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Selbstverwaltung


Begriff und Bedeutung der Selbstverwaltung

Selbstverwaltung ist ein Rechtsprinzip, das die eigenverantwortliche Ausübung bestimmter staatlicher Angelegenheiten durch Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts beschreibt. Die Selbstverwaltung unterscheidet sich grundlegend von der unmittelbaren Staatsverwaltung, da eigenständige Verwaltungseinheiten im Rahmen gesetzlich übertragener Aufgaben handeln und dabei autonom, jedoch unter staatlicher Rechtsaufsicht, entscheiden.

Die Selbstverwaltung ist ein zentrales Element des deutschen Verwaltungsrechts und gewährleistet die Teilhabe bestimmter Gruppen und Regionen an staatlichen Entscheidungsprozessen. Sie stellt einen Ausdruck des Subsidiaritätsprinzips dar und ist in verschiedenen Rechtsbereichen fest verankert.

Rechtsgrundlagen der Selbstverwaltung

Verfassungsrechtliche Verankerung

Die rechtliche Basis der Selbstverwaltung im deutschen Recht findet sich vor allem im Grundgesetz (GG). Besonders relevant ist Art. 28 Abs. 2 GG, welcher die Selbstverwaltungsgarantie für Gemeinden und Gemeindeverbände normiert. Nach dieser Vorschrift müssen Gemeinden das Recht haben, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln (kommunale Selbstverwaltung).

Auch im Bereich der Sozialversicherung findet die Selbstverwaltung ihre Grundlage in Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG, welcher die Übertragung von Verwaltungsaufgaben auf bundesunmittelbare Körperschaften vorsieht.

Einfache Gesetze

Neben dem Grundgesetz regeln zahlreiche Einzelgesetze die Organisation und Ausgestaltung der Selbstverwaltung in unterschiedlichen Bereichen, etwa die Gemeindeordnungen der Länder, das Sozialgesetzbuch (SGB), das Berufsbildungsgesetz (BBiG) oder das Kammerrecht. Diese Gesetze übertragen den jeweiligen Selbstverwaltungskörperschaften Rechte und Pflichten und bestimmen die Grenzen ihrer Autonomie.

Formen und Ausprägungen der Selbstverwaltung

Kommunale Selbstverwaltung

Die Kommunale Selbstverwaltung ist die bedeutendste Erscheinungsform im deutschen Recht und betrifft Städte, Gemeinden und Kreise. Sie umfasst die eigenständige Erledigung aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, wie etwa Bauleitplanung, Daseinsvorsorge, Kultur, Bildung oder öffentliche Sicherheit, stets im Rahmen der bestehenden Gesetze.

Träger der kommunalen Selbstverwaltung sind Gebietskörperschaften, deren Organe (z. B. Gemeinderat oder Kreistag) direkt von den Bürgerinnen und Bürgern gewählt werden. Die Kommunalaufsicht kontrolliert die Rechtmäßigkeit, nicht aber die Zweckmäßigkeit der getroffenen Maßnahmen (Rechtsaufsicht).

Selbstverwaltung in der Sozialversicherung

Die Soziale Selbstverwaltung bezeichnet das Verwaltungssystem der gesetzlichen Sozialversicherungsträger (z. B. Krankenkassen, Rentenversicherung). Vertreterversammlungen und Vorstandsgremien, zusammengesetzt aus Arbeitgeber- und Versichertenvertretern, übernehmen hier Entscheidungsbefugnisse wie Haushaltsplanung oder Satzungsregelungen.

Dieses Modell dient der Vertretung der Interessen der Versichertengemeinschaft und der Arbeitgeber und stellt einen Ausgleich zwischen staatlicher Kontrolle und Selbstbestimmung sicher. Der Staat übt bei der Sozialverwaltung überwiegend eine Rechtsaufsicht aus.

Berufskammern und Standesorganisationen

Berufskammern (wie Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, Ärztekammern, Architektenkammern) besitzen ebenfalls das Recht zur Selbstverwaltung. Sie regeln Angelegenheiten der jeweiligen Berufsgruppen im eigenen Wirkungskreis (beispielsweise Zulassung, Weiterbildung, Berufsaufsicht) und repräsentieren die Interessen ihrer Mitglieder gegenüber dem Staat und der Öffentlichkeit.

Weitere Erscheinungsformen

Auch Universitäten und andere Hochschuleinrichtungen sowie Studierendenschaften oder Körperschaften wie Kirchen (innerhalb des verfassungsrechtlich gewährleisteten Selbstbestimmungsrechts) verfügen teilweise über Selbstverwaltungsrechte.

