Begriff und rechtliche Grundlagen der Stabilisierungsanordnung
Die Stabilisierungsanordnung ist ein zentrales Instrument des Sanierungs- und Insolvenzrechts in Deutschland und gewinnt insbesondere im Zusammenhang mit dem Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG) an praktischer Bedeutung. Sie bietet Unternehmen in einer drohenden Krise die Möglichkeit, gerichtliche Maßnahmen zum Schutz ihrer Sanierungsbemühungen in Anspruch zu nehmen, ohne ein reguläres Insolvenzverfahren eröffnen zu müssen. Ziel der Stabilisierungsanordnung ist es, Maßnahmen der Gläubigerdurchsetzung zeitweise zu hemmen und so die Umsetzung eines Restrukturierungsplans zu ermöglichen.
Definition der Stabilisierungsanordnung
Die Stabilisierungsanordnung bezeichnet nach § 49 StaRUG eine vorläufige gerichtliche Verfügung, mit der einzelne oder sämtliche Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen ein Unternehmen während der Umsetzung eines Restrukturierungsplans untersagt werden können. Sie kann auch die Verwertung von Sicherheiten oder die Kündigung wesentlicher Verträge vorübergehend unterbinden. Die Anordnung stellt somit ein gerichtliches Moratorium dar, das die Rechte der Gläubiger zum Zwecke der erfolgreichen Sanierung des Schuldners vorübergehend beschränkt.
Rechtlicher Rahmen
Gesetzliche Grundlage
Die Stabilisierungsanordnung ist im Wesentlichen im Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG) geregelt. Das StaRUG trat zum 1. Januar 2021 in Kraft und implementiert die Vorgaben der Richtlinie (EU) 2019/1023 über präventive Restrukturierungsrahmen in deutsches Recht. Die Vorschriften zur Stabilisierungsanordnung finden sich insbesondere in § 49 ff. StaRUG.
Voraussetzungen für die Anordnung
Zu den zentralen Voraussetzungen einer Stabilisierungsanordnung zählen:
- Restrukturierungsplan: Der Schuldner muss einen Restrukturierungsplan vorbereiten oder bereits eingereicht haben.
- Drohende Zahlungsunfähigkeit: Eine Zahlungsunfähigkeit darf noch nicht eingetreten, aber zumindest drohend sein (§ 18 InsO).
- Gerichtliche Antragstellung: Die Anordnung erfolgt nur auf Antrag des Schuldners beim zuständigen Restrukturierungsgericht.
- Beeinträchtigung der Sanierung ohne Anordnung: Es muss glaubhaft gemacht werden, dass ohne die Anordnung die Restrukturierung erheblich erschwert oder verhindert würde.
Umfang der Anordnung
Die Reichweite der Stabilisierungsanordnung kann sich nach dem Antrag des Schuldners richten:
- Sie kann auf einzelne Gläubiger, bestimmte Gläubigergruppen, einzelne Vermögensgegenstände oder auf das gesamte Unternehmen Bezug nehmen.
- Die Anordnung kann folgende Maßnahmen untersagen:
– Vollstreckungsmaßnahmen (z.B. Pfändungen, Zwangsversteigerungen)
– Verwertung von Sicherheiten
– Kündigungen von Verträgen durch Gläubiger
Verfahren der Stabilisierungsanordnung
Antragstellung und Gerichtsbeschluss
Der Schuldner stellt beim Restrukturierungsgericht einen Antrag auf Erlass der Stabilisierungsanordnung. Dem Antrag sind nach § 50 StaRUG verschiedene Unterlagen, insbesondere ein Restrukturierungskonzept und Nachweise zur drohenden Zahlungsunfähigkeit, beizufügen. Das Gericht prüft in einem summarischen Verfahren die Zulässigkeit und die Erfolgsaussichten des Restrukturierungsvorhabens.
Nach Prüfung erlässt das Gericht die Stabilisierungsanordnung durch Beschluss, der öffentlich bekannt gemacht werden kann und gegenüber den betroffenen Gläubigern sofort wirksam ist.
Dauer und Aufhebung
Die Stabilisierungsanordnung ist grundsätzlich befristet. Die maximale Dauer beträgt nach § 53 StaRUG drei Monate, eine Verlängerung um weitere drei Monate ist unter bestimmten Umständen möglich. Auf Antrag des Schuldners oder eines betroffenen Gläubigers kann das Gericht die Anordnung aufheben, wenn die Voraussetzungen entfallen oder die Gläubigerinteressen schwerwiegend beeinträchtigt werden.
Wirkungen der Stabilisierungsanordnung
Auswirkungen auf Gläubigerrechte
Während der Geltungsdauer der Stabilisierungsanordnung sind die betroffenen Gläubiger in der Durchsetzung ihrer Ansprüche erheblich beschränkt.
