzeptionsgebot

Eine umfassende Planung (Entwicklungskonzept) muss die Maßnahme in ihren städtebaulichen Zusammenhängen begründen und darstellen (§ 165 Abs. 3 BauGB).


Verfahren zur Festlegung und Durchführung

Festlegung des Entwicklungsbereichs

Die Festlegung eines Entwicklungsbereichs erfolgt durch eine förmliche Satzung, welche die Gemeinde als zuständige Behörde erlässt (§ 165 Abs. 4 BauGB). Die Satzung hat folgende Inhalte:

  • Abgrenzung des Geltungsbereichs
  • Darstellung der angestrebten städtebaulichen Ziele und Maßnahmen
  • Begründung der Erforderlichkeit aus städtebaulicher Sicht

Mitwirkungs- und Beteiligungsverfahren

Während des Satzungsverfahrens sind die Betroffenen umfassend zu beteiligen. § 165 Abs. 4 i. V. m. § 3 BauGB normiert die frühzeitige Unterrichtung und Erörterung mit Öffentlichkeit und den berührten Behörden.

Enteignungsrechtliche Grundlagen

Mit Festlegung des Entwicklungsbereichs gehen bestimmte rechtliche Besonderheiten einher, insbesondere:

  • Die Gemeinde erhält ein gesetzliches Vorkaufsrecht an Grundstücken im Entwicklungsbereich (§ 166 BauGB).
  • Es kann im Entwicklungsbereich zu Enteignungen kommen, wenn dies zur Durchführung der Maßnahme unerlässlich ist (§ 87 Abs. 1 Nr. 4 BauGB).

Rechtswirkungen für betroffene Grundstückseigentümer

Eigentumsüberleitung und Wertermittlung

Im Entwicklungsgebiet gelten besondere Regelungen bezüglich des Grundstücksverkehrs und der Eigentumslage:

  • Überleitung des Eigentums:

Die Gemeinde kann Eigentum an Grundstücken und Rechten erwerben, um die Maßnahme zweckgerecht vorbereiten und durchführen zu können.

  • Wertermittlung und Ausgleich:

Die Entschädigung für die Übertragung von Grundstücken richtet sich nach ihrem sogenannten Anfangswert, d. h. nach deren Wert vor Durchführung der Maßnahme. Grundstückseigentümer, die wertsteigernde Investitionen vornehmen, werden für ihre Aufwendungen gesondert entschädigt (§ 169 BauGB).

Folgeregelungen für Baurechte und Nutzungen

Innerhalb des Entwicklungsbereichs gelten Einschränkungen für bauliche Nutzungen und Erteilung von Baugenehmigungen. Maßnahmen, die die Entwicklungsziele gefährden könnten, werden in der Regel bis zur Fertigstellung der umfassenden Planung zurückgestellt.


Finanzierung und Kostenbeteiligung

Umlegung der Kosten

Die Kosten der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme werden von der Gemeinde verauslagt und in der Regel auf die begünstigten Grundstückseigentümer umgelegt. Nach Abschluss der Maßnahme ist eine Kostenverteilung vorgesehen (§ 166 Abs. 1 BauGB).

Städtebaulicher Vertrag

Die Gemeinde kann mit privaten Investoren oder Eigentümern städtebauliche Verträge abschließen, in denen die Mitwirkung und Kostenbeteiligung geregelt werden.


Beendigung der Entwicklungsmaßnahme

Eine städtebauliche Entwicklungsmaßnahme endet, wenn die städtebaulichen Ziele erreicht und die Ordnung des Gebiets sichergestellt sind. Hierzu erlässt die Gemeinde eine förmliche Aufhebungssatzung (§ 169 Abs. 4 BauGB). Danach gelten wieder die allgemeinen Vorschriften des Städtebaurechts und des privaten Bauplanungsrechts.


Rechtsschutzmöglichkeiten

Betroffene können gegen die Satzung oder Einzelmaßnahmen, etwa Enteignungen oder Zurückstellungen von Bauvorhaben, Rechtsmittel vor den Verwaltungsgerichten einlegen. Dabei unterliegen sowohl die Festlegung des Entwicklungsbereichs als auch die Nebenmaßnahmen einer gerichtlichen Überprüfung.


Abgrenzung zu anderen städtebaulichen Instrumenten

Städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen unterscheiden sich insbesondere von Sanierungsmaßnahmen (§§ 136 ff. BauGB) durch den umfassenderen Eingriffscharakter, die Möglichkeit der Überleitung des Grundeigentums auf die Gemeinde sowie durch die ältere Wertermittlung bei Entschädigungen.