Träger der Selbstverwaltung

Selbstverwaltungsträger sind juristische Personen des öffentlichen Rechts. Zu den wichtigsten zählen:

  • Gemeinden und Gemeindeverbände (Kreise, Städte)
  • Sozialversicherungsträger (z. B. Krankenkassen, Rentenversicherung)
  • Kammern (IHK, Handwerkskammer, Ärztekammer, Rechtsanwaltskammer)
  • Hochschulen, Studierendenschaften
  • Religionsgemeinschaften

Allen gemeinsam ist, dass sie ihre Aufgaben durch Selbstverwaltungsorgane (z. B. Versammlungen, Vorstände, Räte) erfüllen. Diese Organe setzen sich zumeist aus von den Betroffenen gewählten oder entsandten Mitgliedern zusammen.

Aufgaben, Rechte und Pflichten der Selbstverwaltung

Eigenständige Aufgabenwahrnehmung

Selbstverwaltungskörperschaften nehmen die ihnen per Gesetz zugewiesenen Aufgaben in eigener Verantwortung wahr. Dazu zählen originäre Aufgaben (eigener Wirkungskreis) und auftragsweise übertragene, staatliche Aufgaben (übertragener Wirkungskreis). Die Unterscheidung ist maßgeblich für den Umfang der Autonomie und die rechtliche Kontrolle.

Satzungs-, Organisations- und Personalhoheit

Wesentliche Rechte der Selbstverwaltung sind:

  • Satzungshoheit: Das Recht, zur Regelung eigener Angelegenheiten rechtverbindliche Satzungen zu erlassen.
  • Organisationshoheit: Das Recht, die Organisation der eigenen Verwaltung selbstständig zu gestalten.
  • Personalhoheit: Das Recht, das eigene Personal auszuwählen, einzustellen und zu verwalten.
  • Finanzhoheit: Das Recht, Haushaltspläne aufzustellen sowie eigene Einnahmen und Ausgaben zu bestimmen (unter Beachtung gesetzlicher Vorgaben).

Bindung an Gesetz und Recht

Die Selbstverwaltung ist stets an Gesetz und Recht gebunden („gebundene Autonomie“). Selbstverwaltungskörperschaften müssen die verfassungs- und einfachgesetzlichen Vorgaben beachten und können ihre Kompetenzen nicht willkürlich überschreiten.

Kontrollmechanismen und staatliche Aufsicht

Die staatliche Aufsicht über Selbstverwaltungsträger unterscheidet zwischen Rechtsaufsicht und Fachaufsicht. In der Regel unterliegen Selbstverwaltungskörperschaften nur der Rechtsaufsicht: Der Staat überwacht die Einhaltung der Gesetze, nicht die Zweckmäßigkeit der Entscheidungen. Nur in Ausnahmefällen, etwa bei Übertragung staatlicher Aufgaben (übertragener Wirkungskreis), kommt eine Fachaufsicht in Betracht.

Verwaltungsgerichte können im Streitfall die Maßnahmen und Satzungen der Selbstverwaltungsträger auf ihre Rechtmäßigkeit hin prüfen.

Grenzen und Schranken der Selbstverwaltung

Gesetzlicher Vorrang

Die Selbstverwaltung ist nicht schrankenlos. Ihre Grenzen ergeben sich aus dem Vorrang der Gesetze. Nur im Rahmen bestehender Gesetze können Selbstverwaltungsträger ihre Aufgaben eigenständig erfüllen.

Eingriffe in die Selbstverwaltung

Eingriffe in die Selbstverwaltung sind nur auf gesetzlicher Grundlage und unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zulässig. Beispielsweise kann die Kommunalaufsicht bei rechtswidrigen Handlungen einschreiten, bei groben Pflichtverletzungen auch Organe entheben oder Zwangsverwaltung anordnen.

Auflösung und Neuordnung

Die Auflösung, Gebietsänderung oder Zusammenlegung von Selbstverwaltungskörperschaften unterliegt ebenfalls gesetzlichen Schutzvorschriften und ist oftmals an Mitwirkungsrechte oder Anhörungsverfahren gebunden.

Bedeutung und Zweck der Selbstverwaltung

Die Selbstverwaltung dient der demokratischen Beteiligung, Verwaltungsdezentralisierung sowie der Entlastung der Staatsverwaltung. Sie fördert Bürgernähe, Eigenverantwortung und das Subsidiaritätsprinzip und ist ein wesentliches Element des demokratischen und föderalen Rechtsstaats.

Die Ausgestaltung der Selbstverwaltung ermöglicht eine flexible und bedarfsgerechte Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben auf unterer Ebene und sichert die Beteiligung betroffener Gruppen an der Verwaltung, insbesondere im kommunalen und sozialen Bereich.

Selbstverwaltung im internationalen Vergleich

Auch in anderen Rechtsordnungen ist die Selbstverwaltung ein zentrales Prinzip, insbesondere in Europa. Die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung (1985) legt Mindeststandards für die kommunale Selbstverwaltung in den Mitgliedsstaaten des Europarates fest. Verschiedene Länder (z. B. Österreich, Schweiz, Frankreich) haben eigene, jeweils historisch gewachsene Formen und Regelungsstrukturen der Selbstverwaltung.

Literatur und Nachweise

  • Schneider, Peter: Kommunale Selbstverwaltung, 7. Auflage, München 2021.
  • Maurer, Hartmut: Allgemeines Verwaltungsrecht, 21. Auflage, München 2022.
  • Schmidt, Harald: Soziale Selbstverwaltung, 3. Auflage, Köln 2018.
  • Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (Art. 28 Abs. 2, Art. 87 GG)
  • Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung (1985)

Hinweis: Dieser Artikel bietet eine umfassende rechtliche Erläuterung des Begriffs „Selbstverwaltung“ im Rahmen eines Rechtslexikons und behandelt alle relevanten rechtlichen Dimensionen des Themas.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Grundlagen regeln die Selbstverwaltung in Deutschland?

Die rechtlichen Grundlagen der Selbstverwaltung in Deutschland sind insbesondere im Grundgesetz (GG) verankert. Art. 28 Abs. 2 GG garantiert den Gemeinden das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln (kommunale Selbstverwaltungsgarantie). Darüber hinaus finden sich spezifische Regelungen in den Kommunalverfassungen der Bundesländer, den Gemeindeordnungen sowie den Fachgesetzen, die den Wirkungsbereich, den Umfang und die Schranken der Selbstverwaltung näher bestimmen. Auch in anderen Bereichen existieren Formen rechtlicher Selbstverwaltung, zum Beispiel bei den berufsständischen Körperschaften (z. B. Ärztekammern, Industrie- und Handelskammern), geregelt durch jeweils einschlägige Kammergesetze. Insgesamt wird Selbstverwaltung grundsätzlich durch das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung beschränkt, was bedeutet, dass Handlungen und Maßnahmen stets auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen müssen.

Welche Organe sind zur Ausübung der Selbstverwaltung befugt?

Zur Ausübung der Selbstverwaltungsrechte sind in der Regel juristische Personen des öffentlichen Rechts befugt, insbesondere Gemeinden und Landkreise sowie öffentlich-rechtliche Körperschaften wie Kammern und Sozialversicherungsträger. Die jeweiligen Selbstverwaltungsorgane, etwa Gemeindevertretungen (Räte, Parlamente), Verwaltungsräte oder Kammervorstände, werden typischerweise demokratisch gewählt und sind gegenüber den Mitgliedern bzw. der örtlichen Bevölkerung verantwortlich. Die Geschäftsführung (z.B. Bürgermeister, Präsidenten, Geschäftsführer) setzt die Beschlüsse des jeweiligen Gremiums um und leitet die laufenden Verwaltungsangelegenheiten. Diese Organe handeln in eigener Verantwortung, unterliegen dabei aber der Rechtsaufsicht durch übergeordnete Behörden, um die Gesetzmäßigkeit sicherzustellen.

In welchen Bereichen ist Selbstverwaltung rechtlich zulässig und wo gibt es Einschränkungen?

Rechtlich zulässig ist Selbstverwaltung grundsätzlich in all jenen Bereichen, die nicht dem Vorbehalt des Staates unterliegen oder aufgrund gesetzlicher Vorschrift besonders geregelt sind. Kommunen dürfen Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft eigenverantwortlich regeln, dürfen aber keine Staatsangelegenheiten wie Polizei-, Justiz- oder Steuerhoheit ausüben. Körperschaften der Selbstverwaltung, wie Kammern oder Sozialversicherungsträger, ist die Aufgabenwahrnehmung durch Gesetz zugewiesen und sie müssen sich innerhalb dieses Rahmens bewegen. Einschränkungen bestehen dort, wo übergeordnete Interessen, insbesondere einheitliche Rechtsanwendung, innere oder äußere Sicherheit oder fiskalische Belange des Staates betroffen sind. Zudem können Landesgesetze die Aufgabenbereiche weiter konkretisieren und einschränken.