- Es dürfen keine neuen Vollstreckungsmaßnahmen eingeleitet oder fortgesetzt werden.
- Sicherungsrechte können nicht verwertet werden, sofern sie von der Anordnung erfasst sind.
- Auch das Kündigungsrecht in Bezug auf wesentliche Geschäftsbeziehungen kann für einen begrenzten Zeitraum ausgeschlossen werden.
Schutz des Schuldners
Die Stabilisierungsanordnung schützt das Unternehmen während der Restrukturierungsverhandlungen vor Zersplitterung der Vermögenssubstanz und sichert den Fortbestand betriebsnotwendiger Verträge.
Ausnahmefälle
Bestimmte Forderungen, insbesondere Lohnansprüche oder öffentlich-rechtliche Forderungen, unterliegen teilweise besonderen Regelungen und können von der Stabilisierungsanordnung ausgenommen sein.
Abgrenzung zu anderen rechtlichen Instrumenten
Abgrenzung zur Insolvenzordnung
Im Unterschied zum Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO handelt es sich bei der Stabilisierungsanordnung um eine Maßnahme außerhalb des Insolvenzverfahrens. Sie ermöglicht eine Sanierung in Eigenregie auf Basis des Restrukturierungsplans im präventiven StaRUG-Verfahren, ohne die mit der Einleitung eines Insolvenzverfahrens verbundenen Auswirkungen wie Insolvenzreife und Insolvenzverfahrenseröffnung.
Verhältnis zu anderen Maßnahmen des StaRUG
Die Stabilisierungsanordnung ist von der gerichtlichen Bestätigung des Restrukturierungsplans (§ 74 ff. StaRUG) sowie anderen begleitenden gerichtlichen Maßnahmen (z.B. Planabstimmung, Planbestätigung) zu unterscheiden, kann aber mit diesen kombiniert werden.
Rechtsfolgen bei Verstößen
Verstöße gegen die Stabilisierungsanordnung sind unwirksam. Rechtsgeschäfte oder Zwangsmaßnahmen, die während des Moratoriums entgegen der Anordnung durchgeführt werden, können rechtlich rückabgewickelt werden. Das Gericht kann zudem Zwangsmittel zur Durchsetzung der Anordnung verhängen.
Zusammenfassung
Die Stabilisierungsanordnung ist ein maßgebliches Schutzinstrument im präventiven Restrukturierungsrahmen des StaRUG und verfolgt das Ziel, Sanierungsvorhaben anzustoßen, bevor ein Insolvenzverfahren unumgänglich wird. Sie ermöglicht es Unternehmen, Gläubigermaßnahmen zeitlich befristet abzuwehren, fördert damit die nachhaltige Sanierung und trägt zum Erhalt gefährdeter Unternehmen bei. Die Anwendung setzt eine sorgfältige Abwägung der Interessenslagen und die strikte Einhaltung gesetzlicher Voraussetzungen voraus.
Häufig gestellte Fragen
Wer ist berechtigt, eine Stabilisierungsanordnung zu beantragen?
Zur Antragstellung für eine Stabilisierungsanordnung sind nach deutschem Restrukturierungsrecht ausschließlich der Schuldner selbst – in der Praxis typischerweise das Unternehmen bzw. der Geschäftsleiter – berechtigt. Gläubiger oder sonstige Dritte sind nicht befugt, einen solchen Antrag zu stellen. Die Antragstellung setzt voraus, dass der Schuldner drohend zahlungsunfähig im Sinne des § 18 InsO ist, aber noch nicht zahlungsunfähig (§ 17 InsO) oder überschuldet (§ 19 InsO). Der entsprechende Antrag ist beim zuständigen Restrukturierungsgericht, in der Regel dem Amtsgericht als Restrukturierungsgericht, zu stellen. Im Antrag sind die notwendigen Angaben zu machen, insbesondere zur Notwendigkeit und dem Umfang der Stabilisierungsanordnung sowie zur betroffenen Gläubigergruppe.
Auf welche Forderungen erstreckt sich eine Stabilisierungsanordnung?
Die Stabilisierungsanordnung kann sich nur auf solche Forderungen beziehen, die von dem Restrukturierungsplan umfasst sind. Von den Wirkungen ausgenommen sind Forderungen aus Arbeitsverhältnissen, aus deliktischen Handlungen sowie gegenüber Verbrauchern, sofern das Unternehmen ein Verbraucherinsolvenzverfahren betreffendes Schuldner ist. Sie kann unterschiedliche Wirkungen entfalten hinsichtlich gesicherter und ungesicherter Forderungen, und insbesondere Aus- und Absonderungsrechte können eingeschränkt werden. Forderungen, die nicht von der Restrukturierung umfasst sind, bleiben außen vor und unterliegen nicht der Stabilisierungswirkung.