Fazit

Städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen stellen ein weitreichendes Instrument des Baugesetzbuchs dar, das zur städtebaulichen Neuordnung und Entwicklung ganzer Stadtteile eingesetzt werden kann. Die detaillierten gesetzlichen Vorgaben dienen dem Interessenausgleich zwischen Allgemeinwohl und Eigentümerrechten und schaffen Rechtssicherheit bei komplexen städtebaulichen Entwicklungsprozessen. Die rechtliche Ausgestaltung erfordert insbesondere in Bezug auf Enteignung, Wertermittlung und Beteiligungsverfahren genaue Beachtung der gesetzlichen Vorgaben.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen für die Anordnung einer städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme erfüllt sein?

Für die Anordnung einer städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme müssen gemäß § 165 Baugesetzbuch (BauGB) mehrere rechtliche Voraussetzungen kumulativ vorliegen. Zunächst muss ein städtebaulicher Entwicklungsbedarf bestehen, der darauf abzielt, ein Gebiet gezielt und zügig im allgemeinen Interesse zu entwickeln oder umzustrukturieren. Die beabsichtigte Entwicklung muss von erheblicher Bedeutung für die städtebauliche Ordnung, die Wohnraumversorgung, die Verbesserung der Infrastruktur oder vergleichbare öffentliche Belange sein. Ferner ist eine Entwicklungsmaßnahme nur zulässig, wenn die Verwirklichung durch die Anwendung weniger eingriffsintensiver Mittel, wie etwa der Bebauungsplanung oder der förmlichen Festlegung eines Sanierungsgebiets, nicht möglich oder erheblich erschwert wäre. Die Gemeinde muss ein Entwicklungskonzept erstellen, das das zu entwickelnde Gebiet abgrenzt, die städtebaulichen Ziele detailliert darstellt sowie die voraussichtlichen Auswirkungen auf die Eigentümer und Bewohner berücksichtigt. Schließlich ist ein gesetzlich vorgeschriebenes Beteiligungsverfahren erforderlich: Neben einer förmlichen Beteiligung der betroffenen Eigentümer (§ 165 Abs. 4 BauGB) ist auch die Abstimmung mit den öffentlichen Planungsträgern sowie eine Prüfung der Belange des Umweltschutzes unerlässlich.

Wie gestaltet sich das Verfahren zur förmlichen Festlegung einer städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme?

Das Verfahren zur förmlichen Festlegung einer städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme ist im BauGB detailliert geregelt. Es beginnt mit der Vorprüfung durch die Gemeinde, in deren Rahmen das Entwicklungskonzept erstellt und das potenzielle Entwicklungsgebiet abgegrenzt wird. Im Rahmen eines vorgeschriebenen Beteiligungsverfahrens erhalten die Betroffenen, insbesondere Grundstückseigentümer, die Gelegenheit, sich zu äußern. Es erfolgt auch die Anhörung der Träger öffentlicher Belange. Die Gemeindevertretung fasst anschließend einen förmlichen Beschluss über den Entwurf und die Auslegung der Entwicklungsmaßnahme, der öffentlich bekanntgemacht wird. Nach Auswertung aller Stellungnahmen kann der förmliche Festlegungsbeschluss gefasst werden, der seinerseits der Genehmigung der zuständigen höheren Verwaltungsbehörde (i.d.R. die Landesregierung oder eine von ihr ermächtigte Stelle) bedarf. Erst mit der öffentlichen Bekanntmachung des genehmigten Beschlusses wird die Entwicklungsmaßnahme rechtswirksam.

Welche rechtlichen Auswirkungen hat die förmliche Festlegung auf Grundstückseigentümer?

Mit der förmlichen Festlegung einer städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme wird für die betroffenen Grundstückseigentümer ein umfangreiches Sonderregime ausgelöst. Insbesondere wird ein Vorkaufsrecht der Gemeinde für alle Grundstücke innerhalb des Entwicklungsgebiets begründet (§ 24 Abs. 1 Nr. 5 BauGB). Eigentümer dürfen ihre Grundstücke nach Festlegung nur noch mit Zustimmung der Gemeinde veräußern (§ 144 BauGB). Zusätzlich werden die bisherigen zulässigen Nutzungen, bauliche Veränderungen oder neue Bauvorhaben restriktiv überwacht und bedürfen oftmals einer besonderen Genehmigung. Das Ziel ist, unerwünschte Entwicklungen oder wertsteigernde Maßnahmen, die zu Spekulation führen könnten, zu verhindern. Im Rahmen der Entwicklungsmaßnahme kann die Gemeinde zudem Grundstücke enteignen, sofern dies zur Verwirklichung der städtebaulichen Ziele unerlässlich ist (§§ 85 ff. BauGB).

Wie erfolgt die Entschädigung im Rahmen von städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen?