Welche Kontroll- und Aufsichtsmöglichkeiten bestehen gegenüber Selbstverwaltungskörperschaften?

Die Kontrolle und Aufsicht über Selbstverwaltungskörperschaften erfolgt in erster Linie durch die sogenannte Rechtsaufsicht. Diese beschränkt sich – im Gegensatz zur Fachaufsicht – darauf, zu überwachen, ob die Körperschaften im Rahmen geltender Gesetze gehandelt haben. Die zuständigen Aufsichtsbehörden können rechtswidrige Maßnahmen beanstanden, aufheben oder deren Vollzug untersagen, aber keine inhaltliche Leitung oder Weisungen für Ermessensentscheidungen geben. In schwerwiegenden Fällen, etwa bei groben Pflichtverletzungen oder Handlungsunfähigkeit, kann die Aufsichtsbehörde auch Organe abberufen und Ersatzorgane einsetzen. In manchen Bereichen, insbesondere bei bundesweiten Körperschaften, ist auch eine Fachaufsicht vorgesehen, die weitergehende Kontrollrechte umfasst.

Welche Bedeutung hat das Haushaltsrecht für die Selbstverwaltung?

Das Haushaltsrecht ist ein zentrales Element der Selbstverwaltung, da es die finanzielle Eigenständigkeit und Entscheidungsfreiheit der Körperschaften sichert. Nach Grundgesetz und Landesrecht (u.a. Kommunalhaushaltsverordnungen) sind die Körperschaften verpflichtet, eigenverantwortlich Haushaltspläne aufzustellen, zu beschließen und auszuführen. Sie haben Autonomie über Einnahmen und Ausgaben im Rahmen des geltenden Rechts, müssen jedoch Haushaltsausgleich und Wirtschaftlichkeit beachten. Die Aufsichtsbehörden prüfen, ob finanzielle Verpflichtungen eingegangen werden dürfen, und können im Falle gravierender Haushaltsprobleme rechtzeitig eingreifen. Darüber hinaus bestehen Transparenzerfordernisse, Rechnungslegungspflichten und Möglichkeiten zur Haushaltskonsolidierung, die rechtlich verbindlich ausgestaltet sind.

Welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen für Bürger, gegen Beschlüsse der Selbstverwaltung vorzugehen?

Bürger haben im deutschen Recht verschiedene Möglichkeiten, gegen Maßnahmen und Beschlüsse von Selbstverwaltungskörperschaften vorzugehen. Dabei können je nach Art der Maßnahme unterschiedliche Rechtsmittel greifen, beispielsweise der Widerspruch gegen Verwaltungsakte oder die Anfechtungsklage beim Verwaltungsgericht. Bei kommunalrechtlichen Angelegenheiten steht zudem der sogenannte Kommunalverfassungsstreit offen, etwa wenn kommunale Mitgliederrechte verletzt werden. In bestimmten Fällen – z.B. bei Planfeststellungsverfahren oder Bebauungsplänen – bestehen spezielle Beteiligungs- und Klagerechte (wie die Normenkontrollklage nach § 47 VwGO). Voraussetzung ist in der Regel die Betroffenheit in eigenen Rechten sowie die Einhaltung von Fristen und von etwaigen Vorverfahren gemäß den jeweiligen Rechtsvorschriften.

Welche Haftungsregelungen gelten für Organe und Mitglieder von Selbstverwaltungskörperschaften?

Organe und Mitglieder von Selbstverwaltungskörperschaften haften grundsätzlich dann, wenn sie bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben vorsätzlich oder grob fahrlässig gegen Gesetze oder Satzungen verstoßen und der Körperschaft oder Dritten dadurch ein Schaden entsteht. Für einfache Fahrlässigkeit gilt grundsätzlich ein Haftungsausschluss, um ehrenamtliches Engagement nicht zu behindern. Die Ansprüche richten sich vorrangig gegen die Körperschaft selbst, nur in Ausnahmefällen unmittelbar gegen das handelnde Organ oder Mitglied (etwa bei Beamten im Innenverhältnis nach §§ 839 BGB, 34 GG, oder bei spezifischen Regelungen im Kommunalrecht). Weitere Details regelt die jeweils einschlägige Landessatzung oder das Körperschaftsgesetz. In besonders gravierenden Fällen, etwa bei Untreue oder Korruption, greifen straf- und disziplinarrechtliche Vorschriften.