Welche Wirkungen entfaltet eine Stabilisierungsanordnung?
Eine Stabilisierungsanordnung bewirkt insbesondere einen temporären Schutz des Schuldners vor Vollstreckungsmaßnahmen der betroffenen Gläubiger. Das beinhaltet sowohl Individual- als auch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen. Außerdem können Sicherungsrechte, wie etwa Pfandrechte oder Sicherungsabtretungen, in ihrem Verwertungsrecht beschränkt werden. Ferner wird für die von der Stabilisierungsanordnung betroffenen Forderungen grundsätzlich ein Verbot neuer Sicherheiten begründet. Die Wirkungen sind zeitlich befristet und gelten für die Dauer der Stabilisierungsanordnung, welche das Gericht anordnet und regelmäßig auf maximal drei Monate beschränkt (§ 56 StaRUG).
Gibt es Ausschluss- oder Beschränkungsgründe bei der Anordnung?
Ja, das Gesetz sieht explizit Ausschluss- und Beschränkungsgründe vor. Die Stabilisierungsanordnung darf insbesondere nicht ergehen, wenn Aussichtslosigkeit der Sanierung festgestellt wird oder der Antrag missbräuchlich gestellt wurde. Zudem ist die Anordnung auf das erforderliche Maß zu begrenzen, das zur Vorbereitung oder Durchführung des Restrukturierungsplans notwendig ist. Gläubiger, deren Rechte betroffen sind, müssen im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens angehört werden, und ihre berechtigten Interessen sind zu berücksichtigen.
Welche Mitwirkungs- und Offenlegungspflichten hat der Schuldner im Verfahren?
Der Schuldner ist zu umfangreichen Mitwirkungs- und Offenlegungspflichten verpflichtet. Er muss dem Gericht alle relevanten Tatsachen und Unterlagen, insbesondere eine aktuelle Vermögensübersicht, Gläubigerlisten, eine Maßnahmenplanung und weitere sachdienliche Unterlagen vorlegen. Werden unvollständige oder unrichtige Angaben gemacht, kann dies zur Ablehnung oder Aufhebung der Stabilisierungsanordnung führen. Ferner ist der Schuldner verpflichtet, jede wesentliche Veränderung in den Vermögensverhältnissen umgehend anzuzeigen.
Wie wird die Dauer der Stabilisierungsanordnung festgelegt und kann sie verlängert werden?
Die Dauer der Stabilisierungsanordnung ist vom Gericht festzulegen und darf grundsätzlich eine Dauer von drei Monaten nicht überschreiten. In Ausnahmen kann sie verlängert werden, jedoch insgesamt höchstens auf acht Monate (§ 55 Abs. 2 Satz 2 StaRUG). Voraussetzung für die Verlängerung ist, dass das Restrukturierungsziel weiterverfolgt wird und eine Aussicht auf Sanierung weiterhin besteht. Das Gericht prüft zudem regelmäßig, ob die Voraussetzungen für die Fortdauer der Anordnung noch gegeben sind.
Welche Rechtsmittel stehen gegen eine Stabilisierungsanordnung zur Verfügung?
Gegen die Stabilisierungsanordnung können die betroffenen Gläubiger Beschwerde nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung (§ 567 ff. ZPO) in Verbindung mit den besonderen Regelungen des Restrukturierungsverfahrens einlegen. Das Gericht überprüft sodann im Beschwerdeverfahren die Rechtmäßigkeit der erlassenen Anordnung, insbesondere ob die gesetzlichen Voraussetzungen korrekt eingehalten wurden. Gegen ablehnende Beschlüsse ist grundsätzlich ebenfalls die sofortige Beschwerde statthaft.
Was passiert nach Aufhebung oder Ablauf der Stabilisierungsanordnung?
Nach Aufhebung oder Ablauf der Stabilisierungsanordnung fallen die ausstehenden Beschränkungen weg, und die Gläubiger können ihre Rechte – insbesondere Vollstreckungsmaßnahmen – wieder geltend machen, soweit keine anderweitigen, weiterhin wirksamen Regelungen, etwa im Rahmen eines bereits verabschiedeten Restrukturierungsplans, greifen. Sollte eine nochmalige Antragstellung notwendig werden, sind die gesetzlichen Voraussetzungen erneut stringent zu prüfen und das Verfahren neu zu beantragen. Der Ablauf einer Stabilisierungsanordnung hat keine materiell-rechtliche Tilgungswirkung, sondern stellt nur eine temporäre Unterbrechung der Durchsetzungsmöglichkeiten dar.