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Sofortmaßnahmen am Unfallort


Begriff und Bedeutung der Sofortmaßnahmen am Unfallort

Sofortmaßnahmen am Unfallort bezeichnen alle unmittelbar nach einem Unfall von den anwesenden Personen durchzuführenden Handlungen zur Schadensbegrenzung, Gefahrabwehr und Erster Hilfe. Diese Maßnahmen sind sowohl im deutschen Straßenverkehrsrecht als auch im allgemeinen Zivil- und Strafrecht von essentieller Bedeutung. Sie dienen dem Schutz von Leben und Gesundheit beteiligter Personen sowie der Sicherung von Beweismitteln und der Verhinderung weiterer Schäden.


Rechtlicher Rahmen der Sofortmaßnahmen am Unfallort

Verkehrsunfall: Pflichten der Beteiligten

Die Verpflichtung zur Vornahme von Sofortmaßnahmen ergibt sich hauptsächlich aus § 34 Straßenverkehrsordnung (StVO) sowie aus den einschlägigen Vorschriften des Strafgesetzbuches (StGB), des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) und dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG).

§ 34 StVO – Verhalten nach einem Verkehrsunfall

Gemäß § 34 Abs. 1 StVO hat jeder Unfallbeteiligte:

  • unverzüglich anzuhalten,
  • den Unfallort zu sichern,
  • Verletzten Hilfe zu leisten,
  • den Austausch der Personalien zu ermöglichen sowie
  • die Feststellung der Unfallfolgen und des Unfallhergangs zu ermöglichen.

Unfallbeteiligter ist nicht nur der Unfallverursacher, sondern jeder, dessen Verhalten nach den Umständen zur Verursachung des Unfalls beigetragen haben kann.

§ 323c StGB – Unterlassene Hilfeleistung

Nach § 323c StGB ist es strafbar, keine Hilfe zu leisten, obwohl dies erforderlich, den Beteiligten zumutbar und ohne erhebliche eigene Gefahr oder Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich wäre. Daraus ergibt sich auch für Außenstehende (beispielsweise zufällig anwesende Verkehrsteilnehmer) die Pflicht, in angemessenem Umfang Sofortmaßnahmen einzuleiten.


Umfang und Qualität der Sofortmaßnahmen

Arten von Sofortmaßnahmen

Absichern der Unfallstelle

  • Einschalten der Warnblinkanlage
  • Aufstellen eines Warndreiecks (empfohlener Abstand: innerorts 50 m, außerorts 100 m, auf Autobahnen 150-400 m)
  • Warnen weiterer Verkehrsteilnehmer

Leistung von Erster Hilfe

  • Überprüfung von Bewusstsein und Atmung
  • Stillen von Blutungen
  • Seitenlagerung bei Bewusstlosigkeit
  • Herbeirufen des Rettungsdienstes (Notruf 112)

Die zumutbare Erste Hilfe richtet sich nach den eigenen Fähigkeiten und dem Stand der Ersten-Hilfe-Ausbildung.

Sicherung von Beweismitteln

  • Fotodokumentation der Unfallstelle und der Fahrzeuge
  • Festhalten von Zeugen
  • Notieren von Uhrzeit, Wetter- und Sichtverhältnissen

Durchführung weiterer erforderlicher Maßnahmen

  • Bei Gefahrgutunfällen: Absicherung und Information der zuständigen Behörden
  • Einleitung technischer Maßnahmen zur Verhinderung weiterer Schäden (beispielsweise Abschaltung der Zündung, Sicherung von auslaufenden Betriebsstoffen)

Zumutbarkeit und Grenzen der Mitwirkung

Die Verpflichtung zur Vornahme von Sofortmaßnahmen besteht nur insoweit, als den Betreffenden keine erhebliche eigene Gefahr oder andere wichtige Pflichten entgegenstehen. So ist beispielsweise ein Versuch zur Rettung aus einem brennenden Auto nur im Rahmen der eigenen körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit geboten.


Rechtliche Folgen unterlassener Sofortmaßnahmen

Strafrechtliche Konsequenzen

Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB)

Das sogenannte „Unfallflucht“ oder „Fahrerflucht“ ist strafbar. Alle Unfallbeteiligten müssen zwecks Aufnahme der Personalien und Klärung des Sachverhalts am Unfallort verbleiben und die nötigen Sofortmaßnahmen treffen.

Unterlassene Hilfeleistung (§ 323c StGB)

Die vorsätzliche oder fahrlässige Verletzung der Hilfeleistungspflicht wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe geahndet.

Zivilrechtliche Konsequenzen

Die Verletzung der Sofortmaßnahmenpflichten kann zum Verlust des Versicherungsschutzes nach dem Pflichtversicherungsgesetz (PflVG) führen. Zudem ist eine eintrittspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherung im Regressfall berechtigt, vom Unfallverursacher einen Teil der Aufwendungen zurückzufordern.

Ordnungswidrigkeitenrechtliche Sanktionen

Neben strafrechtlichen Sanktionen kann das Unterlassen von Sofortmaßnahmen auch als Ordnungswidrigkeit nach dem OWiG geahndet werden, was Bußgelder und Fahrverbote nach sich ziehen kann.


Besondere Konstellationen und Ausnahmen

Pflichten Unbeteiligter

Auch Passanten und andere Verkehrsteilnehmer können verpflichtet sein, Sofortmaßnahmen zu ergreifen, insbesondere im Hinblick auf die Leisten von Erster Hilfe, sofern dies zumutbar und ohne erhebliche Eigengefahr möglich ist.

Kollision mit Tieren und Wildunfälle

Auch bei Wildunfällen besteht die Pflicht, die Unfallstelle zu sichern und die zuständigen Behörden zu informieren. Das bloße Entfernen stellt ebenfalls eine Ordnungswidrigkeit oder Straftat dar.

Sonderregelungen im Wirtschafts- und Arbeitsrecht

Im Rahmen von Betriebsunfällen schreibt das Sozialgesetzbuch VII (SGB VII) vor, dass Mitarbeiter zur Leistung von Sofortmaßnahmen und Erster Hilfe verpflichtet sein können. Unternehmer sind für die Organisation entsprechender Vorkehrungen verantwortlich.


Literaturhinweise und weiterführende Vorschriften

Zu den maßgeblichen Gesetzestexten und Kommentaren gehören:

  • Straßenverkehrsordnung (StVO)
  • Strafgesetzbuch (StGB)
  • Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
  • Pflichtversicherungsgesetz (PflVG)
  • Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG)
  • Sozialgesetzbuch VII (SGB VII)

Zusammenfassung

Sofortmaßnahmen am Unfallort sind elementare Handlungen, die aus Gründen des Schutzes von Leben, Gesundheit und Sachwerten von allen Unfallbeteiligten, aber auch von Unbeteiligten im Notfall, erbracht werden müssen. Sie sind durch ein dichtes Netz gesetzlicher Vorschriften geregelt und unterliegen strengen Anforderungen bezüglich Umfang, Art und Zumutbarkeit. Ihre Missachtung führt zu strafrechtlichen, zivilrechtlichen und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Konsequenzen. Besonders im Straßenverkehr sowie im Arbeitsrecht sind diese Maßnahmen von zentraler Bedeutung und erfordern hohe Aufmerksamkeit und Handlungskompetenz im Notfall.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Pflichten bestehen für Ersthelfer am Unfallort?

Wer an einen Unfallort kommt, ist nach § 323c Strafgesetzbuch (StGB) zur Hilfeleistung verpflichtet, sofern dies zumutbar und erforderlich ist. Diese Pflicht besteht unabhängig davon, ob man selbst am Unfall beteiligt war oder lediglich als Passant dazukommt. Verletzungen dieser Pflicht gelten als „unterlassene Hilfeleistung“ und können mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft werden. Die Hilfe muss zumutbar und ohne erhebliche eigene Gefahr erfolgen; niemand ist verpflichtet, sich selbst in ernste Gefahr zu bringen. Die Hilfeleistung umfasst alle Maßnahmen, die erforderlich sind, um weitere Schäden abzuwenden und das Leben bzw. die Gesundheit der Unfallopfer zu schützen. Als Mindestmaß zählen das Absichern der Unfallstelle, das Absetzen eines Notrufs und das Leisten erster medizinischer Hilfe nach eigenen Kenntnissen und Möglichkeiten. Für medizinische Fehler während der Hilfeleistung haften Ersthelfer in der Regel nicht, sofern sie nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt haben.

Drohen rechtliche Konsequenzen bei unterlassener Hilfeleistung?

Ja, wer als Ersthelfer seine gesetzliche Pflicht zur Hilfeleistung nach § 323c StGB missachtet, macht sich strafbar. Die Unterlassung kann nicht nur mit einer Geldstrafe, sondern auch mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr geahndet werden. Entscheidend ist, dass die Hilfeleistung zumutbar gewesen wäre, das heißt, ohne erhebliche Gefahr für die eigene Person bestand. Ebenfalls ist das bloße Abwarten oder das sich Entfernen vom Unfallort strafbar, solange keine Hilfe geleistet oder zumindest andere zur Hilfe organisiert wurden. Zusätzlich können schadensersatzrechtliche Ansprüche im zivilrechtlichen Bereich entstehen, etwa wenn durch das Unterlassen Schäden für Unfallopfer entstehen, die hätten verhindert werden können.

Besteht Versicherungsschutz und Haftungsfreiheit für Ersthelfer?

Grundsätzlich sind Ersthelfer durch § 680 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) sowie durch besondere Regelungen in den Unfallversicherungsgesetzen geschützt. Das bedeutet, wer in einer Notlage Hilfe leistet, haftet nur für Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit, jedoch nicht für einfache Fehler aus Unkenntnis oder Überforderung. Weiterhin stehen Ersthelfer unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 2 Abs. 1 Nr. 13 SGB VII), das heißt, sie sind bei eigenen Verletzungen oder Gesundheitsschäden während der Hilfeleistung abgesichert. Der Versicherungsschutz greift auch für den Weg zum und vom Unfallort, sofern dieser in unmittelbarem Zusammenhang mit der Hilfeleistung steht.

Müssen personenbezogene Daten von Unfallbeteiligten oder Zeugen weitergegeben werden?

Ja, im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen und zur Feststellung der Unfallbeteiligten besteht für jeden, der am Unfall beteiligt war, gemäß § 142 StGB (unerlaubtes Entfernen vom Unfallort) die Pflicht, seine Personalien anzugeben. Wer als Zeuge in Erscheinung tritt, sollte ebenfalls Namen und Kontaktdaten hinterlassen, um bei den Ermittlungen unterstützen zu können. Das Zurückhalten dieser Angaben kann zur Fahndung und gegebenenfalls auch zu Ordnungswidrigkeiten führen. Datenschutzrechtliche Bedenken müssen gegenüber den gesetzlich vorgeschriebenen Auskunftspflichten in diesem Zusammenhang zurücktreten.

Welche Folgen hat das Entfernen vom Unfallort ohne Erfüllen der Pflichten?

Das unerlaubte Entfernen vom Unfallort, insbesondere als Unfallbeteiligter, stellt eine Straftat nach § 142 StGB dar und kann mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft werden. Als Unfallbeteiligter gelten dabei auch Helfer, zum Beispiel, wenn sie durch ihre Handlungen zur Entstehung oder Entwicklung des Unfalls beigetragen haben. Ein Entfernen ist erst gestattet, wenn die Unfallfolgen geregelt und die Personalien angegeben wurden oder eine angemessene Wartefrist verstrichen ist.

Gibt es eine allgemeine Pflicht zur Sicherung der Unfallstelle?

Ja, das Absichern der Unfallstelle gehört nach der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) sowie aufgrund allgemeiner Sorgfaltspflichten zum Mindestmaß rechtlich gebotener Sofortmaßnahmen. Das Aufstellen des Warndreiecks, das Tragen einer Warnweste und das Einschalten der Warnblinkanlage sind nicht nur praktisch sinnvoll, sondern auch rechtlich zwingend, soweit es die Situation zulässt. Wer gegen diese Pflichten verstößt, riskiert nicht nur Bußgelder, sondern auch die strafrechtliche Ahndung, wenn durch die Unterlassung Gefahren für andere entstehen.

Haben Zeugen und Ersthelfer ein Aussageverweigerungsrecht?

Grundsätzlich besteht keine generelle Pflicht zur Aussageverweigerung für Zeugen oder Ersthelfer, sofern sie nicht durch die Aussage selbst belastet würden (§ 55 Strafprozessordnung – StPO). Ist jedoch zu befürchten, dass durch die Aussage gegen sich selbst oder Angehörige ermittelt wird, darf die Aussage verweigert werden. Im Regelfall müssen Ersthelfer und unbeteiligte Zeugen der Polizei und den Ermittlungsbehörden wahrheitsgemäß schildern, was sie beobachtet und getan haben, um zur Aufklärung des Unfallhergangs beizutragen.