Im Rahmen städtebaulicher Entwicklungsmaßnahmen sieht das Baugesetzbuch einen speziellen Ausgleichsmechanismus für Eigentümer vor, die von Eingriffen betroffen sind. Wird ein Grundstück durch behördliche Maßnahmen, wie Einschränkungen der Nutzung oder Enteignung, in seiner wirtschaftlichen Verwertbarkeit beeinträchtigt, besteht grundsätzlich ein Anspruch auf angemessene Entschädigung (§§ 177 ff. BauGB). Im Enteignungsfall richtet sich die Entschädigung grundsätzlich nach dem Verkehrswert des Grundstücks zum Zeitpunkt der Enteignung. Besonderheiten gelten insofern, als der Verkehrswert auf den Zeitpunkt unmittelbar vor der Bekanntmachung des Entwicklungsbeschlusses abgestellt wird, um Spekulationsgewinne oder -verluste zu vermeiden. Bei Beeinträchtigungen ohne förmliche Enteignung, wie beispielsweise vorübergehende Nutzungsbeschränkungen, kann eine Entschädigung in Geld oder, soweit sinnvoll, auch durch Bereitstellung eines Ersatzgrundstücks oder durch andere Kompensationen gewährt werden.

Welche Rolle spielt das Vorkaufsrecht der Gemeinde im Rahmen der Entwicklungsmaßnahme?

Das Vorkaufsrecht ist ein zentrales rechtliches Instrument bei städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen (§ 24 Abs. 1 Nr. 5 BauGB). Mit der Festlegung des Entwicklungsgebiets entsteht zugunsten der Gemeinde ein gesetzliches Vorkaufsrecht an allen darin gelegenen Grundstücken. Ziel dieses Vorkaufsrechts ist es, der Gemeinde eine effektive Steuerung der Bodennutzung zu ermöglichen und der Gefahr von Bodenspekulationen entgegenzuwirken. Ein Kaufvertrag über ein Grundstück innerhalb des Entwicklungsgebiets ist der Gemeinde anzuzeigen; sie hat dann regelmäßig zwei Monate Zeit, ihr Vorkaufsrecht auszuüben. Die Ausübung ist an bestimmte Voraussetzungen gebunden, etwa die Sicherstellung der Verwirklichung der städtebaulichen Ziele. Das Vorkaufsrecht wird nicht ausgeübt, wenn der Erwerber bereit ist, eine vertragliche Verpflichtung zur Mitwirkung an der Entwicklung zu übernehmen. Nutzen die Gemeinden ihr Recht, tritt sie zu den im Kaufvertrag vereinbarten Bedingungen in das Geschäft ein.

Welche Rechtsbehelfe stehen Betroffenen gegen Maßnahmen der städtebaulichen Entwicklung zur Verfügung?

Betroffene Grundstückseigentümer und sonstige Berechtigte können gegen die die Entwicklungsmaßnahme betreffenden Verwaltungsakte (z.B. Festlegungsbeschluss, Enteignung, Anordnungen zur Nutzungseinschränkung) grundsätzlich Rechtsbehelfe nach Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsgerichtsordnung einlegen. Gegen den Festlegungsbeschluss der Gemeinde ist insbesondere die Anfechtungsklage vor dem zuständigen Verwaltungsgericht zulässig. Wird eine Enteignung angeordnet, können die Betroffenen Widerspruch bei der Enteignungsbehörde einlegen und im Anschluss die Entscheidung gerichtlich überprüfen lassen. Auch bei verweigerter Genehmigung von Maßnahmen im Entwicklungsgebiet oder bei Streit über die Höhe einer Entschädigungsleistung stehen Rechtsmittel sowie gegebenenfalls die Möglichkeit eines gerichtlichen Klageverfahrens offen. Die Verfahrensgestaltung richtet sich dabei nach den spezialgesetzlichen Vorschriften des BauGB sowie den allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzen.

Wie erfolgt die Beendigung einer städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme rechtlich?

Die Beendigung einer städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme erfolgt durch einen förmlichen Aufhebungsbeschluss der Gemeinde einschließlich öffentlicher Bekanntmachung. Voraussetzung für die Aufhebung ist, dass die städtebaulichen Ziele der Entwicklung vollständig oder in einem abgrenzbaren Teilgebiet erreicht wurden. Nach Beendigung der Maßnahme entfallen die besonderen rechtlichen Instrumentarien, wie Vorkaufsrecht und Genehmigungspflichten innerhalb des Entwicklungsgebiets. Die Gemeinde hat eine abschließende Abrechnung vorzunehmen, dabei sind insbesondere Ausgleichsleistungen, Rückübertragungsansprüche und ggf. noch offene Entschädigungsfragen zu regeln. Auch gegen den Aufhebungsbeschluss können Betroffene verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen.