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Sollbesteuerung


Begriff und Wesen der Sollbesteuerung

Die Sollbesteuerung ist ein zentraler Begriff im deutschen Steuerrecht und bezeichnet eine besondere Art der Umsatzbesteuerung. Im Unterschied zur Istbesteuerung, bei der die Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten abgeführt wird, werden bei der Sollbesteuerung Umsätze bereits bei Leistungs- oder Rechnungsstellung steuerlich erfasst – unabhängig vom tatsächlichen Zeitpunkt des Zahlungseingangs. Die Besteuerung erfolgt somit nach vereinbarten Entgelten.

Gesetzliche Grundlagen der Sollbesteuerung

Umsatzsteuergesetz (UStG)

Die rechtlichen Regelungen zur Sollbesteuerung finden sich in § 16 Abs. 1 Satz 1 Umsatzsteuergesetz (UStG). Dort heißt es:

„Der Unternehmer hat die Steuer nach vereinbarten Entgelten (Sollbesteuerung) zu berechnen.“

Für die Sollbesteuerung ist also grundsätzlich maßgebend, wann die Leistung erbracht beziehungsweise die Rechnung gestellt wurde. Der Zahlungszeitpunkt ist nicht entscheidend.

Bedeutung der Sollbesteuerung im Steuersystem

Die Sollbesteuerung ist der Regelfall in Deutschland. Die Abkehr hiervon bedarf einer ausdrücklichen Genehmigung der Finanzbehörde und ist nur unter bestimmten Voraussetzungen, insbesondere bei kleinen Unternehmen (§ 20 UStG), möglich (Istbesteuerung).

Voraussetzungen und Anwendung der Sollbesteuerung

Anwendungsbereich

Die Sollbesteuerung betrifft alle Unternehmer, die nicht gemäß § 20 UStG auf Antrag zur Istbesteuerung berechtigt sind. Sie wird insbesondere bei Unternehmen mit regelmäßig hohen Umsätzen angewendet, bei denen eine Steuerabführung unabhängig von tatsächlichen Einnahmen zumutbar ist.

Steuerliche Behandlung

Der Steueranspruch entsteht bei der Sollbesteuerung bereits mit Ausführung der Lieferung oder sonstigen Leistung. Maßgebend sind das Leistungsdatum und die Ausstellung der Rechnung.

Beispiel: Ein Unternehmen liefert am 10. April Ware an einen Kunden. Die Rechnung stellt es am 12. April aus. Der Zahlungseingang erfolgt am 20. Mai. Die Umsatzsteuer entsteht bereits mit der Rechnungsstellung im April, unabhängig vom Zahlungseingang im Mai.

Auswirkungen auf den Vorsteuerabzug

Beim Vorsteuerabzug besteht kein Unterschied zwischen Soll- und Istbesteuerung. Der Vorsteuerabzug steht dem Unternehmer grundsätzlich zu, sobald ihm eine ordnungsgemäße Rechnung vorliegt (§ 15 UStG).

Erfassung in der Buchhaltung

In der Buchführung wird bei der Sollbesteuerung ein zeitlicher Gleichlauf mit der Leistungs- und Rechnungsstellung hergestellt. Die Umsatzsteuervoranmeldung und -erklärung sind nach den vereinbarten Entgelten vorzunehmen.

Abgrenzung: Soll- und Istbesteuerung

Die Istbesteuerung nach § 20 UStG erlaubt Unternehmen mit einem Jahresumsatz bis zu 600.000 Euro (Stand 2024), die Umsatzsteuer erst abzuführen, wenn der Kunde tatsächlich bezahlt hat. Die Sollbesteuerung hingegen ist die gesetzliche Regel: Sie findet immer dann Anwendung, wenn keine Genehmigung zur Istbesteuerung vorliegt.

Vergleich in der Praxis:
| Kriterium | Sollbesteuerung | Istbesteuerung |
|————————–|—————————-|———————–|
| Steuererhebung | bei Leistung/Rechnung | bei Zahlungseingang |
| Liquiditätsbelastung | höher | geringer |
| Zulässigkeit | Regelfall | auf Antrag, bei kleinen Unternehmen |

Besondere Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Sollbesteuerung

Steuerentstehung und Zahlungsverzug

Für die Liquiditätslage von Unternehmen ist die Sollbesteuerung mitunter problematisch, da die Steuer auch dann abgeführt werden muss, wenn die Kundenzahlung ausbleibt oder verzögert ist. Es entstehen daher in der Praxis Fragen zur Forderungsausbuchung und zur steuerlichen Behandlung uneinbringlicher Forderungen. In diesen Fällen kann gemäß § 17 UStG eine Berichtigung der Umsatzsteuer erfolgen.

Insolvenzrechtliche Implikationen

Bei Insolvenz eines Kunden muss die Umsatzsteuer auf Forderungen abgeführt werden, auch wenn diese im Insolvenzverfahren nicht mehr vereinnahmt werden. Erst bei endgültigem Forderungsausfall können Berichtigungen nach § 17 UStG vorgenommen werden.

Besonderheiten bei Anzahlungen und Teilleistungen

Auch Anzahlungen und Teilleistungen unterliegen der Sollbesteuerung. Die Umsatzsteuer entsteht hier bereits bei Vereinnahmung der Anzahlung oder bei Ausführung der Teilleistung (§ 13 Abs. 1 Nr. 1a und 1b UStG).

Dokumentations- und Mitwirkungspflichten der Unternehmen

Buchführungspflichten

Unternehmen, die der Sollbesteuerung unterliegen, sind verpflichtet, die zur Steuerberechnung nötigen Angaben zeitnah und nachvollziehbar zu dokumentieren. Die Buchführung muss eine eindeutige Zuordnung der Umsätze zu dem jeweiligen Besteuerungszeitraum ermöglichen.

Mitwirkung bei Steuerprüfungen

Im Rahmen von Betriebsprüfungen müssen Geschäftsvorfälle, Rechnungen und Leistungserbringungen klar erkennbar und prüfbar sein, um der Finanzverwaltung eine Verifikation der Umsatzsteuervoranmeldung zu ermöglichen.

Internationale Perspektive

Die Sollbesteuerung findet nicht nur im deutschen, sondern auch im europäischen Umsatzsteuerrecht Anwendung. Nach Art. 63 der Mehrwertsteuersystem-Richtlinie (MwStSystRL) entsteht die Steuerpflicht bei Lieferung von Gegenständen oder Dienstleistungen grundsätzlich mit deren Ausführung.

Reformdiskussionen und aktuelle Entwicklungen

Erleichterungen für kleine Unternehmen

In den letzten Jahren wurde die Anhebung der Umsatzgrenzen für die Istbesteuerung mehrfach diskutiert, um kleineren Unternehmen den Verwaltungsaufwand und das Liquiditätsrisiko der Sollbesteuerung zu ersparen.

Digitalisierung und Automatisierung

Im Zuge der Digitalisierung ergeben sich für die Umsetzung und Kontrolle der Sollbesteuerung neue Herausforderungen und Chancen bei der Automatisierung von Buchhaltungsprozessen und der Synchronisation von Leistungs-, Rechnungs- und Zahlungsdaten.

Fazit

Die Sollbesteuerung ist als Standardverfahren der deutschen Umsatzsteuer von zentraler Bedeutung für das Steueraufkommen und die Steuerverwaltung. Sie verpflichtet steuerpflichtige Unternehmen zur frühzeitigen Abführung der Umsatzsteuer unabhängig von tatsächlichen Zahlungseingängen. Dies stellt insbesondere für Unternehmen mit langen Zahlungszielen eine Herausforderung dar, ist jedoch unerlässlich für die Effektivität der Steuererhebung. Aufgrund ihrer Komplexität und Folgewirkungen bedarf es einer sorgfältigen Buchführung und Überwachung der Geschäftsvorfälle, um eine ordnungsgemäße Besteuerung sicherzustellen. Die Sollbesteuerung bleibt damit ein wesentliches Element des deutschen und europäischen Steuerrechts.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen für die Anwendung der Sollbesteuerung nach deutschem Umsatzsteuerrecht erfüllt sein?

Die Anwendung der Sollbesteuerung im Sinne des deutschen Umsatzsteuerrechts ist grundsätzlich für alle Unternehmer verpflichtend, es sei denn, sie erfüllen die Voraussetzungen für eine Ausnahmegenehmigung zur Istbesteuerung (§ 20 UStG). Voraussetzung ist, dass der Unternehmer nach § 16 Abs. 1 Satz 1 UStG seine Umsätze nach vereinbarten Entgelten – also nach der sogenannten Sollbesteuerung – zu versteuern hat. Diese Verpflichtung greift unabhängig von der Unternehmensgröße, der gewählten Gewinnermittlungsart im Einkommensteuerrecht oder der Branche. Lediglich kleine Unternehmen, Freiberufler und land- und forstwirtschaftliche Betriebe, die bestimmte Umsatzgrenzen nach § 20 UStG nicht überschreiten, können auf Antrag die Istbesteuerung wählen. Ein Antrag auf Istbesteuerung ist bei dem zuständigen Finanzamt zu stellen und wird nur gewährt, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Wichtig ist, dass bei der Sollbesteuerung die Umsatzsteuer bereits mit der Ausführung der Leistung bzw. Lieferung entsteht und nicht erst bei Zahlungseingang. Dies ist insbesondere bei der Rechnungsstellung und der zeitlichen Erfassung der Umsätze zu berücksichtigen. Besondere Regelungen gelten beispielsweise im Baugewerbe oder bei langfristigen Fertigungsaufträgen, die im Einzelfall zu beachten sind.

Welche Folgen ergeben sich bei Fehlern in der Anwendung der Sollbesteuerung aus rechtlicher Sicht?

Fehler bei der Anwendung der Sollbesteuerung können erhebliche steuerliche und rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Wird beispielsweise fälschlicherweise nach vereinnahmten Entgelten (Istbesteuerung) versteuert, obwohl die Sollbesteuerung verpflichtend wäre, entsteht eine Vorenthaltung von Umsatzsteuer im Sinne des § 370 AO (Abgabenordnung) – dies kann steuerstrafrechtliche Konsequenzen bis hin zur Steuerhinterziehung haben. Die Finanzbehörden sind in solchen Fällen berechtigt, die zu wenig entrichtete Umsatzsteuer zuzüglich Zinsen gemäß § 233a AO nachzufordern. Ebenso können sie Säumniszuschläge und, bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz, Geldbußen verhängen. Zudem sind Betriebsprüfer angehalten, im Zuge steuerlicher Außenprüfungen die korrekte Besteuerungsart genau zu untersuchen. Die korrekte zeitliche Zuordnung der Umsatzsteuer ist in der Buchführung dokumentationspflichtig und kann bei fehlenden oder fehlerhaften Aufzeichnungen zum Verlust des Vorsteuerabzugs führen. Im Falle einer Umstellung von der Ist- auf die Sollbesteuerung ist auf eine sorgfältige Übergangsregelung zu achten, um zeitliche und rechnerische Doppelbesteuerung oder Nichtbesteuerung von Umsätzen zu vermeiden.

Welche Besonderheiten müssen bei der Übergabe eines Unternehmens hinsichtlich der Sollbesteuerung beachtet werden?

Beim Unternehmenskauf beziehungsweise bei einer Betriebsübergabe ergeben sich aus Sicht der Sollbesteuerung mehrere rechtliche Aspekte. Zunächst bleibt die Besteuerungsart im Regelfall weiterhin bestehen, sofern kein Antrag auf Wechsel gestellt wird. Entscheidend ist jedoch, dass noch nicht vereinnahmte, aber bereits versteuerte Umsätze beim Veräußerer ordnungsgemäß erfasst und versteuert werden. Der Rechtsnachfolger ist verpflichtet, offene Forderungen und damit verbundene Umsatzsteuerkorrekturen gemäß §§ 16, 17 UStG weiterhin zu berücksichtigen. Bei einer Betriebsübertragung nach § 25 UStG (Geschäftsveräußerung im Ganzen) tritt der Erwerber in die umsatzsteuerlichen Rechte und Pflichten des Veräußerers ein, was auch bestehende Sollversteuerungs- und Abrechnungspflichten umfasst. Übergangsvorschriften sowie die Abstimmung mit dem zuständigen Finanzamt sind erforderlich, um eine lückenlose Umsatzbesteuerung und eine korrekte Abführung der Steuerbeträge sicherzustellen.

Welche Aufzeichnungs- und Nachweispflichten bestehen für Unternehmer bei der Sollbesteuerung?

Im Rahmen der Sollbesteuerung sind Unternehmer gesetzlich verpflichtet, sämtliche vereinbarten Entgelte zum Zeitpunkt der Leistungserbringung exakt und nachvollziehbar aufzuzeichnen. Gemäß § 22 UStG und der dazugehörigen Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) ist eine fortlaufende, chronologische Erfassung sämtlicher Ausgangsrechnungen vorzunehmen. Dabei sind das Leistungsdatum, die Höhe sowie der Steuerbetrag einzeln aufzuführen. Die Aufzeichnungen müssen so beschaffen sein, dass sie eine Überprüfung der Besteuerungsgrundlagen durch das Finanzamt jederzeit ermöglichen. Für jede ausgestellte Rechnung ist der Nachweis sowohl über die Leistungserbringung als auch über den Zeitpunkt des Entstehens der Steuerschuld zu führen. Die Aufbewahrungspflichten betragen nach § 147 AO zehn Jahre. Bei Verstößen gegen diese Pflichten drohen Nichtanerkennung von Betriebsausgaben, Schätzungen, Versagung des Vorsteuerabzugs oder steuerliche Sanktionen.

Welche Abgrenzung existiert zwischen der Sollbesteuerung bei grenzüberschreitenden Leistungen und nationalen Umsätzen?

Aus rechtlicher Sicht ist die Sollbesteuerung auch bei grenzüberschreitenden Leistungen maßgeblich, wobei hier die Besonderheiten der Leistungsortbestimmung (§§ 3a, 3b UStG) sowie die europarechtlichen Vorgaben aus der Mehrwertsteuersystemrichtlinie zu berücksichtigen sind. Die Steuerschuld entsteht bei innergemeinschaftlichen Lieferungen, Exporten oder Leistungen an ausländische Unternehmer ebenfalls mit Vollendung der Leistung unabhängig vom Zahlungsfluss. Allerdings sind besondere Dokumentations- und Nachweispflichten (§ 6a UStG, Gelangensbestätigung, Zusammenfassende Meldung) einzuhalten. Für bestimmte Ausfuhrlieferungen ist die Steuerbefreiung an zusätzliche Nachweisvorgaben geknüpft, bei deren Fehlen die Umsatzsteuerpflicht nach dem Zeitpunkt der Leistungserbringung nach Sollprinzip entstehen kann. Die durch EU-Recht vorgeschriebene Harmonisierung führt im Ergebnis dazu, dass auch auf grenzüberschreitender Ebene die Sollbesteuerung in der Regel dem deutschen Umsatzsteuerrecht entspricht, wobei branchenspezifische Regelungen zu beachten sind.

Wie wirkt sich die Sollbesteuerung auf den Vorsteuerabzug nach rechtlichen Vorschriften aus?

Die Sollbesteuerung hat direkte Auswirkungen auf den Vorsteuerabzug, der sich ebenfalls nach der Leistungs- beziehungsweise Rechnungslegung richtet. Im Regelfall ist der Vorsteuerabzug nach § 15 UStG zulässig, sobald eine ordnungsgemäße Rechnung gemäß § 14 UStG vorliegt und der Leistungsbezug erfolgt ist. Im Rahmen der Sollbesteuerung muss der Unternehmer die Vorsteuer selbst dann ziehen, wenn die Eingangsrechnung noch nicht beglichen wurde. Voraussetzung ist jedoch stets der Leistungserhalt und die Rechnungsstellung; reine Anzahlungen oder Vorauszahlungen sind hiervon zu unterscheiden. Bei korrektem Rechnungswesen und Einhaltung der Aufzeichnungspflichten entsteht der Anspruch auf Vorsteuerabzug unabhängig vom Zahlungsfluss und ist stets im Steuerentstehungszeitraum der Leistungserbringung zu berücksichtigen. Verstöße oder Fehler in diesem Zusammenhang können zu steuerlichen Nachforderungen sowie Versagung der Vorsteuer führen.